Dossier Der kreative Anarchist Von Michael Hein In der Geschichte des belgischen Comics ist wohl kein Bartträger berühmter als Yvan Delporte, ein - mal abgesehen von Käpt’n Haddock. Der impo - sante Vollbart war sein Markenzeichen. Klein und Rechts: schmächtig von Gestalt, kultivierte Delporte die Gleich der erste üppige, zuweilen wild wuchernde Haartracht wie von zahllosen Auf - tritten Delportes in ein wallendes Banner und wusste sie auf Fotos einem Comic (in geschickt in Szene zu setzen: kein Zweifel, der Spirou et les heri - Bart war Programm, umso mehr zu einer Zeit — tiers am 26. Juli 1951) wurde bei Mitte der 1950er Jahre und noch weit ins fol - seiner deutschen gende Jahrzehnt hinein —, als der belgische Bie - Erstveröffentli - chung von einem dermann zu Anzug, Schlips und Kragen korrekt eifrigen Redakteur gescheitelte, kurz geschnittene Haare und allen - fast verhindert. Aus Der heitere falls ein akkurat gestutztes Schnauzbärtchen trug, Fridolin 17, 1959. keinesfalls aber Pullover, die mitunter löchrig wa - © Semrau ren, einen abgewetzten Dufflecoat und eben die - Unten: sen mächtig ins Kraut schießenden Vollbart. Delporte in Aber Programm wofür? Wenn sich Redaktionskol - seinem Büro, 1960er Jahre. legen und Comicautoren, die Delporte aus ge - © Dupuis 2009 meinsamer Zeit bei Spirou kannten, über ihn ge - äußert haben, fällt dabei oft die Bezeichnung »Anarchist« oder »anarchisch«, um seine Persön - lichkeit zu charakterisieren. Das ist nicht politisch zu verstehen, denn längst ist der »Anarchist« — genau wie der »Revolutionär« oder der »Bohe - nen, der sich an geltende Regeln und Konventio - mien« — zu einem gesellschaftlichen Klischee ge - nen nicht hält, gewohnte Formen nicht anerkennt worden, das vor allem für Personen der Kunst und und nach Kräften zu unterlaufen oder gar zu un - Kultur gern verwendet wird. Man meint damit ei - terminieren sucht, was als respektabel und nor - mal gilt. Mit einem Wort: einen Nonkonformisten. Aber »Anarchist« klingt gefährlicher, da denkt man sich die selbstgebastelte Bombe in der Man - teltasche und die ebenso wirre Mähne wie Miene gleich mit. »Wir waren alle bereit, ihm zu folgen. Er war der Auslöser, der Zünder. Er hatte ein feines Gespür für die Möglichkeiten, die in jedem von uns steck - ten, und er verstand es, sie zum Schäumen zu bringen.« 1 Jean Roba wusste, wovon er sprach, denn er gehörte mit Franquin, Morris, Peyo, Will und Jidéhem (die Liste ist keineswegs vollständig) zu jener ersten Autorengeneration, die unter Del - portes Leitung in Spirou während der Jahre 1955 bis 1968 ihre Möglichkeiten zur Meisterschaft ent - faltete. Diese Zeit gilt als das Goldene Zeitalter des belgischen Comics. Aber um die Rolle zu ver - stehen, die der »kreative Anarchist« Yvan Delporte darin spielte, muss man das Bild ein wenig erwei - tern, mindestens nämlich um die Person des Pa - trons: Ohne bestehende Herrschaft gibt es keine 1 Jean Roba in einem Gespräch mit Christelle und Bertrand Pis - savy-Yvernault, Yvan Delporte – Réacteur en chef , Dupuis 2009. 2 Yvan Delporte in einem Gespräch mit Christelle und Bertrand Pis - savy-Yvernault, Yvan Delporte – Réacteur en chef , Dupuis 2009. Jeansstoff schneidern ließ — der Nonkonformist Dossier Delporte ist nur im Hause Dupuis, in der Zeit - schrift Spirou als »kreativer Anarchist« aufgetreten. Linkss: Delporte von Der Künstler läuft zu großer Form erst und nur Maurice Rosy. auf, wenn äußere Zwänge ihn dazu anstacheln: © Dupuis by »Ich habe festgestellt, dass Franquin, Gotlib und Rosy; 2009 Peyo allesamt in Depression verfallen sind, als sie Anarchie. »Monsieur Charles«, wie ihn seine Autoren liebe - voll (sic!) nannten, also der Verlagsinhaber und Erbe des Familienunternehmens Dupuis, der stets makellos gekleidete Ästhet im Sportwagen, reprä - sentierte nicht nur die Geschäftsleitung, sondern zugleich das Establishment. Sein Beichtvater, der Jesuitenpater Sonnet, las sämtliche Presseerzeug - nisse aus dem Hause Dupuis vor ihrer Veröffentli - chung, und was ihm darin nicht gefiel, das war gestrichen. Das galt natürlich insbesondere für eine Zeitschrift wie Spirou , die nicht zur Unterhal - tung, sondern zur Erbauung der Jugend heraus - gegeben wurde, jedenfalls nach dem Verständnis ihrer Verleger. »Was mich wirklich nervte, war der pfäffische Geist im Hause Dupuis. Charles Dupuis repräsen - tierte diesen Geist nicht, er war bloß ein Typ in ei - nem Sessel, der seine Arbeit machte, so gut er konnte. Ich habe nie etwas extra gemacht, um Charles damit auf den Nerv zu gehen. Nicht über ihn wollte ich mich lustig zu machen, sondern ge - gen den Geist des Hauses versuchte ich anzuge - hen. Mein Spiel bestand nicht darin, Dupuis zu nerven, sondern die verbotene Botschaft ‘rüberzu - bringen. Ich bin sehr stolz darauf, in Spirou das Wort Hoden veröffentlicht zu haben. Na gut, in Form einer ägyptischen Hieroglyphe, und nur Ägyptologen konnten das bemerken, aber es er - füllt mich doch mit Befriedigung.« 2 Der Zeit seines Lebens bekennende Nonkonfor - mist Delporte, der den Wehrdienst aus Gewis - endlich alles in ihre Comics hineinpacken konn - sensgründen verweigerte und dennoch zum Mili - ten und man ihnen dafür auch noch herzlich Oben: tär musste, der dort seine Religion mit »Moslem« dankbar war. Sie waren viel spritziger, als sie Der Einfluss Del - portes wirkt auch angab, nur damit die Verwaltung gezwungen war, noch einen Chefredakteur oder einen Verleger im noch auf die heu - eigens für ihn eine Erkennungsmarke mit der Auf - Nacken hatten, der sie nervte und gegen den sie tige Generation Zeichner: Blutch schrift »Musul« stanzen zu lassen, der die Vor - 2 sich auflehnen konnten.« zeichnet eine schrift, zum Festbankett im Frack zu erscheinen, Einen Chefredakteur Hommage für das kreativ untergrub, indem er sich einen Spirou -Magazin. oder einen Verleger: © Dupuis by aus Anarchist oder Pa - Blutch; 2011 tron? Die Wahr - Links: heit ist, dass Zeichnung Fran - quins für Pendant ce temps à Lan - dernau in (A Suivre) 15, 1979. © Casterman 41.
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