493_45_48_Tuepper 01.12.2010 7:02 Uhr Seite 45 Deutsch-deutsche Das Geheimnis der Freiheit Erfahrungen ist Mut des Liedermachers Stephan Krawczyk Rita Anna Tüpper Im zu Ende gehenden Jahr des Erinnerns Hohenschönhausen „freiwillig“die DDR. an zwanzig Jahre deutsche Einheit sind Gemeinsam mit seiner damaligen Frau die Ereignisse um den Mauerfall und die Freya Klier hatte er – nach Einwirkung innen- wie außenpolitischen Anstrengun- seines Anwaltes, der später als Stasispit- gen, die notwenig waren, den Mantel der zel enttarnt wurde – am 1. Februar einen Geschichte zu ergreifen und um ein freies „Antrag auf Wohnsitzwechsel in die BRD gesamtdeutsches Volk legen zu können, und auf Entlassung aus der Staatsbürger- deutlich ins Bewusstsein getreten. schaft der DDR“ gestellt. Bereits seit 1985 Zwar wird immer wieder betont, dass war der Künstler mit Berufsverbot belegt es die zur Masse angewachsene Bürger- und trat nur noch in Kirchenräumen auf. bewegung in der DDR war, die die Mau- Im November 1987 hatte er einen offenen ersteine ins Rollen brachte. Eben diese Be- Brief an Kurt Hager, den Chefideologen wegung wurde in Gang gesetzt durch In- der SED, verlesen, in dem mehr Freihei- dividuen, einzelne Bürger mit besonderer ten für DDR-Bürger und die Einhaltung Charakterstärke, die über vier Jahrzehnte der Menschenrechte gefordert wurden. Kopf und Kragen riskierten und biswei- Die im Westen von einem starken Me- len auch verloren. Gleich, ob sie scheiter- dieninteresse begleitete Aussperrung aus ten und von den Mühlsteinen der Dikta- seiner Heimat im eigenen Land machte tur zermahlen wurden oder ob sie, an Stephan Krawczyk zu einem Wanderer Körper und Seele verwundet, überstan- zwischen zwei Welten, in denen er nicht den, es waren ihr Mut und ihre Freiheits- zu Hause war. liebe, ihre Idee vom Leben als einer Ent- Diese Zerrissenheit verschwand nicht faltung der Person und ihr Gespür für die gleich mit dem Fall der Mauer, auch wenn Würde des Einzelnen auch gegen ein ide- Krawczyk dieses Ereignis heute feiert; ologisches Denksystem und politisches mit ihrem Verschwinden sei „ein großer Machtgebilde, die als Quelle und Wurzel Schritt aus der Barbarei zurück zur Kul- den Umsturz hervorbrachten. Dies be- turnation“ getan. Die anfänglich zur Eu- deutet nicht weniger, als dass auch die phorie übersteigerte Freude habe aber als friedliche deutsche Revolution im Vor- getrübter Bewusstseinszustand die Ge- feld einen hohen Preisund zahlreiche Op- schichte der Teilung und ihre Gewalttätig- fer gekostet hat, ohne deren Andenken keit sogleich in den Hintergrund gedrängt. das geeinte Deutschland seelenlos bleibt. Der empfindsame Sänger sah bereits am 10. November 1989, damals zu Auftritten „Das ist nie gewesen …“ in der bayrischen Provinz unterwegs, die Am 2. Februar 1988 verließ der Lieder- Gefahr der Ostalgie, als er den Liedtext macher Stephan Krawczyk nach Inhaftie- „Das ist nie gewesen“ notierte: rung am 17. Januar und folgender Iso- „Das ist nie gewesen, das war niemals lationshaft im Stasi-Gefängnis Berlin- wahr. / Nein, wir waren im Leben niemals in Nr. 493 · Dezember 2010 Seite 45 493_45_48_Tuepper 01.12.2010 7:02 Uhr Seite 46 Rita Anna Tüpper Gefahr. / Aus den offnen Wunden fließt jetzt dann die ersten Auseinandersetzungen.“ roter Wein, / nur die schon verblutet, können Der Liedermacher wurde nicht aus ei- nicht verzeih’n. // Könn’ sich nicht besaufen ner bestimmten politischen Überzeugung an Vergesslichkeit, / weil sie sich verletzten heraus gesellschaftlich aktiv, sondern vor der rechten Zeit …“ setzte sich zunächst lediglich gegen die Tatsächlich sollte sich die verdrängte Angriffe auf seine künstlerische Freiheit Erinnerung an das Unheil der DDR-Ge- zur Wehr, die sich allein den Regeln der schichte als Stachel im Fleisch der Freude Kunst, nicht aber der Politik zu unterwer- über Freiheit und Einheit erweisen. fen habe. Bis heute ist Political Correctness dem Ende einer Bilderbuchkarriere Künstler fremd. In politische Fragen Stephan Krawczyk gehörte zunächst zu mischt er sich dann ein, wenn sie fun- den Privilegierten in der DDR: damentale Ebenen des menschlichen Le- 1955 in Weida/Thüringen geboren, bens betreffen – ironisch, pfiffig und studierte der Sohn eines Bergarbeiters provokativ –, nie jedoch als allwissender 1978 bis1982 Konzertgitarre an der Franz- Kritiker mit moralischer Vorherrschaft. Liszt-Musikhochschule Weimar und trat Seine Abscheu dieser Haltung gegenüber bereits seit 1980 als freier Liedermacher bringt er in dem Lied „Von oben“ zum auf; 1981 wurde er mit dem Hauptpreis Ausdruck, das den satirischen Refrain des Nationalen Chansonwettbewerbs der wiederholt: DDR geehrt und ging bis 1985 seiner Kon- „Ich weiß, wo’s langgeht. Ich weiß, was zerttätigkeit innerhalb der DDR nach. ansteht. / Ich werde tun, was niemand tut. Ich Von 1978 bis 1983 gehörte er der Folk- bin so gut, ich bin so gut,/ ich bin so gut, ich gruppe „Liedehrlich“ an, die eine Schall- bin so gut.“ platte beim staatlichen Platten-Label Amiga veröffentlichte; 1984 zog er nach Nach der Abschiebung Ost-Berlin und begann mit schriftstelleri- Kurz nach seiner Abschiebung kam schen Arbeiten, schauspielerischen Auf- Krawczyk erstmals mit Fakten zum Aus- tritten und Kompositionen für das Thea- maß akuter Umweltschäden in Berüh- ter. Seine künstlerische Bilderbuchkar- rung, setzte sich mit der Problematik des riere scheint Auflehnung aus bloßem Ei- Umweltschutzes auseinander und sam- geninteresse kaum nahegelegt zu haben. melte Unterschriften für eine Petition zum Im Interview mit der Politischen Meinung FCKW-Verbot, die er gemeinsam mit Udo am 26. November 2010 antwortet Kraw- Jürgens und Herbert Grönemeyer der da- czyk auf die Frage, was ihn zu der muti- maligen Bundestagspräsidentin Rita Süss- gen Kritik in der DDR angetrieben habe: muth übergab; in seinem jüngsten Buch er- „Der stellvertretende Kulturminister hatte scheint dieses von Erfahrungen mit der mir bestimmte Lieder verboten. Ich stand vor repräsentativen Demokratie noch unbe- der Frage, ob ich ein solches Verbot akzeptie- leckte Engagement als eine absurde Ak- ren könne. Meine Eltern, besonders meine tion von politischer Bedeutungslosigkeit. Mutter, hatten mich in einer Geradlinigkeit Sein ökologisches Engagement führte ihn erzogen, die die Lüge schwer machte. Und es auch zu Veranstaltungen ins Wendland; grenzte an Lüge, gewisse Lieder, die besonders dort verstand es die DKP, seinen musikali- gut ins Programm hineinpassten, dem Publi- schen Auftritt bei einem Festival im letzten kum vorzuenthalten. Das widersprach mei- Augenblick zu verhindern. nem inneren Wertgefühl. Ein Funktionär darf Mehrfach musste Krawczyk die Erfah- einem Künstler nicht hineinreden, das ist rung machen, dass der Eiserne Vorhang nicht sein Terrain. An diesem Punkt gab es für die Stasi kein Hindernis war: So Seite 46 Nr. 493 · Dezember 2010 493_45_48_Tuepper 01.12.2010 7:02 Uhr Seite 47 Das Geheimnis der Freiheit ist Mut verschwand die Schreibmaschine Freya Kliers, auf der sie gerade ihre Erfahrun- Der Liedermacher Stephan Krawczyk, aufge- gen als DDR-Dissidentin zu Papier nommen am 17. Juni 2009 bei der Verleihung brachte, aus der Wohnung eines gemein- des Point-Alpha-Preises des Kuratoriums Deutsche Einheit in der Gedenkstätte samen Gastgebers; zu einem Konzert in Point Alpha im thüringischen Geisa. Köln wurden im Publikum von einigen © picture-alliance/ZB, Foto: Martin Schutt jungen Männern Zettel mit angeblichen Liedtexten des Liedermachers verteilt, in denen die DDR in einfältiger Fäkalspra- che gezeichnet wurde. Selbst nach einem Konzert in Vancouver suchte ihn die Stasi auf: Krawczyk unterhielt sich in einem Irish Pub angeregt mit einem gewissen Karl-Heinz, der sich nach späterem Ak- tenstudium als Spitzel herausstellte. Die jederzeit mögliche Verletzung der Privatsphäre durch Einbruch, Verun- glimpfung und Verstellung auch nach der Vertreibung aus der Heimat noch muss gravierende Spuren hinterlassen haben. Stephan Krawczyk aber verweist darauf, dass dies eine immer noch sanfte Tortur im Vergleich zum Umgang mit macht. An dieser Emotionalität ließ der weniger prominenten, nicht privilegier- Liedermacher seine Zuhörer bei der Ver- ten Zeitgenossen war. anstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung und des Rheinischen Merkur „Denk ich an Rettung durch Unschuld Deutschland …“ am 18. Juni dieses Jahres Einen Ausweg aus dem Labyrinth der im alten Plenarsaal des Wasserwerkes in Opferrolle jenseits von Verbitterung und Bonn mit den „Liedern vom zusammen einem moralischem Rigorismus, der sich wachsen“ teilhaben. Es geht ihm um für „das Gute von der Enterprise“ – so Wachstum als solches, um Entwicklung eine Zeile im oben genannten Lied – hält, der Persönlichkeit in Gemeinschaft mit ge- bot dem Künstler die Besinnung auf Ur- liebten Menschen, die nicht zu einer Ver- sprüngliches. Den wesentlichen Elemen- einheitlichung führen muss. ten des Daseins, Schmerz und Freude, Ver- Der Politischen Meinung versichert er heute: rat und Treue, begegnet er mit bewusst be- „Die DDR-Problematik ist in den Hinter- wahrter kindlicher Unschuld, wie sie im grund gerückt. Eine wirkliche Haftung unter Lied „Marwin“ gefeiert wird: „Unser Sohn meinen Füßen habe ich vor allem in den letz- hat ein schönes Lachen, erfrischend wie ten fünf Jahren durch das Leben mit meinem ein Quell“ (so auch der Titel seines noch in jüngsten Sohn wiedergewonnen. Die ganz- Arbeit befindlichen neuen „Lesebuches an heitliche Zuwendung zu einem Kind erlaubt aufgeweckte Eltern“). Wäre sie nicht leid- es ja nicht, in verschiedenen inneren Welten geprüft, könnte eine solche Geste den
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