SONNABEND 29. SEPTEMBER 2018 Lokales 3 Mehr Bier als Der Enkel liebt den Jazz Wasser in Prag Zeitzeugen: Osterholz-Scharmbecker hütet Nachlass des Komponisten Wilhelm Berger – Das Porträt Austauschschüler berichten vonMichael Schön naissance des großen Thomas-Kantors den Weg bereiteten. Osterholz-Scharmbeck. Lieben Sie Brahms? Eine Wiederkehr, wenn auch im kleineren Dann werden oder würden Sie wahrscheinlich Maßstab, gab es für die Berger-Werke in den auch Wilhelm Berger schätzen, einen zwar 1980er-Jahren, als verschiedene Experten, am längst nicht so populären, aber von Fachleu- Ausgangspunkt Bremen anknüpfend, Orches- ten durchaus geachteten Komponisten. Stilis- terwerke sowie Kammer-, Vokal- und Klavier- tisch steht seine Musik jener des in Ham- musik der Vergessenheit entrissen und sie in- burg geborenen Hochromantikers nahe. Ber- direkt auch wieder in die Musikliteratur und gers Gesamtwerk findet seit den 1980er-Jah- in Konzertsäle sowie auf Tonträger brachten. ren wieder stärkere Beachtung. Wer mehr Das wachsende Interesse gipfelte anlässlich über den großen Komponisten, Dirigenten des 100. Todestages Bergers im Jahre 2011 in und Konzertpianisten wissen will, kann sich einem mehrtägigen Symposium in Meinin- Jugendliche mit Auslandserfahrung: (v.l.) Vitek in Osterholz-Scharmbeck auf Spurensuche gen, wo die Karriere des Komponisten auf Zémanek, Jens Klemm, Fernando Sovza, Luisa begeben. dem Hof des regierenden Herzogs Georg II. Stav, Malte Schulz und Daniel Velasco. Ein Enkel Wilhelm Bergers, der denselben ab 1903 ihren Zenit erreicht hatte. Der Kölner FOTO:FRIEDRICH-WILHELM ARMBRUST Namen wie der berühmte Großvater trägt, Kammerchor Consono und der Universitäts- wohnt in der Kreisstadt. Er ist Heimatforscher. chor Marburg veröffentlichten CDs mit A-cap- vonFriedrich-WilhelM arMbruSt Um für seine Beiträge unter anderem im „Hei- pella-Chorwerken Bergers, der Landesjugend- mat-Rundblick“, einer Regional- und Kultur- chor Thüringen folgte 2017 unter der Leitung Osterholz-Scharmbeck. Sie machen als Me- zeitschrift für den Landkreis Osterholz, zu re- von Nikolaus Müller mit der Aufnahme einer xikaner, Brasilianer oder Tscheche unter- cherchieren, ist der pensionierte Gymnasial- Auswahl von Chorwerken, A cappella, Män- schiedliche Erfahrungen in Deutschland oder lehrer, Erdkunde und Chemie, sehr oft in nerchören und klavierbegleitete Frauenchö- sie sammelten Eindrücke als Deutsche in den Archiven unterwegs. Von diesen Entde- ren. Wilhelm Berger freut sich über das Cover USA und Neuseeland. Darüber berichteten am ckungsreisen bringt er manch wertvolles der Landesjugendchor-CD. Es zeigt Heinrich Donnerstag sechs Schüler der Sekundarstufe Fundstück mit. Einen ganz besonderen Vogelers „Sehnsucht“ („Träumerei“). „Das ist II der Integrierten Gesamtschule (IGS) Oster- „Schatz“ hütet der Osterholz-Scharmbecker ja noch eine Reminiszenz an die Region“, holz-Scharmbeck. Unter dem Thema „Ein Jahr aber im eigenen Hause: Familienanzeigen, schmunzelt er. im Ausland“ stand der Kulturabend im Frei- Notenblätter, Briefe, Urkunden, Partituren, „Wie bin ich krank“, in Töne gesetzt nach zeitbereich der IGS. „Jedes Land hat seine Konzert-Annoncen und Zeitungsberichte, die einem Text von Achim von Arnim, „Zu stille Eigenarten“, sagte in ihrer Begrüßung Anja mit seinem Großvater in Beziehung stehen. Liebe“ von Otto Ludwig und „Die Thräne fließt Prinz, Leiterin der Sekundarstufe II. Wilhelm Berger (1861 – 1911) war in seiner zu Staub“ – diese und weitere Titel seien eine Schaffenszeit ein vom Konzertpublikum ver- „Fundgrube“ für ein Ensemble wie den Lan- ANZEIGE ehrter und in der Fachwelt hohes Ansehen ge- desjugendchor Thüringen, heißt es im Klap- nießender Musiker. pentext. Und weiter: „Bergers A-cappel- Die Woche in la-Kompositionen stellen eine einzigartige Synthese verschiedener musikalischer Strö- 3:00 „Zwischen Akademismus, mungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts dar: die kammermusikalische Schlichtheit Minuten Brahms-Nachfolge und eines von Felix Mendelssohn inspirierten transparenten Chorsatzes, eine kraftvolle har- neudeutschen Einflüssen.“ monische Sprache, die an Johannes Brahms erinnert und – in den späteren Kompositio- Klaus Reinhardt, Musiklehrer nen – eine chromatische Linienführung, die in Richard Wagner ihren Ausgangspunkt fin- det und eine ganz eigene Klangwelt zwischen Wilhelm Berger hört gern die Chorge- Claude Debussy und Max Reger erschließt.“ Der filmische Rückblick des OSTERHOLZER KREISBLATT sänge, die zu Noten angestimmt werden, die Reger war Bergers Nachfolger als Hofkapell- auf die vergangenen sieben Tage online: der Vorfahr zu Papier gebracht hat. „Die Lie- meister in Meiningen. auf www.weser-kurier.de/osterholzer-kreisblatt, Facebook, der sind teilweise richtig witzig.“ Aber er ist Aufgewachsen in einer Geflüchteten-Fami- Instagram, Twitter und auf unserem Youtube-Kanal. kein Vollblutmusiker wie der Opa. Der stu- lie – die Eltern kehrten während des ameri- dierte Geologe geht schon mal zum Jazzfrüh- kanischen Sezessionskriegs 1862 mit dem erst Der 18-jährige Daniel Velasco aus Mexiko schoppen, aber auch da ist er halt „nur Kon- ein Jahr zuvor in Boston auf die Welt gekom- lebt seit drei Monaten in Deutschland. Was er sument“. Damit reiht er sich mehr oder weni- menen Wilhelm in die deutsche Heimat zu- in Deutschland gut findet? „Die Sicherheit.“ ger harmonisch in die schon lange Liste der rück –, konnte der Sohn eines Musikalien- In seinem Vortrag ging er auch auf Besonder- identifizierten Vorfahren ein, die fast immer händlers früh sein Talent entwickeln. Im Bre- heiten des mexikanischen Schulsystems ein. entweder Musiker, Literaten oder Lehrer wa- mer Norden komponierte der Neunjährige die Dort trägt man zum Beispiel Schuluniform. ren. Immerhin konnte er einen wichtigen Bei- „Schöneberger Polka“, mit 14 hatte er sein ers- Positiv sei das, weil die Uniform dafür sorge, trag dazu leisten, dass Leben und Werk des tes öffentliches Klavierkonzert. Er wurde als dass die unterschiedliche soziale Herkunft Großvaters erneut eine literarische Würdi- „Wunderkind“ gefeiert. Berger wurde in eine nicht sichtbar werde. Auch nicht, ob jemand gung erfuhren. Und das wohl nicht nur mit Zeit hineingeboren, in der große Musik ge- arm oder reich sei. „Aber viele mögen die Uni- dem von der Witwe, der als Isabella Oppen- schaffen wurde. Es war die Epoche von De- form nicht, gerade wenn es warm ist.“ So heim in Holland geborenen Sängerin, gepfleg- bussy, Mahler, Wagner, Elgar, Grieg, Gounot, könnten die Temperaturen schon mal auf 40 ten und dann nach Osterholz-Scharmbeck Dvorak und Richard Strauss. Besonders stark Grad ansteigen. „20 Grad ist für uns kalt“, übergebenen Nachlass. Der Musiklehrer beeinflusst wurde er offensichtlich von Johan- sagte Velasco. Der junge Mann stammt aus Klaus Reinhardt hat unter dem 1989 im Hau- nes Brahms, dessen persönliche Bekannt- Cancún am karibischen Meer. Insofern fiel schild-Verlag erschienenen Titel „Eine Musi- schaft er auch gemacht haben soll. Der Diri- ihm sofort auf: „Hier ist das Wasser braun. ker-Jugend in Bremen“ die Wiederentdeckung gent Hans von Bülow wurde zu einem Förde- Hier ist das Land braun.“ Er vermisse deshalb des Komponisten Wilhelm Berger und das rer Bergers, der damals berühmteste deutsche das blaue Wasser seiner Heimat. Wirken des Musikers beschrieben, der in sei- Violinist, Joseph Joachim, spielte für ihn eine Der 16-jährige Brasilianer Fernando Sovza nem kurzen Leben erstaunlich viel kompo- Wilhelm Berger, der Enkel, vor einem Porträt des gleichnamigen Komponisten, dessen Werke vor bedeutende Rolle als Interpret und Wid- ist seit eineinhalb Monaten in Deutschland. niert hat: Das Werkverzeichnis reicht über die allem von Fachleuten geschätzt werden. FOTO:MAXIMILIAN VON LACHNER mungsempfänger. „Wir haben bei uns 14 Sportplätze an der Opuszahl 100 hinaus. Reinhardt hat das Le- Berger, der Enkel, ist sehr zufrieden, dass Schule. Die sind alle für Fußball“, berichtete benswerk des Nachromantikers Berger in sei- stolz darauf, dass man dem Großvater nun gen war. „Kurz nach seinem Tod ist ja der Erste sich Fachleute mit dem Werk des Großvaters der Jugendliche. In Brasilien hat der 16-Jährige nem Buch zwischen „Akademismus, eine Wertschätzung angedeihen lässt, die die- Weltkrieg ausgebrochen. Das hat alles verän- beschäftigen. Ambitionen, selber zum Noten- für sechs Monate eine Sprachschule besucht, Brahms-Nachfolge und neudeutschen Ein- sem lange versagt geblieben war. Mit äußers- dert. Und wer in den Nachkriegsjahren keine blatt oder zu einem Instrument zu greifen, hat um Deutsch zu lernen. „Denn als Fremdspra- flüssen“ verortet. Wie Beethoven, Mozart und ter Behutsamkeit blättert der Nachfahre in Lobby hatte, geriet eben in Vergessenheit.“ Ein er, wie berichtet, hingegen keine. Und auch chen gibt es an unserer Schule nur Englisch Verdi griff Berger besonders in seiner späten einem dicken Ordner, in dem er Doku- Los, das der Notendichter mit vielen Berufs- auf der nächsten Berger-Generation ruhen da und Spanisch.“ Die Landessprache in Brasilien Schaffensperiode auf die barocke Satztech- mente aufbewahrt, die an den Professor erin- kollegen teilte. Sogar der hochverehrte Johann keine sonderlich großen Hoffnungen. Von den ist Portugiesisch. Positiv bewertete Fernando nik des Kontrapunkts zurück. nern, der Mitglied der Königlichen Akademie Sebastian Bach wurde für lange Zeit kaum vier Kindern des Pädagogen hat eine Tochter die Straßen in Deutschland. Die seien schön Der Osterholzer Wilhelm Berger ist sehr der Künste und bis zu seinem frühen Tod Hof- aufgeführt, bis engagierte Fürsprecher,
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