ÖSTERREICHISCHEÖMZ MILITÄRISCHE ZEITSCHRIFT In dieser Onlineausgabe Wulf-W. Lapins Deutschlands langer Weg vom Sicherheitskonsumenten zum Sicherheitspolitik mitgestaltenden Produzenten Friedrich W. Schembor Kaiser Franz II.(I.) und die Uniformen Michail Logvinov Lehren aus dem Fall NSU: Rechtsterrorismus und Gefahren faktoren im Rechtsextremismus Friedrich W. Korkisch Luftkrieg „neu“: Mehr Evolution als Revolution (Teil 2) Zusätzlich in der Printausgabe Ulrich Kleppmann Vom transatlantischen Meinungsaustausch zum Global Player Die 50. Münchner Sicherheitskonferenz vom 31. Jänner bis 2. Februar 2014 Sybille Reinke de Buitrago/Johann Schmid China im 21. Jahrhundert: Kooperative Gestaltungsmacht oder sicherheitspolitische Herausforderung? Hans-Christian Witthauer Militärische Führungsgrundsätze für den zivilen Führungsauftrag Jörg Loidolt Bewertung der Einsatzmöglichkeiten einer Waffengattung in einer informationsbasierten Stabilisierungsoperation am Beispiel des Kampfpanzers sowie zahlreiche Berichte zur österreichischen und internationalen Verteidigungspolitik ÖMZ 3/2014-Online ÖMZ Deutschlands langer Weg vom Sicherheitskonsumenten zum Sicherheitspolitik mitgestaltenden itärisc Mil he Z e ei h ts sc c i h h r c i i f e t Produzenten* r r e t s Ö w Peer Revie Wulf-W. Lapins 1808 on Anbeginn der „alten“ Bundesrepublik Gesamtheit aller Maßnahmen im Gestaltungsprozess Deutschland 1949 bis zu ihrem Ende im der Prävention, Verhütung und Bewältigung von Krisen, Vfriedlichen Aufgehen in der Einheit Deutsch- Konflikten und friedensgefährdenden Entwicklungen lands 1990 ging in den für ihre äußere Sicherheit ver- verstanden. In diesem Kontext umfasst auch der jetzige antwortlichen und interessierten politischen Kreisen ein erweiterte Sicherheitsbegriff der deutschen Sicherheitspo- Gespenst um: das Gespenst der als prekär eingeschätzten litik9) mehrere Dimensionen. Hierzu zählen:10) Verteidigungsfähigkeit in ihrem Fixiert-Sein auf das kon- Die „Sachdimension“, additiv zu den militärischen stante Bedrohungsbild eines potenziellen sowjetischen Perspektiven auch der Einbezug von humanitären, öko- militärischen Angriffs. Amtlich spiegelten sich die Be- logischen und ökonomischen Faktoren in den Sicherheits- drohungsperzeptionen in den acht von 1969 bis 1985 ver- begriff. Zum Kontext des militärischen Aspekts gehört öffentlichten Weißbüchern des Bundesministeriums der auch die Kategorie der Abrüstung und Rüstungskontrolle. Verteidigung,1) in Studien politisch hochrangiger deutscher Die „Referenzdimension“ als die stärkere Hinwen- Verteidigungsexperten,2) zuweilen alarmistisch in den dung von staatlicher/gesellschaftlicher Fokussierung in Printmedien3) wie auch in Publikationen ehemaliger hoher der Sicherheitspolitik auf den Menschen als Bezugsgröße. NATO-Militärs4) und deutscher Stabsoffiziere wider.5) Die „Raumdimension“ als die geographische Aus- Der Begriffswechsel von Verteidigungspolitik zu Si- dehnung vom herkömmlichen Sicherheitsbezug des cherheitspolitik fand offiziell 1969/70 statt. 1969 wurde die Nationalstaates und den angrenzenden Gebieten zur erste publizierte regierungsamtliche Bestandsaufnahme als weltumspannenden Betrachtungsweise. „Weißbuch zur Verteidigungspolitik der Bundesregierung“ Die „Gefahrendimension“ als die Rationalisierung der betitelt. Ein Jahr später lautete die Überschrift des nach- sicherheitspolitischen Herausforderungen im Sinne der folgenden Weißbuches nunmehr: „Weißbuch 1970 zur Si- qualifizierten Beurteilung realer Gefährdungen/Bedro- cherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Lage der hungen in Differenz zu eher unbestimmten Wagnissen/ Bundeswehr“. Die hier thematisierte Sicherheitsdefinition Eventualitäten/Risiken. Konstitutiv für das deutsche folgt jedoch noch der traditionell militärpolitischen Fokus- erweiterte Sicherheitsverständnis sind noch zwei weitere, sierung: „Die Sicherheitspolitik der Bundesregierung muß von Daase nicht aufgeführte Größen: Gewähr leisten für das Überleben der Bundesrepublik und Die „Normativdimension“ als die legitimierende ihrer Bürger (...) Auf die Erhaltung des Friedens, unserer Grundlage des Einsatzes staatlicher/internationaler Gewalt freien Lebensform und unseres Wohlstandes kommt es gemäß den UNO-Prinzipien. In diesen Kontext gehört ebenso an wie auf die Bewahrung des ungebrochenen auch das Bemühen um eine Weiterentwicklung des hu- Willens zur friedfertigen Selbstverwirklichung.6) (...) manitären Völkerrechts. Dabei bedeutet Sicherheitspolitik ein Dreifaches: erstens Schließlich die „Präventionsdimension“ als die Bereit- das Mitwirken an der Aufrechterhaltung eines stabilen schaft, bei konfliktiver Früherkennung politisch schnell, militärischen Gleichgewichts; zweitens, auf dessen kohärent und unter Umständen auch robust zu handeln. Grundlage, die Festigung des Friedens in Europa durch Zur Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Überwindung des Ost-West-Gegensatzes; drittens eine Deutschland im Zeitraum des Ost-West-Konflikts sowie ständige Bemühung um die Begrenzung und Kontrolle nach der deutschen Einheit und den damit verbundenen der Rüstungen aller Staaten.“ 7) Umbrüchen und Neuordnungen der internationalen Rah- In der Hochzeit des Kalten Krieges reduzierte sich menbedingungen liegen umfangreiche Forschungen mit verständlicherweise der Sicherheitsbegriff in der Bun- breiter internationaler Quellenbasis vor.11) Der nachste- desrepublik eindimensional auf militärische Verteidigung/ hende Beitrag präsentiert vor diesem Hintergrund deshalb Abschreckung. Während der Entspannungspolitik wurde nicht noch eine weitere Bestandsaufnahme. dann die Trias formuliert: Verteidigung plus Entspannung In einem verständlicherweise insgesamt hier nur sehr ist gleich Sicherheit.8) grobmaschig möglichen historischen Längsschnitt und Sicherheitspolitik wird heute demgegenüber als die systematischen Querschnitt - ohne Bezug auf systemische ) * Dieser Artikel hat das Peer-Review-Verfahren erfolgreich durchlaufen 3/2014-Online ÖMZ ÖMZ 2/20143/2014 3 Lapins: Deutschlands langer Weg vom Sicherheitskonsumenten zum Sicherheitspolitik mitgestaltenden Produzenten Theorien zur Analyse der Außenpolitik12) - wird zunächst resultiert das Erkenntnisinteresse16) des Verfassers: der die Außen- und Sicherheitspolitik des westdeutschen Entwicklungs- und Wandlungsprozess vom Profiteur Teilstaates rekapituliert und aufgezeigt: Im Hinblick auf einer „Kultur der Zurückhaltung“17) in der deutschen Au- die ledigliche Teilmündigkeit der „Bonner Republik“13) als ßen- und Sicherheitspolitik zur gegenwärtig debattierten Sicherheitskonsument im und durch das Bündnis brauch- Zuwendung einer verantwortungsbewussten „Kultur der ten, wollten und durften wohl auch nicht die damaligen Gestaltung für globales zivil-militärisches Handeln“.18) politischen Entscheidungsträger eine eigene, die Außen- Damit will der Verfasser zugleich einen Beitrag für den und Sicherheitspolitik formende Strategie entwickeln. notwendigen Diskurs der ausstehenden praxisorientierten Es wird dann weiter kurz herausgestellt, dass auch die neuen Akzentuierung der deutschen Außen- und Sicher- darauf folgende „Berliner Republik“14) noch knapp ein heitspolitik liefern.19) Jahrzehnt in einer sicherheitspolitischen Strategiemüdig- keit verharrte. Man schien lieber dem unausgesprochenen Eingeschränkte Souveränität Motto eines Weiter-so-wie-Gehabt zu folgen, als auf der Der Politikwissenschafter Arnulf Baring pointierte Basis von gesellschaftlich kommunizierten und vereinbar- 1969 über die Entstehung der Bundesrepublik Deutsch- ten Werten, Interessen, Zielen und Mitteln bemüht zu sein, land: „Im Anfang war Adenauer - so lässt sich der Beginn die globalen sicherheitspolitischen Herausforderungen der Bundesrepublik Deutschland kurz kennzeichnen.“20) für Deutschland mit einem von Gestaltungswillen ge- 2001 argumentierte Helga Haftendorn auf der Basis der tragenen strategischen Konzept als Sicherheitsproduzent inzwischen sehr umfangreichen Forschungslage nicht einzuhegen. minder zugespitzt: „Im Anfang waren die Alliierten - und Die Vorsorge, Abwendung und Überwindung von nicht Adenauer“.21) Unstreitig ist allemal: Der westdeut- Konflikten und Friedenssicherung in Form von ziviler sche Teilstaat wurde als Provisorium konzipiert. Seit seiner Krisenprävention wurde erstmals in den Koalitionsvertrag Gründung 1949 bis zur Deutschen Einheit 1990 besaß von 1998 aufgenommen und formt seitdem nachdrücklich er außenpolitisch nur eine eingeschränkte Handlungsfä- eine Richtschnur für die deutsche Außenpolitik. Allerdings higkeit. Der Vier-Mächte-Status hinsichtlich Berlin und „ist zivile Krisenprävention kein in sich geschlossener Deutschland als Ganzem schränkte die außenpolitische Politikbereich, sondern eine politische Grundausrichtung, Eigenständigkeit jeder Bonner Regierung ein.22) die in zahlreichen Politik- und Handlungsfeldern der Bun- Staatspolitisches Fundament war - und ist fortgesetzt desregierung hineinwirkt und sich in ihnen reflektiert“.15) - die Westbindung sowie die Politik der Aussöhnung, Zudem ist zivile Krisenprävention vom Selbstverständnis insbesondere mit Israel. Im Kontext der Mitgliedschaften her auch nur ein, wenngleich auch wichtiges, Strukturele- in internationalen Organisationen und der in den 1970er- ment der erweiterten Sicherheit. Jahren innenpolitisch mühsam erkämpften Entspannungs- Gemessen am wachsenden politischen Gewicht und Ostpolitik entwickelte sich die „Bonner Republik“ Deutschlands steigt gegen Ende des letzten Jahrzehnts zu einem sich fortlaufend einbringenden Akteur in den die Erwartung der euro-atlantischen
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