Internationaler Militärgerichtshof

Internationaler Militärgerichtshof

INTERNATIONALER MILITÄRGERICHTSHOF URTEIL VOM 1. OKTOBER 1946 Seitenzahlen nach: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg 14. November 1945 – 1.Oktober 1946 (1947), Band 1 URTEIL Am 8. August 1945 haben die Regierung des Vereinigten Königrei- ches von Großbritannien und Nordirland, die Regierung der Vereinig- ten Staaten von Amerika, die Provisorische Regierung der Französi- schen Republik und die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken ein Abkommen getroffen, wonach dieser Gerichts- hof zwecks Aburteilung von solchen Kriegsverbrechern gebildet wur- de, für deren Verbrechen ein geographisch bestimmbarer Tatort nicht vorhanden ist. Gemäß Artikel 5 haben die nachfolgend angeführten Regierungen der Vereinigten Nationen ihren Beitritt zu dem Abkom- men erklärt: Griechenland, Dänemark, Jugoslawien, die Niederlande, die Tschechoslowakei, Polen, Belgien, Abessinien, Australien, Honduras, Norwegen, Panama, Luxemburg, Haiti, Neuseeland, Indien, Venezu- ela, Uruguay und Paraguay. Durch das dem Abkommen angefügte Statut sind die Zusammen- setzung, die Zuständigkeit und das Verfahren des Gerichtshofes ge- regelt worden. Dem Gerichtshof ist die Vollmacht verliehen worden, alle Personen abzuurteilen, die Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach den im Statut festge- legten Begriffsbestimmungen begangen haben. Im Statut ist ebenfalls vorgesehen, daß der Gerichtshof im Prozeß gegen ein Mitglied einer Gruppe oder Organisation (in Verbindung mit irgendeiner Handlung, derentwegen der Angeklagte verurteilt wird) erklären kann, daß die Gruppe oder Organisation, deren Mitglied der Angeklagte war, eine verbrecherische Organisation war. In Berlin wurde am 18. Oktober 1945 gemäß Artikel 14 des Statuts eine Anklage gegen die vorstehend genannten Angeklagten, die durch einen Ausschuß der Hauptanklagevertreter der Signatarmächte als Hauptkriegsverbrecher bezeichnet worden waren, eingereicht. Eine deutsche Ausfertigung der Anklage wurde jedem in Haft be- findlichen Angeklagten wenigstens 30 Tage vor Prozeßbeginn zuge- stellt. Diese Anklage legt den Angeklagten Verbrechen gegen den Frie- den zur Last, die durch Planen, Vorbereitung, Einleitung oder Durch- führung von Angriffskriegen, die zugleich auch Kriege unter Verlet- zung internationaler Verträge, Vereinbarungen und Zusicherungen waren, begangen wurden, ferner Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Den Angeklagten wird auch 189 Teilnahme an der Ausarbeitung oder Ausführung eines gemeinsamen Planes oder einer Verschwörung zur Begehung aller dieser Verbre- chen zur Last gelegt. Der Gerichtshof ist ferner von der Anklagebe- hörde ersucht worden, alle die erwähnten Gruppen oder Organisatio- nen im Sinne des Statuts als verbrecherisch zu erklären. Der Angeklagte Robert Ley beging am 25. Oktober 1945 im Ge- fängnis Selbstmord. Am 15. November 1945 beschloß der Gerichts- hof, den Prozeß gegen den Angeklagten Gustav Krupp von Bohlen und Halbach wegen seines körperlichen und geistigen Zustands nicht zu führen, die gegen ihn in der Anklageschrift erhobenen Vorwürfe jedoch für einen später abzuhaltenden Prozeß zurückzustellen, wenn dies der körperliche und geistige Zustand des Angeklagten gestatten sollte. Am 17. November 1945 beschloß der Gerichtshof, den Prozeß gegen den Angeklagten Bormann gemäß den Bestimmungen des Ar- tikels 12 des Statuts in dessen Abwesenheit zu führen. Nach Ver- handlung sowie nach Berücksichtigung ausführlicher ärztlicher Gut- achten und einer vom Angeklagten selbst abgegebenen Erklärung entschied der Gerichtshof am 1. Dezember 1945 dahin, daß für eine Verschiebung des Prozesses gegen den Angeklagten Heß im Hinblick auf seinen geistigen Zustand kein Grund bestehe. Eine gleichartige Entscheidung wurde bezüglich des Angeklagten Streicher getroffen. Gemäß Artikel 16 und 23 des Statuts wurden die Verteidiger ent- weder von den in Haft gehaltenen Angeklagten selbst gewählt oder auf deren Verlangen vom Gerichtshof ernannt. In Abwesenheit des Angeklagten Bormann ernannte der Gerichtshof für ihn einen Vertei- diger und bestimmte auch Verteidiger zur Vertretung der erwähnten Gruppen oder Organisationen. Der Prozeß wurde in vier Sprachen geführt: englisch, russisch, französisch und deutsch; er begann am 20. November 1945 und alle Angeklagten mit Ausnahme Bormanns erklärten sich »Nicht schuldig«. Das Beweisverfahren und die Reden der Verteidigung und der An- klagevertretung waren am 31. August 1946 abgeschlossen. Der Gerichtshof hat 403 öffentliche Sitzungen abgehalten. 33 von der Anklagebehörde benannte Zeugen haben mündlich gegen die einzelnen Angeklagten ausgesagt, und 61 Zeugen, zu denen noch 19 der Angeklagten hinzukommen, sagten für die Verteidigung aus. Weitere 143 Zeugen machten ihre Aussagen für die Verteidigung in Form schriftlicher Antworten auf Fragebogen. Der Gerichtshof ernannte beauftragte Richter zur Beweisaufnahme über die Organisationen, und 101 von der Verteidigung beigebrachte Zeugen wurden von den beauftragten Richtern vernommen, und 1809 Affidavits von anderen Zeugen wurden vorgelegt. 190 Ferner wurden 6 Berichte vorgelegt, in denen der Inhalt einer großen Anzahl weiterer Affidavits zusammengefaßt war. 38000 Affidavits, versehen mit 155000 Unterschriften, wurden für die Politischen Leiter vorgelegt, 136213 für die SS, 10000 für die SA, 7000 für den SD, 3000 für den Generalstab und OKW und 2000 für die Gestapo. Vor dem Gerichtshof selbst wurden 22 Zeugen für die Organisationen verhört. Die als Beweismaterial zwecks Verfolgung der einzelnen Angeklagten und der Organisationen eingereichten Do- kumente belaufen sich auf mehrere Tausend. Es wurde ein vollstän- diges stenographisches Protokoll von allem was im Gericht gespro- chen worden ist, aufgenommen; ferner wurde eine elektrische Ton- aufnahme des ganzen Verfahrens durchgeführt. Kopien aller im Beweisverfahren seitens der Anklagebehörde vor- gelegten Dokumente sind der Verteidigung in deutscher Sprache ü- berlassen worden. Die seitens der Angeklagten für die Heranschaf- fung von Zeugen und Dokumenten eingebrachten Gesuche haben in gewissen Fällen, infolge der ungeregelten Lage im Lande, schwierige Aufgaben gestellt. Es war auch notwendig, die Anzahl der aufzurufen- den Zeugen zu beschränken, um einen schnelleren Ablauf der Ver- handlungen im Sinne des Artikel 18 (c) des Statuts zu erzielen. Nach Prüfung hat der Gerichtshof allen jenen Gesuchen stattgegeben, von denen er der Ansicht war, daß sie für die Verteidigung eines Ange- klagten oder einer erwähnten Gruppe oder Organisation von Bedeu- tung waren und nicht eine überflüssige Materialanhäufung darstellten. Zur Heranschaffung der genehmigten Zeugen und Dokumente wur- den von dem beim Gerichtshof bestellten Büro des Generalsekretärs die entsprechenden Vorkehrungen getroffen. Ein großer Teil der dem Gerichtshof seitens der Anklagebehörden vorgelegten Beweisstücke bestand in Dokumenten, die von den alliierten Armeen in deutschen militärischen Dienststellen, Regierungsgebäuden und an anderen Stellen aufgefunden worden waren. Einige dieser Dokumente wurden in Salzbergwerken gefunden, andere in der Erde vergraben, hinter blinden Mauern versteckt oder an anderen Orten, die, wie man glaubte, vor Entdeckung geschützt waren. So ruht also die Anklage gegen die Beschuldigten in weitem Maße auf von ihnen selbst stam- menden Dokumenten, deren Echtheit außer in ein oder zwei Fällen nicht angefochten worden ist. DIE BESTIMMUNGEN DES STATUTS Die einzelnen Angeklagten sind auf Grund von Artikel 6 des Statuts angeklagt; dieser Artikel lautet wie folgt: »Artikel 6. Der durch die in Artikel 1 erwähnte Vereinbarung zur Ab- urteilung und Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der 191 europäischen Achsenländer eingesetzte Gerichtshof hat das Recht, Personen abzuurteilen, die durch ihre im Interesse der europäischen Achsenländer ausgeführten Handlungen, sei es als Einzelpersonen, sei es als Mitglieder von Organisationen, eines der folgenden Verbre- chen begangen haben: Die folgenden Handlungen, oder jede einzelne von ihnen, stellen Verbrechen dar, die unter die Zuständigkeit des Gerichtshofes fallen und für die persönliche Verantwortung besteht: a) Verbrechen gegen den Frieden: nämlich Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Führung eines Angriffskrieges oder eines Krieges un- ter Verletzung internationaler Verträge, Vereinbarungen oder Zusiche- rungen oder Teilnahme an einem gemeinsamen Plan oder einer Ver- schwörung zur Ausführung einer der vorgenannten Handlungen; b) Kriegsverbrechen: nämlich Verletzungen der Kriegsgesetze und der Kriegsgebräuche. Solche Verletzungen umfassen, ohne jedoch darauf beschränkt zu sein, Ermordung, Mißhandlung oder Verschlep- pung der entweder aus einem besetzten Gebiet stammenden oder dort befindlichen Zivilbevölkerung zur Sklavenarbeit oder zu irgendei- nem anderen Zweck, Ermordung oder Mißhandlung von Kriegsgefan- genen oder Personen auf hoher See, Tötung von Geiseln, Raub öf- fentlichen oder privaten Eigentums, mutwillige Zerstörung von Städ- ten, Märkten und Dörfern oder jede durch militärische Notwendigkeit nicht gerechtfertigte Verwüstung; c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit: nämlich Ermordung, Aus- rottung, Versklavung, Verschleppung oder andere an der Zivilbevölke- rung vor Beginn oder während des Krieges begangene unmenschli- che Handlungen; oder Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen in Ausführung eines Verbrechens oder in Verbin- dung mit einem Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig

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