Habsburgs Hebammen in Bosnien-Herzegowina

Habsburgs Hebammen in Bosnien-Herzegowina

Zurich Open Repository and Archive University of Zurich Main Library Strickhofstrasse 39 CH-8057 Zurich www.zora.uzh.ch Year: 2021 Habsburgs Hebammen in Bosnien-Herzegowina Bernasconi, Sara Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of Zurich ZORA URL: https://doi.org/10.5167/uzh-205356 Dissertation Published Version Originally published at: Bernasconi, Sara. Habsburgs Hebammen in Bosnien-Herzegowina. 2021, University of Zurich, Faculty of Arts. Habsburgs Hebammen in Bosnien-Herzegowina Abhandlung zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich vorgelegt von Sara Bernasconi Angenommen im Frühjahrssemester 2017 auf Antrag von Prof. Dr. Carlo Moos und Prof. Dr. Caroline Arni Zürich, 2021 Habsburgs Hebammen in Bosnien-Herzegowina 0. Einleitung 3 1. Teil Aufsicht Grenzland: verwalten statt regieren 22 1.0 Heranführung: Bosnien-Herzegowina als Grenzgebiet 23 1.1 Aufbau habsburgischer Gesundheitsverwaltung 30 1.2 Recht: erste Hebammenregelung 1888 – und ihre Auslassungen 45 1.3 Wissenschaft: den Wandel im Zentrum in die Peripherie tragen 61 1.4 Politik: über die Ärztinnen zum «Hebammenleitfaden» von 1898 80 1.5 Der habsburgische Moderne-Diskurs 100 2. Teil Versammelt vor Ort: die Hebamme und die Tasche 106 2.0 Heranführung: Subjekte und Objekte symmetrisch verflechten 107 2.1 Die Beziehung Hebamme–Verwalter 109 2.2 Materialisierung I: die Tasche als Verwaltungsinstrument 120 2.3 Die Beziehung Hebamme–Gebärende 134 2.4 Die Frauen hinter dem Verwaltungssubjekt 153 2.5 Materialisierung II: reinigen und gebären 164 2.6 Die Konflikte der Verkörperung 182 3. Teil Verselbständigungen: über Abtreibung zu den Bewohnerinnen 204 3.0 Heranführung: «schwanger oder gestockt?» 209 3.1 Vermehren und beschränken im osmanischen 19. Jahrhundert 217 3.2 Die Konflikte der Selbstregulierung 230 3.3 Sorgen im Ausnahmezustand 243 3.4 Das Nachleben der modernen Mittel 262 4. Schlusswort 275 5. Bibliografie 288 Anhang 321 0. Einleitung «Ain't I a woman?»1 Die Frage, «Bin ich denn keine Frau?», der befreiten Sklavin und schwarzen Abolitionistin Sojour- ner Truth, geäussert an einer Versammlung weisser US-amerikanischer bürgerlicher Frauen zum Frauenwahlrecht von 1851, ist berühmt geworden. Vom Kontext losgelöst zeigt er heute die Ver- schränkung der Analysekategorien Rasse und Geschlecht. Für mich selbst schwingt in ihm der nackte Schrecken mit, den viele weisse Feministinnen kennen, wenn sie in den Abgrund ihrer eige- nen Blindheit für die Situation nichtweisser Frauen blicken. Weshalb fragt eine Frau unter Frauen, ob sie denn keine Frau sei? Ihre Präsenz machte damit die Unsichtbarkeit Schwarzer Frauen Mitte des 19. Jahrhunderts sichtbar. Ähnlich, wenn auch anders besteht diese Unsichtbarkeit Anfang des 21. Jahrhunderts weiter und kollidiert mit der Selbsterfahrung und -wahrnehmung weisser, in der Mitte ihres Lebens stehender Frauen wie mir, ebenso selbstverständlich zu existieren und präsent zu sein. Diese Irritation über die Unsichtbarkeit und Unleiblichkeit von Frau-Sein ist Ausgangspunkt dieser Untersuchung. Lässt sich Unsichtbarkeit dadurch aufheben, dass Leiblichkeit thematisiert wird? Und gibt es eine bessere Möglichkeit dafür, als die Situation rund um das Gebären, den Zeit- punkt wenn eine Frau zur Mutter wird? Gibt es eine bessere Beobachterinnenposition dieses Ge- schehens als die der Geburtshelferin, der Hebamme? Die Untersuchung ist im habsburgischen Bosnien-Herzegowina (1878–1918) angesiedelt. Die «österreichisch-ungarische Periode» («austrougarski period») vom Berliner Kongress 1878 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs ist jene Zeit, die in der heutigen, westlich-nationalistisch ausge- richteten Selbstbeschreibung gewisser bosnisch-herzegowinischen Historikerinnen und Politiker als der «Anfang der modernen Zeit» gilt – im Gegensatz zur dunklen Phase unter osmanischer Herr- schaft. An dieser Behauptung habe ich mich in meiner Lizentiatsarbeit abgearbeitet und nehme Fra- gen nach der Art und Weise von Modernität in diese Abhandlung mit.2 Ich befasste mich in der Li- zentiatsarbeit u.a. mit der Familiengeschichte der Spaho im habsburgisch verwalteten Sarajevo, wo- bei die Frauen der Familie unsichtbar geblieben waren. Die Entscheidung, mich weiter mit Bosnien- Herzegowina zu habsburgischer Zeit auseinanderzusetzen, fusste auch in dieser Erfahrung.3 Ich 1 Sojourner Truth: «Ain't I a woman?», Dezember 1851, in: Internet Modern History Sourcebook, 1997, https://sour- cebooks.fordham.edu/mod/sojtruth-woman.asp, letzter Zugriff: 30.3.2017. 2 Sara Bernasconi: Zwischen Tradition und Moderne: Sarajevo 1878 bis 1918. Zürich 2005 (unveröffentlichte Lizen- tiatsarbeit). 3 Ein anderer, verzweifelter Versuch, während der Belagerung Sarajevos alles, was man wusste, aufzuschreiben, da- mit dieses überlebe, war jener Ljiljana Beljkašić-Hadžidedić: Učešće muslimanskih žena u trdicionalnim privred- nim djelatnostima u Sarajevo krajem 19. i početkom 20. stoljeća. In: Prilozi historiji Sarajeva: radovi sa znanstve- nog simpozija „Pola milenija Sarajeva“ održanog 19. do 21. marta 1993. godine. Sarajevo 1997, [o. A.]. Ich bin Edina Vlašić, zu jener Zeit wissenschaftliche Bibliothekarin an der Medizinischen Fakultät und selbst Teilnehmerin 3 wollte für die Dissertation gezielt nach Frauen suchen, um die «Lücke» in meiner Lizentiatsarbeit für mich zu schliessen. Zunächst allerdings tat sie sich aber weiter auf. Als Historikerin begab ich mich auf der Suche nach Frauen ins habsburgische Archiv in Sarajevo und begann, vom Anfang her zu suchen. Für den Beginn des Zeitraums fand ich kaum über, geschweige denn von Frauen verfass- te Akten. Das Vorhaben, Frauen und ihren Platz in der entstehenden Moderne zu beschreiben, be- gann ernüchternd, wollte ich mich nicht damit zufrieden geben, dass die bosnisch-herzegowinische «Moderne» ein Projekt von und für Männer war. Dass das Verhältnis von Frauen, ihren Körpern und der Moderne zu habsburgischer Zeit in Bosnien-Herzegowina ein gebrochenes sein würde, war mir klar gewesen. Wie irritierend verflochten es sich erweisen würde, ahnte ich nicht. Thema-Forschungsgegenstand-Fragestellung-These Die vorliegende Arbeit dokumentiert auch meine Annäherung an das Verhältnis von Frauen und der Moderne in Bosnien-Herzegowina während der habsburgischen Verwaltungszeit von 1878 bis 1918. Auf meinen breit angelegten Streifzügen durch das Archiv4 begegnete ich bald den ersten Frauen, die mit der habsburgischen Verwaltung in Kontakt kamen: Hebammen. Ich entschied mich auch deshalb dafür das Thema am Beispiel von Hebammen zu bearbeiten, weil über diese auch andere Frauen in den Blick gerieten, die Gebärenden.5 An konkreten Beziehungen untersuche ich das drei- gliedrige Verhältnis zwischen den durchwegs männlichen Akteuren der habsburgischen Verwaltung, den Hebammen und Bewohnerinnen Bosnien-Herzegowinas. Die Hebammen tauchten im Bereich der Geburtshilfe auf, der von der habsburgischen Verwaltung aus verschiedenen Gründen reglemen- tiert wurde. Es zeigte sich, dass Verwaltung und Versorgung nicht für alle in gleicher Weise zusam- menfielen. So waren gerade die Familien der habsburgischen Beamten von den bestehenden Ange- boten der Geburtsbegleitung ausgeschlossen. In den Spuren zu den Hebammen im Archiv geht es allerdings nur beschränkt um die Versorgungslage während der Geburt, sondern um den Aufbau ei- nes gouvernmentalen Verhältnisses, erst zu den Hebammen und über diese zu den Bewohnerinnen. Konkret sollten gebärende Frauen in Bosnien-Herzegowina vermittels der Hebammen in ein Ver- hältnis zur habsburgischen Verwaltung gebracht werden. Dies ist die zentrale These dieser Arbeit. mehrerer Symposien und Kolloquien, sehr dankbar für diese Heranführung (und etliche andere mehr). 4 Das Recherchejahr in Bosnien-Herzegowina von September 2009 bis August 2010 ermöglichte mir ein dreijähriges Stipendium vom Forschungskredit der Universität Zürich. Ich begann die Suche im bosnisch-herzegowinischen Staatsarchiv in Sarajevo «Arhiv Bosne i Hercegovine», in der Folge ABH. Die Mehrheit meiner Quellen lagen bis zum Archivbrand am 7.2.2014 im ABH in den verschiedenen Beständen (Fonds) des Staatsarchivs, zudem im Ar- chiv der Stadt Sarajevo «Historijski Arhiv Sarajevo» (HAS), im Archiv der Herzegowina in Mostar «Arhiv Herce- govačko-neretvog kantona/županjia» (AHNK/Ž) und im Landesmuseum «Zemaljski Muzej» (ZM). Erfolglos blieb die Recherche im Archiv der serbischen Republik in Banja Luka «Arhiv Republike Srpske» (ASR). 5 Monica H. Green: Gendering the History of Women's Healthcare, in: Gender & History, 20, 3/2008, 487–518. 4 Die habsburgische Verwaltungszeit in Bosnien-Herzegowina brachte also eine neue Form der Verwaltung und des Verwaltetwerdens, die in konkreterer Weise auch das Leben von Frauen betraf.6 Man könnte sie als Biopolitik bezeichnen, die an osmanische Reformen anknüpfte und rasch umge- setzt wurden.7 Wie war diese Verwaltung beschaffen? Wie funktionierte sie, und welche Folgen hat- te sie? Zwischen den zugezogenen habsburgischen Beamten, deren Karrierewege sie schon ins hal- be Reich geführt hatten, und den lokalen Bewohnerinnen klaffte die grösstmögliche Distanz inner- halb der Gesellschaft. Dazwischen irgendwo fanden sich die Hebammen. Sie standen in je konkre- ter Beziehung zu den Gebärenden und zu den Beamten, wobei diese beiden Gruppen auch in sich so heterogen waren, dass die Position der Hebamme «dazwischen» nur als strukturelle Annäherung verstanden werden kann, und von der Frage begleitet wird, wer die am dreigliedrigen Verhältnis be- teiligten Akteurinnen und Akteure waren? Die Frage

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