Karolingische Klöster Materiale Textkulturen

Karolingische Klöster Materiale Textkulturen

Karolingische Klöster Materiale Textkulturen Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 933 Herausgegeben von Ludger Lieb Wissenschaftlicher Beirat: Jan Christian Gertz, Markus Hilgert, Bernd Schneidmüller, Melanie Trede und Christian Witschel Band 4 Karolingische Klöster Wissenstransfer und kulturelle Innovation Herausgegeben von Julia Becker, Tino Licht und Stefan Weinfurter DE GRUYTER ISBN 978-3-11-037123-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-037122-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038614-1 ISSN 2198-6932 Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 3.0 Lizenz. Weitere Informationen finden Sie unter http://creativecommons.org/licenses/ by-nc-nd/3.0/. Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/München/Boston Einbandabbildung: Ausschnitt aus Gregor von Tours, Decem libri historiarum, Heidelberg, Universitätsbibliothek, Pal. lat. 864, fol. 26v (Lorsch, ausgehendes 8. Jahrhundert) Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com Vorwort Mit der Auflösung des weströmischen Reiches zerfiel im 5./6. Jahrhundert auch die Einheit des lateinischen Kulturraums. Wechselnde Herrschaftsbildungen auf dem Boden des ehemaligen Imperium Romanum führten zu einer Segmentierung, deren Auswirkungen bis in die Buchkultur hinein erkennbar sind. Politisch und kulturell wurde dieser Prozess erst in karolingischer Zeit aufgefangen und umgekehrt. Man versuchte, auch in den Wissenschaftsdisziplinen an die Verhältnisse vor dem Zusam- menbruch des Imperiums anzuknüpfen. Bis auf Ausnahmen ist von der antiken, teil- weise sogar von der spätantiken Literatur nur das erhalten, was die karolingischen Gelehrten bei Hof und in den Bildungszentren des Reiches überliefern konnten und wollten. Sie erschlossen die Reste des spätantiken Wissensreservoirs, ergründeten entlegene und vergessene Bestände, sammelten und sicherten das Schrifttum durch eine intensive Kopiertätigkeit in den karolingischen Skriptorien, sorgten für Kommen- tare und philologische Kontrolle der gewonnenen Texte. Der Wechsel von Papyrus zu Pergament begünstigte diesen Transfer entscheidend, da ‚Wissen‘ von nun an ‚dauer- haft‘ bereitgestellt werden konnte: Die europäische Wissensgesellschaft basiert auf der Synthese von antiker Bildungstradition und frühmittelalterlicher Schriftlichkeit in den karolingischen Klöstern. Die Untersuchung dieses Wissens- und Kulturtransfers stand im Mittelpunkt der internationalen Tagung, die das im Heidelberger SFB 933 „Materiale Textkultu- ren“ angesiedelte Teilprojekt A04 „Wissenstransfer von der Antike ins Mittelalter. Bedingungen und Wirkungen dauerhafter Verschriftlichung am Beispiel des Klosters Lorsch“ vom 31. Oktober bis 2. November 2012 im Museumszentrum Lorsch veranstal- tet hat. Der Tagungsort war nicht zufällig gewählt, denn unter den Bibliotheken des Karolingerreiches hat die alte Klosterbibliothek von Lorsch den Moment der Wieder- gewinnung antiken und spätantiken Erbes besonders deutlich bewahrt. Die Reichs- abtei wies in karolingischer Zeit eine einzigartige Bibliothek auf und repräsentierte einen Idealbestand vor allem des spätantiken Wissens. Die Referenten waren von den Tagungsorganisatoren eingeladen worden, in ihren Ausführungen vor allem die Materialität der Textträger, die im Zentrum des Forschungsprogramms des SFB 933 stehen, zu berücksichtigen. Der SFB geht von der Prämisse aus, dass die überlieferten Texte und die Deutung ihrer Inhalte nicht genügen, um den kulturellen Zuschreibungen historisch gerecht zu werden. Wichtige Informationen über ihre ursprüngliche Funktion liefert vielmehr die Materialität und Anordnung der texttragenden Artefakte. Daher standen die Analyse der Textträger, das Layout der Handschriften und die an den Artefakten vorgenommenen Rezep- tionspraktiken im Mittelpunkt der vier Sektionen: Die erste hatte die literarischen Rezeptionspraktiken in karolingischer Zeit zum Gegenstand. Hier wurde der Aspekt der Entstehung der karolingischen Literatur aus dem antiken und spätantiken Reser- voir, insbesondere die Frage nach der Reintegration der antik-klassischen Autoren VI Vorwort und des antik-paganen Wissens in den karolingischen Bildungskanon diskutiert. Die karolingischen Bibliotheken als Wissensspeicher und Wissensordnungen standen in der zweiten Sektion im Vordergrund. Besprochen wurde die Rolle der karolingischen Klöster als ‚Wissensorte‘, wo in Form von handschriftlichen Artefakten Wissensob- jekte produziert, konzentriert und transformiert sowie die Vorgaben der karolingi- schen Correctio umgesetzt wurden. Die dritte Sektion „Zeichen, Schriften, Artefakte“ galt den karolingischen Handschriften, der Schriftentwicklung am Oberrhein und den resultierenden Anhaltspunkten für Datierung und Überlieferungswege der Arte- fakte. In der vierten und letzten Sektion wurde nach den Trägern und Akteuren der karolingischen Klosterlandschaft gefragt und beispielsweise die Rolle von Äbten und Mönchen bei der Vermittlung von Rechtstexten, die Grenzen und Möglichkeiten der Weltgeistlichkeit bei der Umsetzung der karolingischen ‚Bildungsoffensive‘ oder der Einfluss der karolingischen Gelehrten bei der Wiederbelebung der römischen Epigra- phik untersucht. Fast alle Beiträge dieser Tagung haben Eingang in den vorliegenden Sammel- band gefunden. Den Referentinnen und Referenten, die sich die Mühe gemacht haben, ihren Vortrag in schriftliche Form zu bringen und damit zum Entstehen dieses Bandes beigetragen haben, sei vom Herausgeberteam herzlich gedankt. Besonderen Dank schulden wir dem SFB 933 „Materiale Textkulturen“ – und damit der Deutschen Forschungsgemeinschaft – für die großzügige Finanzierung der Tagung, die es uns ermöglichte, erste Ergebnisse der Arbeit in unserem Teilprojekt A04 einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen. Wir freuen uns, dass der Tagungsband nach Begutach- tung durch den Vorstand des SFB 933 in die Reihe „Materiale Textkulturen“ aufge- nommen werden konnte. Ein eigener Dank gebührt unseren SFB-Hilfskräften, Frau Theresa Jäckh und Lisa Horstmann, die die verschiedenen Korrekturphasen des Bandes mit großer Geduld ertragen haben. Inhalt Stefan Weinfurter Wissenstransfer und kulturelle Innovation in karolingischer Zeit – Einleitung 3 Ulrich Eigler Überlieferung durch die Hintertür? Die Tradition klassischer lateinischer Autoren als Rekonstruktion des Wissenshintergrunds der Kirchenväter 7 Kirsten Wallenwein Subscriptiones in karolingischen Codices 23 Carmen Cardelle de Hartmann Bücher, Götter und Leser. Theodulfs Carmen 45 39 Michael Embach Die Bibliothek des Mittelalters als Wissensraum. Kanonizität und strukturelle Mobilisierung 53 Julia Becker Präsenz, Normierung und Transfer von Wissen. Lorsch als „patristische Zentralbibliothek“ 71 Sita Steckel Von Buchstaben und Geist. Pragmatische und symbolische Dimensionen der Autorensiglen (nomina auctorum) bei Hrabanus Maurus 89 Stefan Morent Musikkultur des Mittelalters im Kloster Lorsch. Aspekte der Überlieferung und Rekonstruktion 131 Tino Licht Beobachtungen zum Lorscher Skriptorium in karolingischer Zeit 145 Natalie Maag Alemannische Spuren in Lorsch 163 Martin Hellmann Stenographische Technik in der karolingischen Patrologie 175 Matthias Becher Ut monasteria … secundum ordinem regulariter vivant. Norm und Wirklichkeit in den Beziehungen zwischen Herrschern und Klöstern in der Karolingerzeit 195 Wilfried Hartmann Äbte und Mönche als Vermittler von Texten auf karolingischen Synoden 211 Steffen Patzold Correctio an der Basis. Landpfarrer und ihr Wissen im 9. Jahrhundert 227 Florian Hartmann Karolingische Gelehrte als Dichter und der Wissenstransfer am Beispiel der Epigraphik 255 Sebastian Scholz Bemerkungen zur Bildungsentwicklung im Frühen Mittelalter. Zusammenfassung 275 Abbildungsverzeichnis 291 Abkürzungsverzeichnis 292 Autorenverzeichnis 295 Handschriftenregister 299 Personenregister 303 Stefan Weinfurter Wissenstransfer und kulturelle Innovation in karolingischer Zeit – Einleitung Lass’ Deine Stimme ertönen, Flöte, und mache süße Verse für meinen Herrn. David liebt Verse! Erhebe Dich und lass’ Verse erklingen! David liebt Dichter. Kommt alle zusammen Und singt meinem David süße Lieder. David liebt Dichter, David ist der Ruhm der Dichter. (…) David liebt es, die geheiligten Gedanken der Alten zu erkunden, Die Reichtümer der Alten kundigen Herzens zu durchstreifen. Er frohlockt, wenn er die Geheimnisse der heiligen Weisheit erforscht. (…) David sehnt sich danach, Gelehrte und kluge Köpfe um sich zu haben, Zur Zierde und zum Lob einer jeden Wissenschaft an seinem Hof, Um die Weisheit der Alten durch gelehrten Geist wiederherzustellen.“1 Diese Verse stammen von dem Franken Angilbert, dem Laienabt von St. Riquier, nie- dergeschrieben vor mehr als 1200 Jahren. Und sie führen uns mitten hinein in die Welt der Bildungs- und Wissensoffensive unter Karl dem Großen, der hier wie in anderen Quellen als David erscheint: „David sehnt sich danach, Gelehrte und kluge Köpfe um sich zu haben“! Um diese ungewöhnliche Bildungs- und Wissensoffensive geht es in unserer Tagung über „Karolingische Klöster. Wissenstransfer und kulturelle Innovation“.2 Damit wird ein Forschungsprojekt

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