Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg Erzieherausschuß der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Stuttgart Ghettos Vorstufen der Vernichtung 1939 - 1944 Menschen in Grenzsituationen Texte und Unterrichtsvorschläge als Bausteine zusammengestellt und ausgearbeitet von einer Gruppe des Erzieherausschusses der GCJZ Rachel Dror Alfred Hagemann Barbara Heckel Peter Reinhardt Doris Scherer Petra Schneider Dieter Weiß Ghettos - Vorstufen der Vernichtung Seite 1 Inhalt Inhalt Einführung: Ghettolager in Osteuropa (Thomas Stöckle) 5 Literatur: (Thomas Stöckle) 9 Begriffe: Ghetto (Doris Scherer) 11 Baustein 1: Das Ghetto als Vorstufe zur Hölle (Peter Reinhardt) 13 Baustein 2: Edgar Hilsenrath: Nacht (Doris Scherer) 29 Baustein 3: Das Warschauer Ghetto (Alfred Hagemann) 31 Baustein 4: Das Prager Ghetto (Petra Schneider) 37 Baustein 5: Renata Yesner: Jeder Tag war Jom Kippur - Kindheit im Ghetto Kaunas (Barbara Heckel) 45 Baustein 6: Elie Wiesel: Der fünfte Sohn (Barbara Heckel) 51 Baustein 7: Andrzej Sczcypiorski: Die Rettung von Joasia Fichtelbaum (Barbara Heckel) 55 Baustein 8: Kinder und Jugendliche in Theresienstadt (Barbara Heckel) 59 Baustein 9: Petr Ginz - ein Junge aus Prag in Theresienstadt (Barbara Heckel) 63 Baustein 10: Czernowitz in der Aschenzeit - Dichtung in der Sprache der Verfolger (Barbara Heckel) 75 Baustein 11: Das Ghetto in Frankfurt am Main (Dieter Weiß) 81 Baustein 12: Das Berliner Scheunenviertel - das freiwillige Ghetto (Barbara Heckel) 89 Baustein 13: Rollenspiele und szenische Übungen (Dieter Weiß) 93 AV-Medien: (Landesbildstelle Württemberg) 95 zurück Seite 4 Ghettos - Vorstufen der Vernichtung Impressum Herausgeber Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg Stafflenbergstr 38 70184 Stuttgart Erzieherausschuß der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Stuttgart Mitarbeiter Rachel Dror, Vorsitzende des Erzieherausschusses der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Stuttgart Alfred Hagemann, Stuttgart-Bad Cannstatt Barbara Heckel, Esslingen Peter Reinhardt, Neckartenzlingen Doris Scherer, Stuttgart Petra Schneider, Stuttgart Dieter Weiß, Stuttgart Redaktion Karl-Ulrich Templ Landeszentrale für politische Bildung, Fachreferat Lehrerfortbildung Satz und Layout Stefan Merz Die abgedruckten Beiträge stellen keine Meinungsäußerung der Herausgeber dar; sie dienen lediglich der Unterrichtung und Meinungsbildung Stuttgart, Mai 2000 Seite 2 Ghettos - Vorstufen der Vernichtung Vorwort Vorwort Die Greueltaten, die in der Zeit des Nationalsozialismus von Deutschen begangen wurden, sind von einer solchen Ungeheuerlichkeit, daß selbst informierte Erwachsene sich schwer tun, wenn sie damit umgehen wollen oder müssen - zum Beispiel in der Schule im Geschichtsunterricht$ Das Ungeheuerliche ist von der Lebenswirklichkeit der Schüler so weit entfernt, daß diese ver- ständlicherweise diesem Thema lieber ausweichen möchten$ Das bringt Lehrer in eine schwierige Situation$ Sie wollen und können nicht gegen das Interesse der Schüler unterrichten$ Aber dürfen sie dem Desinteresse der Schüler an dem schwierigen The- ma nationalsozialistische Verbrechen nachgeben? Wohl wissend, daß zum einen die so rationale Brutalität des NS-Regimes unserer Zeit nur schein- bar fern liegt und daß zum anderen der Lehrer im Alltagsstress nicht immer Zeit und Kraft hat, sich etwas ganz Besonderes zur Bewältigung des angezeigten Dilemmas zu erarbeiten, haben die Autoren der vorliegenden Bausteine versucht, Texte für den Schulalltag zu finden, mit denen Schüler direkt angesprochen werden können$ Sie haben die Hoffnung, daß die Lehrer, die die NS- Zeit trotz der genannten Schwierigkeiten angemessen behandeln wollen, in ihnen eine Hilfe fin- den$ Die Texte sind so ausgesucht, daß sie Schüler direkt menschlich ansprechen können, auch wenn sie sich noch nicht mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt haben$ Die Autoren denken, daß die Texte die Schüler zu Fragen anregen, von denen aus dann eine eingehende Behandlung des Stoffen möglich wird$ Zur einfacheren Handhabung sind den Texten kurze Einleitungen und auch kurzgefaßte didakti- sche Anmerkungen beigegeben$ Sie sollen dem Lehrer die Vorbereitung erleichtern, indem sie ihm Anhaltspunkte geben, wie er mit den Texten umgehen kann, ohne allzu lange Vorbereitungs- zeit darauf verwenden zu müssen$ Wir haben die Ghettos im Osten als Thema gewählt, weil dieses Thema den Reiz einer gewis- sen Neuheit haben dürfte, und weil es zu ihm Quellen gibt, die von großer Anschaulichkeit sind$ Sie sollen nicht vorwiegend Betroffenheit erzeugen, sondern zum Fragen anregen$ Zum Fragen danach, wie so etwas denn nun möglich gewesen ist$ Wenn diese Frage gestellt ist, kann der Lehrer im Gespräch mit den Schülern und unter Verwendung weiterer Texte auch Dinge erklären, die den Schülern zunächst fern zu liegen scheinen$ Denn wir wissen doch, so fern, wie es oftmals den Anschein hat, liegt die Brutalität des Nationalsozialismus uns gar nicht$ Wir brauchen nur die Nachrichten im Fernsehen anzusehen$ Und Deutschland hat schmerzlich erfahren, wie schnell die Hemmungen gegen das Brutale schwinden$ Die Neonazis führen es der Welt alle paar Wo- chen wieder vor$ Um eine Wiederholung des Rückfalls in die Barbarei zu verhindern, muß die Gesellschaft das Wissen um die Möglichkeit unglaublicher Greueltaten an die kommende Gene- ration weitergeben$ Die Autoren hoffen, daß die vorliegenden Bausteine dazu einen Beitrag leisten können$ Ein besonderer Dank gebührt Frau Rachel Dror, der Vorsitzenden des Erzieherausschusses der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit$ Nur durch ihre Koordination und ihren char- manten Nachdruck konnte die Arbeit der Kollegen und Kolleginnen ehrenamtlich geleistet wer- den$ Peter Reinhardt Ghettos - Vorstufen der Vernichtung Seite 3 Ghettolager in Osteuropa Eine Einführung Einführung I nichtung nicht losgelöst vom allgemeinen Kriegsverlauf gesehen werden$ Es war kein Zufall, daß nach dem Während des Zweiten Weltkrieges wurden im gesam- schnellen Sieg über Polen das erste große Ghetto, Lodz, ten von Deutschland besetzten Osteuropa jüdische mit über 160$000 Menschen in dem an das Deutsche Ghettos eingerichtet$ Nach dem Überfall Deutschlands Reich angegliederten Wartheland errichtet wurde$ Die auf Polen im September 1939 und auf die Sowjetunion Abschließung des Ghettos erfolgte im April 1940, nach- im Juni 1941 wurde die jüdische Bevölkerung unter dem eine schnelle systematische Deportation der jüdi- Anwendung von Zwang abgesondert, konzentriert und schen Bevölkerung nach Osten, ins Generalgouver- in Zwangsquartieren interniert, die entweder als Ghet- nement beziehungsweise in den Distrikt Lublin an der tos oder als Jüdische Wohnquartiere bezeichnet wur- sowjetischen Demarkationslinie, gescheitert war$ Zu je- den$ der Zeit aber waren die Ghettos als Übergangszustand Mit der Eroberung Osteuropas kamen zwei Haupt- gedacht, niemals als permanente Institution$ momente, die als Kernstücke der nationalsozialistischen Die Lebensumstände ihrer unfreiwilligen Bewohner, die Ideologie verstanden werden können, zum Tragen: Ei- aus den besetzten osteuropäischen Ländern stammten, nerseits die Vorstellung von der Eroberung von Le- später aber auch aus dem Reich, Österreich, dem Pro- bensraum im Osten, andererseits ein virulenter Anti- tektorat und Westeuropa kamen, waren von der NS- semitismus und Antibolschewismus, die den Hauptfeind Besatzungsmacht und den von ihr eingesetzten Ghetto- Deutschlands im sogenannten jüdischen Bolschewis- verwaltungen festgelegt und reglementiert$ mus zu erkennen glaubten$ Daneben verweist die Tat- Ein allgemeiner Befehl zur Errichtung von jüdischen sache, daß neben den jüdischen auch die slawischen Ghettos wurde weder in den ins Reich eingegliederten Bevölkerungen der osteuropäischen Staaten als minder- Gebieten noch im Generalgouvenement oder den er- wertige Rasse abgestempelt wurden, auf den Zusam- oberten baltischen und sowjetischen Gebieten erlas- menhang zwischen rassenantisemitischen und rassisti- sen$ Dies hatte zur Folge, das die Ghettolager sich in schen Vorstellungen allgemein$ Auch die slawische ihrem Entstehungszusammenhang beträchtlich unter- Rasse, der eine zahlenmäßige Dezimierung zugedacht schieden angefangen vom Zeitpunkt ihres Entstehens, war, wurde zum Objekt nationalsozialistischer Vernich- bis hin zu den sie initiierenden NS-Stellen$ Oftmals ging tungspolitik$ Sowohl der vom SS/SD-Komplex und der die Initiative von regionalen und örtlichen Trägern der Wehrmacht als Vernichtungskrieg geführte Krieg im Besatzungsherrschaft aus$ Des weiteren variierten sie Osten, als auch der vom Reichssicherheits-Hauptsamt in ihren Existenzbedingungen und damit auch in den im Mai 1942 vorgelegte Generalplan Ost belegen Lebensbedingungen und umständen ihrer jüdischen dies$ Insassen$ Auch die Methoden der Isolierung, Abriege- Jedoch behielt der Antisemitismus des nationalsoziali- lung und Bewachung der Ghettolager waren äußerst stischen (Besatzungs-)Regimes Priorität, als nur er sich, unterschiedlich, so existierten in der Anfangsphase noch allerdings sukzessive, zu einer umfassenden Vernich- offene Ghettos parallel zu vollständig abgeriegelten tungspolitik steigerte, der den nationalsozialistischen also geschlossenen, unbewachte neben bewachten, Mord an den Juden deswegen einzigartig [machte], weil sowie solche die von Zaun, bzw$ Stacheldraht oder aber noch nie zuvor ein Staat mit der Autorität seines Füh- einer Mauer umgeben waren$ Höchst unterschiedlich rers beschlossen und angekündigt hatte, eine bestimmte
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