![Anmerkungen Zur Japanischen Pop-Musik](https://data.docslib.org/img/3a60ab92a6e30910dab9bd827208bcff-1.webp)
Anmerkungen zur japanischen Pop-Musik Susanne Schermann (Meiji Universität) Die japanische Musikindustrie ist die zweitgrößte Der überwältigende Anteil der Pop- und Rock- der Welt nach der der Vereinigten Staaten, und japa- musik in Japan ist also einheimisch, doch im Westen nische Musiker sind in ihrem Heimatland überwäl- ist diese Musik im Allgemeinen nicht sehr bekannt. tigend populär. Das ist in Europa selten der Fall. Sakamoto Ryūichi wurde durch seine Rolle in dem Frankreich schreibt seit 1994 den Radiostationen Film Merry Christmas, Mr. Lawrence (1983) von eine Quote für einheimische Musik vor, Deutsch- Ōshima Nagisa bekannt, was das Augenmerk auch land diskutierte eine ähnliche Quote schon öfters. In auf ihn als Komponist der Filmmusik richtete. Der Österreich hingegen verwies 1968 der so genannte Titelsong „Forbidden Colors“ war auch als Single Schnulzenerlass des damaligen ORF-Generalinten- erfolgreich. Der Soundtrack zu Bernardo Bertoluc- danten Gerd Bacher die deutschsprachige Musik aus cis The Last Emperor (1987), der mit dem Oscar dem neugegründeten Sender Ö3 in die Regionalpro- ausgezeichnet wurde, festigte Sakamotos Popula- gramme; später machte sich allerdings Ö3 um die rität als Musiker im Westen. Durch die Filme von Verbreitung des Austropop verdient. In der Gegen- Miyazaki Hayao und Kitano Takeshi erfreut sich wart ist vor allem die Rolle von FM4 hervorzuhe- auch der Komponist Hisashi Joe im westlichen Aus- ben. In den Toplisten von Ö3 und in den Austria- land einer gewissen Berühmtheit. Charts ist inländische Musik zwar vertreten, doch Die traditionelle japanische Musik benutzt pen- von Marktbeherrschung kann man nicht sprechen. tatonische (also fünftönige) Tonleitern und Tetra- In Japan hingegen ist es unüblich, dass eine chorde, auch die große Sekunde, also eine Disso- nicht-japanische Single auch nur eine Woche lang nanz, wird als Stilmittel eingesetzt. Die populäre den ersten Platz in den Musikcharts, welche die Musik ist zwar stark vom Westen beeinflusst, doch Firma Oricon seit 1967 anhand der Verkäufe von greift sie immer wieder auf die traditionelle Musik Tonträgern erstellt, einnimmt. In den letzten fünf zurück und klingt für Japaner daher vertraut. Jahren gelang dies zwar einige Male der koreani- Das mag einer der Gründe für die ungeheure schen Gruppe TVXQ (in Japan Tōhōshinki), doch Popularität sein, ein weiterer ist sicher die Karaoke- im Falle westlicher Popmusik muss man bis ins Kultur. Karaoke ist eine der beliebtesten Freizeitbe- Jahr 1997 zurückgehen, als Elton John mit dem schäftigungen. Die zahlreichen Karaoke-Bars rund Lied „Candle in the Wind“ zwei Wochen lang die um die großen Bahnhöfe in Tōkyō helfen auch, die Nummer eins war. Das lag aber wohl weniger an Zeit totzuschlagen, wenn man die letzte Bahn nach der Musik, die ja schon von 1973 stammt, als viel- Hause verpasst hat, indem sie ab Mitternacht bis 5 mehr an der Tatsache, dass dieses Lied aus Anlass Uhr Früh Karaoke und Softdrinks ohne Limit ab des Begräbnisses von Diana, Princess of Wales, mit 1000 Yen (ca. 8 €) pro Person anbieten. Und in der neuem Text versehen von Elton John gesungen und Muttersprache singt man eben meist leichter als in danach weltweit vermarktet wurde. Um eine US- einer Fremdsprache. Durch Karaoke ist auch der amerikanische Produktion auf Platz eins zu finden, Liedtext für die Wirkung eines Liedes sehr wichtig. muss man 27 Jahre bis ins Jahr 1983 (!) zurück- Das Radio ist für die Verbreitung von Musik in gehen, als Irene Cara mit dem Titelsong des Films Japan allerdings wesentlich weniger wichtig als in Flashdance ebenfalls zwei Wochen lang den ersten Österreich. Die Frequenzen sind staatlich limitiert, Platz innehatte. Sogar fünf Wochen lang konnte und auf UKW (also FM) senden in Tōkyō neben sich die Kanadierin Céline Dion 1995 auf Platz eins NHK nur drei private Sender, davon einer, Inter- behaupten, allerdings mit dem Song „To Love You FM, in englischer Sprache. Die meisten Sender More“, der für die japanische terebi dorama-Serie spielen überraschenderweise vorwiegend interna- Koibito yo bei Fuji TV als Titelsong kreiert und tionale (also meist amerikanische) Popmusik. Am zuerst in Japan veröffentlicht wurde. beliebtesten davon ist wohl J-Wave, aber insgesamt 20 MINIKOMI Nr. 78 bieten alle diese Sender wesentlich weniger Musik gruppen zu Beginn der 1970er Jahre, die sich nun als vergleichbare österreichische Programmanstal- meist von der japanischen Musik im Sinne von ten. Als Geräuschkulisse in kleinen Restaurant und kayōkyoku und enka distanzierten und als Rockmu- Geschäften und meist auch zu Hause funktioniert im siker bezeichneten – was nicht unbedingt der west- Allgemeinen das Fernsehen. Nicht nur über Fern- lichen Kategorie von Rock entsprechen muss. Diese sehfilme und -serien, sondern auch über diverse Bands waren allerdings meist recht kurzlebig, doch „baraeti bangumi“ (etwa: gemischte Programme) Kuwata Keisuke (geb. 1956) startete etwas später wird die Musik übermittelt, und viele Ex-Popstars (1978) die Band Southern All Stars, die mit einem bevölkern als tarento (etwa: Fernsehpersönlichkeit) breitem Musikspektrum bis heute, also über 30 Jahre diese bunte Fernsehwelt. lang, sehr erfolgreich ist. Neben TV und Karaoke-Bars zählen aber auch Häufig begannen einzelne Musiker nach Auflö- Kindergärten und Schulen zu den Vermittlern japani- sung ihrer Bands Solokarrieren. Der erfolgreichste scher Popmusik: In durchaus erzieherischer Absicht war hier wohl Yazawa Eikichi (geb. 1949). Bereits werden manche Songs wegen ihrer Texte zu Hits 1977 trat er als erster Rockmusiker im Nihon bei diversen Veranstaltungen für Kinder, die Musik Budōkan vor 14.000 Zuhörern auf, im folgen- dient eigentlich mehr als Beiwerk. So wird bei den den Jahr füllte er die damals größte Halle Japans, jährlichen Schulsportfesten, an denen zumeist nicht das Kōrakuen-Stadium mit 40.000 Plätzen. Er hält nur die Eltern und Geschwister, sondern auch die diverse Rekorde bei Schallplatten- und CD-Verkäu- Großeltern der Schüler als Zuschauer teilnehmen, fen, trat 107mal im Nihon Budōkan auf, ebenfalls aus offensichtlichen Gründen am Ende gerne das ein Rekord. Durch Konzerte in den USA ist er auch Lied „Sekai ni hitotsu dake no hana“ (Eine Blume, im Ausland bekannt. 1997 nahm er an einem Kon- die es weltweit nur einmal gibt) der Gruppe SMAP zert zum 20. Todestag von Elvis Presley im Londo- über die Lautsprecher abgespielt, das in üblich ner Wembley-Stadium teil, neben Popgrößen wie gewagter Mischung aus Japanisch und Englisch mit Rod Stewart und Jon Bon Jovi. Im Anschluss daran der folgenden Textzeile beginnt: „Number One ni kam er nach Wien, wo er am 22. August ein – angeb- naranakutemo ii, motomoto tokubetsu na Only One“ lich unangemeldetes – Konzert auf dem Michae- (Es ist nicht notwendig zu gewinnen, du bist auf lerplatz gab. Seinen 60. Geburtstag feierte er 2009 jeden Fall einzigartig). vor 55.000 Fans im Tōkyō Dome, und sein Überra- Es gibt in Japan unzählige Musiker aller Stil- schungsauftritt bei den Kōhaku uta-gassen des staat- richtungen; die japanische Musikszene gilt im lichen Senders NHK am Silvesterabend 2009 belegt Westen als kurzlebig, doch dieser Eindruck entsteht seine ungebrochene Popularität. durch die von Produzenten geschaffenen und gut Hosono Haruomi (geb. 1947) war bereits mit vermarkteten japanischen idols, die bei Abnützung der Band Happy End, die von 1970 bs 1973 exis- durch neue ersetzt werden. Doch viele Musiker sind tierte und Country-Rock spielte, sehr erfolgreich; jahrzehntelang im Geschäft, in wechselnden Bands, sie gilt als eine der einflussreichsten Bands Japans, in wechselnden Aufgabenfeldern, und durch Wer- gleichauf mit dem 1978 ebenfalls von Hosono bespots, Fernsehauftritte und Schauspieltätigkeit gegründeten Yellow Magic Orchestra, zu dem später auch eher popmusikfernen Schichten bekannt. Ohne auch Sakamoto Ryūichi (geb. 1952) und Takahashi Anspruch auf Vollständigkeit soll nun versucht Yukihiro (geb. 1952) gehörten. YMO revolutionierte werden, einen kurzen Überblick zu geben. mit Elektropop bis 1983 die Musikwelt, dann ver- folgten die einzelnen Mitglieder Solokarrieren als Kurzer geschichtlicher Überblick Musiker, Produzenten oder Schauspieler, finden sich Mit der Öffnung Japans im 19. Jahrhundert kam aber auch hin und wieder als YMO zusammen. auch westliche Musik nach Japan. Mit Beginn des Viele der heute noch aktiven Bands entstanden 20. Jahrhunderts wurde in Japan die Bezeichnung in den 1980er Jahren, so das enorm erfolgreiche Duo kayōkyoku für Musik im westlichen Stil verwen- B’z (seit 1988), das von Rock zu Pop zu Blues viele det, meist, aber nicht immer, in Abgrenzung zum Musikstile im Angebot hat, und die Gruppen Mr. eher traditionelleren japanischen enka. Kayōkyoku Children (seit 1989), Glay (seit 1988) oder das Duo entsprechen wohl am ehesten unserem Begriff von Dreams Come True (seit 1988), die eher dem Pop chanson. In der Nachkriegszeit kamen Jazz und zuzurechnen sind. Aber auch der Rock ist vertreten, Boogie-Woogie nach Japan – und die Beatles. Die so die Gruppe Buck-Tick (seit 1984) und die fetzi- Musik der Beatles und ihre Konzerte in Japan 1966 gen L’Arc-en-Ciel (seit 1991). Einige Bands wie die bewirkten in der Folge einen Boom von Musik- innovativen Rockbands Blue Hearts (1985–1995) MINIKOMI Nr. 78 21 und Luna Sea (1989–2000), deren Name mit dem glieder – Kimura Takuya, Nakai Masahiro, Katori Wort lunacy (Wahnsinn) spielt, lösten sich nach Shingo, Inagaki Gorō und Kusanagi Tsuyoshi – sind einigen Jahren auf. Bei einigen Gruppen verfolgten mittlerweile auch als tarento und Schauspieler
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