
I am celluloid, not steel; O God of the zweckbauten entstanden. So ist auch die städti- machine, have mercy [ ] sche Entwicklung des neuen Mediums besser I am a delicate ribbon of celluloid dokumentiert; das frühe Kino auf dem Land misuse me and I disappoint thousands; hingegen ist sogar vor Ort oft vergessen. cherish me and I delight and instruct the world. A. P. Hollis : The Film Prayer, 1920 Doch die Wirkung des bewegten Bildes war und ist universal: hatte es sich in den ersten Jahren Filme sterben schneller. Aus der Blütezeit des seiner Existenz bereits in alle Welt ausgebreitet, Stummfilms sind selbst Schlüsselwerke wie Fritz wohin es die Operateure zugleich Kamera- Langs Metropolis nur fragmentarisch erhal- männer und Filmvorführer der Brüder Lumiè- ten. Von den Filmen vor dem ersten Weltkrieg re aus Lyon brachten, so erreichte und durch- kennt man oft nur noch drang es, wo es einmal er- die Titel. So wurde die- schienen war, auch das se Epoche des Frühen BRETTEN UM 1900 Hinterland der Metropo- Films lange unter- len. Dort hat es seine Spu- schätzt und kaum wahr- ren hinterlassen. Das mo- genommen. Doch gera- Bretten schaut derne Medienzeitalter, de in den ersten beiden dessen Bilderfluten heu- Jahrzehnten des 20. te oft beklagt werden, Jahrhunderts hat sich in die Welt ohne ihre Beweggründe der Kinofilm zu einer zu verstehen, hätte sich neuen Kunstform und nicht entfalten können, zu einer machtvollen Brettener Filmographie wäre es von Anfang an Industrie entwickelt. nur auf den großstädti- 1899 - 1919 schen Teil der Mensch- Eine Legende der Ge- heit beschränkt geblieben. schichtsschreibung ver- Noch ehe es gewinnver- Wolfgang Petroll legt den Ort dieser Ent- sprechend erschien, dem wicklung in die Groß- Kino sein eigenes Haus städte. Zweifellos fanden dort die ersten Film- zu bauen, waren Interesse und Faszination für vorstellungen statt, gab es dort das meiste Pu- die Lebende Photographie bis in die kleineren blikum, und es kann nicht überraschen, daß in Städte auf dem Land groß genug, um regelmä- den Städten um 1905 die ersten Kino- ßige Vorführungen zu fordern. Kino vor dem Kino: Betriebsformen in Bretten Auch in Bretten gab es Kino vor dem Kino. Ingenieur Fritz Hauser. Sie alle führten re- Schon 1899, knapp vier Jahre nach der er- gelmäßige Filmvorführungen am selben Ort sten öffentlichen Vorführung der Brüder durch, im Festsaal der Stadt Pforzheim, der Lumière in Paris, drei Jahre nachdem der Ki- genauso für kulturelle und gesellige Veranstal- nematograph die badische Residenzstadt tungen anderer Art genutzt wurde. Gegen Karlsruhe erreicht hatte, fand die erste nach- Widerstände der Obrigkeit setzte sich das weisbare kinematographische Vorführung in Wirtshauskino durch und ließ die Wander- der Amtsstadt im Kraichgau statt. Nach ei- kinematographen verschwinden. ner Phase des Wanderkinos wurde das Medi- um bald seßhaft, im Gasthaus Stadt Pforz- 1919 erreichte Fritz Hauser die nächste Stu- heim in der Pforzheimer Straße, gewisser- fe der Seßhaftwerdung des neuen Mediums: maßen als Untermieter des Wirts Karl er eröffnet ihm in seinem Zentral-Theater Scheifele. Zuerst war es ein Brettener, der in der Melanchthonstraße 18 einen eigenen Kaufmann Wilhelm Ehlgötz, der wohl im Raum, der ausschließlich für Filmvor- Nebenerwerb dort ab 1911 sonntags den führungen genutzt wird, entsprechend dem Kinematograph betrieb. Ihm folgte 1913 in Großstädten seit 1896 verbreiteten Laden- Theodor Wirnser aus Karlsruhe mit seinem kino. Vom Kino vor dem Kino und seiner Kino-Theater, dann 1914 der Brettener Entwicklung soll an anderer Stelle ausführ- Spitalmüller Karl Härdt und schließlich, nach lich berichtet werden; eine Übersicht gibt Ta- kriegsbedingter Unterbrechung, ab 1919 der belle 1. 71 04-Petroll-2.PM6 71 28.10.2005, 11:37 Tabelle 1: Kinoformen und Kinobetreiber in Bretten 1899-1919 Was erregte die Schaulust der Brettener in zeigenwerbung genutzt wurden und damit so hohem Maße, daß ab 1911 ein regelmäßi- zur Hauptquelle für die frühe Filmgeschichte ger, ortsfester Kinobetrieb beginnen konnte? werden. Alle diese Quellen nennen Filmtitel, Welche Filme waren in den ersten beiden Jahr- meistens Filmgenres und gelegentlich Film- zehnten des neuen Medienzeitalters in Bretten längen. Hieraus läßt sich die im Anhang zu sehen, und woher kamen sie? Was zeigte abgedruckte, chronologisch dargestellte Brettens kinematographischer Blick in die Welt? Brettener Filmographie von 1899 bis 1919 rekonstruieren. Die reichhaltige Quellenlage Auch wenn Polizeizensur und behördliche in Bretten erlaubt eine weitgehend lückenlo- Auflagen den ersten Kinobetreibern das Le- se Erfassung und ermöglicht so quantifizie- ben schwer machten, geben die erhaltenen rende Aussagen. Bedeutung erhält das Ma- Akten der Gemeindeverwaltung einige Aus- terial darüberhinaus durch Vergleiche mit an- kunft über Filmtitel und Filmgenres. Jedoch deren lokalen und überregionalen film- für die Verbreitung des neuen war ein älte- geschichtlichen Studien, die es erlauben, die res Medium wichtig: Bretten bot seinen Ein- Brettener Befunde in den größeren Zusam- wohnern die heute ungewohnte Informati- menhang der Filmgeschichte jener Zeit in onsvielfalt von drei Zeitungen, die alle von Deutschland und weltweit einzuordnen und 72 den Betreibern der Kinematographen für An- zu beurteilen. 04-Petroll-2.PM6 72 28.10.2005, 11:37 Abb. 4 Filmgeschichtliche Rarität: Das erste Brettener Kinoplakat (1911). Nur wenige Kinoplakate dieser Zeit sind erhalten. 73 04-Petroll-2.PM6 73 28.10.2005, 11:37 Vom Kinoprogramm zum Haupt-Schlager Anders als es heutigen Gewohnheiten ent- graphische und kinematographische Produk- spricht, wurden in den Kinematographen der tionen, 15.01.1899, Abb.1) oder der leben- Frühzeit mehrere Filmtitel unterschiedlichen den Photographie (z.B. Flottenverein Inhalts zu einem vielfältigen Kinoprogramm 19.05.1905; Ehlgötz-Plakate 1911-12, Abb. 3). zusammengestellt. In Bretten umfasste um Allmählich gehen Wanderkinobetreiber dazu 1911/12 ein solches Programm bis zu 10 über, einzelne Titel als Hauptattraktion zu nen- verschiedene Filme. Dabei zeigt sich eine nen, beispielsweise die Passionsgeschichte von Tendenz, die der allgemeinen Entwicklung Jesu Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung, entspricht: Kündigt ein Wanderkino wie Szenen aus dem russisch-japanischen Kriegs- Nelles Kinematograph 1908 mehr als 14 schauplatz (6. Mai 1905), oder Beisetzungs- Titel an, so sind es 1911-14 im Wirtshaus- feierlichkeiten Sr. Kgl. Hoheit d. Großherzogs kino 6-10 Filme. Der Vergleich der drei Kino- Friedrich I. v. Baden in Karlsruhe (3. April betreiber unterstreicht den Trend: Ehlgötz hat 1908). Erst Nelles Kinematograph nennt ein 1912 meistens neun Titel im Programm, bei größeres Repertoire von Titeln (5. Juli 1908). Wirnser sind es ein Jahr später in der Regel 7 Mit Beginn des ortsfesten Kinobetriebs im - 8, Härdt zeigt 1914 nur einmal mehr als Festsaal der Stadt Pforzheim werden dann sieben Filme (vgl. Tab.2-4). Nach 1919 gibt genaue Programmfolgen angegeben, auf Pla- es im Zentral-Theater 2 - 3, selten 4 Filme katen (von Ehlgötz ab 1911, z.B. Abb.4; von in einer Vorstellung zu sehen. Härdt 1914, vgl. Abb.10) und in Zeitungsan- zeigen. Zu den Filmtiteln wird auch deren In der Titelnennung äußert sich zunächst eine Genre angegeben. Schon Ehlgötz geht dazu Werbestrategie, die auch Reflex des vermu- über, einzelne, längere Filmtitel besonders her- teten Publikumsinteresses ist. Die Abfolge un- vorzuheben. Zur Regel wird das bei Wirnser terschiedlicher Gestaltungsformen von Film- 1913: Die typographische Gestaltung der An- programmen verdeutlicht hier dieselbe Ten- zeige läßt die Gewichtung der Filme deutlich denz: vom Filmprogramm, das sein Vorbild erkennen (vgl. Abb.7). Wirnser geht auch dazu in den Programmfolgen der Varietés hat, hin über, nur noch einen einzigen Titel zu nennen zum abendfüllenden Hauptfilm. und unterstreicht damit die Tendenz der Kino- programmierung mit Hauptfilmen, erstmals in Zunächst nennt die Werbung keine Einzeltitel; der Brettener Sonntags-Zeitung vom das Interesse wird gelenkt auf die technische 03.08.1913 mit dem Historienfilm Theodor Neuerung des bewegten Bildes (biomato- Körner. Filmlängen: vom anekdotischen zum epischen Erzählen Die Tendenz zum Hauptfilm geht einher auch wenn dieser Film andererseits der läng- mit der Tendenz zu längeren Filmen. Die ste im Programm war. ersten Filme der Brüder Lumière benötig- ten keine Minute, um ihre Zuschauer in Er- Durch die Seßhaftwerdung ist das Medium nun staunen zu versetzen. Von den Filmen, die in der Lage, neue Bedürfnisse zu erfüllen. Län- Karl Nelle 1908 beim Turnfest in Bretten gere erzählende Formen beginnen sich durch- zeigte, dauerten die meisten nicht länger als zusetzen. In Bretten lassen sich zuerst im Pro- 10 Minuten. Hier erreicht nur Die Bestei- gramm von Ehlgötz 1912 längere Filme dra- gung des Mont Blanc im Film von Pathé matischen Inhalts feststellen, die 2 oder 3 Akte immerhin 275 m Länge. Wenn, einer alten umfassen, was je nach Vorführgeschwindigkeit Faustregel zufolge, die Kurbel der Kamera einer Dauer von etwa 30 bzw. 45 Minuten ent- bei der Aufnahme zweimal pro Sekunde ge- spricht. Ehlgötz wirbt auch ausdrücklich mit der dreht wurde, was etwa 16-18 Bildern pro Filmdauer bzw. -länge (25.08.1912: Großes Sekunde entspricht, kommt man damit auf Drama, 1000 m Länge). Die Angabe der Film- eine Dauer von 13-15 Minuten eine für länge in Akten wird zur Werbung eingesetzt: Im die Besteigung des Mont-Blanc zweifellos jedem Programm von Wirnser befinden sich beachtliche Leistung, die für die Beschleu-
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