DER KAMPF DER SYSTEME Die beiden deutschen Staaten, an vorderster Front ihrer Bündnisse, fochten ihre eigenen Kämpfe gegeneinander aus. Antikommunistische Gruppen, von Geheimdiensten unterstützt, betrieben Subversion und Sabotage, die Stasi entführte ideologische Gegner. TÖRICHT UND TÖDLICH Von Norbert F. Pötzl nfangs waren es noch relativ harmlose und das SED-Regime zum Wanken zu bringen, so Streiche, die Johann Burianek verübte, etwa obwohl er kein dummer Junge mehr war, • die „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ Asondern 37 Jahre alt, gelernter Schlosser, (KgU), der auch der verhinderte Brückenbomber Soldat im Zweiten Weltkrieg und zeitweise sogar Burianek angehörte, Volkspolizist in der neugegründeten DDR. • der „Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juris- Mit Gleichgesinnten klebte Burianek 1951 Flug- ten“ (UFJ), der unter anderem „Rechtshilfe für blätter und Plakate mit Schmähungen gegen die SED die mitteldeutsche Bevölkerung“ anbot, „um de- an Ost-Berliner Häuserwände und Laternenmasten. ren Freiheitsraum zu erweitern“, Aber die Kleisterei genügte den Regimegegnern bald • die „Ostbüros“ der westdeutschen Parteien, unter nicht mehr. Bei den kommunistisch gelenkten Welt- denen das der SPD die wichtigste Rolle spielte. jugendfestspielen im Sommer legten Burianek und Die SED hielt mit den Spitzeln ihrer Staatssicher- seine Mitstreiter gebogene Stahldrähte, sogenannte heit („Schild und Schwert der Partei“) und einer aus- Reifentöter, auf der Stalin- und der Schönhauser Allee gewachsenen Bürokratie für Agitation und Propa- aus und warfen auf dem ganda dagegen. Alexanderplatz Stink- Die beiden deutschen Staaten, an vorderster Front bomben in die Menge. ihrer Bündnisse, fochten im Kalten Krieg ihre eige- Die nächste Stufe der nen Kämpfe gegeneinander aus. Auch nachdem Mit- Eskalation waren Sabo- te der fünfziger Jahre Bundeswehr und Nationale tageakte gegen Betriebe, Volksarmee gegründet waren, durften sie nicht mit die vom Stromnetz ab- Gewalt aufeinander losschlagen – die großen Brüder gekoppelt wurden, oder USA und Sowjetunion hätten schon Einhalt geboten. Sprengstoffattentate auf So bekämpften sich BRD und DDR ersatzweise ver- Telefonverteilerkästen. bal und mental, mit Propaganda und Spionen. Am spektakulärsten Hüben wie drüben wurde befürchtet, die Wühl- war der Plan, eine Eisen- arbeit feindlicher Agenten und Saboteure könnte die bahnbrücke östlich von eigene Staatsordnung untergraben, auf beiden Seiten Berlin in dem Moment in wurden Ängste geschürt. die Luft zu jagen, in dem Die westlichen Imperialisten, behauptete die Ost- der „Blaue Express“, der Propaganda beispielsweise, würden über den Fel- Schnellzug nach Mos- dern der DDR Kartoffelkäfer ausstreuen, um die Ern- kau, sie passiert. te zu vernichten – die Bio-Waffe war ein bloßes Hirn- SCHAUPROZESS Vor der Ausführung dieses Anschlags wurde Bu- gespinst. Bundesrepublikanische Behörden wieder- Wegen eines geplanten rianek am 4. März 1952 verhaftet. Zwei mitange- um warnten vor kommunistischen Verschwörern, die Anschlags auf eine klagte Frauen und vier Männer wurden in einem die freiheitliche Demokratie auf leisen Sohlen un- Eisenbahnbrücke wurde der Schnellverfahren unter Vorsitz von Hilde Benjamin, terwandern wollten – weshalb die Einfuhr östlicher Schlosser Johann Burianek der berüchtigten späteren DDR-Justizministerin, zu Politschriften unter Strafe gestellt wurde und der Be- (l.) zum Tode verurteilt. lebenslangen oder langjährigen Haftstrafen verur- zug von DDR-Zeitungen einer Genehmigung be- Die Anklage vertrat teilt. Über Johann Burianek, den Rädelsführer, ver- durfte. Dafür drohte das DDR-„Gesetz zum Schutze DDR-Generalstaatsanwalt hängte das Gericht die Todesstrafe, die am 2. August des Friedens“ für „Boykotthetze“ Gefängnis an. Ernst Melsheimer (r.). 1952 vollstreckt wurde. „Bewusste und hysterische Übertreibung der Ge- Hass auf die Herrschenden in Ost-Berlin trieb fahr“, schreibt der westdeutsche Publizist Peter Ben- Tausende zu Sabotage und Subversion, meist aufge- der, „herrschte auf beiden Seiten, aber mit einem stachelt und angeleitet von militanten antikommu- Unterschied: Die SED-Führer hatten Grund zur nistischen Organisationen, die – ideell und finanziell Angst, weil sie ihre Herrschaft auf eine schmale Min- unterstützt von westlichen Geheimdiensten – von derheit von Anhängern stützen mussten.“ West-Berlin aus operierten. Und so wurde der Kalte Krieg, wie der ostdeut- Hier, an der Nahtstelle des Kalten Krieges, sche Schriftsteller Rolf Schneider urteilt, zu einer tummelten sich nicht nur Vertreter von 80 Geheim- „Periode idiotischer Handlungsweisen“ – „auf bei- diensten. An den Indianerspielen des Kalten Krie- den Seiten“. ges beteiligten sich neben staatlichen Institutio- Einfach nur lächerlich waren etwa die Begleitum- nen auch rund 50 Grüppchen und Vereine, die alle stände des „Deutschlandtreffens“ der Freien Deut- nur ein Ziel verfolgten: die DDR zu destabilisieren schen Jugend (FDJ) 1950 in Berlin. Über die damals ULLSTEIN BILD ULLSTEIN 34 spiegel special geschichte 3 | 2008 STASI-AKTE Die „Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe“ des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit dokumen- tierte mit Fotos und propa- gandistischen Begleittexten einen Brandanschlag gegen die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) im brandenburgi- schen Dannenberg. Der Täter, der angeblich mit der West-Berliner „Kampfgrup- pe gegen Unmenschlich- keit“ (KgU) Verbindung aufnehmen wollte, wurde zum Tode verurteilt. „Der Kalte Krieg war eine Periode idioti- scher Hand- lungsweisen, auf beiden Seiten.“ ROLF SCHNEIDER, ostdeut- scher Schriftsteller BSTU spiegel special geschichte 3 | 2008 35 DER KAMPF DER SYSTEME noch offenen Sektorengrenzen hinweg sollte fröhlich Sowjetzone, aber auch Mitteilungen über Denunzi- gefeiert werden. Dazu war ein Lied gedichtet worden, anten, die Mitbürger ins Gefängnis gebracht hatten, dessen Refrain lautete: „Die Freie Deutsche Jugend oder über die wirtschaftliche und militärische Lage in stürmt Berlin.“ Unter den West-Berlinern, die gerade Ostdeutschland. die Blockade überstanden hatten, grassierte die Furcht, In ihren Karteien speicherte die KgU schließlich die FDJ wolle einen richtigen Bürgerkrieg entfachen. eine halbe Million DDR-Bürger – was Begehrlich- Der Westen revanchierte sich mit kleinlichen Schi- keiten der amerikanischen Spionageabwehr CIC kanen. Rund 10000 westdeutschen FDJlern, die am weckte und zu einer engen Kooperation zwischen Deutschlandtreffen teilgenommen hatten, wurde bei Profis und Amateuragenten führte. Dafür musste die der Rückkehr am Grenzübergang Lübeck-Herrnburg KgU nicht mehr um Spenden betteln, sondern wur- eröffnet, sie müssten registriert und ärztlich unter- de finanziell von der US-Regierung ausgehalten. 1951 übernahm der SPD-Politiker Ernst Tillich (der später aus der Partei ausgeschlossen wurde) die Leitung der KgU. Als deren „zentrales Anliegen“ bezeichnete der gelernte Theologe die „politische Seelsorge und politische Seelenführung der Men- schen, die das stalinistische Joch zu tragen haben“. Der Beistand für die Brüder und Schwestern im Osten sah beispielsweise so aus, dass Milchpulver durch den Zusatz von Seife ungenießbar gemacht, im Elektrizitätswerk Eberswalde ein Kurzschluss her- beigeführt, eine Diesellokomotive zum Entgleisen gebracht wurde oder an Güterzügen die Druckluft- schläuche durchgeschnitten wurden. Für die oft dilettantisch organisierte Obstruktion warb die KgU auch viele junge Idealisten an, die den sowjetischen Militärbehörden und der DDR-Staatssi- cherheit reihenweise in die Hände fielen. Die Nadel- stiche gegen die DDR-Oberen waren töricht und bis- weilen auch tödlich: Allein die KgU verlor mindestens 113 Mitarbeiter und V-Leute durch Exekutionen. Dass sich Tausende für die lebensgefährlichen Jobs meldeten, sieht der Hamburger Historiker Klaus Kör- ner im Ausbruch des Korea-Kriegs im Juni 1950 be- gründet. Der heiße Krieg im Fernen Osten habe eine „geistig-moralische Wende“ in Westdeutschland aus- gelöst: „Das Gefühl, wieder als Partner gegen den Os- ten gebraucht zu werden, begünstigte die Ausbreitung einer kämpferisch-reaktionären Grundstimmung.“ Als Antwort auf die Zwangsvereinigung von SPD und KPD war bereits 1946 das „Ostbüro“ der SPD gegründet worden – auf Initiative des Parteivorsit- zenden Kurt Schumacher, für den die Kommunisten nur „rot lackierte Faschisten“ waren. Die Parteifilia- le sollte Kontakt zu alten Sozialdemokraten in der Sowjetzone halten, Informationen in den Osten schleusen, den Westen über die Verhältnisse im Machtbereich der SED aufklären und Infiltrationen des SPD-Apparats durch Ost-Spitzel verhindern. Das Ostbüro ließ zum Beispiel in Ost-Berlin Wolf- LUFTPOST sucht werden – nach solchen Massenkundgebungen, gang Leonhards Buch „Die Revolution entlässt ihre Mitglieder der erklärte die schleswig-holsteinische Landesregierung, Kinder“ verteilen – eine Abrechnung des in den antikommunistischen West- könnten ja Seuchen auftreten. Westen geflohenen Ex-Kommunisten mit seinen eins- Berliner „Kampfgruppe Nach kleineren Scharmützeln mit der Polizei wur- tigen Genossen. Um den Transport über die inner- gegen Unmenschlichkeit“ den die Jugendlichen nur oberflächlich von Ärzten städtische Sektorengrenze zu erleichtern, hatte man lassen Luftballons aufstei- kontrolliert. Beide Seiten nutzten die alberne Aktion das Buch verkleinert, auf dünnem Bibelpapier ge- gen, die der Wind nach zur Stimmungsmache: Von „Menschenjagd an der druckt und mit einem Tarnumschlag („Karl Marx: Osten treibt (etwa Juni Zonengrenze“ sprach die DDR, von kommunis- Der 18. Brumaire
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