Lütteken | Richard Strauss Laurenz Lütteken Richard Strauss Musik der Moderne Mit 17 Abbildungen Reclam Impressum für Mittelformat angelegt!! wenn UB dann muss Schriftgröße für Verkleinerung angepasst werden Alle Rechte vorbehalten © 2014 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart Satz und Druck: Reclam, Ditzingen Buchbinderische Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany 2014 reclam ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart isbn 978-3-15-010973-1 Auch als E-Book erhältlich www.reclam.de Inhalt Vorwort 7 Zeittafel 13 I Strauss und die Moderne 1. Strauss-Bilder 21 2. Die andere Moderne 30 II Zwischen Patriziat und Aristokratie 1. München als geistige Lebensform 43 2. Familie und Lebenswelt 50 3. Bildung und Lektüre 54 III Das Ende des 19. Jahrhunderts: Der Abschied von den traditionellen Gattungen 1. Strauss und die Tradition 60 2. Inspiration und kompositorisches Handwerk 65 3. Wider den Sonatensatz: Letzte Sinfonik, letzte Kammermusik 71 IV Poesie des Imaginativen: Lieder 1. Das Lied als musikalische Denkform 80 2. Strauss als Leser und der Kanon der Dichter 86 3. Grenzgänge: Lyrik und Chor 92 4. Erste und letzte Lieder 98 V Musik und Leben: Der Kapellmeister und seine Ämter 1. Anfänge: Meiningen, Weimar, München 103 2. Berlin und die Moderne 108 3. Wien und die republikanische Aufgabe 115 4. Strauss als Dirigent 119 VI Poesie des Realen: Tondichtungen 1. Abgrenzungen von Wagner 128 2. Abschied von einer Metaphysik der Tonkunst 137 3. ›Autobiographie‹ und neue musikalische Semantik 142 VII Musik ohne Metaphysik: Der Weg zur Oper 1. Künstleropern 147 2. Das neue Theater: Max Reinhardt in Berlin 152 Inhalt 5 3. Das orientalische Altertum und der ›Nerven- contrapunkt‹ 157 4. Das Ende der Instrumentalmusik 164 VIII Das »erreichte Soziale«: Strauss und Hofmannsthal 1. Sprachkrisen und der »Weg ins Soziale« 172 2. Schweigen und tanzen 179 3. Die plastische Antike 186 4. Die neue Wirklichkeit: Märchen und Operette 191 IX Die neue Mythologie und die Plastizität der Tonkunst 1. Mozarts Melodie und Wagners Orchester: Tonalität und die neue musikalische Mitteilbarkeit 197 2. Die Gegenwart des Theaters 202 3. Musik als Festspiel: Salzburg 208 X Musik und Wirklichkeit 1. Lebenswelten: Soziale Lebenspraxis und die Villen in Garmisch und Wien 212 2. Urheberrecht und musikalische Materialität 219 3. Reichsmusikkammer 224 XI Nach Hofmannsthals Tod 1. Intermezzo mit Stefan Zweig 233 2. Joseph Gregor und die letzten Pläne 238 XII Metamorphosen und das Ende der Geschichte 1. Letzte Werke 247 2. Selbstdeutungen: Metamorphosen 254 3. Die neue Gegenwart der Geschichte? 261 Anhang Werkverzeichnis 269 Literaturhinweise 304 Personenregister 309 Abbildungsnachweis 316 Dank 318 Zum Autor 319 6 Inhalt Vorwort Die Zugehörigkeit von Richard Strauss zur musikalischen (und nicht nur zur musikalischen) Moderne ist ab den 1950er Jahren im- mer entschiedener bezweifelt worden. Die Gründe dafür mögen vielfältig sein. Doch in der sich formierenden, erstmals von Paul Bekker so apostrophierten ›neuen Musik‹ mit all ihren Proklamatio- nen, Verlautbarungen und Verheißungen blieb Strauss ein errati- scher Block auch deswegen, weil er sich ebenso entschieden wie an- haltend der damit verbundenen Neigung zur erklärenden Selbst- deutung verweigert hat. Die vermeintliche Fülle der von ihm überlieferten Texte täuscht darüber hinweg, dass es sich durchweg um notizenartige Marginalien und Gelegenheitskundgebungen handelt, mitnichten um systematische Selbstauslegungen, die er bei seinen Zeitgenossen so verachtet hat, und zu denen er sich nicht einmal in der wuchernden publizistischen Kontroverse um die Sa­ lome (1905) hat hinreißen lassen. Selbst ein Schlüsselwerk wie der Rosenkavalier (1911) blieb ohne jegliche begleitende Erläuterungen. Der einzige programmatische Text zu seinen Hintergründen ist nicht mehr als eine knappe essayistische Skizze, bezeichnenderwei- se verfasst von Hofmannsthal, der ihr den nur auf den ersten Blick paradoxen Titel des ›Ungeschriebenen Nachworts‹ mitgegeben hat. Und der eine Fall, in dem sich beide Autoren zu Stellungnahmen unterschiedlichen Zuschnitts veranlasst sahen, im Kontext der Ägyptischen Helena (1928), lässt sich letztlich als genau begründbare Ausnahme begreifen. Strauss, der ein leidenschaftlicher Leser war und der seine huma- nistische Bildung dennoch eher verborgen denn demonstrativ nach außen getragen hat, blieb als Persönlichkeit unnahbar, weil er sein Werk, das doch das Biographische zuweilen geradezu unverfroren zur Schau zu stellen schien, von deutenden Steuerungen freihielt. Selbst Hofmannsthal bekannte, den übergreifenden Zusammen- hang im Œuvre des Komponisten erst nach einer langen mündlichen Darlegung begriffen zu haben – also in einem Gespräch, das privat blieb und bleiben sollte. Zur Verschriftlichung derartiger Gedanken sah sich Strauss jedenfalls nie veranlasst. Der einzige in einem em- Vorwort 7 phatischen Sinne ›weltanschauliche‹ Text, den er verfasste, blieb der Intimität des Privaten vorbehalten: Das Tagebuch der für ihn so prä- genden Erholungsreise nach Griechenland und Ägypten in den Jah- ren 1892 und 1893 war den Zeitgenossen unbekannt und wurde erst sehr viel später durch Willi Schuh wenigstens in Teilen der Öffent- lichkeit zugänglich gemacht. Es ist diese Zurückhaltung umso er- staunlicher, als dem Lebenswerk – das immerhin die schwer zu er- messende Spanne von fast 80 Jahren kompositorischer Aktivität umfasst – eine in ihrer Konsequenz und Beharrlichkeit einschüch- ternde Sy stematik mitgegeben wurde. Dieses Werk entfaltet sich in der Dichotomie von Tondichtungen und Opern, die gerahmt wird von den ›frühen‹ Beiträgen zu den traditionellen Instrumentalgat- tungen und einem ausdrücklich als solchem klassifizierten ›Spät- werk‹. Und sie wird – nicht unwesentlich – begleitet von der zwar nicht stets gleich intensiven, aber doch anhaltenden Produktion von Liedern. Die ›Ausbruchsversuche‹ aus diesem System sind selten, et- wa in den Klavierwerken für Paul Wittgenstein oder in der Preisgabe bestimmter Grundsätze im Intermezzo (1924), sie stellen es wegen ihrer komplexen Bezüge zu ihm aber nicht in Frage, sondern unter- mauern seine Gültigkeit. In einer erheblichen Anstrengung verkörperte Strauss willentlich, hierin Mahler vergleichbar, die unter dem Eindruck Wagners eigent- lich zerbrochene Einheit von Komponist und Dirigent – mit demsel- ben Nachdruck überdies, mit dem er als Opernkomponist, der er nun im Gegensatz zu Mahler war, die Wagnersche Einheit von Li- brettist und Komponist aufkündigte. Und wohl als einziger unter den bedeutenden deutschsprachigen Komponisten um und nach 1900 verzichtete er, abge sehen von einer ebenso kurzfristig wie halbherzig wahr genommenen Meisterklasse, auf eine Lehrtätigkeit, auf die Ausbildung von Schülern oder die Versammlung von ›Jün- gern‹ und vermied zeit seines Lebens eine Konservatoriumsprofes- sur. Strauss blieb auch in dieser Hinsicht unnahbar, weil er sich, ver- blüffend nur auf den ersten Blick, sogar im Technischen des Kompo- nierens der Selbstauslegung entzog. Das eine einzige Mal, wo er sich – durchaus im Sinne einer vorläufigen, mit dem Heldenleben (1899) in mancher Beziehung stehenden Lebensbilanz – zu einer 8 Vorwort Stellungnahme entschloss, erfolgte sie wiederum indirekt: als Bear- beitung des Traité d’instrumentation von Hector Berlioz (1904). Ein Begleitumstand dieser Selbstverbergung zeigt sich auch in ei- nem merkwürdigen Phänomen, das ihn, den großen Antimetaphy- siker der Tonkunst, ausgerechnet mit dem Metaphysiker Anton Bruckner (1824–1896) verbindet. Über Strauss existiert eine unüber- schaubare Fülle von Anekdoten, durch Dritte kolportiert, nicht sel- ten mit ostentativer Lust am Klatsch und einer schwer begreiflichen Beharrlichkeit. Sie sind jedoch nichts anderes als sekundäre Mittei- lungsformen, in denen die Attitüde eines unbewussten ›Musikan- tentums‹, das sich vorgeblich auch in der lebenslangen Lust am Skat- spiel zu erkennen gab, geradezu leitmotivisch hervortritt – eine Atti- tüde, die weniger der Freilegung von Charakterzügen dient als deren Kaschierung. Es lässt sich wohl auch dies als Technik verstehen, einer in Selbstoffenbarungen regelrecht vernarrten Zeitgenossenschaft ein für allemal auszuweichen. Der feinsinnige Intellektuelle, der sich in der weitgehend erhaltenen Garmischer Bibliothek offenbart, schirmte sich nach außen ab, ungeachtet der Tatsache, dass er weder an mangelndem Selbstbewusstsein litt noch an fehlender Laune zu jovialem, mitunter geradezu krachledernem Erfolgsstolz. Strauss war eine durch und durch öffentliche Person – und hielt diese Öf- fentlichkeit dennoch auf merkwürdige Weise von sich fern. Dieser im Grunde lebenslang erkennbare Habitus ist verwirrend auch des- wegen, weil der Komponist – hierin in seinem, dem 20. Jahrhundert wohl am ehesten Paul Hindemith, Dmitri Schostakowitsch oder Da- rius Milhaud vergleichbar – über eine nie nachlassende, zuweilen ge- radezu berserkerhafte kreative Energie verfügte, die, wie im Schaffen des Jahrzehnts zwischen 1909 und 1919, letztlich unbegreifliche Aus- maße annehmen konnte. Dieser Drang zu unbedingter, ruheloser Tätigkeit, der sich auch in der selbst auferlegten Fülle seiner dirigentischen und organisatori- schen Aufgaben äußert, wurde, obwohl eigentlich ein Zug der Mo- derne, überwölbt von der immer nachdrücklicher und immer diffe- renzierter werdenden Hinwendung zur griechischen Antike. Diese ›heidnische‹ Antike, gleichsam geläutert durch ihre rohe, brutale, anti-klassische Gegenseite (von Salome und Elektra), wurde für ihn
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