Abitur 2008/2009 Deutsch

Abitur 2008/2009 Deutsch

Der Senator Freie für Bildung und Wissenschaft Hansestadt Bremen Abitur 2008/2009 Deutsch Schwerpunktthema ·Literatur und Krieg‘ Die Filmreihe in Kooperation mit dem Zentralabitur Deutsch 2008/2009: ‚Literatur und Krieg’ Shoulder Arms! (Gewehr über!) USA 1918 30 Min., s/w, stumm Regie: Charles Chaplin Produktion: Charles Chaplin Drehbuch. Charles Chaplin Kamera: Roland Totheroh Schnitt: Charles Chaplin Ausstattung: Charles D. Hall Charles Chaplin (Rekrut) Edna Purviance (französisches Mädchen) Sidney Chaplin (Sergeant/der Kaiser) Jack Wilson (deutscher Kronprinz) Herny Bergman (deutscher Unteroffizier/Hindenburg) Albert Austin(deutscher Soldat/amerikanischer Soldat/Chauffeur des Kaisers) Inhalt Charlie ist Soldat, und er ist im Schützengraben einsam wie eh und je. Er hat niemanden, der an ihn denkt, ihm schreibt. So sieht er den Glücklicheren beim Lesen ihrer Briefe über die Schultern und freut sich maßlos, wenn ein anderer Vater geworden ist. Zwischendurch träumt er von den Bars in New York; und diese Träume lassen ihn die Wache im strömenden Regen ertragen. Doch Charlie ist nicht etwa ein Versager. Flaschen öffnet er, indem er den Hals von deut- schen Scharfschützen abschießen läßt. Er zündet sich an den umher- fliegenden Kugeln kaltblütig Zigaretten an und nimmt sogar einen ganzen deutschen Stoßtrupp gefangen. »Ich habe sie umzingelt!« erklärt der Zwischentitel schlicht. Schließlich gelingt ihm der ganz große Coup: In einem sorgsam ausgeklügelten Unternehmen nimmt er den deutschen Kaiser und den Kronprinzen gefangen. Der Krieg ist beendet. Doch dann erwacht Charlie aus seinem Traum, und der Regen fällt weiter auf ihn. Infos zum Regisseur Charles ("Charlie") Spencer Chaplin wurde am 16. April 1889 in London als Sohn des armen Künstlerehepaars Charles und Hannah Chaplin (Künstlername: Lily Harley) geboren. Seine Eltern trennten sich kurz nach seiner Geburt. Charlie wuchs zusammen mit seinem Halbbru- der Sydney bei der Mutter auf. Mit neun Jahren stand er zum ersten Mal auf einer Theater- bühne. Später schlug er sich als Tagelöhner und Akrobat durch, bis er während einer Tournee als Mitglied einer Wanderschauspielertruppe in den USA entdeckt wurde und einen Vertrag als Filmkomiker erhielt. Nach einigen Jahren führte er selbst in Hollywood Regie und erhielt bis dahin kaum vorstellbare Traumgagen. 1919 gehörte er zu den Gründern von ‚United Ar- tists’. „The Kid“, seinen 1921 uraufgeführten ersten abendfüllenden Stummfilm, produzierte er selbst. Filmheft: Gewehr über! (erarbeitet von Karl Heinz Schmid / Kino 46) 2 Zentralabitur Deutsch 2008/2009: ‚Literatur und Krieg’ Mit achtundzwanzig heiratete Charlie Chaplin eine Sechzehnjährige, aber seine Ehe mit Mild- red Harris wurde bereits zwei Jahre später geschieden. Auch Lita Grey war sechzehn, als Charlie Chaplin sich 1924 in sie verliebte. Er heiratete sie, weil sie ein Kind von ihm bekam, aber sie wurden nicht glücklich miteinander und ließen sich 1927 scheiden. Von 1936 bis 1942 war Charlie Chaplin mit der fünfundzwanzig Jahre jüngeren Schauspielerin Paulette Goddard verheiratet. 1943 vermählte er sich zum vierten Mal, und zwar mit Oona O'Neill, der Tochter des Dramatikers Eugene O'Neill. Dieser Ehe entstammt die berühmte Schauspielerin Geraldine Chaplin. Obwohl der Engländer Charlie Chaplin in den USA außergewöhnlich populär war, hielten ihn die Fanatiker im ‚Untersu- chungsausschuss für unamerikanische Umtriebe’ wegen seiner unangepassten Lebensauffassung für gefährlich. Als Charlie Chaplin 1952 nach Großbritannien reiste, sorgte FBI-Chef John Edgar Hoover (1895 - 1972) dafür, dass er wegen angeb- lich subversiver Tätigkeiten nicht mehr in die USA einreisen durfte. Er blieb daher mit seiner Frau Oona in Europa und sie- delte sich in der Schweiz an. Königin Eli- sabeth II. von England erhob ihn 1975 in den Adelsstand. Am 25. Dezember 1977 starb Charlie Chaplin in Vevey. Einige Wochen später öffneten Kri- minelle sein Grab und versuchten, mit der Leiche Geld von Chaplins Familie zu erpressen, aber ihr Vorhaben scheiterte Produktionsgeschichtlicher Hintergrund1 Obwohl Charlie in diesem Film eine Uniform trägt, hat er seinen Charakter kaum verändert. Das zeigt sich besonders in den Szenen der militärischen Ausbildung, die der eigenwillige Rekrut zur ent- larvenden Farce werden lässt. Es zeigt sich aber auch am Schluss, der die Hilflosigkeit des kleinen Mannes und die Nutzlosigkeit seiner Träume deutlich macht. „Kein anderer hätte wagen dürfen, mit dem Entsetzlichen so Spott zu treiben, wie es sein Genie getan hat – diese Verhöhnung des Militarismus, diese skurrile Komik der Bewegungen, dieser blitz- schnelle Wechsel von Sentimentalität, echtem Gefühl, Klamauk und Karikatur, das ist etwas völlig Einzigartiges.“ (Kurt Tuchols- ky, Vossische Zeitung, 2.11.1927) Ursprünglich war ein anderer Schluss vorgesehen: Charlie wird für seine Heldentat von den führenden Staatsmännern der Alliierten geehrt. Im Schloss von Versailles geben sie ihm einen Empfang. Und während Charlie, vom Champagner angenehm beschwipst, eine Rede hält, dreht der englische König ihm heimlich einen Knopf ab – als Andenken. Der Film wurde noch vor seiner Premiere um alle Szenen geschnitten, in denen sich Charlie konsequenterwei- se auch über die alliierten Staatsoberhäupter lustig macht. Im Deutschland der Weimarer Re- 1 Entnommen aus: http://www.wunderlin-online.de/film/shoulder%20arms%20(1918).htm Filmheft: Gewehr über! (erarbeitet von Karl Heinz Schmid / Kino 46) 3 Zentralabitur Deutsch 2008/2009: ‚Literatur und Krieg’ publik durfte er überhaupt nicht gezeigt werden, in einigen anderen Ländern wurden auf Betreiben der deutschen Auslandsvertretungen Sequenzen geschnitten. In Deutschland kam der Film nach 1945 in mehreren Kompilationsfilmen – u.a. in ‚Die Chaplin-Revue’ (1975) und ‚Das waren noch Zeiten’ (1957) in die Kinos. Figuren Charlie der Rekrut Eindeutige Hauptfigur des Films ist der von Chaplin gespielte namelose Rekrut. Es ist seine Geschichte (und wie sich zum Schluss heraus stellt, auch sein Traum): Er ist einerseits eine Variante des Chaplinschen Tramps, der etwas unbeholfen in die Szenerie stolpert, aber zum Schluss zum Helden wird. Das französische Mädchen Sie ist die Figur, die im wahrsten Sinn des Wortes zwischen den Fronten steht: von Charlie begehrt, beschützt und gerettet, von den Deutschen bedroht und (zwischenzeitlich) verhaftet. Und sie ist damit natürlich auch der McGuffin, der die Geschichte am Laufen hält. Der Kaiser Die Tatsache, dass kein Geringerer als der Deutsche Kaiser selbst an diesem Frontabschnitt auftaucht, verleiht der Geschichte an zunehmender Bedeutung – und der Heldenhaftigkeit Charlies auch. Andere Soldaten Alle anderen Soldaten – ob Freund ob Feind – bleiben eher Staffage und werden zum Teil auch als Karikaturen dargestellt: Dies gilt vor allem für die Deutschen, die einmal mehr die rohen, riesenhaften Goten oder leicht schrulligen Typen sind. Problemstellung Interessant an ‚Shoulder Arms’ ist die Tatsache, dass der Film gedreht und in den Kinos ge- zeigt wurde, als der erste Weltkrieg noch im Gange war. So ist nicht verwunderlich, dass die Methode Chaplins, den Krieg nicht mit seinen Gräueln (außer vielleicht die Bombardierung mit einem Limburger-Käse), sondern als ‚positive’ Übertreibung darzustellen, zu heftigen Attacken der politischen Führung in den USA führte: eine Art Wehrkraftzersetzung warf man ihm vor. Auch die un-patriotische Darstellung des Krieges und der Soldaten sowie einige Seitenhiebe auf die Vorgesetzten können als Besonderheit des Films vermerkt werden. Filmsprache „Shoulder Arms“ ist eine Groteske, die durchgängig mit maßloser Übertreibung operiert: Wenn das Wasser die Unterkünfte überflutet und ein Limburger-Käse dem Feind das Gesicht ruiniert, dann ist die Geschichte jeglicher realistischen Darstellung enthoben. Der Film arbeitet dabei mit Gegensatz-Paaren: Front – Zuhause, Freund – Feind, Mann – Frau, Helden – Trottel etc. Mit permanenten Varianten solcher Gegensatzpaare sorgt die Dramaturgie für Spannungsmomente. Und natürlich durch die Konzentration auf Chaplins Gags. Das Verwandeln in diverse Neben- rollen erlaubt ihm, nicht nur alle schauspielerischen Register zu ziehen, sondern auch die Filmheft: Gewehr über! (erarbeitet von Karl Heinz Schmid / Kino 46) 4 Zentralabitur Deutsch 2008/2009: ‚Literatur und Krieg’ Kriegshandlungen als nahezu Kinderspielhaftes zu ironisieren, in der es darum geht, so viele gegnerische Stahlhelme wie möglich aufzutürmen. Dramaturgisch gesehen erhöht sich die Spannung im Fortgang der Geschichte dadurch, dass Charlie dem Feind immer näher kommt: gibt es ihn zu Beginn überhaupt nicht, wird er immer sichtbarer und näher, bis zum Schluss (fast) nur noch Gegner um ihn herum sind. Exemplarische Sequenzanalyse Szene: Charlie im feindlichen Lager Die Szene, in der Charlie in einer deutschen Uniform im feindlichen Lager das französische Mädchen befreit, zeigt sich das ganze komödiantische Talent Chaplins: Innerhalb von Sekun- den zwischen seiner Rolle als amerikanischer und der als deutscher Soldat hin- und herzuagie- ren, ist traumhaft. Ebenso die Szene, in der er seinen Kameraden abwechselnd herzt und schlägt (weil er muss). Dass in dieser Szene kein Geringerer als der Kaiser auftaucht, verdeutlicht das Moment der Übertreibung und des quasi-heldenhaften seines Handelns. Nicht nur, dass er ihn ebenso festnimmt wie die anderen Offiziere: Indem er ihm einen Fußtritt verpasst, er- weist er sich als absolut respektlos und verleiht dem Handeln etwas angenehm Antiautoritäres. Und im Grunde ist die ganze Szene eher als antimili- taristisch

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