
Sport FUSSBALL-WM „Die Anerkennung ist wieder da“ Nationalspieler Michael Ballack über Schlüsselerlebnisse bei der Weltmeisterschaft, den Teamgeist der Deutschen, seine Selbstaufopferung und den Führungsstil von Rudi Völler Torschütze Ballack (im Halbfinale gegen Südkorea), jubelnde Deutsche vor Großbildschirm in Hanau, Teamchef Völler: „Konsequent den einen Ballack, 25, schoss bei der Weltmeister- wertet bei dieser Weltmeisterschaft. Bis vor Ballack: Ich musste das Foul machen. Der schaft drei Tore für das deutsche Team, zu dem Halbfinale gegen Südkorea musste ich Gegner war in der Überzahl. Jeder ande- vier weiteren leistete er die Vorarbeit. Mit mich immer noch für meine Leistungen re hätte es auch gemacht. einer gelben Karte im Halbfinale gegen rechtfertigen. SPIEGEL: Ihr Mitspieler Carsten Ramelow Südkorea handelte er sich eine Sperre SPIEGEL: Woran, glauben Sie, lag das? widerstand aber genau dieser Versuchung fürs Finale ein. Der in Görlitz geborene Ballack: Weil ich eine gute Saison gespielt im vorausgegangenen Zweikampf mit dem Mittelfeldspieler besuchte die Kinder- hatte mit Bayer Leverkusen, waren die Er- Koreaner Chun Soo Lee – und teilte nach und Jugendsportschule Karl-Marx-Stadt, wartungen unheimlich hoch. Da waren die- Ihrer Endspiel-Disqualifikation ungerührt wechselte 1997 vom Chemnitzer FC zum se Weltstar-Geschichten ja praktisch schon mit, jeder sei zu ersetzen. 1. FC Kaiserslautern und 1999 zu Bayer vorgedruckt. Wer dann nur zwei Tore Ballack: Was soll ich dazu sagen? Soll er Leverkusen. In der neuen Saison steht er macht, wird kritisiert. Nach meinem drit- lamentieren? Nein. Sicher wäre ich ohne beim FC Bayern München unter Vertrag. ten Tor hieß es plötzlich: super. Lees Dribbling gegen Carsten gar nicht SPIEGEL: Es war der Siegtreffer im Halb- mehr in die Situation gekommen, bei dem SPIEGEL: Herr Ballack, zum Weltstar, sagte finale. Galt anschließend das Lob der Na- Konter der Koreaner irgendwie einzugrei- Franz Beckenbauer, werde man nur bei ei- tion nicht vielmehr Ihrem Foul, das zur fen. Und wären wir cleverer gewesen, hät- ner Weltmeisterschaft. Sind Sie nun einer? Sperre führte und Sie die Endspiel-Teil- ten sich ein paar Mitspieler vor mich ge- Ballack: Weltstar, allein schon dieses Wort. nahme gegen Brasilien kostete? Diese stellt und mit dem Schiedsrichter disku- Das ist mir nicht wichtig, so etwas brauche Selbstaufopferung, schrieben die Kom- tiert, damit er nicht auf die Idee kommt, ich nicht. Ich weiß ja, wie schmal der Grat mentatoren, sei der letzte Schritt in die die gelbe Karte zu zeigen. Andererseits ist. Erst wurde ich ja nicht gerade überbe- Weltelite gewesen. hätte ich auch schon im Spiel gegen die 164 der spiegel 27/2002 USA Gelb sehen können. Dann wäre ich schätzung von Leuten kommt, die nie Fuß- und es wieder geändert. Denn früher habe im Halbfinale gesperrt gewesen. ball gespielt haben, sagt man sich ja noch: ich auch gekämpft. SPIEGEL: Hätten Sie das Tor gegen Südkorea Okay, die haben sowieso keine Ahnung. SPIEGEL: Und das hat niemand bemerkt, bis auch erzielt, wenn Ihr Traum vom Finale Aber die Kommentare von ehemaligen Sie sich in Asien dem Mannschaftsgeist nicht kurz zuvor geplatzt wäre? Spielern, die das alles selbst mitgemacht verschrieben haben – am Fuß verletzt und Ballack: Natürlich war ich traurig. Ich habe haben, waren schon ärgerlich. müde von einer langen Saison? sofort an den Franzosen Laurent Blanc ge- SPIEGEL: Glanzvoll waren die Siege gegen Ballack: Man hat den Spieler Ballack anders dacht, der 1998 im WM-Endspiel gesperrt Paraguay und die USA ja wirklich nicht. gesehen. Ich habe mich nicht verändert. war. Das Tor war so eine Art Trotzreaktion. Ballack: Aber den Anspruch, dass wir alle Auch Oliver Kahn hat ja nicht mehr das Man denkt: Ach, Scheiße, das sind für mich Gegner in Grund und Boden spielen wür- Image des Aggressiven. Gut, er tritt nach die letzten paar Minuten dieser WM. Ich den, hatte es doch vor dem Turnier auch außen etwas anders auf, aber für den Wan- nicht gegeben. Fuß- del ist er nicht nur selbst verantwortlich. ball heißt, erfolgreich SPIEGEL: Sie meinen, den Fußballstars zu spielen. Mit Bay- werden die Rollen von außen verpasst? er Leverkusen haben Ballack: Klar. Sicher nimmt man zu Beginn wir vergangene Saison der Karriere Kritik auch an und denkt sich: meistens schön gespielt Das oder das legen sie dir als Schwäche und außer Sympathien aus, also muss man das ändern. Aber auf nichts gewonnen. das Image hat man als Spieler letztlich kei- SPIEGEL: Mit dieser Ein- nen Einfluss mehr. Man bekommt einfach stellung sind Sie nach etwas angeheftet. Es ist für junge Spieler Ihrem Clubwechsel nun fast unmöglich, überhaupt noch eine eige- bei Bayern München ja ne Persönlichkeit zu entwickeln. Ich zum gut aufgehoben. Beispiel sollte immer der Chef sein. Ein Ballack: Ja, es heißt ja Führungsspieler. immer „typisch Bay- SPIEGEL: Aber wer außer Mannschaftska- ern“, wenn von denen pitän Kahn hat denn bei der WM geführt? auch die nicht so guten Ballack: Wir haben nicht so viele laute Ty- Spiele gewonnen wer- pen. Aber ein Didi Hamann zum Beispiel den. Jetzt hat die aus- ist zwar ein ruhiger, aber im Team sehr an- ländische Presse bei erkannter Spieler. Bei den älteren, erfah- der WM ähnlich geur- reneren ist es immer abhängig davon, ob teilt: typisch deutsch, sie regelmäßig spielen. Christian Ziege wie die durch das Tur- etwa war hin und wieder draußen, sagt nier gekommen sind. aber trotzdem was. Oliver Bierhoff dage- Für mich ist das nur die gen hat sich zurückgenommen, seit er die Bestätigung, dass die Kapitänsbinde abgegeben hat. Anerkennung wieder SPIEGEL: Und warum sind Sie nicht der da ist. Wortführer gewesen, der Sie zuletzt bei SPIEGEL: Für einen ver- Bayer Leverkusen waren? meintlichen Schönspie- Ballack: Die Nationalelf ist einfach vom ler sind das erstaunli- Anspruch her noch etwas anderes. Da sind che Ansichten. Haben viele, die noch mehr Länderspiele haben. auch Sie sich die ty- Man hat im Verein auch viel mehr Zeit, um pisch deutsche Spiel- langsam in eine Führungsrolle hineinzu- weise angeeignet? Sie kommen. So etwas wächst über Jahre, ist SANDRA BEHNE / BONGARTS (L.); OLIVER STRATMANN / DPA (M.); JERRY LAMPEN / REUTERS (R.) LAMPEN / REUTERS (M.); JERRY / DPA STRATMANN (L.); OLIVER BEHNE / BONGARTS SANDRA waren ja bei der WM oder anderen Spieler aus der Elf genommen“ nicht der Gestalter, den viele erwarteten, son- musste aufpassen, dass ich den Oliver Bier- dern der Mann für die kurzen Gewinn hoff nicht über den Haufen renne. Bis zu- bringenden Augenblicke. letzt habe ich damit gerechnet, dass ich Ballack: Ich bin doch auch gar nicht der ihm womöglich noch ausweichen muss. Typ, über den jeder Angriff läuft. Ich for- Deshalb war mein erster Schuss auch so dere nicht jeden Ball. Natürlich bringt es halbherzig. meine Position im zentralen Mittelfeld mit SPIEGEL: Sie trafen dann nach der Torwart- sich, dass man viel erwartet, vielleicht Abwehr im Nachsetzen. Ihr Einsatz passte mehr als von den anderen. Das kommt zum schmucklos effizienten Bild, das die auch von meiner technischen Veranlagung. Deutschen bei dieser WM abgaben. Solide, Dabei fühle ich mich immer gleichberech- sachlich, geprägt von „Solidarität und tigt mit den anderen. Selbstverleugnung“, wie der „Figaro“ SPIEGEL: Früher hatten Sie das Image eines schrieb. Gefällt Ihnen das? Schnösels und Möchtegern-Kaisers. Sind Ballack: Wir Spieler waren alle enttäuscht Sie erleichtert, dass sich das gewandelt hat? über die Kritiken und hätten ein bisschen Ballack: Nicht ich habe das Image geän- mehr Respekt erwartet. Wir waren ins dert. Die Medien haben es mir angehängt Halbfinale eingezogen, und als wir mitbe- kamen, was geäußert und geschrieben wur- FOCUS / AGENTUR / VANDYSTADT LAURENT ZABULON * Der im Endspiel gesperrte Kapitän Laurent Blanc nach de, fragten wir uns: Was haben wir jetzt dem 3:0 gegen Brasilien mit Frankreichs Torwart Fabien Weltmeister Blanc, Barthez (1998)* wieder verbrochen? Wenn solche Gering- Barthez am 12. Juli in Paris. „Da fällt man erst mal in ein Loch“ der spiegel 27/2002 165 Sport Ballack: Man hat geguckt und gestaunt. Vor allem bei Frank- reich. Als die Engländer ausge- schieden sind, waren wir nicht unbedingt traurig – da gibt es ja so eine spezielle Rivalität. Aber man muss auch sagen: Sicher sind auf Dauer neben Brasilien auch Argentinien und Frank- reich weiter das Maß aller Din- ge im Weltfußball. Aber die Mannschaften, die sich durch- gesetzt haben, waren halt zu diesem Zeitpunkt bei diesem Turnier einfach besser. Viele werden noch im Rückblick un- terschätzt. SPIEGEL: Wer zum Beispiel? Ballack: Das Team der USA BEN RADFORD / GETTY IMAGES BEN RADFORD etwa. Man kann den Leuten Ballack-Treffer gegen Südkorea: „Das Tor war so eine Art Trotzreaktion“ nicht erklären, dass die auch Fußball spielen können. Sie aber nicht wirklich wichtig. Die Meinung SPIEGEL: Und wann ist in diesem Klima das sind ungemein fit. Und heute ist Fitness eines Oliver Kahn etwa muss auch nicht Selbstvertrauen gewachsen, schon bei die- fast alles im Fußball. Oder Südkorea. Was immer richtig sein. ser WM etwas erreichen zu können? die gerannt sind! Diese Art zu spielen, SPIEGEL: Gehört es in so einem Kreis zum Ballack: Es war das letzte Gruppenspiel ge- kannte man bislang nicht: dieses Spritzige, guten Ton, dass man eigene Verletzungen gen Kamerun. In der Halbzeitpause musste dieses Quirlige, Kleine. Dennoch wäre Ita- herunterspielt, wie Sie es das gesamte Tur- der Teamchef die Spieler schon ein biss- lien für uns der stärkste Halbfinalgegner nier über getan haben? chen, ich würde mal sagen, an der Ehre gewesen. Ich war froh, als die ausschieden. Ballack: Man darf es sich nicht zu einfach packen. Es stand 0:0, wir durften nicht ver- SPIEGEL: Es heißt, Rudi Völler spiele alle machen. Das ist ein Lernprozess. Ich gehe lieren und hatten nach dem Platzverweis denkbaren Konstellationen und Spiel- auch nicht vor dem Spiel zum Trainer und von Ramelow einen Mann weniger. Es war situationen so gewissenhaft durch wie sage: Du, es tut ein bisschen weh.
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