Medien Für ihre Doktorarbeit in Biologie stu- dierte sie die Kommunikation der Schim- TIERFILM pansen. Diese verständigen sich über Rufe, so genannte Pant-Hoots, die vor allem den Zweck haben, im undurchsichtigen Bestes Affentheater Dschungel herauszufinden: „Where are you, folks?“ Wo steckt ihr, Kumpels? Wenn Primaten sind auch nur Menschen: In ihren Dokumentationen sie davon erzählt, belässt sie es nicht dabei, davon zu schwärmen, dass diese Signal- präsentiert die Tierforscherin Charlotte Uhlenbroek den Alltag der schreie klingen wie schöne Melodien. Sie Affen als Soap-Opera. Die ARD zeigt nun ihre neueste Reihe. zögert auch nicht, einen Pant-Hoot zum Besten zu geben: „Hoo hoo hoo hee ha.“ ie ging die Anhöhe hinauf, es war Nationalpark in Tansania immer das Ge- Sie jauchzt und stöhnt, und presst Töne viertel vor fünf am Morgen, die Son- fühl hatte, einer Seifenoper zuzuschauen. aus den Tiefen ihres Bauchs, grinst danach Sne noch ein fernes Gestirn. Flecken Hatte sie zwischendurch mal keine Ge- bloß knapp und erwähnt bescheiden, dass des ersten Lichts flatterten über den Baum- legenheit, das Schicksal von Freud und Fro- kein Schimpansenkerl darauf reinfallen kronen wie Schmetterlinge; der gewaltige do und Fifi mit eigenen Augen zu verfol- würde, zumindest über ihren sonderbaren Tanganjikasee, groß wie der Ozean, lag vor gen, dann quälte sie die Frage: What hap- Dialekt staunen würde. ihr, als gäbe es nichts sonst. Charlotte stapf- pened? „Es kam mir jedes Mal vor, als hät- Charlotte Uhlenbroek ist besser als jede te durchs Unterholz, schwere Stiefel bis zu te ich eine wichtige Episode verpasst“, sagt Schauspielerin. Weil sie keine ist. Bei ihr den Knöcheln, fester Tritt auf steiniger die Britin, noch immer darüber verwun- ist es echte Liebe, Affenliebe. Ihre Begeiste- Erde. Dachte an alles Mögliche, daran, dass dert, wie andere sich wundern können, rung verführt sie dazu, nachzuäffen, wel- die Stille des Urwalds bloß ein Mythos war, dass auch ein Affe nur ein Mensch ist, che Show Frodo, das Alpha-Männchen, ab- mit all den Zikaden, Buschbabys, rascheln- beziehungsweise der Darsteller in seiner zieht oder wie sich Galahad umsonst müht, den Schlangen. Dachte an Freud und Fro- eigenen Serie. mit den coolen Jungs mitzuhalten. Sie gibt do und an deren Mutter Fifi, die große alte Oder umgekehrt, dass auch der Mensch ihnen Namen wie Gremlin oder Beetho- Dame der Kasakela-Dynastie. nur ein Affe ist. ven, und ihr romantisches Glühen für die- Nur ein Gedanke schoss Charlotte nicht Diese Erkenntnis ist für Charlotte es- se Primaten ist so einzigartig, dass man durch den Kopf: dass sie und ihre Schim- senziell, für sie ist sie vier Jahre lang im sich sofort in den Urwald aufmachen will. pansen Jahre später im Fernsehen enden Dunkeln aufgestanden, hat zum Frühstück Deshalb war es auch die natürlichste Sache würden – als Soap in BBC 2 und Anfang kalten Reis in sich hineingestopft, sich der Welt, dass Jonathan Scott, ein BBC- dieses Jahres auch im deutschen Fernseh- Malaria eingefangen, in ihrer Wellblech- Produzent, von Charlottes Fieber ange- sender Vox, Titel „Die Affenbande“. Und hütte auf Kühlschrank, Telefon und Freun- steckt wurde. Als er mit einem Team in ab Donnerstag dieser Woche zeigt die de verzichtet. Gombe eine Tierdokumentation drehte, ARD die drei Folgen ihres neuen Pro- entdeckte er sie fürs Fernsehen. gramms „Unsere haarigen Vettern“*. Sie bekam kein festes Skript in die Hand. * Begleitbuch zur Serie: Robin Dunbar und Louise Bar- Das Komische daran ist, dass Charlotte rett: „Affen – Unsere haarigen Vettern“. VGS Verlags- Kommentierte zwölf Monate hindurch das Uhlenbroek während ihrer Zeit im Gombe gesellschaft, Köln; 240 Seiten; 68 Mark. Geschehen, wie es ihr gerade einfiel, un- Darsteller Gremlin, Soap-Erfinderin Uhlenbroek, Kollege: Besser als jede Schauspielerin KRISTIN MOSHER / BBC KRISTIN erschrocken, das Wissen etlicher Jahre im lich, weil Goodall keine Assistenten mehr Jeder Schimpanse, hat die Biologin fest- Hinterkopf. Nie zuvor hatte sie vor einer angenommen hatte, seitdem dort 1975 vier gestellt, ist eine Persönlichkeit, und wie bei Kamera gestanden, trotzdem sprach sie ihrer Studenten entführt worden waren. Menschen zeige sich bereits in der Kind- derart selbstverständlich kluge Sätze di- Abrupt knallte Charlotte ihr Bierglas auf heit, wer verwegen wird und wer schüch- rekt in die schwarze Box hinein, als blub- den Tisch und schoss zum Münztelefon in tern, wer gelassen aufs Leben schaut und berten diese einfach so an die Oberfläche der Ecke der Kneipe. Hastig wählte sie wer sich gern aus der Ruhe bringen lässt. ihres Bewusstseins. Goodalls Nummer. „Ich fragte ‚Darf ich Frodo zum Beispiel verwandelte bereits als „Es war kein bisschen anders als sonst“, mitkommen?‘, sie antwortete ‚Schick mir Bürschchen jedes Spiel in einen wütenden sagt sie, „genau das Gleiche, als ob ich ei- deinen Lebenslauf‘ – und damit war die Kampf; er biss und fegte halbe Bäume über nem Forscher an meiner Seite eine aufre- Sache entschieden.“ den Boden, und später als Heranwachsen- gende Beobachtung zuflüsterte.“ Das gab Jane Goodall konnte sich tatsächlich der, bulliger als die Gleichaltrigen, ver- dem Affentheater eine Unmittelbarkeit, die noch an Charlotte erinnern, obwohl sie sich drosch er die hochrangigen Weibchen. man aus dem Fernsehen höchstens von den über ein Jahrzehnt nicht mehr gesehen hat- Charlottes Gabe ist die Beobachtung, Live-Aufsagern der Fußballreporter kennt, ten. Charlottes Familie und die Verhal- und weil sie beobachtet hat, wie Schim- von Typen wie Marcel Reif, pansen streiten und lieben, hat sie Demut immer souverän am Rand gelernt. Sie benutzt tatsächlich dieses ge- des Spielfelds und unentwegt wichtige Wort, das ihrer äußeren Leicht- am Ball. lebigkeit entgegenhallt wie ein Schreck- In Großbritannien haben schuss. Doch es stimmt: Sie hat verstanden, sie andere Helden; dort wurde wen sie vor sich hat – Geschöpfe statt Ka- Charlotte als sehr weibliche rikaturen. „Wir Menschen sind nicht so und sehr sexy Nachfolgerin einzigartig, wie wir glauben“, sagt die 34- von Sir David Attenborough Jährige, „Affen haben Gefühle wie wir.“ gerühmt, dem Urvater der Die Schimpansen bescherten ihr ein un- Wildlife-Dokumentation. Der entwegtes Déjà-vu. Je mehr Gemeinsam- „Guardian“ schrieb, Charlotte keiten sie entdeckte, desto mehr versuch- sehe wie ein Supermodel aus, te sie, selbst außen vor zu bleiben und den die „Daily Mail“ nannte sie Tieren ihre Eigenart zu lassen. Sie zwang „Queen of the Jungle“. Das ist sich, Abstand zu halten. Zum einen, um ihr alles richtig, wenn man von BBC Verhalten nicht zu beeinflussen oder ihren frech abstehenden Oh- Szene aus „Unsere haarigen Vettern“: Gefühle wie wir Krankheiten zu übertragen, zum anderen ren absieht, die eher den scha- um ihrer selbst willen: Auch sie musste sich len Witz bestätigen, dass sich schützen. Etwa als sie Zeugin einer Attacke Hundehalter und ihre Schütz- wurde; Schimpansen griffen brutal eine linge über die Jahre äußerlich Nachbargruppe an. Wie leicht wäre es da angleichen. Und in Charlottes gewesen, entsetzt den Kopf zu schütteln Fall sind die Hunde eben und zu sagen: „Oh, wie können sie nur?“ Schimpansen. Stattdessen mühte sie sich, die eigene Mo- In der neuen Serie, die nun ral zu verscheuchen, die in ihrem Hirn wie die ARD zeigt, reist Charlotte eine sprungbereite Katze lauerte. durch 16 Länder – und unser Das ganze Leben ist ein Quiz, und des- aller Vergangenheit. Im Trai- halb rätselt Charlotte ständig, was das ein ler sieht man sie Rücken an oder andere wohl zu bedeuten hat. Dann Rücken mit einem Schimpan- kommt ihr in den Sinn, wie viele Bedeu- sen; was beweist, dass es mehr tungen allein ein „Hello“ haben kann, je Gemeinsamkeiten gibt als nur D'AUVERGNE / BBC LUCY nachdem, wie man es betont. Und sie sagt, ein paar Ohren. Später geht sie Serienstars Freud, Beethoven: „Wo seid ihr, Kumpels?“ dass auch bei ihren Affen alles so oder so mit ihren nahen Verwandten gemeint sein könne. Meist begnügt sie sich baden, in Japan hockt sie mit Rotgesichts- tensforscherin hatten sich über gemeinsa- daher, die komischen Seiten des Lebens makaken im Dunst einer heißen Quelle. me Bekannte kennen gelernt; damals war zu sehen – oder seine verschiedenen Sei- Es mag an jenem schneeweißen Bikini Charlotte 15 und lebte mit ihren Eltern in ten komisch. Sie bezeichnet es als „einen liegen oder an dem lose zusammengebun- Katmandu. Ihr holländischer Vater reiste der schönsten Momente meines Lebens“, denen langen Haar, das im Rhythmus ihres als Agrarexperte für die Uno durch die als ihr ein Gorilla, sechs Fuß groß, schwer Eifers schwingt – ihre Verehrer haben im Welt, von London über Tansania nach wie drei erwachsene Männer, während der Internet extra eine „Unofficial Charlotte- Nepal, ihre englische Mutter und zwei äl- Dreharbeiten einen Kick in die Seite ver- Uhlenbroek-Fan-Site“ eingerichtet. Ja, tere Schwestern folgten ihm. abreichte. „Das war bloß ein höllischer An- natürlich habe sie Liebesbriefe von Zu- Ihre ortlose Kindheit hat Charlotte ge- geber, der die anderen Teenager beein- schauern bekommen, sagt sie, aber die lehrt, immer die Augen offen zu halten. drucken wollte.“ Das Adrenalin, das ihr kriegt ja jeder, der irgendwann mal in der Sie guckt sich schnell ein in fremde Ge- dabei durchs Blut strömte, genoss sie wie Glotze auftaucht, oder? Das alles sei doch sichter, auch wenn diese tierische Züge tra- einen Rausch. „Ich bin sicher, dass er dach- nichts als ein großer Zufall. gen. Ihre Affen, sagt sie, erkenne sie in- te, da habe ich einer von der BBC wieder Charlotte hatte gerade ihren Bachelor in zwischen im Schlaf – an ihrem Ausdruck, ein Erlebnis fürs Leben geliefert.“ Zoologie und Psychologie in der Tasche ihrem Gang, der Art, wie sie sich kratzen. Es war nur eine von vielen Szenen, die und hockte mit Freunden in einem Pub, zu Für sie hat sie auch die Sprachen des Bu- nicht im Drehbuch standen. „Die Chimps Hause in Bristol. Einer erwähnte, dass Jane sches erlernt, die Pant-Hoots und Suaheli. erfinden die Story ständig neu“, sagt Char- Goodall, die berühmte Schimpansen- „Es ist wirklich lustig: Ich kann in Suaheli lotte und schaut so zufrieden wie jemand, expertin, nach ehrenamtlichen Helfern su- über nichts Alltägliches reden.
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