INHALT Editorial 129

INHALT Editorial 129

128 iNhALT EdiToriAL 129 SchwErpuNkTThEmA: frEiE ArchivE 130 Jürgen Bacia/Cornelia Wenzel: Die Archive der Protest-, Freiheits- und Emanzipationsbewegungen. Ein Überblick 130 Anne Niezgodka: Was der Archivleiter noch wusste … Wissenstransfer und Generationenwechsel im Archiv für alternatives Schrifttum 142 Infoladenkollektiv: Sammeln, Archivieren, Zugänglich machen. Der Infoladen in Leipzig 146 Kerstin Wolff/Barbara Günther: Warum so spät? Das Archiv der deutschen Frauenbewegung (AddF) in Kassel. Oder: Der Versuch einer nachträglichen Sammlung 149 Anke Spille/Stefanie Pöschl: Das Digitale Deutsche Frauenarchiv – Frauenbewegung vernetzt 152 Herbert Potthoff: Mit Leidenschaft in die Vergangenheit. Das „Centrum Schwule Geschichte Köln e. V.“ 155 Saskia Paul/Diana Stiehl: Das Archiv Bürgerbewegung Leipzig e. V. Seine Geschichte und seine Bestände 158 Daniel Schneider: Zwischen Bewegungs- und Poparchiv. Das Archiv der Jugendkulturen e. V. 164 Andrea Walter: Das Archiv Aktiv 167 ArchivThEoriE uNd prAxiS 168 Die Nachlässe im Zentralen Staatsarchiv Potsdam 1946-1990 (U. Rathje) • Bewertungsautomat statt Autopsie: Sind jetzt zehn- tausend Akten in zehn Sekunden bewertet? (E. Koch/K. Naumann/J. Rees/A. Riek/S. Schnell/F.-J. Ziwes) • Wiedersichtbarma- chung von ausgebleichten Durchschreibekopien auf säurehaltigem Papier (D. Weber/M. Anders/J. Moczarski/K. Kaufmann) • The General Data Protection Regulation ([EU] 2016/679): White Paper (I. Taylor) • Verbündete gegen den Verlust elektronischer Informationen. Zum Festakt von „DiPS.kommunal“ in Köln (B. Bussmann) • Erprobung von Anreicherungsverfahren im Archiv- portal-D-Projekt (D. Fähle/N. Seidu) • Empfehlungen des KLA-Ausschusses Betriebswirtschaftliche Steuerung (A. Hedwig) TAguNgSbErichTE 201 „Main principle is reality!“? – Paris im November 2015. Bericht von der Conférence Internationale Superieure d’Archivistique – CISA (B. Joergens) • Poetry Exercises: an archive of (un)familiar things. Ein Archiv im Archiv. Institut für Stadtgeschichte Frank- furt am Main (J. Kemper/M. Marouda/M. Zimmermann) • Archivalische Quellenkunde, archivische Arbeitsfelder, archivarische Fachkompetenzen. Zur Jahrestagung des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 2016 (R. Kretzschmar) • Von Bear- beiternestern, Datenpaketen und Deduplikation. Workshop „Kreative digitale Ablagen und die Archive“ in München (L. Hörl/D. Kraus/T. Massinger/A. Schmidt/S. Wanninger/A. Wolz) • 21. Jahrestagung des Arbeitskreises „Archivierung von Unterlagen aus digitalen Systemen“ (AUdS)(M. Schlemmer/C. Friederich) LiTEraturbErichTE 215 miTTEiLuNgEN uNd bEiTrägE dES LANdESArchivS Nrw 226 Ausstellung über die türkischen „Gastarbeiter“ in Deutschland im Landesarchiv: „So fing es an …“ (K: Pilger) miTTEiLuNgEN uNd bEiTrägE dES vdA 228 Aktuelles • Berichte aus dem Verband pErSoNALNAchrichTEN 239 NAchrufE 243 vorSchAu 244 ArchivAr 70. Jahrgang Heft 02 Mai 2017 129 EdiToriAL Liebe Leserinnen und Leser, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erkenntnis, dass der Begriff des „Archivs“ längst nicht so eindeutig definiert ist, wie es vielen Vertretern der Zunft erscheinen mag, sondern dass er vielseitig interpretierbar und ganz unterschiedlich zu füllen ist, haben wir nicht zuletzt Autoren wie Dietmar Schenk zu verdanken. Archive sind also nicht nur „klassisch“ Sparten wie „Staat“, „Kommune“ oder „Wirtschaft“ zugeordnet, verwalten nicht nur Archivgut, welches aus Urkunden und Akten aus Verfahren der Verwaltung besteht. Vielmehr sehen sich auch Einrichtungen, die gene- rell eine Form von Sammlungstätigkeit betreiben, zu Recht ebenfalls als Archiv. Dabei umfasst das Sammlungsgut meist eine Vielzahl von Materialarten, von Plakaten, über Flugblätter bis hin zu Fotos und Tondokumenten. Die Einrichtungen selbst sind oft eine Misch- form aus Archiv, Bibliothek, Dokumentationsstelle und manchmal auch Museum. Nach dem Heft über die „Kulturarchive“, die ähnliche Strukturen aufweisen, befasst sich die Zeitschrift ARCHIVAR in der vorliegenden Ausgabe in ihrem Themenschwerpunkt mit den sogenannten „Freien Archiven“. Bei der Auswahl der einzelnen Einrichtungen, die in dem Heft eine Gelegenheit zur Vorstellung bekommen, hat die Redaktion sich bemüht, möglichst signifikante Beispiele aus den verschiedenen thematischen Möglichkeiten auszusuchen, um einen Eindruck über das breite Spektrum dieser Archivform zu vermitteln. So gibt es Beiträge von der Frauenbewegung, aber auch der Homosexuellenbewegung, von der alternativen Bewegung bis hin zur Bürgerrechtsbewegung der ehemaligen DDR, von der Umweltbewegung bis hin zu den Sammlungen über die Jugendkulturen. Ein sehr instruktiver Einführungsbeitrag von Cornelia Wenzel und Jürgen Bacia – beide ausgewiesene Experten in der Thematik – rundet den Einblick in die Welt der „Freien Archive“ ab. Wir hoffen, dass das Thema auf ebenso großes Interesse stößt wie die „Kulturarchive“ und wünschen Ihnen eine anregende Lektüre und viele neue Erkenntnisse, von denen sicherlich auch die Kolleginnen und Kollegen in den „etablierten“ Archiven profitieren können. Herzlichst, Kathrin Pilger, in Verbindung mit Ralf Jacob, Frank M. Bischoff, Torsten Musial, Ulrich S. Soénius, Mark Alexander Steinert ArchivAr 70. Jahrgang Heft 02 Mai 2017 130 LITERATURBERICHTEFREIE ARCHIVE diE ArchivE dEr protest-, frEihEits- uNd Emanzipations- bEwEguNgen EiN ÜbErbLick von Jürgen Bacia und Cornelia Wenzel Die Gewissheit darüber, was eigentlich ein Archiv ist, scheint ver- den Zwängen großer Institutionen; andererseits sind die dort lorenzugehen. In Publikationen der letzten Zeit wird das deutlich, arbeitenden Menschen häufig frei von regelmäßigen Einkünften wenn z. B. Dietmar Schenk in seinem Buch „Aufheben, was nicht und arbeiten unter ökonomischen Bedingungen, die keine Ge- vergessen werden darf“ von „metaphorischer Deutung“ und werkschaft akzeptieren würde. Dazu später mehr. „ganz unterschiedlichen Facetten des Sprachgebrauchs“ spricht1. Kommen wir zum Begriff Archiv. Die Selbstbezeichnungen Freier Oder wenn Irmgard Christa Becker in einer Rezension in dieser Archive lauten nicht unbedingt Archiv, sondern zum Beispiel Zeitschrift darauf verweist, die Autoren des besprochenen Buches auch: Informationsstelle, Dokumentationszentrum, Bibliothek, hätten versäumt, den Begriff Archiv zu definieren2. Tatsächlich Bildungszentrum, Pressearchiv oder Infoladen. Dabei spielen his- hat der Begriff eine bemerkenswerte Neubelebung erfahren und torisch gewachsene Definitionen der „klassischen“ Einrichtungen es ist ein durchaus inflationärer Gebrauch zu beobachten, hinter und deren Sparteneinteilung kaum eine Rolle. Viele Freie Archive dem sich Unterschiedliches verbirgt. Das geht von der Kritik der sind von ihren Beständen her eine Mischform aus Archiv, Biblio- Kulturwissenschaften, die den alten Archivbegriff mit neuen thek, Dokumentationsstelle und manchmal auch Museum. Das Inhalten füllen wollen, bis zum Internet, wo auf Webseiten unter wäre an sich zu verkraften. Dazu kommt aber, dass nicht selten Archiv alles zu finden ist, was nicht mehr unter „Aktuelles“ passt. hinter einer vermeintlich eindeutigen Bezeichnung etwas gänzlich Archiv ist also plötzlich etwas Schillerndes geworden, man weiß anderes zu finden ist. So sind die 90 Umweltbibliotheken über- nicht immer genau, was man zu erwarten hat. Erklärungen sind wiegend tatsächlich Bibliotheken und Dokumentationsstellen, nötig. Für die Freien Archive, von denen hier die Rede sein soll, ist hinter einigen verbergen sich aber Archive mit höchst interessan- das allerdings nichts Neues.3 Hier herrscht seit langem fröhliche ten Beständen. Ähnliches gilt für die zahlreichen Infoläden, die in Unbekümmertheit bei der Wahl der Bezeichnung für das, was aller Regel „Verbrauchsmaterial“ für politische Aktionen bieten, man da auf die Beine stellt. Wir haben deshalb – bevor wir zum gelegentlich aber daneben auch ein Archiv betreiben. Zwei der äl- Konkreten kommen – bezüglich der Freien Archive zweierlei zu testen Frauenarchive Deutschlands, das Frauenarchiv Dortmund definieren: die Freiheit und das Archiv. und das Feministische Archiv Marburg, verfügen ausschließlich Beginnen wir mit der Freiheit. Der Begriff Freie Archive besagt über Bücher, Zeitschriften und wissenschaftliche Arbeiten, sind nicht etwa, dass alle anderen Archive unfrei seien. Er rekurriert also im klassischen Sinne Spezialbibliotheken. Auf der anderen vielmehr auf eingeführte Begrifflichkeiten wie Freie Kulturszene, Seite gibt es einzelne Geschichtswerkstätten, die gar nichts Archi- Freie Künstlerlnnen, Freie JournalistInnen. Die Freiheit, die hier varisches im Namen haben, aber über beachtliche Archivbestände gemeint ist, birgt durchaus Ambivalentes: Einerseits arbeiten verfügen, etwa in Dortmund oder in Berlin. Freie Archive häufig ohne Hierarchien, ihre Entscheidungen fallen Womit wir bei der nächsten Frage sind: woraus besteht das selbstbestimmt und zumeist kollektiv und sie unterliegen nicht Archivgut in Freien Archiven? Natürlich geht es hier nicht um ArchivAr 70. Jahrgang Heft 02 Mai 2017 131 Massenakten von Verwaltungen, sondern um eine Vielzahl von 37 Archive verfügen über mehr als 500 Regalmeter. Zu dieser 15er Dokument- und Materialarten, also Handakten von Initiativen, Gruppe wiederum gehören vier Frauenarchive und vier linksalter- Protokolle, Korrespondenzen, Plakate, Flugblätter, Tondokumen- native Archive; der Rest verteilt sich gleichmäßig auf die anderen te, Filme, Fotos und Sammlungen von lebensgeschichtlichen Sparten.5 Interviews, Personen-, Gruppen- oder Redaktionsnachlässe. Aber auch um Pressedokumentationen, Broschüren, Dokumentatio-

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