Axel Salheiser (13. Januar 2019) Fließende Übergänge der Demokratiegefährdung: Die „Kulturrevolution von rechts“ und die Rolle der AfD Thüringen 1. Die AfD – eine „normale“ Partei? „Rechtspopulismus“ kann als eine Strategie der Selbstinszenierung, der diskursiven Landnahme und der Herstellung gesellschaftlicher Anschlussfähigkeit verstanden wer- den. Diesem Verständnis nach wäre „der Rechtspopulismus“ keine von „dem Rechtsext- remismus“ abgrenzbare politische Ideologie, Bewegung oder Parteienkategorie (Bi- schoff et al. 2015). Die begriffliche Unterscheidung zwischen „rechtspopulistischen“ und „rechtsextremen“ Parteien oder Bewegungen suggeriert, dass die mit dem „Rechtspopu- lismus“ assoziierten politischen Entwicklungen keine schwerwiegenden gesellschaftli- chen Folgen hätten. In Bezug auf den Gegenstand der Demokratiegefährdung hat sich dieses Bild einer „gemäßigten Rechten“ allerdings als trügerisch herausgestellt. Die sogenannte „Neue Rechte“ galt – warnenden Stimmen zum Trotz – lange Zeit als Ansammlung skurriler Sonderlinge; als eine unerwünschte Modeerscheinung, die wenig Substanzielles hervorbringe und wegen ihrer Marginalität auf längere Sicht keine wirkli- che Gestaltungsmacht beanspruchen könne. Doch gerade der prägende Einfluss auf die Gesellschaft ist mittlerweile Realität geworden; er hat bereits eine grundlegende Dis- kursverschiebung bewirkt. Weder unterscheiden sich die „alte“ und die „neue“ Rechte wesentlich nach ihren ideologischen Grundlagen oder ihren politischen Zielsetzungen (Holtmann 2018, Priester 2016), noch ließe sich von voneinander abgegrenzten, sich gegenseitig ausschließenden Personengruppen bzw. organisationalen Netzwerken sprechen. Im Gegenteil: Es bestehen sehr deutliche Kontinuitäten, enge institutionelle Verflechtungen und große personelle Überschneidungen; einzig eine Stilveränderung hat stattgefunden. So oberflächlich die „Modernisierung“ der „Rechten“ sein mag, so erfolg- reich war sie. Diese Breitenwirkung zeigt sich in Wahlergebnissen der Alternative für Deutschland (AfD) sowie in tiefgreifenden Veränderungen der öffentlichen Debattenkul- tur und der gesellschaftlichen Diskurse, die auch Thüringen erfasst haben. Die politikwissenschaftliche Extremismustheorie mit ihren engen schematischen und deshalb teilweise unrealistischen Abgrenzungen und Zuschreibungen, vor allem mit ihrer letzten Endes schlichtweg falschen Metaphorik der „Mitte“ und der „linken“ und „rechten“ „Ränder“, hat erheblich zu dieser schleichenden Mobilisierung beigetragen (Kiess 2011). Durch sie wurde jahrzehntelang der Blick für die Anschlussfähigkeit der „Rechtspopu- list_innen“ an autoritäre und ethnozentrische Einstellungen und Verhaltensdispositionen sowie Ideologien der Ungleichwertigkeit versperrt, die in der Gesellschaft weit verbreitet sind und bei denen z.B. ein fließender Übergang zwischen vermeintlich „bürgerlich- gemäßigtem Rechtskonservatismus“ und „extremen“ Positionen nachweisbar ist (Zick et al. 2016; Reiser et al. 2018; Wiedemann 1996). Die schematische Grenzziehung hatte einerseits insofern instrumentellen Charakter, dass die „Mitte“ zum Hort der Demokratie 1 und einer staatstragenden Stabilität und Immunität gegen Radikalisierung stilisiert wur- de. Andererseits wurde der Verharmlosung „rechter“ oder „rechtsradikaler“ Tendenzen Vorschub geleistet, die im klar definierten Kategoriensystem der staatlichen Sicher- heitsbehörden eben nicht zweifelsfrei als „extremistisch“ (also quasi-kriminell) identifi- zierbar schienen.1 So reicht bisweilen noch heute — ungeachtet tatsächlich vertretener Inhalte und sogar trotz bestimmter manifester Verhaltensweisen — bereits eine empha- tische Bezugnahme auf die „Mitte“ bzw. auf das „Grundgesetz“ aus, um sich dem Extre- mismusverdacht – und damit allzu oft: inhaltlicher Kritik – wirkungsvoll zu entziehen. Nicht zuletzt genügt offenbar auch ein Wahlergebnis, das deutlich über zehn Prozent der Wählerstimmen liegt, um Respektabilität („Gesprächspartner“) zu beanspruchen und sich den Anschein der „Normalität“ zu geben. Dabei wird von einer populären, aber irr- tümlichen Gleichsetzung von „demokratisch legitimiert“ und „demokratisch“ profitiert. Hinweise auf diesen populären Irrtum wiederum werden als „undemokratische“ Regel- verletzung im politischen Wettbewerb angeprangert; die dafür zurechtgelegte Opferrolle hilft, sich die Sympathien der Gefolgschaft zu sichern und neue Anhänger_innen zu ge- winnen: Man werde unfair behandelt, dies könne doch „aufrechte Demokraten“ nicht kaltlassen. Auf inhaltliche Kritik wird von der AfD vor allem mit Gegenstigmatisierung geantwortet, beispielsweise mit dem inflationären Vorwurf des „Linksextremismus“ gegen Vertre- ter_innen anderer Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, zivilgesellschaftlicher Organisatio- nen sowie Journalist_innen und Wissenschaftler_innen. Der fraglos schockierende, ge- waltsame Angriff auf den Bremer AfD-Vorsitzenden Frank Magnitz am 7. Januar 2019, wurde von der Partei bundesweit zum Anlass genommen, eine sofortige Schuldzuwei- sung gegen praktisch sämtliche demokratische Kräfte im Land auszusprechen. Die In- strumentalisierung der Tat begann unmittelbar nachdem der Angriff überhaupt publik wurde.2 In zahlreichen Beiträgen in den sozialen Netzwerken und in öffentlichen Verlaut- barungen von AfD-Politiker_innen wurden vor allem Politiker_innen, u.a. von Bünd- nis90/Die Grünen, sowie „linke“ Journalist_innen (Hashtag „#NazisRaus“) für die Tat mitverantwortlich gemacht. Indessen ist nach wie vor völlig unklar, ob der Angriff auf Magnitz überhaupt politisch motiviert war, also tatsächlich von „Linksextremen“ began- gen wurde. Klar ist bisher bloß, dass der Tathergang ein anderer gewesen sein muss, als die AfD behauptete; unter anderem wurde nach Angaben der Polizei offenbar kein Schlaggegenstand (“Kantholz“) verwendet. Gerade dieses Detail spielte im Opfer- Narrativ der AfD aber eine zentrale Rolle, evozierte es doch stereotype Bilder von beson- 1 Vom „Rechtsextremismus“, dessen Wesenskern aus politikwissenschaftlicher und verfassungsrechtli- cher Perspektive in der Feindschaft zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bzw. in dem Ziel der Überwindung des demokratischen Staates und seiner Institutionen besteht (Beyme 2010), wird „Rechtspopulismus“ in der Regel wegen eines ostentativen Bekenntnisses der Protagonist_innen zur Ver- fassungstreue und wegen dezidiert nicht-militanter Erscheinungsformen unterschieden. 2 http://www.spiegel.de/plus/frank-magnitz-wie-die-afd-mit-attacken-auf-ihre-mitglieder-umgeht-a- 00000000-0002-0001-0000-000161789285 (aufgerufen am 11.01.2019). 2 ders brutalen Linksextremist_innen, die mit Holzknüppeln auf Andersdenkende eindre- schen.3 Als exemplarisch für diese Strategie der Selbstinszenierung, bei der Fakten zurechtge- bogen oder völlig ignoriert werden, kann auch der Fall des Thüringer AfD- Bundestagsabgeordneten Dr. Anton Friesen (Listenplatz 5 der Landesliste) gelten. Im Juni 2018 hatte Friesen eine von seinem Fahrer fahrlässig selbstverschuldete Autopan- ne vorschnell und sehr medienwirksam zu einem „linksextremen“ „Mordanschlag“ stili- siert4 und hat dies bis heute nicht richtiggestellt. Nach wie vor versuchen Teile der Partei und ihre Anhänger_innen, genau diesen angeblichen Beweis für Angriffe auf die körperli- che Unversehrtheit und das Leben von AfD-Politiker_innen für sich propagandistisch in Anspruch zu nehmen. Indessen ist nicht von der Hand zu weisen, dass in den letzten Jahren tatsächlich – auch in Thüringen – wiederholt Sachbeschädigungen (eingeschlagene Fensterscheiben, Farbbeutelwürfe, Graffiti etc.) im Außenbereich von Büros und Privatwohnungen von AfD-Politiker_innen registriert wurden, die vermutlich durch linksradikale Gegner_innen der Partei verursacht wurden. Selbstverständlich stellen diese Straftaten eine empfindli- che Normverletzung dar, die mit den Gepflogenheiten des demokratischen Meinungs- streits unvereinbar sind. Allerdings registrieren und dokumentieren auch Vertreter_innen anderer Parteien seit vielen Jahren ähnliche Vorfälle, so z.B. eingeworfene Fenster- scheiben, Hakenkreuzschmierereien an Hauswänden von Abgeordneten- oder Wahl- kreisbüros der Partei DIE LINKE. Das Alleinstellungsmerkmal der AfD jedoch scheint die Tendenz zu sein, solche Sachbeschädigungen als Indiz staatlich geduldeter, beförderter oder gar „alimentierter“ politischer Gewalt („SAntifa“, „Merkels Sturmtruppen“) zu wer- ten. Der von AfD-Anhänger_innen immer öfter bemühte Vergleich mit der Judenverfol- gung im Dritten Reich ist mindestens als überzogen und geschmacklos zu bezeichnen. Außerdem kann angezweifelt werden, ob z.B. das Anbringen von Aufklebern an Fenstern von AfD-Büros bereits als „Anschlag“ zu bezeichnen ist bzw. fragt sich, inwieweit hier die Selbstinszenierung als „Opfer linksextremen Terrors“ ins Lächerliche abgleitet. 2. Antidemokratische Tendenzen – und unglaubwürdige Distanzierungsversuche des AfD-Bundesvorstands Bei genauerem Hinsehen verflüchtigt sich der Eindruck der Harmlosigkeit und Unbedenk- lichkeit der selbsternannten „patriotischen Demokrat_innen“ der AfD und ihres Umfeldes schnell. Dem betont legalistischen und seriösen Auftreten stehen nämlich zahlreiche inhaltliche und personelle Aspekte gegenüber, die mit den Zielen und Maßstäben einer offenen, demokratischen und pluralistischen Gesellschaft nicht nur unvereinbar sind, son- 3 http://www.spiegel.de/panorama/justiz/afd-frank-magnitz-in-bremen-niedergeschlagen-polizei- veroeffentlicht-video-a-1247645.html (aufgerufen am 11.01.2019). 4 https://www.mdr.de/thueringen/sued-thueringen/suhl/anton-friesen-afd-radmuttern-staatsanwaltschaft-
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