3.4 Comeback der Bauhaus-Debatte über die Kunst Die Bill-Krise an der Hochschule für Gestaltung Ulm „das bauhaus hatte verschiedene innere mutationen durchgemacht, innere revolten, so die vom handwerksdesign zum industriedesign, von der malerei eines hölzel und itten zu der eines van doesburg, von einer werkbundideologie zu einer stijlideologie. den sprung weg von der kunst 407 hat es nie geschafft.“ „Der größte Teil der in Museen und Ausstellungen gezeigten Gegen- stände des ‚good design‘ ist anonym und oft in technischen Büros von untergeordneten Angestellten geschaffen worden, die nie auf den Ge- 408 danken kommen würden, Künstler zu sein.“ In Ulm nimmt 1953 eine neue Hochschule für Gestaltung (HfG) ihren Lehrbetrieb auf und entwickelt sich bis zu ihrer Schließung im Jahr 1968 zu einer der einflussreichsten Institutionen für die Design- ausbildung im 20. Jahrhundert. Man kann die Gründung dieser Hoch- schule zweifelsohne als ein Projekt anerkennen, das maßgeblich von Inge Scholl,409 der älteren Schwester der ermordeten NS-Gegner Hans und Sophie Scholl, wie auch ihrem späteren Ehemann, dem Grafik- designer Otl Aicher, getragen wird.410 Dem engeren Kreis der frühen Gründungsmitglieder gehört neben Scholl und Aicher auch Hans Werner Richter an. Der Schriftsteller gibt nach dem Zweiten Welt- krieg antifaschistische Zeitschriften heraus und zeichnet sich Ende der 1940er Jahre für eine Reihe von politisch literarischen Veranstal- tungen an der Ulmer Volkshochschule verantwortlich.411 Aufgrund des Entsetzens über die Auswirkungen der NS-Diktatur ist in den ersten Ideenskizzen der Gruppe von einer Hochschule für Politik, 407 Aicher 1991: 90. 408 Maldonado 1999: 57. 409 Nach ihrer Hochzeit mit Otl Aicher im Jahr 1952 trägt Inge Scholl den Dop- pelnamen Aicher-Scholl. Auf eine Unterscheidung ihres Namens vor beziehungs- weise nach der Heirat wird im vorliegenden Text verzichtet und durchgehend ihr Geburtsname Scholl verwendet. 410 Spitz 2002: 75ff. 411 Spitz 2002: 69, 78. Von Seckendorff 1989: 34. 183 das heißt, einer Bildungsstätte mit Konzentration auf politisch kul- turelle Themengebiete, die Rede.412 Allerdings möchte man – darü- ber sind sich Scholl, Aicher und Richter einig – keine Politiker aus- bilden. Vielmehr ist das Ziel eine Einrichtung, deren Lehrinhalte zu konkreten Berufen führen. Das politische Anliegen der Hochschule soll den Unterbau für die gestalterische Ausbildung schaffen, die Grundlage, auf der junge Menschen zu selbstständigem Denken an- geregt und zu gesellschaftlich verantwortungsvollen Entwerfern aus- gebildet werden. Im Verlauf der anfänglichen Konzeptentwicklung verteilen sich die Aufgabenschwerpunkte wie folgt: Richter steuert die politischen Aspekte bei, Aicher fügt diese in ein praktikables Lehr- konzept mit konkreten Berufszielen, Scholl widmet sich der orga- nisatorischen Arbeit, ist für die Akquise von Finanzmitteln zustän- dig und tritt in Kontakt mit unterschiedlichen Behörden, um für die Hochschulgründung zu werben.413 Zu den wichtigsten Kontaktper- sonen Scholls zählt in diesem Zusammenhang der US-amerikanische Hochkommissar John Jay McCloy, mit dessen Unterstützung Scholl Geld aus amerikanischen Steuermitteln für die Hochschulgründung zugesichert bekommt. Diese Unterstützung aus den USA ist für die Gründung der HfG Ulm von enormer Bedeutung. Als nichtstaatli- che Institution wird die Hochschule von der Geschwister-Scholl-Stif- tung getragen, hat häufig mit monetären Problemen zu kämpfen und beruht bis zu ihrem Ende auf einem komplexen Finanzierungs- modell.414 Dass in Ulm eine Ausbildungsstätte für Designer entsteht, ist hauptsächlich auf Aicher zurückzuführen. Er interessiert sich für Ge- staltung und sieht auf diesem Gebiet mehr und mehr die konkreten Berufsziele von Absolventen der zu initiierenden Hochschule veror- tet. Deshalb tritt er zusammen mit Scholl an den Schweizer Archi- tekten Max Bill heran, um den ehemaligen Bauhaus-Studenten für die Hochschulgründung in Ulm zu gewinnen. Ende 1949 erhält Bill Einblick in den ersten umfangreichen Programmentwurf hierzu und 412 Spitz 2002: 69. 413 Spitz 2001: 78f. 414 Spitz 2002: ab 66. Spitz 2013: 21f. 184 .
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