Der Begriff des Raumes im „Timaios“ im Zusammenhang mit der Naturphilosophie und der Metaphysik Platons Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie der Philosophischen Fakultät der Universität Konstanz vorgelegt von Kyung Jik Lee aus Seoul Referent: Prof. Dr. Jürgen Mittelstraß Korreferent: Prof. Dr. Gereon Wolters Tag der mündlichen Prüfung: 19. Juli 1999 Diese Arbeit erscheint im Mai 2000 auch als Buchhandelsausgabe im Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg Meinen Eltern gewidmet Inhaltsverzeichnis Vorwort 9 I Die Erklärung der Welt als wahrscheinliche Erklärung (eikôs logos) 11 1 Einleitung 2 Die Synonymität von eikôs mythos und eikôs logos 3 Der eikôs logos als nicht-philosophische Erklärung 4 Der eikôs logos 4.1 Akribês logos? 4.2 Das Wahrscheinliche und das Historische 4.3 Das Wahrscheinliche und das Notwendige 4.4 Die wahrscheinliche Rede als inkonsistente Rede 4.5 Die wahrscheinliche Rede als hypothetische Anwendung einer exakten Erklärung auf sinnliche Gegenstände 4.6 Die wahrscheinliche Rede als Begrenzung der Anwendung einer exakten Erklärung auf sinnliche Gegenstände II Der Demiurg und der Logos der Welt 38 1 Einleitung 2 Wer ist der Demiurg im „Timaios“? 3 Demiurg und Gott 4 Demiurg und Weltseele 5 Demiurg und Idee des Guten 6 Demiurg und transzendente Vernunft 7 Schwierigkeiten der Rede vom Demiurgen 7.1 Zur Suche nach dem Demiurgen 7.2 Logos und Ergon 7.3 Demiurg und Timaios 7.3.1 Einleitung 7.3.2 Poiêtês 7.3.3 Weitere Parallelen zwischen Demiurg und Timaios 7.3.4 Gott und Götter 7.4 Der Demiurg und die Ideen 7.5 Der Begriff des Erzeugens (gennêsis) und der Begriff des Machens (poiêsis) 8 Timaios: Konstrukteur und Konstruktion 9 Der Logos der Welt zwischen Konstruktion und Beschreibung III Die Idee und das sinnliche Ding im „Timaios“ 64 1 Einleitung 2 Die Bezeichnung der vier Elemente als ‚das Derartige‘ 3 Regressus ad infinitum 3.1 Das Problem 3.2 Keine Lösung? 3.3 Allgemeine Eigenschaften als Subjekt der Bezeichnung 3.4 Das individuelle Ding als Subjekt der Bezeichnung 3.5 Eine mögliche Lösung 3.6 Die Lösung im „Timaios“ 3.6.1 Teilhabe und Bezeichnung 3.6.2 Der schwierige Begriff der Teilhabe 3.6.3 Teilhabe und Nachahmung 3.6.4 Nachahmung und Bezeichnung IV Die Begriffe des Werdens im „Timaios“ 77 1 Einleitung 2 Die Abbilder der Ideen im Raum 3 Qualitative und quantitative Bestimmung 3.1 Zur Reduktion der qualitativen auf die quantitative Bestimmung 3.2 Unterschiedliche Auffassungen der Welt im „Timaios“ 3.3 Die Ideenlehre Platons im „Timaios“ 3.3.1 Die Idee und das ideale Individuum 3.3.2 Die Idee und das sinnliche Individuum 3.4 Gibt es eine Priorität der qualitativen vor der quantitativen Bestimmung? 3.4.1 Spuren der Elemente 3.4.2 Spuren der Elemente und deren Erkenntnis 3.4.3 Spuren der Elemente und Nachahmung 3.4.4 Die qualitative Veränderung und die Geometrie 3.4.5 Abbilder: qualitative Eigenschaften und geometrische Formen 3.4.6 Schêmata als geometrische Formen 3.4.7 Morphê und Pathos 3.5 Weitere Harmonisierungsversuche 3.6 Qualitative und quantitative Eigenschaft 3.6.1 Zwei Auffassungen von den Abbildern der Ideen 3.6.2 Keine einheitliche Konzeption der sinnlichen Dinge im „Timaios“ 3.6.3 Das Werden und die Elemente 3.6.4 Die zweifache Tätigkeit des Demiurgen 3.6.5 Kein direktes Verhältnis zwischen Ideen und Raum 3.6.6 Zwei Modelle zur Erklärung der Welt 3.6.7 Zwei Konzeptionen des Wesens der Elemente 3.7 Zwei unterschiedliche Konzeptionen der sinnlichen Dinge 4 Zusammenfassung V Der Raum als dritte Gattung 104 1 Einleitung 2 Der Raum als Amme des Werdens 3 Die dritte Gattung als Raum 4 Die dritte Gattung als Materie 5 Identität des Raumes und der Materie? 6 Die dritte Gattung als moderner Raumbegriff? 7 Versuche zur Harmonisierung beider Aspekte 8 Widersprüchliche Aspekte der dritten Gattung? 9 Der Grund für die Inkonsistenz der Rede von der dritten Gattung VI Zusammenfassung 124 Literaturverzeichnis 126 Vorwort Bekanntlich steht für Platon die Problematik des Aufbaus der Natur im Zentrum seines Spätdialogs „Timaios“. Dabei ist vor allem bemerkenswert, daß Platon im zweiten Teil des „Timaios“ den Raum als die dritte Gattung oder als das neue Prinzip seiner Kosmolo- gie bzw. Kosmogonie einführt. Aufgabe dieser Gattung oder dieses Prinzips ist es, die Materialität der Dinge der Natur und die Veränderungen der Phänomene zu erklären. Die- sem seinem Versuch darf man deshalb große philosophische Bedeutung beimessen, weil mit ihm die in den Früh- und Mitteldialogen (besonders im „Phaidon“) aus dem Bereich der Wissenschaft verwiesene natürliche Welt zum Gegenstand der Untersuchung gemacht wird, und weil sich auf diese Weise die Möglichkeit einer neuen Art der Erklärung der Natur, die einen großen Einfluß auf die spätere Entwicklung der Physik ausüben sollte (im Unterschied zur Erklärung der Natur bei den Vorsokratikern), abzeichnet. In diesem Sinne bildet der Raum als die dritte Gattung einen wichtigen Themenbereich, der für das Ver- ständnis der Naturphilosophie bei Platon und Aristoteles sowie für die weitere Geschichte der Naturphilosophie von entscheidender Bedeutung ist. In der bisherigen Interpretation von Platons Naturphilosophie ist es nicht gelungen, die Systematik dieser Naturphilosophie vollständig ans Licht zu bringen. Die wesentlichen Gründe dafür sind die folgenden: 1. Platon selbst hat im „Timaios“ bemerkt, daß der Begriff des Raumes dunkel und schwierig ist. Er macht in diesem Zusammenhang auf unzulässige Analogien und auf Wi- dersprüche aufmerksam. Die Platon-Forschung hat versucht, diese Widersprüche zu be- seitigen. Dabei werden aber wichtige Aspekte zugunsten anderer vernachlässigt oder kon- sistente Interpretationen durch einseitige Auslegungen erzwungen. 2. Das Problem des Raumbegriffs wurde in der bisherigen Platon-Interpretation hauptsächlich im Zusammenhang mit der Naturphilosophie des Aristoteles oder mit der vorsokratischen Naturphilosophie behandelt. Dabei wurde der Begriff des Raumes entwe- der nur als erster Schritt in Richtung auf den Aristotelischen Materiebegriff oder nur als eine Erweiterung der Naturphilosophie der Vorsokratiker betrachtet. Eine Folge davon war, daß man die Möglichkeit übersah, daß es zwei unterschiedliche Raumbegriffe bei Platon geben könnte. Im Gegensatz zu den gängigen Auffassungen wird hier die These vertreten, daß die Rede vom Raum bei Platon tatsächlich zwei unterschiedliche Bedeutungen hat und daß die Ursache dafür in der Ontologie liegt. Das bedeutet, daß man die Platonische Kosmo- logie im Kontext der Platonischen Ontologie verstehen muß. In dieser Perspektive geht es in der vorliegenden Arbeit um den Begriff des Rau- mes und seinen Zusammenhang mit der Platonischen Metaphysik als ein fundamentales Problem der Platonischen Philosophie. Die Analysen und Überlegungen konzentrieren sich auf die Frage, von welcher Art der Begriff des Raumes ist und warum Platon zwei unterschiedliche Bedeutungen des Raumes unterscheidet. Daher besteht die Hauptaufgabe dieser Arbeit darin, den Zusammenhang der Naturphilosophie Platons mit seiner Ontolo- gie, der bisher in der Forschung zu wenig beachtet wurde, deutlich zu machen und kritisch 9 zu analysieren. Erst auf diese Weise können der Sinn und das Wesen der Platonischen Naturphilosophie zufriedenstellend geklärt werden. Die wichtigste Grundlage bildet der Dialog „Timaios“, der zu einem der schwie- rigsten Dialoge Platons gehört und zentrale Themen der Naturphilosophie behandelt. Die Schwierigkeiten beginnen bereits bei der Datierung des Dialogs, der für die einen (wegen der Präsenz der Ideenlehre) eher zu den mittleren Dialogen, für die anderen (wegen des elaborierten Charakters einer ‚mathematischen Physik‘) zu den Spätdialogen zählt, setzen sich im unklaren und scheinbar unentschiedenen Nebeneinander von ideentheoretischen und mathematischen Konstruktionen fort und enden bei einem weitgehend ungeklärten Raumbegriff im Zentrum dieser Konstruktionen. Wie im Laufe der Untersuchung deutlich wird, lassen sich durch eine sorgfältige Interpretation dieses Textes neue Aspekte von Platons Naturphilosophie aufdecken. In diesem Zusammenhang wird auch die Struktur des Dialogs auf eine neue Weise interpretiert. Die vorliegende Arbeit ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 1999 von der Philosophischen Fakultät der Universität Konstanz an- genommen wurde. Meine Beschäftigung mit dem „Timaios“ begann im Herbstsemester 1990 an der Nationalen Universität in Seoul. Dafür möchte ich Professor Dr. NamDuh Kim danken, denn er war es, der mir die ersten Anregungen vermittelte. An erster Stelle gilt mein Dank aber meinem Doktorvater, Professor Dr. Jürgen Mittelstraß, der die Arbeit von Anfang an mit seinem wissenschaftlichen Rat und konstruktiver Kritik gefördert hat. Ohne seine Unterstützung wäre das Vorhaben in dieser Form nicht durchführbar gewesen. Mein Dank gilt auch dem zweiten Gutachter dieser Arbeit, Professor Dr. Gereon Wolters, vor allem für viele Anregungen, die ich in seinen Seminaren über die Naturphilosophie der Vorsokratiker erhielt, und Professor Dr. Gerhard J. Baudy für eine kundige Einfüh- rung in die griechische Literatur, ferner Dr. Karl-Heinz Hülser und Dipl.-Math. Jacob Ro- senthal für viele Anregungen. Dank sagen möchte ich aber auch den Platon-Forschern, die mir im September 1995 im Rahmen des IV. Symposium Platonicum in Granada wichtige Hinweise gaben, insbesondere Professor Tomás Calvo (Universität Madrid), dem Präsidenten dieser Ta- gung, und denjenigen, die mir unveröffentlichte Manuskripte zum „Timaios“ zur Verfü- gung stellten: Professor
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