FR 02.10.09 / FR 30.10.09 / SA 31.10.09 20.00 Uhr Werner-Otto-Saal Viktor Ullmann (1898 – 1944) »Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung« op . 49 Spiel in einem Akt von Peter Kien Mike Keller Kaiser Overall Ingo Witzke Der Lautsprecher Nicholas Isherwood Der Tod Jianeng Lu Harlekin Patrick Vogel Ein Soldat Lisa Laccisaglia Bubikopf, ein Soldat Uta Buchheister Der Trommler Vivian Lüdorf Sprecher Ein Orchester aus Studierenden der Hochschule für Musik »Hanns Eisler« Berlin Christian Fröhlich Musikalische Leitung Cornelia Heger Regie Sabine Hilscher Ausstattung Rainer Groenhagen Licht Jens Schubbe Dramaturgie Peer Niemann Technische Einrichtung und Organisation Christian Glinz Korrepetition Andrea Reichel Regieassistenz Ruth Gomez Ausstattungsassistenz Detlef Flex Lichteinrichtung Alexandra Bauer Regiehospitanz Eine Koproduktion von Kulturbrauerei e.V. und Konzerthaus Berlin in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik »Hanns Eisler« Berlin. Aufführungsrechte: Schott Musik International, Mainz Aufführungsdauer ca. 60 Minuten, keine Pause Handy ausgeschaltet? Vielen Dank! Die Handlung Irgendwo zu jeder Zeit. Der das Leben verkörpernde Harlekin und der Tod fühlen sich angesichts der von Kaiser Overall beherrschten Welt nutzlos und verhöhnt. Als der Kaiser den »Krieg aller gegen aller« mit dem Ziel der Vernichtung allen menschlichen Lebens ausruft und den Tod als Bannerträger dieses Feldzuges ver - einnahmen will, verweigert dieser seinen Dienst: niemand kann mehr sterben. Kaiser Overall preist zwar das »Nicht-Sterben-Können« als von ihm erfundenes Geheimmittel, sieht aber seine Machtbasis zunehmend gefährdet, da auch Exeku - tionen, wichtigstes Machtmittel der Herrschenden, aufgrund der Verweigerung des Todes nichts nützen. Aufständische versuchen, den Umsturz herbeizuführen. Ein Soldat und ein Mädchen, Feinde weil Menschen, kämpfen gegeneinander. Als sie einander nicht töten können, halten sie inne, und es erwacht zwischen ihnen die Liebe. Der Trommler versucht vergebens, den desertierenden Soldaten zur Rück kehr in die Schlacht zu bewegen. In der Konfrontation mit dem Kaiser verkündet der Tod, die Menschen in Würde sterben zu lassen, wenn der Kaiser als erster bereit wäre, den neuen Tod zu leiden. Dieser ergibt sich widerwillig und prophezeit künftige Kriege. Weltverbesserer Die einzige Möglichkeit zur Verbesserung der Welt sei deren Abschaffung, verkün - det der »Weltverbesserer« in Thomas Bernhards gleichnamigem Theaterstück. Der Kaiser von Atlantis, Titelgestalt der von Viktor Ullmann und Peter Kien 1943/44 verfassten Oper, erscheint als dessen geistiger Ahne, wenn er in seiner Abschiedsarie bekennt: »Oh wär mein Werk geglücket! Von dieser Fessel Mensch befreit dehnt’ sich das Land…«. Zur Verwirklichung seines Plans hatte der Kaiser einen »Krieg aller gegen alle« entfesselt. Einen »totalen Krieg« hatte auch Reichspropagandaminister Joseph Goebbels am 18.2.1943 in seiner Rede im Berliner Sportpalast unter begeisterter Zustimmung des Publikums ausgerufen. »Lieber Tommy fliege weiter, fliege weiter nach Berlin, die haben ›Ja‹ geschrieen«, dichtete man wenig später, als angloamerikanische Bomben westdeutsche Städte trafen. Gleichzeitig starben unzählige Soldaten weltweit an den Fronten, kamen Zivilisten um und betrieben die Nazis und ihre Helfer den indu - striell organisierten Massenmord an den Juden Europas und vielen anderen ihnen missliebigen Menschen, dem auch die Autoren der Oper zum Opfer fallen sollten. Ihr Werk entstand im »Vorzimmer der Hölle« (Norbert Fr ýd), dem Konzentrations - lager Theresienstadt. Das reale Grauen und die in Kunst gebannte Reflexion der Wirklichkeit sind dabei in einer Weise verflochten, die einen schaudern lässt: Eine maschinenschriftliche Version des Librettos wurde auf die Rückseiten von Karteien getippt, auf deren Vorderseiten die Angaben von Menschen zu finden sind, die am 16. Mai 1944 in einen der sogenannten »Altentransporte« von Theresienstadt nach Auschwitz eingereiht wurden. Zuvor wurden sie für diese Transporte selektiert – dokumentiert durch eine Notiz auf den Karteien, die de facto Todesurteile darstel - len, denn fast alle der in diesen Transporten Verschleppten kamen um. Hintergrund: im Zuge der von der SS zu Propagandazwecken befohlenen »Stadtverschönerung« sollte Theresienstadt auch von »unansehnlichen« Alten und Kranken »gesäubert« werden. Wenngleich »Der Kaiser von Atlantis« auf das engste mit den Umständen sei - ner Entstehung verbunden ist und manche Passagen des Werkes als Anspielungen auf diesen Kontext gelesen werden können, so weist die Oper dennoch darüber hinaus: Peter Kien und Viktor Ullmann entwarfen mit diesem Werk ein Welttheater en miniature, eine Parabel um den Fluch von Herrschaft und die Frage nach der Möglichkeit menschlichen Seins angesichts totaler Barbarei. Wien – Prag – Theresienstadt: Viktor Ullmann und Peter Kien Verfolgen wir zunächst die Wege Viktor Ullmanns und Peter Kiens. Schnittpunkt beider Biographien war Prag, die Metropole des noch jungen, demokratischen tschechischen Staates. Ullmann war gerade 22 Jahre alt, als er 1920 von Alexander Zemlinsky an das Neue Deutsche Theater in Prag als Korrepetitor, Chordirektor und später auch als Kapellmeister berufen wurde. Hier dominierte das deutsche Repertoire einschließlich der jüngsten Werke von Korngold, Zemlinsky, Mahler, Schönberg, Schreker und Strauss. Dieses Theater war gewissermaßen ein Erbstück aus der k. und k.-Epoche. Bis 1918 war es mit der deutschsprachigen Kulturmacht der aus Wien regierten Monarchie verbunden und wurde durch den Kaiser finan - ziert. Danach war der tschechische Staat Subventionsträger, und der Fortbestand des Theaters wurde (nach einigen Turbulenzen) durch die persönliche Protektion des Staatspräsidenten Masaryk gesichert, dessen Bestrebungen auf Ausgleich zwi - schen den verschiedenen in Prag präsenten Kulturen und Ethnien gerichtet waren. Jene durch das Wiener Fin de Siècle geprägte Tradition, für die Zemlinsky stand, hatte auch Viktor Ullmann geprägt. Mutter und Sohn waren 1909 aus dem schlesischen Teschen nach Wien gezogen, während der Vater als Berufsoffizier in häufig wechselnden Garnisonen Karriere machte. In Wien erlebte Viktor Ullmann als Heranwachsender die letzten glanzvollen Jahre der Habsburgischen Metropole vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges. Zu seinen Klassenkameraden in der Schule gehörten unter anderen Gerhart Eisler und Josef Travnicek, zu seinen Freunden zählten Erwin Ratz, der spätere Schönberg-Schüler und Herausgeber von Mahlers Werken, sowie Felix Petyrek, ein nachmaliger Schüler Franz Schrekers. In Wien hörte Ullmann die Mahler-Aufführungen unter Bruno Walter, die ihn tief beeindruckten, von hier aus konnte er den Aufstieg Franz Schrekers zu einem der führenden Opernkomponisten seiner Zeit verfolgen. Arnold Schönberg erregte mit seinen Konzerten Aufsehen – sei es durch spektakuläre Erfolge oder Skandale. Schon als ganz junger Mann suchte Ullmann die Nähe des Schönberg-Kreises und nahm als Sechzehnjähriger Unterricht beim Schönberg-Schüler Josef Polnauer, um nach dem Krieg für einige Monate von 1918 bis 1919 direkt Kurse bei Schönberg zu besuchen und später in Prag bei dessen Schüler Heinrich Jalowetz zu studieren. In den zwanziger Jahren errang Ullmann erste Erfolge als Komponist in der Tradition der noch vor-dodekaphonen, expressionistischen Schönberg-Schule. Nach Ende seines Prager Engagements wurde er 1927 für eine Saison Opernchef in Aus - sig (Ústí n. L.) und ging 1929 als Leiter der Bühnenmusik sowie Komponist an das Züricher Schauspielhaus. In jene Zeit fällt der Beginn seiner intensiven Beschäfti - Wien – Prag – Theresienstadt gung mit der Anthroposophie, in deren Zuge er das Komponieren zeitweise aufgab und stattdessen 1931 die Leitung einer anthroposophisch geprägten Buchhandlung in Stuttgart übernahm. Nach deren Konkurs und angesichts der drohenden Repres - sionen nach der Machtergreifung der Nazis kehrte Ullmann 1933 zurück nach Prag, wo er als freiberuflicher Musiker für verschiedene Medien und Gesellschaften sowie als Musikpädagoge tätig war. Eine Neubestimmung des musikalischen Standortes artikulierte er mit der Oper »Der Sturz des Antichrist«, der 1 . Klaviersonate und dem 2 . Streichquartett, das wie die meisten der ungedruckten Werke Ullmanns aus der Zeit vor der Deportation als verloren gelten muss. Nachdem die Zeit vom Som - mer 1937 bis Frühjahr 1938 von einer schweren psychischen Krise überschattet war, entstanden in der Folgezeit trotz der sich zuspitzenden politischen Lage mit ihren für den Komponisten dramatischen Konsequenzen Werke in rascher Folge (darunter Lieder, das Klavierkonzert und die Oper »Der zerbrochene Krug«). Im Prag der späten dreißiger Jahre hätten sich Viktor Ullmann und Peter Kien begegnen können. Kien, Jahrgang 1919, stammte aus dem nordböhmischen Warns - dorf. Sein Abitur machte er 1936 im mährischen Brünn, der Heimat seiner Eltern, wohin die Familie zurückgekehrt war, nachdem der in der Textilbranche tätige Vater während der Weltwirtschaftskrise sein Vermögen verloren hatte. Sodann ging Kien, der als Maler und Dichter gleichermaßen begabt war, nach Prag, um ein Kunststudium an der Akademie der Bildenden Künste zu beginnen. Hier befreun - dete er sich mit einem späterhin berühmten Kommilitonen: Peter Weiss, ebenso eine Doppelbegabung wie Kien, der sich später erinnerte, von Kien auf Franz Kafka aufmerksam gemacht worden zu sein. Mit der Errichtung des »Protektorats Böhmen und Mähren« durch Hitler - Deutschland am 15 . März 1939 und insbesondere nach der nunmehr auch hier schon bald erfolgten
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