Durchmischung in Städtischen Schulen – Eine Politische Aufgabe? Optimierte Schulische Einzugsgebiete Für Schweizer Städte

Durchmischung in Städtischen Schulen – Eine Politische Aufgabe? Optimierte Schulische Einzugsgebiete Für Schweizer Städte

Oliver Dlabac, Adina Amrhein, Fabienne Hug Durchmischung in städtischen Schulen – eine politische Aufgabe? Optimierte schulische Einzugsgebiete für Schweizer Städte Studienberichte des Zentrums für Demokratie Aarau, Nr. 17 März, 2021 www.zdaarau.ch Finanzierungsnachweis Der vorliegende Studienbericht fasst die Befunde aus einer Pilotstudie zur Stadt Zürich sowie aus einer Folgestudie zu fünf weiteren Schweizer Städten zusammen. Beide Studien wurden durch die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt, unter finanzieller Beteiligung der Stadtentwicklung Zürich und der Stadtzürcher Kreisschulbehörden Uto und Waidberg. Impressum Publikationsreihe des Zentrums für Demokratie Aarau (ZDA) Herausgegeben von Andreas Glaser, Daniel Kübler und Monika Waldis ISBN-Nr: 978-3-906918-15-0 Bezugsadresse: Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA) Villa Blumenhalde, Küttigerstrasse 21 5000 Aarau Telefon +41 62 836 94 44 E-Mail [email protected] www.zdaarau.ch © 2021 bei den Autoren Zusammenfassung Zielsetzung, Daten und Methoden Internationale Studien weisen auf eine zunehmende soziale und ethnische Entmischung zwischen städtischen Schulen hin. Dies ist insofern problematisch, als die soziale und ethnische Zusammensetzung von Schulen einen nachweisbaren Effekt auf die Leistungen der Schüler/innen hat, und dies unabhängig von deren individuellem Hintergrund. In keinem OECD-Land sind diese sogenannten Kompositionseffekte so ausgeprägt, wie in der Schweiz. Während andernorts eine neu eingeführte freie Schulwahl und der Zulauf an Privatschulen für ungleiche Schulbedingungen verantwortlich gemacht werden, ist die unterschiedliche Zusammensetzung der Schulen in der Schweiz hauptsächlich auf die Entmischung zwischen Wohnquartieren und auf entsprechende schulische Einzugsgebiete zurückzuführen. Die vorliegende Studie des ZDA untersucht diesen Zusammenhang am Beispiel der Primarschulen der sechs grössten Städte der Schweiz (Modul 1). Zugleich prüft sie für diese Städte die Möglichkeiten zur stärkeren Durchmischung durch kleinräumige Anpassungen der Einzugsgebietsgrenzen (Modul 2). Zur Optimierung wurde ein neuartiger, detailgetreuer Algorithmus entwickelt, der künftig in ein Hilfstool überführt werden könnte, welches die Schulzuteilung und Schulraumplanung unterstützt. Dabei geht es nicht um die Zuteilung einzelner Schüler/innen, sondern um die Entwicklung von Vorschlägen zur Anpassung der Einzugsgebiete an ihren Grenzen. Die Einzugsgebiete bleiben zusammenhängend und es werden kurze und sichere Fusswege zur Schule vorgesehen (Prinzip der «Quartierschule», keine Schultransporte). In einem qualitativen Teil der Studie wird die heutige Praxis der Schulzuteilung und Schulraumplanung untersucht, basierend auf Experten- /Expertinnen-Interviews mit Vertreter/innen der Schulbehörden (Modul 3). Neben der Praxis werden auch Herausforderungen bei der Durchmischung sowie Anforderungen an ein allfälliges Optimierungstool in Erfahrung gebracht. Für die quantitativen Analysen werden geocodierte Daten zu Unterstufen-Schüler/innen1 (nach Stichtag) aus der Volkszählung 2000 herangezogen sowie ergänzend Stichproben zur Wohnbevölkerung aus den Strukturerhebungen 2010 bis 2018, ferner Daten aus der kantonalen Bildungsstatistiken sowie unveröffentlichte Daten einzelner Schulämter zu den schulischen Einzugsgebieten zum Schuljahr 2019/20. Für die Aufbereitung, Recodierung, Auswertung und Darstellung der Daten werden die Geographischen Informationssysteme QGIS und ArcGIS, sowie die Statistiksoftware R eingesetzt. Der Java-basierte Optimierungsalgorithmus2 (lokaler Suchalgorithmus – ‘Hillclimbing’) greift auf diese Daten zu und zieht für die Simulation individueller Schulwege weitere geo-codierte Daten bei (OpenStreetMap, Waldflächen gemäss swisstopo, MATSim-Verkehrsmodell des «Nationales Personenverkehrsmodell NPVM», sichere Schulwegübergänge gemäss Schulinstruktion). Als Output gibt der Algorithmus für konfigurierbare Bedingungen (maximale Schulweglänge, Schulhauskapazitäten) tabellarische und räumliche Daten zu den einzelnen Optimierungsschritten aus. Hauptergebnisse der Studie Wie stark sich die soziale und kulturelle Zusammensetzung der Schulen auf die Schulleistungen in der Schweiz auswirken, zeigt nicht nur die bisherige internationale und nationale Forschung, sondern auch die eigens durchgeführten Analysen zu den Leseleistungen von Sekundarschüler/innen (PISA 2000) sowie zu den Deutschleistungen von Schüler/innen der 3. Primar im Kanton Zürich (Zürcher Lernstandserhebung 2006). Insbesondere können frühere Befunde bestätigt werden, wonach: 1 In den Deutschschweizer Städten und Genf wurden 1.-3. Klässler/innen berücksichtigt. In Lausanne wurden Kindergartenkinder sowie 1.- 2. Klässler/innen berücksichtigt, da der Kindergarten am Schulstandort besucht wird und damit eine grössere Stichprobe erreicht wurde. Mehr dazu im Kapitel Volkszählungsdaten 2000: Identifikation von Unterstufen-Schüler/innen und Zuschreibung von Fremdsprachigkeit und Bildungshintergrund der Eltern im Anhang. 2 Umsetzung durch den Verkehrssimulationsexperten Marcel Rieser (Simunto GmbH). • eine geringe bis mittlere Durchmischung der Schulen mit keinem signifikanten Leistungsabfall verbunden ist, sondern dieser setzt erst bei einem Anteil von rund 30 bis 40 Prozent Schüler/innen aus sozial schwachen und fremdsprachigen Familien ein. Dieser Befund ist von hoher politischer Relevanz. Er bedeutet, dass eine Durchmischung von Schulen mehr Chancengerechtigkeit für Kinder und Jugendliche aus besonders belasteten Quartieren herstellt, ohne dadurch die Leistungen der anderen Kinder und Jugendlichen zu beeinträchtigen. Analog zu den Schulleistungen, unterscheiden sich auch die typischen Bildungswege je nach Zusammensetzung der Schulen, was anhand der Auswertung der Übertrittsquoten in den Schulkreisen der untersuchten Städte eindrücklich gezeigt werden kann. Dabei widerspiegeln diese räumlichen Divergenzen zunächst die unterschiedlichen individuellen Hintergründe der Kinder (Bildungsniveau der Eltern, sprachlich-kulturelle Hürden), werden aber verstärkt durch die Kompositionseffekte auf Ebene der Schulen. Ein Kind in einer Schule mit hoher Konzentration von Kindern aus bildungsfernen und schwach integrierten Familien hat erwiesenermassen einen schwierigeren Zugang zu anforderungsreicheren Schultypen, als wenn dasselbe Kind in einem anderen Quartier eine Schule mit einer günstigeren Zusammensetzung besuchen würde. Trotz Aufwertungsprozessen und einer «neuen» Zuwanderung bildungsnaher Bevölkerungsschichten sind die Unterschiede zwischen den Schulkreisen sowohl in der Stadt Zürich als auch in den weiteren untersuchten Städten über die letzten zwei Jahrzehnte gross geblieben. Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen entmischten Wohnquartieren und der Zusammensetzung der Schulen (Modul 1) zeigt die Auswertung der Daten zu den Unterstufenschüler/innen (Volkszählung 2000), dass: • die Zusammensetzung der Schulen nach sprachlicher und sozioökonomischer Herkunft in sämtlichen untersuchten Städten weitgehend die Zusammensetzung der unmittelbaren Nachbarschaften der Schulen widerspiegelt oder in einzelnen Schulkreisen gar verstärkt. Der Effekt der Segregation insbesondere benachteiligter Wohnquartiere wird mit dem konkreten Zuschnitt der Einzugsgebiete also nicht verstärkt, aber auch nicht gemildert. • die Unterschiede in der Zusammensetzung der Schulen nach sprachlicher und sozioökonomischer Herkunft beträchtlich sind. Bezüglich Handlungsspielraum zur stärkeren Durchmischung (Modul 2) zeigt der Optimierungsalgorithmus aufgrund der Daten zu den Unterstufenschüler/innen (Volkszählung 2000), dass: • kleinräumige Anpassungen an den Einzugsgebietsgrenzen einen beachtlichen Ausgleich zwischen den Schulen erzeugen können, wobei eine Durchmischung gerade auch der meist belasteten Schulen selbst bei Einhaltung der bisherigen Schulhauskapazitäten und maximalen Schulweglängen gelingen kann. • ein erweiterter Spielraum bezüglich Schulhauskapazitäten und maximalen Schulweglängen, allenfalls kombiniert mit durchlässigeren Einzugsgebieten, die Durchmischung je nach untersuchter Stadt weiter erhöhen kann. • der Ausgleich bei kleinräumigen Anpassungen innerhalb der Schulkreise deutlich stärker ausfällt, als über die gesamte Stadt hinweg. • die Lage bestehender Schulen sowie deren Zugänglichkeit die lokalen Optimierungsmöglichkeiten stark beeinflussen. • überproportionale Konzentrationen in einzelnen Schulen (gemessen an der Umgebung) bis auf wenige Ausnahmen mit deren isolierten Lage erklärt werden können (Autobahnen, Bahngeleise). • eine stärkere Nivellierung zwischen den Schulkreisen eine Loslösung der Schulraumplanung von den Schulkreisgrenzen sowie eine punktuelle Flexibilisierung der maximalen Schulweglänge erforderlich macht. 5 Die ergänzenden Analysen zu den schulischen Nachbarschaften 2019/20 basieren grösstenteils auf Stichproben zur Wohnbevölkerung (gepoolte Strukturerhebungen 2010 bis 2018) weisen darauf hin, dass: • Aufwertungsprozesse dazu geführt haben, dass sich mehrere Schulen mit den zuvor höchsten Konzentrationen heute im Mittelfeld einreihen. Damit verlagert sich der Fokus auf die weiterhin belasteten Nachbarschaften sowie auf einzelne neu hinzukommende Nachbarschaften. • das Segregationsmuster rund um diese Nachbarschaften auch heute noch auf beträchtliches Durchmischungspotenzial zwischen den betreffenden Schulen hinweisen. • die soziale und ethnische Wohnsegregation mit den heute geltenden Einzugsgebieten mit höchster Wahrscheinlichkeit auch heute noch beinahe eins zu eins reproduziert wird. • neue Schulhausstandorte je nach

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