Katharina Steidl

Katharina Steidl

EINEAm MEDIALITÄTSGESCHICHTE DES FOTOGRAMMS IM 19. JAHRHUNDERT Rande der Fotografe Katharina Steidl Am Rande der Fotografe Katharina Steidl Am Rande der Fotografe Eine Medialitätsgeschichte des Fotogramms im 19. Jahrhundert Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF) PUB 561-Z26 ISBN 978-3-11-056780-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-056907-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-056825-7 Open Access: Wo nicht anders festgehalten, ist diese Publikation lizenziert unter der Creative-Common-Lizenz Namensnennung 4.0; siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0. Library of Congress Control Number: 2018956059 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Katharina Steidl, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston. Dieses Buch ist als Open-Access-Publikation verfügbar über www.degruyter.com, https://www.doabooks.org and https://www.oapen.org. Lektorat: Martin Steinbrück Layout und Satz: Petra Florath Cover: SCHR/GSTRICH, Kommunikationsdesign Coverabbildung: Anna Atkins, Alaria esculenta, Cyanotypie, 1844/45, aus dem Album: „Photographs of British Algae. Cyanotype Impressions“, Part XII, New York Public Library Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza www.degruyter.com Inhalt Einleitung 7 Am Rande der Fotografie 25 Eine lexikalische Annäherung 25 Ein Medium ohne Namen 30 Das Fotogramm im Zentrum der Analyse 37 Das (künstlerische) Fotogramm im Museum 42 Im Namen des Schönen 50 Das Fotogramm in der Fotografiehistoriografie 57 Gleichzeitigkeit von Praxis und Diskurs 58 Fotogeschichte im Handbuch 59 Hundert Jahre Fotografie 64 Fotogeschichte als Kultur- und Kunstgeschichte 66 Eine neue Geschichte der Fotografie 72 Vorgeschichte und Geschichte 80 Ursprung und Anfang 87 Das Fotogramm als Zeichen 95 Abdruck, Spur, Index 95 Fotografietheorie, ein Querschnitt 96 Selbstabdruck, historisch 111 Fotografie, ein Stempel 113 Die Kunst des Räsonierens 121 (Un-)Ähnlichkeit durch Berührung 127 Das Fotogramm und die Praktik des Spurenlesens 131 Paradigma der Negativität, Paradigma der Bildlichkeit 137 Umkehrung 138 Versuche im „entgegengesetzten Sinne“ 140 Photogenic or Sciagraphic Process 146 On the Art of Fixing a Shadow 151 Holde Finsternisse 157 Kulturtechnik „Schneiden“ 162 Runge und die Schere 165 Linien 171 Botanische Schattenrisse 181 Natur als Bild – Bilder der Natur 189 „Dame Nature has become his drawing mistress“ 190 Photogenische Zeichnungen und Botanik 198 Patterns of Lace 210 Fac-Similes 218 Ackermann’s Photogenic Drawing Box 227 „How to Commence Photography“ 236 Bilder der Selbsttätigkeit 241 Dynamisierung des Lebens um 1800 249 Experiment, Sammelobjekt, Frauenkunst 259 Untersuchungsgegenstand: Fotogramm 260 Getreue Kopien 271 Zeitvertreib, weiblich 283 Pflanzen, Spitzen und Kontur 294 „If I had been a man…” 306 Visuelle Medienkritik 311 Leaf Prints 334 Fazit 353 Literaturverzeichnis 363 Personenregister 401 Abbildungsnachweis 407 Dank 408 Einleitung Von Oktober 2010 bis Februar 2011 zeigte das Victoria & Albert Museum in London die Ausstellung „Shadow Catchers“, in deren Mittelpunkt Fotogrammarbeiten fünf zeit- genössischer Künstler/innen standen. Allen Werken war gemein, dass sie, ohne die Apparatur einer Kamera in Anspruch zu nehmen, in der Lage waren, Fotografien her- zustellen. Dass dies nach wie vor für allgemeines Erstaunen sorgte, bezeugt die Home- page des Ausstellungshauses: „The essence of photography lies in its seemingly magical ability to fix shadows on light-sensitive surfaces. Normally, this requires a camera. Shadow Catchers, however, presents the work of five international contemporary artists who work without a camera. Instead, they create images on photographic paper by casting shadows and manipulating light, or by chemically treating the surface of the paper. Images made with a camera imply a documentary role. In contrast, camera- less photographs show what has never really existed.“1 In diesem kurzen Text wird nicht nur ein zentrales Verständnis von Fotografie ange- sprochen, wonach zur Herstellung realistischer oder dokumentarischer Fotografien eine Kamera vonnöten sei. Zugleich wird das Fotogramm auch als medialer „Sonder- fall“ der Fotografie verhandelt. Im begleitenden Katalog und in Interviews mit dem Kurator, Martin Barnes, wird das vermeintlich Verstörende an dieser Präsentation betont: Das Fotogramm, so Barnes, sei im eigentlichen Sinne eine Technik des 19. Jahr- hunderts, die bereits kurz nach ihrer Erfindung im Jahre 1839 kaum angewendet worden und sodann in Vergessenheit geraten sei. Der Rückgriff zeitgenössischer Künstler/innen auf jene „archaische“ oder „primitive“ fotografische Methode ist somit als anachronistischer Akt zu verstehen, als ein Wiederauflebenlassen einer bereits ausgestorbenen Technik des 19. Jahrhunderts. In einer Zeit der synchronen Verwen- dung von digitaler, analoger und kameraloser Fotografie vermittelt die Technik des 1 http://www.vam.ac.uk (15.4.2018). 8 Einleitung Fotogramms demnach eine „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“.2 Zur Veranschau- lichung der historischen Ursprünge zeitgenössischer Fotogrammarbeiten wurden im Rahmen der Ausstellung Werke des 19. Jahrhunderts präsentiert. Durch diese visuelle Konfrontation erkannte man Arbeiten Anna Atkins’ oder William Henry Fox Talbots als fotogrammatische Ahnengalerie und diagnostizierte ihnen ein antimimetisches, auf aktuelle Positionen vorausweisendes Darstellungspotenzial. In formaler Hinsicht seien Fotogramme für Barnes mit indexikalischen Zeichen wie der Fußspur im Schnee oder fossilen Abdrücken vergleichbar, wodurch sie eine „Sprache der Ursprünglich- keit“ besäßen, die sich bis zu Handabdrücken der Prähistorie und somit bis zu den ersten Bildern zurückverfolgen ließe.3 Eine rezente Auseinandersetzung mit kamera- loser Fotografie bedeute insofern eine Rückkehr zu den „basalen Elementen der Foto- grafie“.4 Aufgrund der hier skizzierten Ausstellungsprogrammatik stellen sich mir jedoch folgende Fragen: Handelt es sich bei Fotogrammen im Allgemeinen tatsächlich um einen „Sonderfall“ der Fotografie? Kann eine strikte Trennlinie zwischen realis- tischer, dokumentarischer Fotografie und antimimetischen, abstrakten Fotogram- men gezogen werden? Inwiefern kann die Behauptung aufrecht erhalten werden, dass Fotogramme bereits kurz nach der Erfindung der Fotografie in Vergessenheit geraten seien, wenn durchaus fotogrammatische Bildbeispiele aus dem gesamten 19. Jahrhundert vorhanden sind? Wie verhält sich die Annahme einer „Ursprünglich- keit“ des Fotogramms zur Geschichtsschreibung beziehungsweise zur Begrifflichkeit von Fotografie? Erste Hinweise zur Klärung der skizzierten Problemfelder finden sich in zahl- reichen Überblickswerken zur Geschichte der Fotografie. Darin werden Fotogramm- arbeiten des 19. Jahrhunderts üblicherweise in den einführenden Abschnitten unter der Überschrift „Beginn“ oder „Vorgeschichte“ besprochen und um 1839, dem Jahr der „Erfindung“ der Fotografie, festgemacht.5 Ein vergleichsweise prominenter Hauptteil hebt sodann auf die Erzählung einer „eigentlichen Geschichte“ von Fotografie ab, die 2 Vgl. dazu: Ernst Bloch, Erbschaft dieser Zeit, Zürich 1935; Reinhart Koselleck, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt am Main 1989. 3 Martin Barnes, Traces. A Short History of Camera-less Photography, in: ders. (Hg.), Shadow Catchers. Camera-less Photography, Ausst.-Kat. Victoria & Albert Museum, London 2010, S. 10–17, hier S. 16. 4 Barnes 2010, S. 9. 5 Vgl. dazu unter anderem: Josef Maria Eder, Ausführliches Handbuch der Photographie, Bd. 1, Teil 1, 1. Hälfte: Geschichte der Photographie, Halle a. d. Saale 1932 (1932a); Erich Stenger, Die Photographie in Kultur und Technik. Ihre Geschichte während hundert Jahren, Leipzig 1938; Otto Stelzer, Kunst und Photographie. Kontakte, Einflüsse, Wirkungen, München 1966; Hel- mut Gernsheim, Geschichte der Photographie. Die ersten hundert Jahre, Propyläen-Kunst- geschichte, Sonderband 3, Frankfurt am Main 1983; Michel Frizot, Neue Geschichte der Foto- grafie, Köln 1998; Mary Warner Marien, Photography. A Cultural History, London 2010. Einleitung 9 sich aus der erfolgreichen Verbindung von Fotochemie und einer fotografischen Auf- nahmeapparatur entwickelte. Warum aber, so frage ich mich aufbauend auf Peter Geimers Untersuchung zu „absichtslosen Bildern“ und ihrem Ausschluss aus der Fotohistoriografie, ist für die Geschichtsschreibung der Fotografie die Konstruktion einer Vorgeschichte und einer davon zu differenzierenden eigentlichen Geschichte überhaupt notwendig?6 Oder anders gefragt: Welche Eigenschaften muss ein fotogra- fisches Bild aufweisen, um als Fotografie angesehen und somit in die Hauptgeschichte der Fotografie aufgenommen zu werden? Zieht man beispielsweise Geoffrey Batchens 1999 veröffentlichte Studie Burning with Desire. The Conception of Photography zu Rate, so finden sich darin Erläuterungen zum Fotogramm unter dem Aspekt einer „protofoto- grafischen“ Technik.7 Anhand dieser oftmals anzutreffenden Kategorisierung werden vor und um 1839 entstandene Fotogramme nicht als eigenständige Bilder untersucht, sondern in ihren auf die eigentliche Fotografie – und damit ist die Kamerafotografie gemeint – vorausweisenden Qualitäten. Kameralose Fotografien werden damit zu notwendigen, jedoch nicht weiter beachtenswerten „Vorarbeiten“ stilisiert. Es ver- wundert insofern auch nicht, wenn Batchen in seiner

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