Das Palais Stoclet in Brüssel Vom Garten Aus Betrachtet

Das Palais Stoclet in Brüssel Vom Garten Aus Betrachtet

Das Palais Stoclet in Brüssel vom Garten aus betrachtet Anette Freytag Als Josef Hoffmann (1870 – 1956) ein Jahr vor seinem Zaubergartens zu speisen.2 (s. Abb. 4) Das Zusammen- Tod den Stellenwert des zwischen 1905 und 1911 in spiel von Klimts Fries, Hoffmanns Architektur und Brüssel realisierten Palais Stoclet in seiner eigenen dem Mobiliar der Wiener Werkstätte haben diesen Karriere resümierte, erinnerte er daran, wie sehr die Speisesaal zu einem der berühmtesten Interieurs des europäischen Künstler um 1900 darauf drängten, eine 20. Jahrhunderts gemacht.3 Programmatisch verdeut- zeitgemäße künstlerische Gestaltung auf allen Gebie- licht er das Ziel der sich ab 1905 von der Wiener Seces- ten des geisti gen Lebens zu entfalten: „In allen Ländern sion absondernden Klimt-Gruppe, alle Bereiche des Europas wurde damals nach neuen Formen und Lösun- menschlichen Lebens mit Kunst zu durchdringen.4 Im gen eifrigst Umschau gehalten. […] Auf diesem müh- Palais Stoclet ist dieses Programm allgegenwärtig. Das samen Weg war der Bau des Palais Stoclet eine dan- Ensemble aus Haus, Interieur und Garten gilt als das kenswerte, besondere Möglichkeit der Entwicklung. Es Hauptwerk von Josef Hoffmann und der Wiener Werk- war die Absicht, dieses Haus nicht mehr nach den alten stätte, und es ist ihr einziges Werk, das bis heute in fast Methoden und Stilversuchen zu verwirklichen, son- allen Teilen so erhalten ist, wie es 1911 den Bauherren dern dem Leben und vor allem einem gesunden Leben übergeben wurde.5 mit all seinen neuen Bedürfnissen und geistigen und Der Financier Adolphe Stoclet (1871 – 1949) und materiellen Wünschen zu dienen.“1 Der Garten des Pa- seine kunstsinnige Frau Suzanne (1874 – 1949) hatten lais spielte bei der Verwirklichung dieses Gedankens Josef Hoffmann 1903 in Wien kennengelernt. Suzanne eine zentrale Rolle. Er ist einerseits Erweiterung des Stoclet war die Tochter eines belgischen Kunsthänd- Hauses, andererseits sein Pendant; er ist einerseits eine lers. Sie baute gemeinsam mit ihrem Ehemann Adolphe in sich geschlossene hoch ästhetisierte Welt, fast aus- eine Kunstsammlung auf, die am Ende ihres Lebens schließlich aus den Farben Grün-Weiß-Schwarz-Grau zu einer der bedeutendsten Privatsammlungen in Eu- komponiert, andererseits ein Ort zur körperlichen Er- ropa zählte.6 Das bei Josef Hoffmann und der Wiener tüchtigung: Das steinerne Wasserbassin nutzte die Fa- Werkstätte bestellte Haus sollte diese Kunstsammlung milie Stoclet als Schwimmbecken. In einem von Hek- beherbergen. Die Stoclets suchten immer nach dem Au- ken umfangenen Kabinett befand sich jahrzehntelang ßergewöhnlichen, sie wollten wenig bekannte Talente ein Tennisplatz (heute eine grüne Wiese) und vor dem aufspüren und seltene Objekte von hoher Qualität ent- Badezimmer im ersten Stock erstreckt sich eine große decken. Der Beginn einer künstlerischen Entwicklung Terrasse für die Morgengymnastik vor dem Bade. Im interessierte sie, charakterisiert durch eine besondere Haus und Garten der Familie Stoclet wurde eine durch Kraft des Suchens nach dem Neuen und einer gewis- und durch ästhetisierende Gestaltung mit einer mo- sen Rauheit und Sperrigkeit des Unausgereiften.7 Die dernen Formensprache und mit Einrichtungen für das frühen Objekte der Wiener Werkstätte fallen genau in moderne Leben verbunden. Haus, Inneneinrichtung diese Kategorie: neue, einfache Formen, Experimente und Garten bilden ein Ensemble: Vom Grundriss bis mit hochwertigen Materialien und dem Streben nach zum Silberlöffel wurde es gestaltet und ausgestattet hoher Qualität bei der Fertigung. von Josef Hoffmann und der Künstler- und Handwer- Adolphe Stoclet hatte die finanziellen Möglich- kervereinigung Wiener Werkstätte. (Abb. 1 bis 5) Den keiten, das künstlerische und gesellschaftspolitische Höhepunkt stellt der Speisesaal des Palais mit dem Programm der Wiener Werkstätte mit dem Bau dieses 1911 montierten dreiteiligen „Lebensbaum“-Fries von Ensembles zumindest ansatzweise zu verwirklichen, Gustav Klimt dar – eine Einlegearbeit in Marmor und seine Frau das dazu notwendige ästhetische Vermögen.8 ein Meisterstück angewandter Kunst, das dem gelade- Adolphe Stoclet war der erfolgreichste Vertreter einer nen Gast das Gefühl gibt, inmitten eines funkelnden Unternehmer- und Bankiersfamilie. Sein Engagement „Eine Stadt müssen wir erbauen, eine ganze Stadt!“ 221 Anette Freytag 1 Josef Hoffmann, Palais Stoclet, Brüssel, 1905 — 11 2 Josef Hoffmann, Palais Stoclet, Ansicht der Garten- fassade mit Terrasse, Wasserbasin mit Fontaine in Säulen form und zylinderförmigen, von Efeu über- wachsene Treil lagen, Brüssel, 1905 — 11 ging dabei weit über das bisherige Kerngeschäft seiner stadt anregen, sich intensiver mit der Rolle der Gärten Vorfahren – Finanzgeschäfte im Bereich der Eisenbahn und öffentlichen Freiräume auseinanderzusetzen. und Stahlindustrie – hinaus. Er finanzierte und beriet Elektrizitäts- und Telefongesellschaften, Versicherun- gen sowie eine Kaufhauskette – alles Unternehmen des Haus und Garten: eine Einheit — ihre städte- modernen Lebens. Modernste Errungenschaften finden bauliche Einbindung sich auch in der Ausstattung von Haus und Garten, wie eine Zentralheizung und Staubsaugeranlage mit einem Als Josef Hoffmann 1905 erstmals das Modell und ei- Sammelraum im Keller. Die Beleuchtung des Gartens nige Aquarelle seines Entwurfes für das Stoclet-Haus mit elektrischem Licht war 1911 äußerst ungewöhnlich und dessen Garten in der Wiener Galerie Miethke und beeindruckte viele Besucher. ausstellte, war kurz darauf in der Zeitschrift „Hohe Bis heute überraschen am Palais Stoclet die au- Warte“ zu lesen, dass an dem Modell dieses Ensembles ßergewöhnliche Mischung aus einer unglaublich mo- interessant sei, „daß es das Haus und den regelmäßig dernen, im Grunde zeitlosen Formensprache, lebens- geschnittenen Garten als architektonische Einheit hin- reformatorischen Ansätzen, und der prunkvollen, fast stellt“.10 Diese Einheit von Haus und Garten war ein anachronistischen Inszenierung des Ensembles, bei zentrales Merkmal des „architektonischen Gartens“, der Bildungsideale eine zentrale Rolle spielen. In die- eines Gartenstils, der ab der Jahrhundertwende als Re- ser Dualität stellen das Palais Stoclet und sein Garten formbewegung gegen den „landschaftlichen Garten“ ein einzigartiges Zeugnis einer Epoche am Wendepunkt von Gartenarchitekten wie Titus Wotzy, Albert Esch, zum modernen Leben dar. Aufgrund seiner Stellung in J. O. Molnar, Franz Lebisch, Otto Trauner und Archi- der Architektur- und Kulturgeschichte9 und seines Er- tekten wie Joseph M. Olbrich, Peter Behrens, Hermann haltungszustands wurde das Ensemble im Juni 2009 Muthesius, Henry van de Velde oder eben Josef Hoff- von der UNESCO in die Welterbeliste aufgenommen. mann vertreten wurde. Trotz der frühen Erkenntnis, Der vorliegende Artikel betrachtet dieses Ensemble dass das Stoclet-Haus und sein Garten als Einheit zu vom Garten aus, weil die Darstellung des vitalen Zu- betrachten seien, stellte man 1976 nur das Haus unter sammenhangs von Haus, Garten und städtebaulicher Denkmalschutz. Erst knapp 30 Jahre später, im Herbst Einbindung bei dergleichen Ensembles bisher in der 2005, wurde auch der Garten als denkmalwürdig an- Forschung immer noch selten über allgemeine Bemer- erkannt und geschützt.11 Der Stoclet-Garten ist heute kungen hinausgehen. Dieser Aufsatz möchte deshalb der am besten erhaltene und am besten dokumentierte auch für die Forschung zur Mathildenhöhe in Darm- Hoffmann-Garten. An seinem Beispiel lassen sich das 222 ICOMOS · Hefte des Deutschen Nationalkomitees LXIV Das Palais Stoclet in Brüssel vom Garten aus betrachtet 3 Josef Hoffmann und vermutlich Amelia Sarah Levetus, Palais Stoclet, Grundrisse bzw. ex-post Übersichtsplan von Haus und Garten, 1914 [ Pergolas im Gartenplan sind falsch gezeichnet, beiden fehlt ein Kompartiment] „Eine Stadt müssen wir erbauen, eine ganze Stadt!“ 223 Anette Freytag 5 Gedeckter Tisch im Frühstückszimmer, Silbergedeck, Entwurf: Josef Hoffmann, Brüssel, 1911 ( Zustand 1955) 4 Gustav Klimt, Lebensbaum-Fries, Palais Stoclet, Speisesaal, Brüssel, 1911 (­­Zustand 1982) für den „architektonischen Garten“ so charakteristische Werkstätte – nach Brüssel, um den Bauplatz zu studie- Zusammenspiel von Architektur und Pflanzen, aber ren.15 Das Grundstück muss eine Herausforderung für auch Hoffmanns ganz besondere Art, Räume, Prome- den Architekten gewesen sein. Es war polygonal und naden und Bilder zu komponieren, bestens studieren. lag genau an jener Stelle, wo die Avenue de Tervuren Der Dank der kontinuierlichen Pflege durch die Fami- zum Tal des Flüsschens Woluwe abfällt, und zwar am lie Stoclet seit seiner Errichtung nur wenig veränderte Ende eines ovalen Platzes, den die Avenue de Tervuren Garten ist daher für die Forschung von unschätzbarem einfasste. Um das Gefälle von 2,30 Metern in östlicher Wert, wenngleich er heute noch – wie auch das Haus – Richtung auszugleichen,16 musste das Terrain aufge- von der Familie vollständig von der Öffentlichkeit abge- schüttet und das Gebäude auf eine Terrasse gesetzt schirmt wird und nicht zugänglich ist. werden. Hoffmann platzierte es parallel zur Avenue Am 8. April 1905 kaufte Adolphe Stoclet ein Ter- de Tervuren und rückte es relativ nahe an die Straße rain an der Avenue de Tervuren am damaligen Stadt- heran, um so hinter dem Haus möglichst viel Platz für rand von Brüssel12 und ein knappes Jahr später, am einen vor allen Blicken geschützten Garten zu gewin- 2. April 1906, reichte er die vom Baubüro der Wiener nen. (s. Abb. 3) Die Achsen des Hauses wurden vom Werkstätte gestempelten

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