Kultur deutsche Hip-Hop-Alben, inzwischen über 200 000-mal, also stand es auf der Die Masche Liste. Doch es war auch eine Fachjury, die entschieden hat, dass »JBG 3« am Ende den Preis gewann – trotz der den Holo - Rap Der Jurastudent Felix Blume aus Hessen tritt als Kollegah auf un d caust verharmlosenden Zeile. rapp t Zeilen, die aus dem Fundus der Antisemite n stammen. Schon im Vorfeld der Verleihung hatte Sein Erfolg ist bedenklich, dass er den Echo bekam, ein Skandal. die Zeile Fragen aufgeworfen: Müsste man Kollegah und Farid Bang nicht die Nomi - nierung entziehen? Müsste man nicht ih - ren Auftritt beim Echo, der auf den Holo - caust-Gedenktag in Israel fiel, absagen? Die Echo-Verantwortlichen entschieden sich gegen beides. Nach dem Echo gaben da raufhin einige Künstler ihre Preise zu - rück, Marius Müller-Westernhagen etwa, der alle seine Echos nicht mehr haben woll - te, oder der Pianist Igor Levit (siehe Inter - view). Und mit alldem kam noch eine andere Frage wieder auf, mit der in den vergangenen Jahren schon viele journalis - tische Texte überschrieben waren – in der Art: Hat der deutsche Hip-Hop ein Anti - semitismusproblem? Spricht man über ein Auto, sollte man erst klären, ob es sich um einen SUV mit dickem Auspuff oder ein Elektroauto mit Ladekabel handelt. Deutscher Hip-Hop je - denfalls ist inzwischen, lange nach seinen ersten Erfolgen in den Neunzigerjahren, zu einem vielseitigen System gewachsen. Das zeigt sich zum Beispiel am Umgang mit Genderfragen: Es gibt zwar einen männlich bestimmten sexistischen Zweig, aber auch Rapperinnen wie das Duo SXTN, die eigentlich herabwürdigende Ausdrücke wie »Fotze« rückerobern und umdeuten. Es gibt im deutschen Hip-Hop jüdische Rapper wie Spongebozz, der ebenfalls für den Echo nominiert war, und es gibt Anti-Antisemitismus-Hymnen wie S E »Beate Zschäpe hört U2« der Polit rapper G A M Antilopen Gang. I Y T T Grenzüberschreitungen sind in einigen E G / Zweigen des Hip-Hops, etwa dem Gangs - S N R ta-Rap, der Ende der Achtzigerjahre unter E F D E anderem von der US-Gruppe N.W.A R / (»Fuck tha Police«) ins Leben gerufen wur - H C S N de, auch in der deutschen Spielart wichtige E O H Elemente dieser Form. Gangsta-Rap speist K N A sich vorwiegend aus einem Protest der R F Marginalisierten oder jener, die sich als Hip-Hopper Kollegah: Rappt auch vom »Hurensohn-Holocaust« solche empfinden, gegen bürgerliche Nor - men. Er feiert gern mal das, was verpönt ist oder verboten. Hier zählt Provokation; s war eine kurze Songzeile, die in Die Zeile stammt aus dem Song »0815« ein Ausdruck des Aufbegehrens, der nicht den vergangenen Wochen gleich des Hip-Hoppers Kollegah und seines Kol - neu ist, sondern eine Tradition in der Pop - E mehrere Debatten befeuerte und legen Farid Bang, der die Zeile rappte. kultur hat: Rock, Punk, Techno. über die sich unter anderem das Inter - 2017 veröffentlichten sie ihn auf einer Wie passt nun der Rapper Kollegah in nationale Auschwitz Komitee entsetzt XXL-Version ihres gemeinsamen Albums all das hinein? zeigte, eine Zeile, die aus einem Vergleich »Jung, brutal, gutaussehend 3« (»JBG 3«). Kollegah heißt mit bürgerlichem Namen besteht, der die Folgen körperlicher Selbst - Das Album war nominiert für einen der Felix Blume, ist 33 Jahre alt, Sohn eines optimierung und unmenschlicher Qualen w ichtigsten deutschen Musikpreise, den Kanadiers und einer Deutschen. Die El - auf eine schiefe Ebene stellt, die Grenzen Echo, in der Kategorie »Hip-Hop/Urban tern ließen sich scheiden, als er 6 war. Er des guten Geschmacks empfindlich über - National«. Nominiert werden hier auto - wuchs im Hunsrück auf, bei seiner Mutter, schreitend: »Mein Körper definierter als matisch die erfolgreichsten Alben. »JBG 3« die als Putzfrau arbeitete. Mit 15 konver - von Auschwitz-Insassen.« hatte sich 2017 besser verkauft als andere tierte er zum Islam, inspiriert von seinem 124 DER SPIEGEL Nr. 7: / 87. 9. 867; Stiefvater, der ihm den Spitznamen »Kol - studenten, ein Mangel an Realness in der er lässt in seinem Song »Sanduhr« den legah« gab. Er machte das Abitur und be - Szene vorgeworfen wurde. Aber er rappt Rapper Favorite zu Wort kommen, der gann ein Jurastudium in Mainz. natürlich nicht über seinen Angstschweiß sich der Theorie von einer angeblichen jü - Blume rappt seit fast 15 Jahren. Seine beim Büffeln von Paragrafen des Straf - dischen Weltverschwörung bedient: »Ich Musik ordnet er selbst dem Battle-Rap zu, gesetzbuchs, sondern provoziert in der leih dir Geld, doch nie ohne ’nen jüdischen einer Form, bei der es darum geht, mit Tradition des Gangsta-Rap: Er feiert das Zinssatz, äh, Zündsatz.« Wie die ARD-Do - Sprachgewalt Gegner zu dissen; allein auf Verbotene. Charakteristischer als Realness kumentation »Die dunkle Seite des deut - »JBG 3« fallen über 30 Namen gedisster ist für Kollegah die theatralische Über - schen Rap« aufzeigt, die einen Einblick in Personen. Der Diss, die Beleidigung, die inszenierung, das Auftreten als ein fast ins antisemitische Tendenzen in der deut - Provokation, in Kollegahs Rollenprosa zählt Groteske gezeichnetes, hypermaskulines schen Hip-Hop-Landschaft gibt, kämpft sie sehr viel, er teilt aus wie kaum ein ande - Super-Alter-Ego. In dieser Rolle ist er der Kollegah in seinem Video zu »Apokalyp - rer Rapper und hat damit Erfolg: Seine letz - »Boss«, ein starker Anführer, etwa im Song se« etwa gegen den Diener des Teufels – ten vier Alben waren Nummer-eins-Platzie - »Hardcore« auch »Imperator« und »Dik - und der trägt einen Ring mit Davidstern. rungen. Blume sagte von sich mal, er sei ein tator«, besser als die anderen, in jedem Das Böse wird als jüdisch markiert. Ähnli - »Selfmademil lionär« und ein »Vorbild«. che Tendenzen klingen in unterschied - Sein Geld hat er, der seinen Bizeps gern vor lichen, in jedem Fall mit Genauigkeit zu der Kamera zeigt, auch mit einem Fitnes - Weil er es versteht, begutachtenden Formen auch bei Rappern sprogramm verdient, der »Bosstransforma - wie Bushido oder Haftbefehl an. maximal zu provozieren, tion«, die man online buchen kann. Es ist also nicht so, dass die Zeile aus Zum Muskelimage passt sein Sound, der ist er auch so erfolg- »0815« ein Einzelfall wäre. Und doch strei - oft derb und schnell ist, Kollegah ist auch reich bei Jugendlichen. tet Kollegah selbst den Vorwurf des Anti - für seine Raptechnik berühmt. Seine Texte semitismus ab, sagt von sich, er sei »kein handeln vor allem von Kollegahs Erfolgen, Rassist«. Im Zuge der vor dem Echo ge - seiner überbordenden Fitness, von einem Fall. Und besser kann vieles heißen: er - führten Debatte postete er auf Facebook: grenzüberschreitenden Umgang mit Ge - folgreicher, männlicher, muskulöser, aber »Ab jetzt auf Lebenszeit freier Eintritt auf walt und Sex (»Dein Chick ist ’ne Broke- auch krasser dissend, menschenverachten - jedes Konzert für alle unsere jüdischen Ass-Bitch, denn ich fick’ sie, bis ihr Steiß - der. In »0815« zum Beispiel gegen Rapper Freunde!« Eine größenwahnsinnig, fast bein bricht«), von Drogen und Reichtum, wie Bushido oder Sido, aber auch in Bezug irre anmutende Geste, um zu zeigen, dass oft versehen mit sogenannten Punchlines, auf Frauen. »Du bist Boss«, heißt es in Kol - er kein Antisemit sei. pointierten Zeilen, auch als Wortwitz legahs gleichnamigem Song, »… wenn du »Ich sehe bei Kollegah schon eine Ma - (»Dein Tape gibt’s nicht bei Amazon, son - all die Blicke siehst der Menschen, doch sche am Werk«, sagt Professor Uffa Jensen dern bei ArmerNuttensohn«). In seinem kein’ Fick gibst, was sie denken.« vom Berliner Zentrum für Antisemitismus - Werk bedient er sich dabei Codes, die im Die Auschwitz-Zeile aus »0815« nun ist forschung. »Eine Masche, mit der er Geld Hip-Hop nicht neu sind. Zwar pocht er nicht die erste eines Kollegah-Songs, die verdient. Er spielt immer wieder auf anti - auch mal auf das, was in der Szene »Real - den Holocaust verharmlost. In anderen semitische Versatzstücke an und entschul - ness« heißt, aufs »Wirklichsein«, darauf Songs rappt er von der »Endlösung der digt sich dann hinterher scheinheilig. Er also, dass seine Geschichten glaubwürdig Rapperfrage« oder von einem »Huren - versucht sehr geschickt, Aufmerksamkeit seien (etwa in »Alpha« oder »Genozid«), sohn-Holocaust«, er nutzt auch dieses Vo - zu generieren mit solchen Textzeilen, die obgleich oder gerade weil ihm, dem Jura - kabular des Horrors, um zu dissen. Oder sicher auch auf ein bisschen fruchtbaren Musik Der Pianist Igor Levit über die Gründe, die ihn SPIEGEL: Was hätte der Beirat aus Ihrer Sicht leisten müssen? zur Rückgabe seines Echo Klassik bewegten Levit: So ein Beirat muss auch die Größe besitzen zu sagen: Ja, wir sind ein kommer - zieller Verein, aber wir sind auch verant - »Diese Worte sind Gift« wortlich für gesellschaftliches Klima. Wenn die Echo-Verantwortlichen das nicht sind, dann sollen sie es sagen. Dann sollen sie Nach dem Echo für die Rapper Kollegah und SPIEGEL: Sie haben auf Twitter geschrie - sich aber auch nicht das Label »Kultur« auf Farid Bang gab eine Reihe von Musikern aus ben, die Vergabe des Echo an Kollegah die Stirn kleben. Interview: Jurek Skrobala Protest gegen die Entscheidung ihre Echos und Farid Bang sei auch ein »Ausdruck zurück. Darunter der deutsch-russische Pia - für den derzeitigen Zustand unserer Ge - nist Igor Levit, 31, der 2014 mit dem Echo sellschaft«. In welchem Zustand befindet Klassik ausgezeichnet worden war. sich die Gesellschaft denn? L A C I Levit: In einem Zustand, in dem seit Jah - S S A SPIEGEL: Herr Levit, wieso haben Sie den ren Konsens verschoben wird. Grenzen, L C Y Echo zurückgegeben? über die man sich einig war, die nicht über - N O S / Levit: Weil sich die Echo-Verantwort - schritten wurden, werden zerstört: Du G R E lichen mit ihrer Entscheidung, eine mora - trittst den Holocaust nicht mit Füßen; aus B N E lische Entgleisung zu ehren und sie da - welchen Gründen auch immer. Der Echo H O H durch zu legitimieren, in eine Ecke gestellt ist ein Symptom.
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