Verfolgung Als Politische Erfahrung Hamburger Sozialdemokraten Nach 1945

Verfolgung Als Politische Erfahrung Hamburger Sozialdemokraten Nach 1945

Verfolgung als politische Erfahrung Hamburger Sozialdemokraten nach 1945 Helga Kutz-Bauer/Holger Martens Impressum Helga Kutz-Bauer/Holger Martens: Verfolgung als politische Erfahrung. Hamburger Sozialdemokraten nach 1945. Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten Hamburg (AvS) Hamburg 2013 Gestaltung, Layout: Sebastian Mietzner Druck: Bergmann & Sohn KG, Hamburg Copyright: AvS c/o SPD Hamburg ISBN: 978-3-929728-76-7 Diese Publikation wurde durch die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration, Freie und Han- sestadt Hamburg. gefördert. Die AvS dankt auch der Familie Tormin und dem Parteivorstand der SPD für Unterstützung. Abbildungen Titelseite von unten rechts nach oben links: Elsbeth Weichmann 1987; Identification card for political prisoner Rudolf Gottschalk und Elsbeth Gottschalk; daneben Willy Brandt mit Paul Nevermann (li) und Alfred Nau (re) in Hamburg, 1961; darüber Kurt Schumacher; Fahnen Reichsbanner (klein) und Falken. Rückseite links: Sommer 1948 Außenminister Anthony Eden (m) mit Sir Vaughan Berry (li) und Max Brauer (re); Büro der SPD Landesorganisation ca. 1946; zerstörtes Hamburg Rückseite rechts: Karl Meitmann (re) im Büro mit einem Mitarbeiter; Umzug 1946; Kinder malen AWO-Emblem Helga Kutz-Bauer/Holger Martens „Verfolgung als politische Erfahrung. Hamburger Sozialdemokraten nach 1945.“ 1. Nach der Verfolgung 7. Mandatsträger und Funktionäre Seite 5 Seite 67 Mit Karl Meitmann, Hans Podeyn, Adolph 2. Rückkehrer aus der Emigration Schönfelder, Dr. Herbert Ruschweyh, Walter Seite 9 Schmedemann, Louis Sellmer, Heinrich Eisen- barth, Paul Nevermann, Johannes Richter Mit Herbert und Elsbeth Weichmann, Max und Erna Brauer, Herbert Wehner, Peter Blachstein, Herbert Pardo 8. Sozialdemokraten im öffentlichen Dienst Seite 79 3. Geflüchtete Sozialdemokraten Mit Otto Grot – ein Beitrag von Herbert Seite 19 Diercks. Jonni Schacht,Gustav Nülk Mit Gerhard Brandes und Charlotte Brandes, Alfred Metz, Arthur Mertins, Max Sommer- 9. Gewerkschafter feld Seite 87 Mit Adolph Kummernuss, Heinrich Davidsen, 4. Die zweite Verfolgung: Ehemals verfolgte Heinrich Steinfeldt, Paul Bebert, Max Jäger Sozialdemokraten fliehen vor NKWD/ SED Seite 29 10. Einfache Parteimitglieder Seite 95 Mit Gustav Dahrendorf, Albert u Peter Schulz, Max und Gerhard Fank Mit George Ehrlich und die Altonaer Grup- pe, Albert Blankenfeld und die Barmbeker Gruppe, 5. Familien: verfolgt und gemeinsam Wilhelm Ropers, Helmut Weidt u.a. politisch aktiv: Seite 39 11. Die Arbeiterjugend Mit Elisabeth und Heinrich Ostermeier, Seite 99 Reinhard u Gerda Kohn , Hermann, Kurt und Rudolf Saalfeld, Brüder Raloff, Adolf und Irma Mit der Eimsbütteler Gruppe: Julius Willem- Keilhack, Paula und Carl Karpinski sen, Friedrich Börth und weiteren Gruppen, besonders in Winterhude/Barmbek: Heinz Gärtner, Willy Tiedt, Karl Strutz, Ernst Weiß 6. Starke Frauen und Arnold Hencke (Eimsbüttel-Nord) Seite 55 Nachwort Seite 105 Mit Marta Damkowski, Ida Feist, Luise Gab- riely, Hedwig Günther, Emmi Kalbitzer, Anna Abkürzungen der Autoren und Autorinnen in Kothe, Annie Kienast, Gertrud Lockmann, der Datenbank Seite 107 Erna Mayer, Erna Mros, Johanna-Reitze , Gesa Schneider, Käthe Strutz, Grete Zabe Die Autoren Seite 107 Photonachweis Seite 114 Seite 1 Seite 2 Vorbemerkung In der vorliegenden Schrift werden Lebensgeschichten von ehemals Verfolgten ge- schildert, die nach 1945 politisch oder beruflich ein „Neues Hamburg“1 mitbegründet haben. Es werden nicht nur bekannte Persönlichkeiten der Politik dargestellt – über diese gibt es reichlich Information – sondern auch die eher Unbekannten. Auch geht es nicht nur um eine Auflistung von Lebensgeschichten, sondern um die biografische Rekonstruktion von Gemeinsamkeiten, von Kollektiven. Je ein ganzes Kapitel ist den Familien gewidmet, eines den Frauen, die eigenständig im Widerstand aktiv waren, denn die Schicksale der Frauen von Verfolgten geraten nur zu häufig aus dem Blick, ebenso wie das, was ihre Kinder erleben mussten. Kinder und Jugendliche, die zwischen 1925 und 1935 geboren wurden, haben mehr wahrge- nommen, als man allgemein annimmt. Ein Beispiel unter vielen sind die Erinnerungen von Thea Schönfelder2 , der Tochter des ehemaligen Senators, die in nur einem Satz formuliert, was die Solidarität der Ehefrau für den Verfolgten bedeutete:„Und immer abhängig von der unermüdlichen, tragenden Liebe seiner Frau“. Auch die Frauen, die mit emigrierten, die selber aktiv im Widerstand waren, die ihren Lebensgefährten oder Ehemann bei seinen Aktivitäten unterstützten, werden wenn überhaupt, nur zur Kenntnis genommen, wenn sie eine politisch herausragende Rolle gespielt haben. Und wer erinnert sich noch an die sozialdemokratischen Flüchtlinge aus den Ostgebie- ten oder der damaligen Ostzone, deren Verfolgungserlebnisse häufig in Vergessenheit geraten sind trotz der Bedeutung, die diese Nicht-Hamburger für den Wiederaufbau der Demokratie in Hamburg hatten. Wenn man näher hinschaut, so zeigen sich bei den Viten ehemals Verfolgter auffälli- ge Gemeinsamkeiten, die Gliederung in Kollektiven machte das in besonderer Weise deutlich: • Sozialistische Orientierung schon in der Adoleszenz • Soweit Alter oder Funktion es zuließen, waren die Männer seit der Gründung 1924 Mitglieder des Reichsbanners • Überwiegend Herkunft aus einer sozialdemokratischen Familie und Verfolgungs- schicksal mehrerer Familienmitglieder: „Bei einigen Familien gehörte zum Stamm- buch auch das rote Parteibuch…“3 • Starke Aufstiegsorientierung gekoppelt mit Streben nach Bildung und (auch kultu- 1 „Neues Hamburg. Zeugnisse zum Wiederaufbau der Hansestadt“ war der Titel der umfangreichen 15 Hefte, die Erich Lüth zwischen 1947 und 1965 herausgab. 2 Erinnerungen Thea Louise Schönfelders, in: Bake, Rita, Der Garten der Frauen, Nachtrag/ Aktualisierung 2011 3 Oldenburg, Christel: Tradition und Modernität. Die Hamburger SPD von 1950-1966, Hamburg 2009, S. 107ff Seite 3 reller) Weiterbildung. In den Lebensberichten wird mehrfach die Heimvolkshoch- schule Tinz4 erwähnt. Der Besuch von Halbjahres- bzw. 5-Monatskursen war für aufstiegs- und bildungswillige junge Sozialdemokraten offenbar ein Traumziel. • Damit verbunden die Wertschätzung von Büchern, oft in Erinnerungen genannt als der schlimmste Verlust in der NS-Zeit • Unfähigkeit, über belastende Erlebnisse der Verfolgung zu sprechen – häufig war das erst nach Jahren möglich • Widerstandsaktivitäten in den ersten Jahren nach 1933, dazu gehörten nicht nur Schriftenverteilung, sondern auch Sammeln von Geldern, juristische Hilfen für Verfolgte vor Gericht, Kontakte zu den in die Emigration Geflüchteten, Weitergabe von Informationen über die Lage in Deutschland (SoPaDe) • Unter zunehmendem Druck oder nach der ersten Verhaftung: Verlagerung des Wi- derstands von der äußeren Aktivität zu unauffälligen Verhaltensweisen – Verwei- gerung, Selbstbehauptung, Eigensinn - Dissens5 unter Beibehaltung der Kontakte im sozialdemokratischen/z.T. kommunistischen Milieu Für die vorliegende Schrift waren biografische Beiträge aus der Schrift „Für Freiheit und Demokratie“6 und aus der Datenbank der AvS Hamburg7 (im Folgenden zitiert als : Datenbank AvS), die Hamburger Frauenbiografien-Datenbank8 (zitiert als Frau- enbiografien) sowie Interviews und eine Vielzahl von Publikationen die Grundlage. Zu danken ist Herbert Diercks für dessen Beitrag über Otto Grot, der auf neuen Archivfor- schungen beruht. Ebenso der Arbeitsgruppe für die Digitalisierung des SPD-Archivs, insbesondere Helmut Raloff, Heino Bade, Carmen Smiatacz. Helga Roepert für aus- führliche Recherchen. Außerdem den Familien Fank, Kohn, Metz/Raloff, Ostermeier, Saalfeld und anderen für Auskünfte und Fotos. In jedem Kapitel wird eine Person oder eine Familie besonders detailliert dargestellt, deren familiärer Hintergrund bzw. Lebenslauf als typisch oder herausragend für die jeweilige Gruppe angesehen werden kann. 4 Die Heimvolkshochschule Tinz, 1919 gegründet, bot Halbjahreskurse für junge Menschen, denen die Möglichkeit ge- boten wurde, sich umfassende Kenntnisse in Geschichte, Politik, Wirtschaft usw. zu erwerben. Sie sollte parteipolitisch nicht gebunden der ganzen Arbeiterbewegung dienen. 5 Schneider, Michael: Politischer Widerstand? : Dissens im Alltag des „Dritten Reichs“, Friedr.-Ebert-Stiftung , Ge- sprächskreis Geschichte Nr. 86, 2010 PDF http://library.fes.de/pdf-files/historiker/07664.pdf 6 SPD Landesorganisation Hamburg (Hg.): Für Freiheit und Demokratie: Hamburger Sozialdemokratinnen und So- zialdemokraten in Verfolgung Widerstand 1933-1945, 2003; als PDF siehe http://www.spd-hamburg.de/cms/index. php?id=1463 7 http://verfolgte.spd-hamburg.de/cms-biographien/biographien/ (Datenbank der AvS Hamburg) abgerufen 24.10.2012 8 http://www.hamburg.de/clp/frauenbiografien-suche/clp1/ (Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg) abge- rufen 24.10.2012 Seite 4 1. Nach der Verfolgung Frühjahr 1945: Hamburg in Trümmern, die Alliierten rücken vor. Einzelne und Reste der sozialdemokratischen Widerstandsbewegung hatten begonnen, sich zu sam- meln. Viele konnten nicht mehr dabei sein: die in Krieg oder Bombenkrieg Umgekomme- nen, Genossen und Genossinnen, die ermordet wurden, manche von ihnen auch als Sozialdemokraten jüdischer Herkunft. Sie wurden hingerichtet, in den Tod getrie- ben, nahmen sich aus Verzweiflung in der Haft das Leben, starben elendig beim Un- tergang der Cap Arcona oder fanden in den berüchtigten Bewährungsbataillonen ihren Tod. Fast 200 waren das, und mehr als eineinhalbtausend Sozial- demokraten, die allein in Hamburg unter Verfolgung und Haft gelitten

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