44 Industriekultur 2.18 · Industriegeschichte Industriegeschichte · Industriekultur 2.18 45 Kunsthandwerks. Alle Werke, mit denen gesägt, poliert, geschliffen und gehämmert, Edelsteine geschnitten ¿Literatur oder Hadern für Papier gestampft wurden, konnten hier • Franz Häußler, Stadtwerke mit Wasserrädern angetrieben werden. Um 1550 zählte Augsburg Wasser GmbH (Hrsg.): man rund 40 wasserkraftgetriebene Fertigungsprozesse. Wasserkraft in Augsburg, Context Verlag, Augsburg 2015 • Martin Kluger: Augsburgs historische Wasserwirtschaft – der Weg zum Fabrikschlösser an den Lechkanälen Unesco-Welterbe, Context Verlag, Augsburg 2015 Zwar waren im vorindustriellen Augsburg wegen des • Stadt Augsburg (Hrsg.): Augsburg geringen Gefälles nur unterschlächtige Wasserräder mit und die Wasserwirtschaft. Studien geringer Effizienz im Einsatz. Dennoch waren Lechkanäle zur Nominierung für das Unesco- und Quellbäche der Grund dafür, dass sich südlich, öst- Welterbe im internationalen Vergleich, Context Verlag, Augsburg 2017 lich und nördlich der Stadt riesige Fabriken ansiedelten: Industrielle aus dem wasserarmen Franken, aus Altbaiern, Württemberg und dem Elsass bauten ihre Fabrikschlösser an den „Lechen“. Den Anfang machte Friedrich Merz, der eine 1834 in Nürnberg gegründete Textilfabrik (wo ein Ochsen-Göpel die einzige Antriebskraft war) 1836 an den Schäfflerbach im heutigen Augsburger Textilviertel verlegte: So entstand die Augsburger Kammgarnspinne- rei (AKS), deren Bauten nun das Staatliche Textil- und Industriemuseum Augsburg beherbergen. 1839 ersetzte die Neue Augsburger Kattunfabrik am Sparrenlech ein Wasserrad durch Augsburgs erste Wasserturbine. Schlag auf Schlag folgten weitere Fa- brikgründungen. Im Werk I der Mechanischen Baum- Fabrikkanäle an Lech und Wertach: wollspinnerei und Weberei Augsburg am Proviantbach übertrugen seit 1840 zwei Jonval-Turbinen die Kraft des Triebwassers über Transmissionsriemen und Seilgänge Basis der frühen Industrie in Augsburg auf Maschinen. Augsburg wurde ein Zentrum der Textil- produktion und des Maschinenbaus. 1847 ersetzte die C. Reichenbach’sche Maschinenfabrik, ein Vorläufer der 1836 begann die Industrialisierung Augsburgs. Das Wasser von Gebirgsflüssen und Quellbächen trieb in den MAN, ihr Wasserrad durch eine Turbine aus der eigenen Fabriken die Wasserräder und erste Turbinen an. Und es lockte Industriepioniere aus dem süddeutschen Werkstatt. Da eine Fabrik nach der anderen auf die neue Antriebstechnik setzte, lieferte das 1857 in eine Aktien- Raum in die Stadt. Heute gehört das etwa 155 Kilometer lange Kanalnetz mit den kleinen Kraftwerken zu gesellschaft umgewandelte und in Maschinenfabrik den Attraktionen Augsburgs auf seinem Weg zum Unesco-Welterbe. Martin Kluger Augsburg umbenannte Unternehmen in den folgenden fünf Jahren 28 Turbinen aus. Mancher Abnehmer lag in direkter Nachbarschaft – wie die Papierfabrik Haindl (heute UPM Kymmene), die 1864 ihre Wasserräder Die bayerische Großstadt Augsburg bewirbt sich mit ihrer nicht verfehlen: Zu deutlich hoben sich die Flüsse von durch eine in Augsburg hergestellte Turbine ersetzte. historischen Wasserwirtschaft für das Unesco-Welterbe der verschneiten Winterlandschaft ab. Die Antriebskraft für dieses jahrhundertealte Gewerbe- (siehe IK 1.16, S. 4). Ungewöhnlich ist die lange histori- Diese Lage hatte sich zuvor als Segen erwiesen. zentrum lieferten der Stadtbach, der Schäfflerbach und Links • www.augsburg.de/kultur/ sche Kontinuität bei diesem Thema: So werden für die An dieser strategisch bedeutenden Stelle gründeten die der Malvasierbach – Kanäle, in denen Wasser aus den welterbe-bewerbung/ Bewerbung Dokumente, Relikte und Denkmale aus der Römer die Stadt. Schon die ersten Karten Augsburgs Lechanstichen und Quellbächen strömte. • www.augsburg-tourismus.de/ Zeit zwischen 1276 und 1922 einbezogen. Ab 2019 und der Region, die ab 1544 gedruckte „Cosmogra- welterbe könnte das Ensemble offiziell als Welterbe anerkannt phia“ Sebastian Münsters ebenso wie eine der 1568 werden. Anders als die zehn denkmalgeschützten Was- erstmals gedruckten „Bairischen Landtaflen“ Philipp Vom Flüsschen zum Fabrikkanal serkraftwerke spielen die Industriekanäle bei der Be- Apians zeigten den markanten Zusammenfluss von Um die Dimensionen zu verdeutlichen: Die Mechanische werbung nur indirekt eine Rolle. Die Kanäle sind auf den Lech und Wertach. Damals schob sich noch das Flüss- Baumwollspinnerei und Weberei am Proviantbach und oben: Ein Stadtplan von 1905 Arealen der Maschinenbau- und Papierfabriken nicht chen Singold zwischen die Wertach und die Stadt und Hanreibach war 1840 der erste große Fabrikbau Bay- zeigt das vollständige System der Lech- und Wertachkanäle in den öffentlich zugänglich und die Kanalläufe werden immer mündete nördlich davon in den Lech. Der Wasserreich- erns gewesen. Die 1851 gegründete Baumwollspinnerei Stadtgrenzen von Augsburg. Die wieder erneuert. Der Bedeutung der weitläufigen, bis tum von Lech und Wertach, die Singold und die reichen am Stadtbach wurde dank reicher Wasserkraft 1874 die dort rot markierten Areale zeigen heute intensiv genutzten Kanallandschaft an Lech und Grundwasserströme im voralpinen, hunderte Meter tie- größte Spinnerei Deutschlands. Die nahe mechanische die teils riesigen Fabrikensembles, die jeweils an den Kanälen errichtet Wertach für die frühe Industrialisierung Augsburgs tut fen Molassegestein unter dem Lechfeld ermöglichten Werkstätte des Augsburger Industriepioniers Ludwig wurden. Der Lech vor Augsburg war dies keinen Abbruch. Inzwischen werden sogar die un- Augsburgs Aufstieg zur süddeutschen Metropole des August Riedinger fertigte ab 1870 eiserne Wasserräder, damals noch ein ungebändigter, oben: Das Kraftwerk der L. A. terirdisch verlaufenden Kanäle erforscht (siehe S. 63). und bis 1909 wurden in den Fabrikhallen am Senkelbach vielarmiger Gebirgsfluss. Riedinger Maschinen- und Bronze- Karte: Martin Kluger, Context warenfabrik am Senkelbach ist In der „Augsburger Bombennacht“ zum 26. Februar Turbinen und Wasserkraftanlagen konstruiert. Obwohl Verlag Augsburg eine von 40 Wasserkraftanlagen, 1944 hatten zwei Luftangriffe der Royal Air Force die die L. A. Riedinger Maschinen- und Bronzewarenfabrik die heute an den Fabrikkanälen in alte Stadt in Schutt und Asche gelegt. Wegen seiner (später MAN Roland) in der Nachbarschaft der Maschi- unten: Zwischen der 1996 abgebrochenen Baumwollspinne- Augsburg Strom erzeugen. Bedeutung als Industriestandort war Augsburg ein nenfabrik Augsburg lag, strömte Wertachwasser durch Foto: Martin Kluger, Context rei am Stadtbach (oben rechts, Verlag Augsburg wichtiges Angriffsziel. So waren bei Messerschmitt den Senkelbach. In den parallel fließenden Gebirgsfluss dieses Areal gehört heute zur erste Düsenjäger konstruiert worden, die Maschinen- war das Mühlenflüsschen Singold (auch: Sinkel oder benachbarten Papierfabrik), der rechts: Im Norden der Stadt werden fabrik Augsburg-Nürnberg (MAN) baute Dieselmotoren Senkelbach) 1588 bei einem Hochwasser eingebro- Maschinenfabrik Augsburg (heute die Fabrikkanäle im Nördlichen MAN) und der Papierfabrik Haindl Lechkanal zusammengeführt; für Schiffe und U-Boote. Zum Verhängnis wurde der chen. Um die Getreidemühlen am nunmehr trockenge- (heute UPM Kymmene) verlaufen parallel dazu verläuft das – auf Stadt auch ihre Lage zwischen Lech und Wertach. Trotz fallenen Oberlauf des Flüsschens wieder mit Wasser- noch immer der Malvasierbach, der dem Foto wasserarme – Bett des strikter Verdunkelungsmaßnahmen konnten die angrei- kraft zu versorgen, wurde flussaufwärts ein Anstich der Stadtbach, der Schäfflerbach und Flusses Lech. der Proviantbach. Foto: Hajo Dietz, Nürnberg fenden Bomberverbände Augsburg wegen der Lage im Wertach gegraben und das dort aufgestaute Wasser ins Karte: Martin Kluger, Context Luftbild V-förmigen Mündungsdreieck von Lech und Wertach alte Bett der Singold geleitet – der erste Wertachkanal Verlag Augsburg 46 Industriekultur 2.18 · Industriegeschichte Industriekultur in den Regionen · Industriekultur 2.18 47 Industriekultur in den Regionen Elemente erhalten bleiben, hieß es. Gelöst werde dies mit einem Raum-im Baden-Württemberg Raum-Konzept. Im Juni 2018 soll alles fertig sein, schrieb der Mannheimer Morgen im Januar 2018. Etwa 2010 hatte die Bahn mit ihrer Fahrleitungsmeisterei den Heidelberg Lokschuppen verlassen. Viele Jahre haben sich die Bürger-Interessen- Gemeinschaft Lindenhof und andere Vereine für den Erhalt die- Was passiert im ehemaligen Bahnbetriebswerk? Der Lokschuppen ser Bauten eingesetzt, schrieb Barbara Ritter auf der Internetseite des ehemaligen Bahnbetriebswerkes in Heidelberg ist seit langem eine rhein-neckar-industriekultur.de. Ein dritter Bau sei schon 2009 von einer kuriose Ruine – andere Gebäude der 1927 eingeweihten Anlage aber sind Bürgerinitiative abgetragen und für einen erneuten Aufbau eingelagert mit Leben erfüllt. So haben die Betreiber des umgebauten Wasserturms worden: eine kleine, vermutlich um 1900 entstandene Fahrzeughalle, (www.tankturm.de, siehe IK 1.18, S. 36) die ehemaligen mechanischen zuletzt als Schmierstofflager genutzt. Sie wies eine besonders detail- Werkstätten des Betriebswerkes (Am Bahnbetriebswerk 5) nach eigenen lierte Fassade auf, musste aber der neuen Glücksteinallee weichen. S.B. Angaben 2017 instandgesetzt und bieten sie als Veranstaltungsort an. Da- bei blieben in der Schlosserei, Blechnerei und anderen Werkstatträumen die Atmosphäre und historische Details erhalten. In der Nachbarschaft, Am Bahnbetriebswerk 3, ist seit 1983 die Heidelberger Werkstattschule ansässig, welches das denkmalgeschützte
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