Herbert Nikitsch, Bernhard Tschofen (Hg.) Volks kunst Volkskunst Buchreihe der Österreichischen Zeitschrift für Volkskunde Herausgegeben von Klaus Beitl Neue Serie Band 14 Umschlaggestaltung unter Verwendung eines Textausschnittes von Herbert Stubenrauch und Wilhelm Fraenger: Vorwort. In: Wilhelm Fraenger {Hg.): Vom Wesen der Volkskunst Jahrbuch für Historische Volkskunde, Bd. 2, Berlin 1926, S. VII. Volkskunst Referate der Österreichischen Volkskundetagung 1995 in Wien Im Auftrag des Vereins für Volkskunde in Wien und des Österreichischen Fachverbands für Volkskunde herausgegeben von Herbert Nikitsch und Bernhard Tschofen Wien 1997 Selbstverlag des Vereins für Volkskunde Wien 1997 Alle Rechte Vorbehalten Selbstverlag des Vereins für Volkskunde Druckvorlage: Herbert Nikitsch und Bernhard Tschofen Institut für Volkskunde der Universität Wien Umschlaggestaltung: A + H Haller, Wien Druck: Novographic, Wien ISBN 3-900 358-11-7 Inhalt 9 Vorwort 13 Bemward Deneke Volkskunst und nationale Identität 1870 -1914 39 Konrad Köstlin „ Volkskünste “ Ästhetische Programmatik in Lebensentwürfen der zwanziger Jahre 55 Nina Gorgus Die deutsche Volkskunde und die Volkskunst Der Prager Kongreß 1928 und die CIAP 67 Elisabeth Katschnig-Fasch Eine Geschmacksfrage 85 Ronald Lutz Das Chaos, die Kunst und das Volk! 103 Bernhard Purin „ Wo ein jüdisches Herz wirklich ausruhen kann... “ Notizen zur jüdischen Volkskunst im Museum 125 Kincso Verebelyi Stilfragen in der Volkskunstforschung. Mit ungarischen Beispielen 133 Hermann Steininger Volkskunst in Niederösterreich. Von den „schönen Dingen ihrer Funktion, dem Wertewandel und neuer Ästhetik 149 Editha Hörandner Wa(h)re Volkskunst 161 Nicole Kuprian Bett-Textilien - buntkariert. Ein Gebrauchsgegenstand zwischen ‘ Volkskunst, Hausfleiß und Hausindustrie ’ 6 Inhalt 181 Bärbel Kleindorfer-Marx Funktionalisierte Volkskunst. Serienproduktion von Bauernmöbeln 1935-1945 201 Wolfgang Brückner Der Wiener Mädel-Maler Hans Zatzka und die Kunst für das Volk 235 Gertraud Liesenfeld Zwei Volkskünste? Zur Rezeption der „ Viechtauer Hausindustrie “ und ihrer Erzeugnisse. 243 Simone Wömer Volkskunst in der Langen Reihe. Inventar einer Hamburger Straße 261 Bernhard Tschofen Volkskunst, Krieg und Gedächtnis. Anmerkungen zu einem diskursiven Mißverständnis 281 Regina Bendix Gartenästhetik. Anmerkungen zum Umgang mit Außenräumen in den USA 301 Martin Heller Werbung als Volkskunst. Ein Beitrag zur Fragwürdigkeit des Begriffs und der Sache 331 Reinhard Johler Die Kunst, das Volk und seine Kultur. Miszellen zur rezenten Volkskunst-Debatte in Österreich 365 Ulrike Langbein Das Poesiealbum. Eine ästhetische Praxis und mehr 379 Gottfried Korff Einstein, Prinzhorn, Geist. Nichtvolkskundliche Ansätze zu einer Volkskunst-Theorie der Zwischenkriegszeit 391 Martin Wömer Klassische Moderne und Volkskunst Inhalt 7 417 Martin Zeiller „ The Mouse that ’s me “ (Claes Oldenburg). Über den Fundus populärer Ästhetik in der Moderne 437 Barbara Lang Urbane Volkskunst? Graffiti zwischen Selbst- und Fremdinterpretation 449 Dieter Schräge Warum Graffiti schwerlich eine Sachbeschädigung sein können 455 Autoren und Herausgeber 457 Abbildungsverzeichnis Vorwort Ein Wiener Tätowierer, einer der angesehensten seiner Zunft, äußerte sich im Rahmen eines Besuches von Volkskundlern programmatisch: Tattoos mit kleinen Drachen, Totenköpfen und Blumen, wie sie jetzt modern seien, pflege er „Trachten“ zu nennen, denn sie seien „nichts anderes als in Ideologie erstarrte Konvention“. Wären die kleine Bege­ benheit und der dezidierte, vor einigen Teilnehmern der Österreichi­ schen Volkskundetagung 1995 zum Besten gegebene Säger nicht wahr, könnten sie für dieses Vorwort erfunden sein. Denn der Satz von den Trachten-Tattoos zielt auf eine Kernfrage dieses Bandes und der Volkskunst-Tagung, die er dokumentieren soll. Freilich, das naive Erstaunen über die gar nicht naiven Formulie­ rungen des ,Feldes' sollten bereits seit Hans Moser und den Anfängen der „Folklorismus-Debatte“ der Wissenschaftsgeschichte angehören. Dem ist jedoch nicht so; die Verlängerung des Blickes - hier: von der alten Volkskunst weg zu den kreativen Äußerungen populärer Art - hat der Volkskunde als dem Fach, das sich für solches zuständig sieht, auch neue Unsicherheiten eingetragen. Wie ist das mit der Volkskunst? Hat es sie gegeben? Gibt es sie noch? Solche und ähnliche Fragen werden sich vorab manche der Teil­ nehmerinnen und Teilnehmer der Österreichischen Volkskundetagung 1995 gestellt haben. Die Zusammenkunft von über hundertzwanzig Wis- senschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Ungarn und den Vereinigten Staaten - davon 24 mit Vorträgen - konnte darauf keine einhellige oder gar verbindliche Antwort geben. Doch um eine verbindliche, Endgültiges suggerierende Klärung von Begriff und Sache „Volkskunst“ sollte es auch auf der in diesem Band dokumentierten Tagung nicht gehen. Die Intentionen ihrer Veranstalter zielten auf weniger Spektakuläres - zugleich freilich auch auf Grund­ sätzlicheres. 10 Vorwort Jede Wissenschaft hat sich von Zeit zu Zeit zu überlegen, ob sie (noch) die richtigen Fragen stellt, ob nicht die Unzufriedenheit mit den Antworten durch verquere Interessen und schiefe Fragestellungen pro­ grammiert ist. Und unsere Disziplin, die Volkskunde, hat weiters zu bedenken, ob sie es sich mit ihren angestammten und hinsichtlich so mancher Präjudizierungen des Erkenntniswillens zu Recht in ein schrä­ ges Licht geratenen Arbeitsfeldern in den vergangenen drei Jahrzehnten nicht zuweilen allzu leicht gemacht hat. In ideologiekritischem - dabei oft nicht minder positivistischem - Impetus wurden mit den Zuständigkei­ ten auch die Verantwortungen vom Tisch gewischt, ohne zu berücksich­ tigen, daß in den als obsolet erklärten Themen wie eben der sog. Volks­ kunst doch eine Fülle von Fragen stecken, die auf dem Weg zu einer reflexiven Kulturwissenschaft der Erörterung harren. ,„Das ist Volkskunst4, sagen die Leute, die das sehen“, zitiert Edith Hörandner am Schluß ihres Beitrages die Definition aus einem Kinder­ lexikon. Die Existenz solcher Sätze sollte uns daran erinnern, daß die sog. Volkskunst mit oder ohne unser Zutun ihr Eigenleben fern aller wissenschaftlichen Diskurse (fort)führt - und warum soll zunächst nicht das als Volkskunst gelten, was als solche verhandelt, präsentiert und gehandelt wird? Die Mechanismen ihrer Konstruktion und Rezeption offenzulegen, bleibt allerdings Aufgabe der Wissenschaft, die sich den Gegenstand einst mit anderen Absichten angelacht und zu seiner Popu­ larisierung so nicht wenig beigetragen hat. Suspekt erscheinen müßte dabei freilich jedem mit ethnographischem Wissenstransfer Vertrauten der Versuch, neue Volkskünste in wiederum (volks)pädagogischer Absicht zu stilisieren; läuft doch wie jede, so auch die Moral von heute Gefahr, einen Nebel auf die Praxis von gestern zu legen und die mit der Etikette Volkskunst verbundenen Hoffnungen, Kalküle und gesellschaft­ lichen Interessen der klaren Sicht zu entziehen. Ebenso ambivalent wie in volkskundlicher Reflexion - angesiedelt zwischen neglektischer Skepsis und bedingungslosem Glauben an das populäre Schaffen und seine Hervorbringungen - wird mit der sog. Volkskunst in alltäglichen Diskursen verfahren. Der eingangs zitierte Tätowierer würde sich gegen die Etikette nicht weniger verwehren, als er sich von einer „in Konvention erstarrten44 Stilistik und Motivik zu distanzieren weiß: Für ihn ist, was Volkskundler als neue Volkskunst besichtigen wollten, nicht mehr und nicht weniger als ein professionell Volkskunst 11 ausgefuhrter Kreativberuf, mithin eine Kunst, die sich allenfalls in ihrem subkulturellen Touch von den anerkannten Künsten unterscheidet. Die sprayenden Kids und ihre wissenschaftlichen Mentoren hingegen haben das Stichwort Volkskunst längst dankbar aufgenommen und es mittler­ weile sogar in der Rechtsfindung zu einem apologetischen Schlüsselwort aufgewertet, das die strafrechtliche Verfolgung höchst bedenklich erscheinen läßt. Dagegen ist angesichts einer rigiden Ahndungs- und Verurteilungspraxis ebensowenig einzuwenden wie gegen die private Begeisterung für diese oder eine andere Form populärer Kreativität. Daß aber das Argument einer besseren, widerständigen Volkskunst den Blick auf nicht weniger manifeste Mechanismen - wie den der Kommerziali­ sierung und den der kulturindustriellen Etablierung - erneut zu verstellen droht, könnte eine exemplarische Ermunterung sein, die mittleren Künste konsequenter in ihren individuellen und kollektiven Zusammenhängen zu sehen. Ansätze dazu wurden in jüngster Zeit - und insbesondere im Rahmen dieser Tagung - aus unterschiedlichster Richtung vorgetragen. Nur in ihrer Verbindung werden sie zu einer präziseren Rede über das Phäno­ men Volkskunst verhelfen können. Deshalb war es ein Anliegen der Organisatoren, der historischen Sondierung einer Konstruktion von Volkskunst und der Verortung rezenter Praxen und Diskurse gleicher­ maßen Platz einzuräumen. Dies scheint auch insofern von Bedeutung zu sein, als mit der zunehmenden Distanz zu phänomenologischen Frage­ stellungen und der Konzentration auf die divergierenden Interessen in einem Jahrhundert Volkskunstforschung auch eine Spezialisierung einge­ treten ist, die der Verständigung über Grundfragen wenig zuträglich war und die eine Reduktion des Phänomens nach sich zog, wie sie der Bedeu­ tung der sog. Volkskunst als einer Ästhetisierungsofferte der Moderne (und man müßte ergänzen: einer mächtigen unter anderen vielfach ver­ wandten) in ihrer historischen und gegenwärtigen
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