Gutachten-Sir-D.Pdf

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GUTACHTEN ZUR ZIVILRECHTLICHEN VERANTWORTLICHKEIT VON INTERNET-SERVICE PROVIDERN IN DEUTSCHLAND, FRANKREICH, DÄNEMARK, DEM VEREINIGTEN KÖNIGREICH UND DEN VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA ENDVERSION Avis 14-106 Lausanne, den 29. September 2015, Stand der Länderberichte 30.06.2015 Dorigny – CH – 1015 Lausanne - Tel : +41 (0)21 692 49 11 - Fax : +41 (0)21 692 4949 – www.isdc.ch – [email protected] 2 ZUSAMMENFASSUNG – EXECUTIVE SUMMARY Die vorliegende Studie untersucht im Auftrag des Bundesamtes für Justiz die zivilrechtliche Verant- wortlichkeit im weiteren Sinne (d.h. neben reparatorischen Ansprüchen wie Schadenersatz oder auch Publikation von Urteilen auch negatorische Ansprüche [Unterlassung] und Informationsansprüche der betroffenen Personen) von Plattformbetreibern und Internet-Providern. Die Studie soll zu Handen der interdepartementalen Arbeitsgruppe „Providerhaftung“ die Beurteilung der bestehenden Schweizer Regelungen im Hinblick auf eine allfällige Revision erleichtern. Dabei behandelt die Studie das europä- ische Recht sowie das deutsche, französische, englische, dänische und US-amerikanische Recht. Im Recht der Europäischen Union sehen insbesondere die E-Commerce Richtlinie1, die Durchsetzungs- richtlinie2, die Urheberrechts- oder Informationsrichtlinie3 sowie die Datenschutzrichtlinie4 Bestim- mungen vor, welche die zivilrechtliche Verantwortlichkeit von Internetdienstleistern betreffen. Bevor auf diese geltenden Bestimmungen eingegangen wird, ist jedoch darauf hinzuweisen, dass diese recht- liche Regelung aktuell auf europäischer Ebene grundlegend überarbeitet wird. In Evaluationen aller erwähnten Richtlinien wurde festgestellt, dass das geltende Instrumentarium u.a. angesichts der Herausforderungen im Online-Bereich nicht genügt. Die im Mai 2015 verabschiedete Strategie für einen digitalen Binnenmarkt in Europa5 stellt nun eine umfassende Analyse der Haftung der Internetvermittler (Online-intermediaries) in Aussicht, wobei insbesondere eine Regelung des Melde- und Abhilfeverfahrens (Notice und Take -Down -Procedure) sowie die Einführung von Sorgfaltspflich- ten für Internetdienstleister geprüft werden. Auch das aktuell am weitesten fortgeschrittene Revisionsprojekt, die auf Ende 2015 geplante Datenschutz-Grundverordnung, wird in der Strategie als wichtiges Element zur Stärkung des Vertrauens in den Online-Bereich erwähnt. Hier könnten neue Ansprüche gegenüber Internetdienstleistern – mindestens soweit diese für die Datenverarbeitung verantwortlich sind – eingeführt werden, wobei sich die Positionen zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat gerade diesbezüglich noch unterscheiden. Nach aktuell geltendem Recht sieht die E-Commerce Richtlinie im Abschnitt 4 (Verantwortlichkeit der Vermittler) ganz allgemein keine Verantwortlichkeit der Internetprovider vor, sondern führt Haftungs- erleichterungen für die Provider bei reiner Übermittlung, kurzer Zwischenspeicherung sowie unter gewissen Umständen auch bei der Beherbergung ein. Sie stellt ebenfalls fest, dass diese keine allgemeine Überwachungspflicht haben. Im Bereich des Urheberrechts schreibt Art. 8 Abs. 3 der 1 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt ("Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr"). 2 Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. L 157 vom 30.4.2004). 3 Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. L 167 vom 22.06.2001). 4 Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281 vom 23.11.1995). 5 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtscahfts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa, COM(2015) 192, vom 6.5.2015. Der vernetzte digitale Binnenmarkt ist in der Tat eine der Prioritäten im Rahmen der politischen Leitlinien für die Europäische Kommission 2014 – 2019, die diesbezüglich die digitale Agenda für Europa im Rahmen der Strategie Europa 2020 von 2010 (Mitteilung der Kommission vom 03.03.2020, EUROPA 2020, Eine Strategie für ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum, COM(2010) 2020 endgültig, S. 16 f.) aufnimmt. Der digitale Binnenmarkt ist heute die 1. Säule der Agenda 2020, s. https://ec.europa.eu/digital-agenda/en/digital-agenda-europe-2020- strategy (10.07.2015) . 3 Urheberrechtsrichtlinie ausdrücklich vor, dass Inhaber von Schutzrechten gerichtliche Anordnungen gegen Vermittler (und damit auch Internet-Provider) beantragen können, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt werden. Zudem sind Internetdienstleister von Art. 8 der Durchsetzungsrichtlinie betroffen, die einen Auskunfts- anspruch gegenüber jeder Person vorsieht, die „nachweislich für rechtsverletzende Tätigkeiten ge- nutzte Dienstleistungen in kommerziellem Ausmass“ erbracht hat, und Art. 11 derselben Richtlinie schreibt vor, dass gerichtliche Anordnungen auch gegenüber dem Vermittler möglich sein müssen. Das Datenschutzrecht sieht schliesslich keine für Internetdienstleister spezifischen Ansprüche vor, aber die allgemeinen Ansprüche auf Auskunft, Berichtigung, Löschung und Sperrung sind grundsätzlich auch auf Internetdienstleister anwendbar, sofern diese entsprechende Daten verarbeiten. Die europarechtlichen Ansprüche sowie das Haftungsprivileg von Internetdienstleistern waren Gegenstand verschiedener Urteile des Europäischen Gerichtshofs. In einem ersten Urteil6 wurde fest- gestellt, dass zivilrechtliche Auskunftsansprüche (auf Information über Nutzer, welche Urheberrechte verletzen) nicht europarechtlich vorgeschrieben sind, dass diese aber unter gewissen Bedingungen (Verhältnismässigkeit) im nationalen Recht vorgesehen sein können. Eine Reihe von Urteilen im Immaterialgüterrecht erging zu Unterlassungsansprüchen (Ansprüchen auf Blockierung bzw. Filterung) gegenüber Internetdienstleistern. Demnach ist ein allgemeiner Anspruch auf Filterung europarechtlich weder für Access- noch für Content-Provider zulässig,7 eine Anordnung auf Blockierung kann dies jedoch durchaus sein, sofern der (Access-)Provider die technische Massnahme selbst bestimmen kann und die Betroffenen angehört werden.8 Die Möglichkeit von Unterlassungsansprüchen wurde auch gegenüber Online-Marktplätzen bestätigt, wobei neben deren Wissen oder Kontrollmöglichkeit des Inhalts insbesondere deren aktive Unterstützung für den Verkauf massgeblich war, dass keine Haftungsfreistellung angenommen wurde.9 Eine ganze Reihe von Urteilen erging schliesslich zu Hyperlinks, deren Zulässigkeit in verschiedenen Formen (auch durch Framing) grundsätzlich bejaht wurde, sofern der verlinkte Inhalt frei zugänglich ist, d.h. sofern damit nicht Zugangsbegrenzungen der verlinkten Website zum Schutz des Werkes umgangen werden.10 Das wohl bekannteste Urteil erging im Bereich des Datenschutzes, wo der datenschutzrechtliche Unterlassungsanspruch gegenüber Suchmaschinen bejaht wurde, da und soweit die ursprünglich zulässige Datenbearbeitung widerrechtlich geworden war, so dass insbesondere Links zu von Dritten veröffentlichten Internetseiten entfernt werden mussten.11 In den nationalen Rechtsordnungen wurden die europäischen Vorgaben auf unterschiedliche Art umgesetzt. In Frankreich wurde im Rahmen der Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie eine relativ ausführliche Regelung erlassen, das deutsche und dänische Recht begnügen sich demgegenüber mit einer relativ wortgetreuen Umsetzung der europäischen Vorgaben (wobei in Deutschland angesichts des Konzepts der Störerhaftung eine Umsetzung von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG als hinfällig erschien), so dass sich insbesondere die Grundlage allfälliger Ansprüche weitgehend nach vorbestehendem nationalem Recht richtet. Im Vereinigten Königreich finden sich hingegen einige neuere Gesetze (Digital Economy Act 2010, Defamation Act 2013). So sieht der Digital Economy Act 2010 vor, dass gewisse Provider zur Prävention von Urheberrechtsverletzungen zum Treffen von „technischen Massnahmen“ (Beschränkungen im Zugang zu den Dienstleistungen oder zu gewissem Material) gegenüber Kunden verpflichtet werden können, ihre Kunden über Rechtsverletzungen und die Rechteinhaber über rechtsverletzende Kunden informieren müssen, wobei soweit ersichtlich ange- sichts eines Memorandum of Understanding zwischen grossen Internetdienstleistern und der 6 C-275/06 (Promusicae). 7 C-360/10 und C-70/10 (SABAM). 8 C-314/12 (UPC Telekabel Wien). 9 C-324/09 (Oréal v. Ebay). 10 C-466/12 (Svensson), C-348/13 (Bestwater) sowie C-279/13 (C-More Entertainment). 11 C-131/12 (Google Spain). 4 „kreativen Industrie“ insbesondere im Unterhaltungsbereich (Musik, Film) auf die Umsetzung und Konkretisierung dieser Bestimmung verzichtet wird. Der Defamation Act 2013 sieht eine Anordnung zur Entfernung gewisser Inhalte (Order to remove or cease distribution) vor. Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass die Privilegierungstatbestände der E-Commerce-Richtlinie nicht auf Auskunfts- und Unterlassungsansprüche angewendet werden. Dies scheint auch in den übrigen Rechtsordnungen

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