Verbrannt - Verwüstet - Verlassen : Die Archäologische Und Historische Erforschung Von So Genannten Stadtwüstungen in Der Schweiz

Verbrannt - Verwüstet - Verlassen : Die Archäologische Und Historische Erforschung Von So Genannten Stadtwüstungen in Der Schweiz

Verbrannt - verwüstet - verlassen : die archäologische und historische Erforschung von so genannten Stadtwüstungen in der Schweiz Autor(en): Baeriswyl, Armand Objekttyp: Article Zeitschrift: Mittelalter : Zeitschrift des Schweizerischen Burgenvereins = Moyen Age : revue de l'Association Suisse Châteaux Forts = Medioevo : rivista dell'Associazione Svizzera dei Castelli = Temp medieval : revista da l'Associaziun Svizra da Chastels Band (Jahr): 20 (2015) Heft 2 PDF erstellt am: 11.10.2021 Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-583722 Nutzungsbedingungen Die ETH-Bibliothek ist Anbieterin der digitalisierten Zeitschriften. Sie besitzt keine Urheberrechte an den Inhalten der Zeitschriften. Die Rechte liegen in der Regel bei den Herausgebern. Die auf der Plattform e-periodica veröffentlichten Dokumente stehen für nicht-kommerzielle Zwecke in Lehre und Forschung sowie für die private Nutzung frei zur Verfügung. 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Ein Dienst der ETH-Bibliothek ETH Zürich, Rämistrasse 101, 8092 Zürich, Schweiz, www.library.ethz.ch http://www.e-periodica.ch Verbrannt - verwüstet - verlassen Die archäologische und historische Erforschung von so genannten Stadtwüstungen in der Schweiz von Armand Baeriswyl Die Stadtgründungswelle Die Entstehung der meisten Städte Mitteleuropas voll- tigste Eckpfeiler einer erfolgreichen Herrschaftspolitik zog sich vor dem Hintergrund einer gewaltigen Auf- gewesen. Im ersten Viertel des 12. Jh. erkannten erste bruchsperiode des Hochmittelaltersd Beflügelt durch ein Herrschaftsträger das Potenzial der Siedlungsform Klimaoptimum, verbesserte Nahrungsmittelproduktion «Stadt» und begannen, bei ihren Burgen derartige Sied- und einem damit einhergehendem Bevölkerungs- lungen zu errichten, die sie ummauerten und mit den überschuss kam es zwischen 1150 und 1350 in weiten rechtlichen Privilegien ausstatteten. Die Vorteile einer Teilen Europas zu einer wahren Flut von neuen Städten Kombination von Burg und Stadt zur Herrschaftssiche- (Abb. 1)3 Auslöser waren vor allem die Territorialisierungsbestre- ' Dieser Text beruht weitgehend auf einem Artikel, der in Zusammen- hang mit der archäologisch erforschten Stadtwüstung Meienberg AG bungen Adel, Bischöfen und Äbten. Seit von Königtum, verfasst wurde: Baeriswyl 2013. dem Frühmittelalter war der Bau von Burgen der wich- ^ Haase 1976; Ennen 1987; Johanek 1994; Baeriswyl 2003a. # Städte vor 1150 O Stadtgründungen 1150-1200 tonstanz • Stadtgründungen 1200-1300 o Stadtgründungen nach 1300 Frauenfeld Bürglen VwC \ \ i-x RegensberT'^Bülach O / \ a. y / | s p \ y JspYiy\\ V"- Tye-A - Schwarzenbach Wangen Fribo Arconciel Lausanne ICH Conthey •JP\, Saillori Sion YjMartig ny r ffW'/sHyX w 1: Mittelalterliche Stadtgründungen auf dem Gebiet der heutigen Schweiz. Karte nach einem Entwurf von Armand Baeriswyl. Mittelalter 20, 2015/2 25 Armand Baeriswyl - Verbrannt - verwüstet - verlassen rung lagen auf der Hand: Beide Siedlungstypen dienten Allerdings ist der Begriff <erfolglos> sehr relativ. Eine mit ihren zentralörtlichen Funktionen der Konzentration Stadt, die in der Folge klein blieb, weil weder ihre Bevöl- und Zusammenfassung von Besitzungen und Rechten. kerung noch ihr Areal bzw. ihr Territorium wuchs, stag- Die Burg war militärisches Bauwerk, herrschaftlicher nierte, aber sie überlebte als Kleinstadt, als <Städtchen>. Aufenthaltsort und repräsentativ ausgestaltetes Macht- Ausgestattet mit rechtlichen Privilegien, baulich durch symbol. Die Stadt war aber darüber hinaus viel mehr. Sie die Stadtbefestigung vom Umland getrennt und als Mit- war ein viel mächtigeres militärisches Instrument, näm- telpunkt eines Amtes oder einer Vogtei ebenso wie als Ort lieh eine Grossburg, die dank ihrer Infrastruktur und Be- von Handwerk, Gewerbe und Markt zentraler Ort für völkerungszahl ein viel grösseres Potenzial aufwies als das nahe Umland, blieb sie Stadt und wurde von der Lan- die normale Adelsburg. Auch als Produktions-, Markt-, desherrschaft, von ihren Bewohnern und vom bäuer- Verwaltungs- und Handelsort übertraf die Stadt die liehen Umland auch als Stadt wahrgenommen und akzep- durchschnittliche Burg bei weitem. Diese Vorteile spra- tiert. Diesen Status zeichnete die überwiegende Anzahl chen sich rasch herum und riefen Nachahmer auf den der 150 mittelalterlichen Städte im Gebiet der heutigen Plan. Vorbild und Wettbewerb steigerten dabei die Bereit- Schweiz aus: Arbon TG, Regensberg ZH, Sempach LU, schaft, Städte zu gründen; das löste schliesslich besagte Wiedlisbach BE, Bulle FR oder Hemance GE, um einige Gründungswelle aus, an der sich alle, die das Recht und Beispiele zu nennen, waren alle über Jahrhunderte Klein- vor allem die Möglichkeit dazu hatten, vom König, Bi- Städte mit wenigen hundert Einwohnern. Im Rest Mittel- schöfen, Äbten und Fürsten bis hin zu Ministerialen, europas war das nicht anders. aktiv beteiligten. Hatte es im Gebiet der heutigen Schweiz um 1150 ganze Abgegangene Städte und Stadtwüstungen zehn Städte gegeben, meist ehemalige Römerstädte, die Aber es gab auch Verlierer, Städte die nie richtige Städte als spätantike Bischofssitze überlebt hatten, so wuchs wurden, ihren Stadtstatus verloren oder ganz verschwan- ihre Zahl dank einer Welle von Erhebungen und Neu- den. Man spricht von so genannten abgegangenen Städ- gründungen bis ins mittlere 14. Jh. auf rund 150 Städte/ ten. Europaweit geht die Forschung davon aus, dass von Diese Welle von Stadtentstehungen zeigt sich in grosse- den rund 5000 mittelalterlichen Städten in Mitteleuropa rem Rahmen noch eindrücklicher: In Mitteleuropa wuchs rund 10 bis 20% früher oder später abgingen/ der Bestand von Städten in diesem Zeitraum von etwa 200 auf rund 5000F Auf der Karte im Historischen Atlas der Schweiz von Diese neuen Städte überzogen die Schweiz mit einem 1951 sind über 70 «abgegangene Städte» verzeichnet/ dichten Netz von Siedlungen und veränderten das Ge- Diese Zahl ist zu hoch, denn nicht alle sind wirklich als sieht unserer Kulturlandschaft grundlegend. Dabei ist <Städte> zu bezeichnen. Damit kommt ein Aspekt des Pro- festzustellen, dass die überwiegende Anzahl dieser Städte, blems ins Blickfeld, die Stadtdefinition: Was ist denn eine nämlich rund 120, im 13. Jh. entstanden, bereits um funktionierende Stadt? Welcher Markt- oder Burgflecken 1300 war die Stadtgründungswelle fast vorüber. ist noch als Stadt zu bezeichnen, welcher war nur eine Vorburg bzw. ein Dorf mit einem Markt?^ Nennung von Aber so, wie nicht jedes Adelsgeschlecht im Konkurrenz- Bürgern, Siegel, Schultheiss, Stadtrecht, Stadtmauer kämpf um die Territorialisierung erfolgreich war, so reichen alleine für sich nicht. Die moderne Forschung er- waren nicht alle Stadtgründungen ein Erfolg. Es zeigt mittelt urbane Qualität anhand eines ganzen Bündels von sich, dass alle erfolgreichen grossen und mittleren Städte Kriterien, die Elemente des äusseren Erscheinungsbildes, im 12. oder im frühen 13. Jh. entstanden waren. Je der inneren Struktur und der Funktion umfassen/ Legt später eine Stadtgründung stattfand, desto kleiner war man diese Kriterien zugrunde, so waren rund 30 dieser das Gründungsareal und desto unbedeutender und in der «abgegangenen Städte> lediglich Vorburgen oder Burg- Folge auch erfolgloser war diese Stadt. bzw. Marktflecken, die weder mit städtischen Privilegien 26 Mittelalter 20, 2015/2 Armand Baeriswyl - Verbrannt - verwüstet - verlassen 2: Abgegangene mittelalterliche Städte. Stadtgründungen auf dem Gebiet der heutigen Schweiz. Karte nach einem Entwurf von Armand Baeriswyl. ausgestattet waren noch je auch nur Ansätze von städ- chend kann man drei Formen des Wüstungsvorgangs tischem Charakter entwickelt hatten. Beispiele sind etwa nennen, wobei diese einzeln oder gemeinsam auftreten Richensee LU', Grasburg BE"', Mülenen BE" oder Jussy können. GE". ' Ausgangspunkt für diese Zahlen war die Städtekarte in Historischer Atlas Schweiz 1951, 17, mit Hilfe einer kurzen Durchsicht der ent- sprechenden Artikel im Historischen Lexikon der Schweiz, So ist nach heutigem Forschungsstand die Zahl von 40 Stadt- und Landmauern 2 1996 und weiterer Literatur. Gestrichen abgegangenen Städten realistisch (Abb. 2). Aber: Sind das wurden alle Orte, die im Lichte neuerer Forschungen als reine Markt- und alles Stadtwüstungen? Damit stellt sich die Frage nach Burgsiedlungen (Märkte, Marktflecken, Vorburgen, Burg- flecken) anzusehen sind. der Definition dieses Begriffs. Ab wann ist eine Stadt * Hofer 1963, 9; PEYER 19S2, 244; STOOB 1979,157-158. * wüst? Schon wenn sie rechtlich zum Dorf wird, wenn sie Ammann 1969; Isenmann 1988; Küntzel 2008, 110. ® Historischer Atlas Schweiz 1951,17. ihre Stadtmauer verliert oder sie erst wenn völlig ver- Vgl. etwa die genannte Städtekarte in Historischer Atlas Schweiz schwindet? Die Antworten fallen differenziert aus. Die 1951,17. ® Baeriswyl 2003b, 24 f. eher die Ausnahme. Meistens

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