Es Wird Mir Nichts Übrig Bleiben, Als Mich Taufen Zu Lassen

Es Wird Mir Nichts Übrig Bleiben, Als Mich Taufen Zu Lassen

„… es wird mir Nichts übrig bleiben, als mich taufen zu lassen …“ Der Gießener Dirigent Hermann Levi im Spannungsfeld von jüdischer Tradition und Richard Wagners germanisch-christlicher Kunstreligion.* DIETER STEIL 1. Vorbemerkungen Hermann Levi ist eine der bedeutenden jüdischen Persönlichkeiten, die in Gießen im 19. Jahrhundert geboren wurden, die einzige, die bis heute in weiteren, vor allem musikalisch interessierten Kreisen bekannt geblieben ist – als Richard Wagners Parsifal -Dirigent. Seine Büste steht zu Recht neben denen von Hugo von Ritgen und Hein Heckroth im Theaterpark. Levi nur unter der Per- spektive seines Verhältnisses zu Richard und Cosima Wagner zu sehen, wird der Persönlichkeit und beruflichen Leistung dieses führenden Dirigenten seiner Zeit jedoch nicht gerecht. 1 Sehr früh schon sah er sich mit dem Problem konfron- tiert, wie er als deutscher Jude in einer christlich geprägten Gesellschaft mit ihren antijüdischen Stereotypen und Vorurteilen ein bedeutender, von der Mehrheits- gesellschaft anerkannter Künstler, anerkannter Musiker werden könne. 2 Insbe- sondere als Dirigent stellte sich ihm die Frage, wie er neben der großen Konzert- und Opernliteratur auch die großen Oratorien mit ihrer ausgesprochen christli- chen Thematik glaubhaft interpretieren könne. Die Fragen „Wer bin ich, was kann, was darf ich?“ verschärften sich für Levi bei jedem Schritt, mit dem er sich Richard Wagner näherte, dem überragenden deutschen Opernkomponisten seiner Zeit – und Antisemiten. Ihre entscheidende Zuspitzung erfuhr die Prob- * Überarbeitete Fassung eines Vortrags, den ich am 28.03.2012 im Forum Pankratius gehalten habe. 1 Die einzige umfassende Biographie stammt von Frithjoff Haas, Zwischen Brahms und Wagner. Der Dirigent Hermann Levi , Zürich-Mainz 1995. Der deutsch-amerikanische Historiker Peter Gay konzentriert seine Studie Hermann Levi. Eine Studie über Unterwerfung und Selbsthaß (in: ders., Freud, Juden und andere Deutsche. Herren und Opfer in der modernen Kultur [dte. Ausgabe], Hamburg 1985, S. 207-237, Anm. S. 316-325.) auf Levis Verhältnis zu den Wag- ners aus sozialpsychologischer Sicht. Josef Stern, Hermann Levi und seine jüdische Welt , in: Zeitschrift für die Geschichte der Juden 7, 1970, S. 17-25, versuchte, Levi für das deutsch- sprachige Judentum, insbesondere in Israel, in seinem Judentum darzustellen und gegen den Vorwurf des Verrats zu verteidigen. 2 Eine ähnliche Frage stellte sich der eine knappe Generation jüngere Gießener Jude Alfred Bock (1859–1932) auf seinem Weg zum Schriftsteller. Auch die aus Gießen gebürtige Jüdin Henriette Fürth, geborene Katzenstein (1861–1937), setzte sich mit der Frage ihrer Iden- tität auseinander. Es ist hier nicht der Ort, Ähnlichkeiten und Unterschiede der jeweils individuellen Antworten darzustellen. MOHG 97 (2012) 171 lematik seiner Identität seit dem Erscheinen von Richard Wagners Parsifal- Textbuch 1877. Als möglicher Dirigent der Uraufführung des Parsifal in Bayreuth wurde Levi wegen seiner Abstammung und Religionszugehörigkeit zunächst von Richard Wagner immer wieder zur Taufe gedrängt, nach dessen Tod von seiner Witwe Cosima deutlich gesteigert. Ob er diesem Drängen bis zu seinem Tod 1900 widerstanden hat und als Jude starb oder sich schließlich taufen ließ, ist bis heute umstritten – auf jüdischer wie nichtjüdischer Seite. 3 Ich versuche zu zei- gen, dass dem Menschen und Dirigenten Levi der Dienst an der Kunst höchste Erfüllung bedeutete, die Frage der Herkunft und Religionszugehörigkeit dagegen sekundär war, er deshalb nicht konvertierte, wenngleich er bei seiner späten Heirat 1896 aus dem Judentum ausgetreten ist. Büste Hermann Levis im Theaterpark Gießen Copyright: Dieter Steil Das Zitat , das ich als Überschrift für den Vortrag am 28. März wie für den Auf- satz gewählt habe, ist einem Brief entnommen, den Levi nach der ersten Lektüre von Wagners Parsifal -Dichtung am Jahreswechsel von 1877 auf 1878 geschrieben hat. Gerichtet war der Brief an den „lieben Freund“ Paul Heyse, damals hochge- schätzter Erzähler und Literaturnobelpreisträger im Jahre 1910. Anfang und Ende dieses Briefes konkretisieren unser Thema und geben die weitere Gliede- 3 Entgegen den divergierenden Aussagen seit Levis Tod ist für das repräsentative deutsche biographische Lexikon Neue Deutsche Biographie Levis Konversion vom Judentum zum Protestantismus eindeutig (Fellinger, Imogen, „Levi, Hermann“, in: Neue Deutsche Bio- graphie 14 [1985], S. 396-397. [Onlinefassung] URL: http://www.deutsche-bio- graphie.de/pnd118865900.html). 172 MOHG 97 (2012) rung vor. Levi begann mit folgenden Zeilen zu seinem Judentum und seinem Verhältnis zur christlichen Gesellschaft und Tradition: „Ich bin seit vielen Jahren gewohnt, meinen mir von Gottes= und Geburtswegen ange- stammten ‘langen Tag’ , weil ich im October keine Zeit zum Büssen habe, auf den Sylvester zu verlegen. Mit Schläue habe ich bis heute gewartet, Dir zu schreiben, weil ich heute eine Chance mehr zu haben glaube, daß mir meine Schuld vergeben werde, dieweil auch ich meinen Schuldigern vergebe. – Es ist das alte Lied ―; daß du mir böse bist, glaube ich nicht einmal; aber es bedarf dessen auch nicht, um mein Gewissen wach zurufen; das schreit ganz von selbst. …“ Die hier von Levi angedeutete Spannung zwischen den Freunden beruhte darauf, dass Heyse ein entschiedener Gegner Wagners war. Dies wird auch aus den Bemerkungen über seine Parsifal -Lektüre deutlich, mit denen Levi seinen Brief schloss. „ Vor mir liegt das Textbuch von Parsifal … Meine Meinung über den Text halte ich aus guten Gründen zurück. Bedenklich ist mir die äusserst christliche Tendenz; es wird mir Nichts übrig bleiben, als mich taufen zu lassen , wenn ich es hier einstudiren werde .…“ [Hervorh. v. Vf.]. 4 „Hier“ bedeutet München, nicht Bay- reuth; als königlich-bayerischer Hofkapellmeister war sich Levi von Anfang an bewusst, dass er auch dieses Werk nach seiner Vollendung König Ludwig II., dem großzügigen Förderer Wagners, würde vorführen müssen. Wie ernst Levi seine Bemerkung über eine Taufe meinte, mag zunächst offen bleiben. Wesent- lich ist die Beobachtung, dass er offensichtlich einige Grundkenntnisse der christlichen Tradition hatte. 2. Levis Verständnis und Praxis seines Judentums Wie der zitierte Briefanfang erkennen lässt, beging Levi „seit vielen Jahren“ , wahr- scheinlich seit Beginn seiner Berufslaufbahn als Dirigent, Silvester als seinen „Jom Kippur, Versöhnungstag“ ; diesen höchsten jüdischen Feiertag meinte er mit der Formulierung mein „ ’langer Tag’, weil ich im October keine Zeit zum Büssen habe“ .5 Allein das schriftliche Gespräch mit ihm gerade wichtigen Menschen schlug, soweit es selbstkritisch war, noch eine Brücke zu dem zentralen Gehalt dieses Feiertages – der Besinnung über die eigenen Verfehlungen gegenüber den Mitmenschen und dem Schritt der Vergebung. Von den Riten dieses wie wohl aller jüdischen Feiertage hatte sich Levi entfernt; er war säkularer assimilierter Jude. In seiner gewachsenen Distanz zur jüdischen Gemeinde unterschied er 4 Zitiert nach Julia Bernhardt, Der Briefwechsel zwischen Paul Heyse und Hermann Levi . Eine kritische Edition. Hamburg 2007 (POETICA, Schriften zur Literaturwissenschaft. 92), Brief Nr. 39 vom 1. Januar 1878, S. 100-102. Hier wie in allen Zitaten ist die Original- schreibweise beibehalten – soweit Levis Briefe im Original eingesehen werden konnten. 5 Diese Formulierung gebraucht Levi wiederholt in Silvesterbriefen. Der älteste, allerdings indirekte Beleg findet sich bei Anna Ettlinger, Lebenserinnerungen für ihre Familie verfaßt , Leip- zig o.J. [1920], S. 82. Für die Karlsruher Jahre notierte sie, dass Levi den Jahreswechsel „nach alter Gewohnheit allein“ verbracht habe. Mit der jüdischen Familie Ettlingen war Levi seit dem Beginn seiner Kapellmeistertätigkeit in Karlsruhe 1864 bis zu seinem Tod be- freundet. MOHG 97 (2012) 173 sich weder von zahlreichen Angehörigen des liberal orientierten jüdischen Bil- dungsbürgertums noch von der Einstellung entsprechender Gruppen der Mehr- heitsgesellschaft zu ihren Kirchen. Allerdings war auf jüdischer Seite dieser Pro- zess nicht nur ein Teil der allgemeinen Säkularisierung seit der Aufklärung, son- dern wurde auch von der christlich geprägten deutschen Mehrheitsgesellschaft bewusst wie unbewusst erzwungen. Allein schon die beruflichen Anforderungen verhinderten, dass Levi, selbst wenn er es gewollt hätte, seinen religiösen Pflich- ten, so der Pflicht zum ganztägigen Fasten an Jom Kippur, hätte nachkommen können. Der Grundstein zu Levis allmählicher Entfernung von der jüdischen Tradi- tion war teilweise bereits in seiner Kindheit und Jugendzeit in Gießen und Mannheim gelegt worden. Einerseits fehlte dem am 7. November 1839 als drit- tes Kind des Provinzialrabbiners Dr. Benedikt Levi und seiner ersten Frau Hen- riette geborenen Hermann in den ersten sechs Lebensjahren ein kontinuierliches Hineinwachsen in die religiösen Traditionen, die in der Regel von der Mutter zu vermitteln waren. Sowohl seine Mutter 6 wie seine Stiefmutter 7 waren vor seinem 7. Lebensjahr verstorben. Andererseits legte der Vater als Reformrabbiner mehr Wert auf die Grundkenntnisse der Thora als auf die Einhaltung der zahllosen Regeln, die das tägliche jüdische Leben normierten.8 Den jüdischen Gottesdienst glich er, der die Assimilation an die deutsche Kultur entschieden vertrat, durch die Einführung des deutschen Chorgesangs und der Orgel, aber auch durch die Predigt in deutscher Sprache insbesondere dem evangelischen Gottesdienst an. So erlebte Hermann zwar einen ästhetisch angenehmen Gottesdienst,

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