In alle RIchtungen Jede Richtung eine Richtung gehen HUGO die, in die zu gehen LOETSCHER ich plante, und die, in die ich ging, und alle jene, von denen ich nie annahm, dass sie Richtungen sind. MuSeuM StRauHof Hugo Loetscher (1929 – 2009) war viel mehr als ein LiteRatuRausstellungen doppelt Begabter. als Schriftsteller und Journalist hat 17. DeZembeR 2009 bis 28. FebruaR 2010 er während über sechzig Jahren ein Werk geschaffen, das in der deutschsprachigen literatur und Publizistik seinesgleichen sucht. Sein tod im august dieses Jahres hinterlässt eine lücke im geistigen und gesellschaftli- chen leben des landes, in das er von seinen zahllosen Reisen immer wieder zurückgekehrt ist: «hugo loetscher ist wohl mehr gereist als wir, seine Schriftstellerkolle- gen, zusammen. Man hatte von ihm aber nie das gefühl, dass er weg sei. er war immer da», sagte urs Widmer in seiner abdankungsrede im grossmünster Zürich. Die ausstellung unter dem titel In alle Richtungen gehen war als geschenk der Stadt Zürich zu hugo loetschers 80. geburtstag gedacht. er selbst hat noch mit viel Begeisterung daran mitgearbeitet und das Kon- zept unterstützt. nun unternimmt die ausstellung den Versuch, sein leben und Werk anhand von ausgewähl- ten Materialien aus seinem archiv in angemessener Breite darzustellen und zu würdigen. Darin begegnet uns ein scharfsinniger Intellektueller und sprühender Schnelldenker, dem Ironie und humor alles andere als fremd waren. es tritt uns ein erfolgreicher autor von Ro- manen, Kurzgeschichten, gedichten, essays und Repor- tagen entgegen, der sich souverän vieler tonlagen zu bedienen wusste, dem das theater aber seine grosse Zuneigung, zumindest als autor, nicht erwiderte. und wir erfahren, dass hugo loetscher sein leben lang ein in der Öffentlichkeit äusserst engagierter citoyen und Vermittler war, der sich nicht vor pointierten Kommen- taren zur Politik der Schweiz scheute, mit grosser Ken- f cover: hugo loetscher in Zürich, 1993 nerschaft die Welt der Fotografie in Publikationen und Foto: erling Mandelmann 3 ausstellungen präsentierte oder uns die lusitanische Index Welt in seinen artikeln näher brachte. Die ausstellung von Peter erismann ist in fünf Räume gegliedert: Index zeigt die Bandbreite von loetschers Wirken mit rund zwanzig Stichworten von Literarische Anfänge über Dürrenmatt und Engagement Schweiz bis zu Lyrik auf. Der Malerfreund Varlin ist hier mit sei- nem berühmten Porträt des Schriftstellers präsent. Der Raum Weltläufigkeit dokumentiert mit Materialien zu Zürich, Portugal, Brasilien, Iberoamerika, uSa und asi- en den autor, «der nach Westen fuhr, um im Osten an- zukommen – und der doch immer wieder an Sihl und limmat zurückkehrte.» Zwei Kabinette sind seinen wich- tigen Büchern Der Immune / Die Papiere des Immu- nen und War meine Zeit meine Zeit, gewidmet. und im letzten Raum begegnet uns hugo loetscher nochmals sehr leibhaftig in einer interaktiven Projektionsins- tallation, die mit vielen ausschnitten aus zahlreichen tV- und Filmdokumenten ausgestattet ist. 4 5 1 2 Literarische anfänge À la française Journalistisches und literarisches Schreiben gehen bei hugo loetscher studiert Wirtschaftsgeschichte, Soziolo- hugo loetscher von anfang an hand in hand. erste gie und politische Philosophie an der universität Zürich frühe texte erscheinen in Zeitungen, Zeitschriften und und in Paris. Die Jahre 1950 und 1951 in der französi- anthologien, bis 1963 sein erstes Buch Abwässer pub- schen hauptstadt sind für seine intellektuelle Bildung liziert wird. Die allererste literarische Veröffentlichung entscheidend. Dies findet auch niederschlag in seiner ist die erzählung «Der holunderstrauch»; sie erscheint Dissertation über die neuere politische Philosophie im november 1946 in der Zeitschrift Zeitbilder – Illust- Frankreichs. Beeindruckt von Sartre und vor allem von riertes Unterhaltungsblatt zum Tagesanzeiger. Im Feuil- camus wird hugo loetscher immer deutlicher ein en- leton der nZZ wie in der Zeitschrift Hortulus wird «aus gagierter autor. Paris bleibt wegen seiner Verlage und dem leben eines jungen Mannes» publiziert. Die frühen des Centre Culturel Suisse ein wichtiger Ort. Die ausei- texte hat loetscher zusammen mit später entstandenen nandersetzung mit der französischen Sprache wird für Kurzgeschichten und erzählungen im Sammelband Der loetscher zu einer Konstante, weil viele seiner Bücher Buckel 2002 herausgegeben. in diese übersetzt werden. erstmals werden hier zwei der zahlreichen notizhefte von hugo loetscher ausgestellt – darin ersieht man u.a., dass der autor die Stenografie beherrscht! 6 7 3 4 Journalismus Abwässer 1958 holt Manuel gasser, chefredaktor der Kulturzeit- hugo loetscher ist 35, als er 1963 mit Abwässer. Ein schrift du, den jungen autor in die Redaktion. gasser Gutachten sein erstes literarisches Buch im arche Ver- ermöglicht hugo loetscher die Kreation einer eigenen lag von Peter Schifferli veröffentlicht. Der text, wel- literarischen Beilage «Das Wort». Darin unterhält er die cher konsequent aus der Perspektive eines Inspektors Rubrik «Kreuzfeuer» mit Kommentaren, und es werden für abwässer geschrieben ist, findet positive aufnah- Briefe von Robert Walser oder Poetikvorlesungen von me in der Öffentlichkeit. Der Schriftsteller Rudolf Jakob Ingeborg Bachmann publiziert sowie junge Schweizer humm schreibt dem autor einen Brief, worin er ihn für autoren bekannt gemacht. nach dem austritt aus der das Buch beglückwünscht. hugo loetscher erhält für Redaktion 1962 bleibt loetscher freier Mitarbeiter. nach Abwässer 1964 den charles-Veillon-Preis. Das Buch er- ausgedehnten Reisen in europa tritt er 1964 in die Re- scheint auf Französisch (Les égouts, 1985) und auf Ita- daktion der Weltwoche ein. hier findet sich die Möglich- lienisch (L’ispettore delle fogne, 2000). Zusammen mit keit, unterschiedlichste Formen des Journalismus zu Peter Bichsel, Jürg Federspiel, adolf Muschg, Paul nizon, erproben. Reportagen, tages- respektive Wochenaktua- Jörg Steiner, Walter Vogt und Otto F. Walter gehört hugo lität setzen andere akzente als die arbeit beim du. ab loetscher von nun an zu einer gruppe von hoffnungs- 1965 unternimmt hugo loetscher regelmässig Reisen vollen Jungautoren, die neben Frisch und Dürrenmatt nach lateinamerika und berichtet darüber. nach dem das Feld der deutschsprachigen literatur der Schweiz austritt 1969 aus der Redaktion widmet sich HL weiter neu zu bestimmen beginnt. der literaturkritik bei der NZZ. Mit der Mitarbeit für die Wochenendbeilagen der NZZ und für das TA-Magazin ergeben sich journalistische Möglichkeiten, in längeren aufsätzen interdisziplinär zu arbeiten, der Simultaneität von Kultur und Politik, geschichte und gegenwart ge- recht werdend. loetscher arbeitet auch freischaffend für Radio und Fernsehen. 8 9 5 6 Die Kranzflechterin Noah 1964 erscheint Die Kranzflechterin: «Jeder soll zu sei- Noah. Roman einer Konjunktur erscheint 1967. Der text nem Kranz kommen, sagte anna, sie flocht totenkrän- ist in seiner ursprünglichsten Form als theaterstück kon- ze.» Der Figur der anna dient hugo loetschers gross- zipiert. «erzählt wird die geschichte noahs; noah, wie mutter mütterlicherseits als Vorbild, die zusammen mit er die arche ersinnt und bauen lässt, noah, wie er die ihrer tochter als alleinerziehende aus Süddeutschland gesellschaft herausfordert und sie verdienen lässt und nach Zürich eingewandert ist. Max Rychner, herausge- wie sie es ihm dankt. er verurteilt die gesellschaft zur ber der Tat und wichtiger Mentor für den jungen autor, Sintflut, zum untergang, sie aber entdeckt in der Sint- lobt in einem eindrücklichen Brief an hugo loetscher flut ihr grösstes geschäft, und so ist noah der gefähr- den Roman, der im Zürcher aussersihl angesiedelt ist. liche, der Subversive, auch noah der Brauchbare, der Das Buch wird auf Französisch (La tresseuse de couron- Mann der tat.» (christoph Kuhn). Für das Buch erhält ne, 1992), niederländisch (De kransvlechtster, 2000) und hugo loetscher den conrad-Ferdinand-Meyer-Preis. es Spanisch/Mexikanisch (Coronas de Muerte, 2000) über- erscheint auf Schwedisch (Noak i välfärden, 1969), eng- setzt. Im gegensatz zu Abwässer kommt dieses Werk als lisch (Noah, 1979), Russisch (Noah, 2000) und Polnisch «proletarischer Roman» in der DDR heraus. (2005). 10 11 p Im café Odéon in Zürich ende der 50er Jahre Foto: candid lang s hugo loetscher mit seiner grossmutter in aussersihl, um 1932 12 13 arbeitszimmer «an Dürrenmatts Platz im rückt mein Varlin-Porträt nach, das bis anhin im oberen Stockwerk gehangen hatte, als Hausgespenst, wie das Dürrenmatt mir zugedacht hatte.» f an der universität Zürich vor der athena-gruppe, 1998. Foto: thomas Burla s Mit Friedrich Dürrenmatt, 1986. Foto: niklaus Stauss / Pro litteris 14 15 «Er hatte nie ganz dazugehört. Es hatte Momentea pplausgegeben, da hatte er den der Gesellschaft gesucht, aber gleichzeitig war er stets auf der Hut gewesen, sich nicht einverleiben und sich nicht verdauen zu lassen.» p Stiftungsrat der uBS-Jubiläumsstiftung, u.a. mit urs Rinderknecht, Direktor, alt nationalrat ernst Mühlemann, Kunsthistoriker hans-christoph von tavel und dem historiker Jean-François Bergier. Foto: Markus Senn s In Solothurn im Restaurant Kreuz, 1990er Jahre. Foto: Isolde Ohlbaum 16 17 7 8 Bestiarium theater anlass für hugo loetschers literarisches Schaffen kann Die ersten erfahrungen mit dem theater macht hugo wie in Abwässer die Begegnung mit einer Baugrube loetscher als Statist und Regieassistent am Schauspiel- sein oder die Frage «Wer hat die Schweiz entdeckt?» es haus Zürich. er verfasst regelmässig Beiträge für die
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