Repositorium für die Medienwissenschaft Ludger Kaczmarek; Eva Maria Schmitt Polyamorie im filmischen Diskurs 2018 https://doi.org/10.25969/mediarep/12814 Veröffentlichungsversion / published version Buch / book Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Kaczmarek, Ludger; Schmitt, Eva Maria: Polyamorie im filmischen Diskurs. Westerkappeln: DerWulff.de 2018 (Medienwissenschaft: Berichte und Papiere 181). DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/12814. Erstmalig hier erschienen / Initial publication here: http://berichte.derwulff.de/0181_18.pdf Nutzungsbedingungen: Terms of use: Dieser Text wird unter einer Creative Commons - This document is made available under a creative commons - Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0/ Attribution - Non Commercial - No Derivatives 4.0/ License. For Lizenz zur Verfügung gestellt. Nähere Auskünfte zu dieser Lizenz more information see: finden Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/ https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/ Medienwissenschaft Berichte und Papiere 181, 2018t Polyamorie im filmischen Diisuurs Redaktion und Copyright dieser Ausgabe: Ludger Kaczmarek u. Eva Maria Schmit. ISSN 2366-6404. URL: htp::/:/berichte.derwulf.de:/0181_18.pd.. Letzte Änderung: 20.05.2018. Polyamorie/polyamory im filmischen Diisuurs Mit einer Bibliografie ur Teorie und Praxis der Polyamorie von Eva Maria Schmitt & Ludger Kac mareu Inhalt: 1. Polyamorie und konsensuelle Nicht-Monogamien im Film [1] 1.1 Einleitung [1] 1.2 Polyamor und darüber hinaus [2] 1.3 Nicht-Monogamie als Ausnahmeerscheinung [3] 2. Filmografe [6] 2.1 Spielflme [6] 2.2 Fiktionale Serien und Serienepisoden [34] 2.3 Dokumentarflme und dokumentarische Serien [38] 3. Literatur zur Teorie und Praxis der Polyamorie [46] 1 Polyamorie und uonsensuelle Nicht-Monogamien im Film 1.1 Einleitung „Hanna: Ich vermisse dich. :/ Simon: Ich dich auch. :/ Hanna: Aber ich vermisse auch Adam. :/ Simon: Ich auch.“ Dieser kurze Wortwechsel aus Tom Tykwers Film Drei (Deutschland 2010) gehört sicher- lich zu den herausragenden Filmdialogen, wenn es darum geht, in möglichst wenigen Worten mög- lichst viel zu sagen. Was zunächst als Wiederannäherung eines zerstritenen Paars erscheint, wird durch nur zwei weitere Sätze zum Wegbereiter einer ungeahnten Möglichkeit: Was wäre, wenn ein Driter Teil des Liebesbundes sein könnte?e Diese und andere Fragen rund um das Phänomen der Polyamorie stellt eine wachsende Anzahl von Spiel- und Dokumentarflmen sowie Serien, unter denen Drei (nicht nur im deutschsprachigen Raum) mit zu den bekanntesten Exemplaren gehört. Deren Historie reicht überraschend weit zu- rück: Obwohl romantische, im allseitigen Konsens geschlossene Mehr.achbeziehungen erst seit den .rühen 1990er Jahren unter der Bezeichnung Polyamorie – eingedeutscht vom amerikanischen Kunstterminus polyamory – an Popularität gewonnen haben, sind ihre flmischen Vorläu.er schon in den 1960er Jahren in der .ranzösischen Nouvelle Vague (Jules et Jim, Frankreich 1962, François Tru.- .aut[*]; Le Bonheur, Frankreich 1965, Agnes Varda) ofenkundig und haben auch in den .olgenden Jahrzehnten ihre spezifsche Aus.ormung ge.unden. Zuletzt reihten sich Produktionen deutscher ö.- .entlich-rechtlicher Sender (siehe etwa Tatort: Die Liebe, ein seltsames Spiel; Deutschland 2017, Rai- ner Kau.mann) und aus den Studios von Hollywood (Professor Marston and the Wonder Woman; USA 2017, Angela Robinson) ein. Zusammen mit anderen Mainstream-Erzeugnissen wie der von John Scot Shepherd entwor.enen Netfix-Serie You Me Her (USA:/Kanada 2016–2018 f.) lassen sie kaum einen Zwei.el daran, dass Polyamorie, wie auch die Anthropologin Barbara J. King (2017) .eststellt, langsam aber sicher aus ihrem Nischendasein heraustrit und einem kulturellen Höhepunkt entge- gensteuert. Gründe genug, um aus den unzähligen Filmen über Liebe denjenigen Erwähnung zu Polyamorie im filmischen Diskurs // Medienwissenschaft, 181, 2018 /// 2 verschafen, in denen Liebes- und Beziehungskonzepte abseits der monogamen Norm westlicher Zi- vilisationen ausgedeutet werden. Für alle, die sich das Temengebiet „Polyamorie im Film“ erschließen wollen, haben wir im An- schluss an einige kontextualisierende Bemerkungen eine chronologische Titelliste mit Spiel- und Dokumentarflmen, einschlägigen Fernseh- und Webserien bzw. Serien.olgen sowie eine Sammlung überwiegend theoretischer Literatur zusammengestellt. 1.2 Polyamor und darüber hinaus Nach Christian Klesse (2007b, S. 316), einem wichtigen und produktiven Forscher au. diesem Gebiet, lässt sich Polyamorie als eine Beziehungs.orm defnieren, welche die Möglichkeit bietet, im Wissen und Einvernehmen aller Beteiligten sexuelle und:/oder Liebesbeziehungen zu mehreren Partner*in- nen gleichzeitig einzugehen. Mehrheitlich beziehen sich polyamor lebende Menschen dabei au. ein romantisches Liebesverständnis als Grundlage dieser Beziehungen (Klesse, 2013): die vielen Lie- ben/Geliebten – so die wörtliche Übersetzung von griech. poly- (πολυ-) + lat. amor – verstehen sich demnach als zwischenmenschliche Bindungen, die neben einer anfänglichen Verliebtheitsphase eine starke emotionale Bindung und sexuell-körperliche Intimität um.assen. Bedür.nisorientierte Kom- munikation (sowie die dazugehörige Selbst(er)kenntnis), potentielle Lang.ristigkeit und Verbindlich- keit der Beziehungen gehören zum ethischen Verhaltenskanon der Polyamoren (Schroedter & Vet- ter, 2010) und machen deutlich, warum die Beziehungs.orm manchmal noch als „verantwortungs- volle Nicht-Monogamie“ beschrieben wird. Letztere Bezeichnung, die eher in den 1980er Jahren po- pulär war und dann vom Begrif der Polyamorie abgelöst wurde (Anapol, 2010), weist au. die pro- duktive praktische und theoretische Auseinandersetzung mit diesen neuartigen Formen der L(i)e- bensgestaltung hin, die von Vertreter*innen einvernehmlicher Nicht-Monogamien (consensual non- monogamies, im Folgenden: CNM) bis heute intensiv gepfegt wird. Von dieser Defnition ausgehend eine Liste audiovisueller Produkte mit und über Polyamorie zu erstellen, war zunächst unser erklärtes Ziel; es wurde jedoch schnell deutlich, dass wir so au. keinen Fall der Komplexität des Diskurses gerecht werden könnten. Wir würden verkennen, dass die Über- gänge zwischen Polyamorie und anderen Formen von CNM fießend sind und dass selbst praktizie- rende Polyamorist*innen sich nicht völlig einig sind, wo die Grenzen verlau.en. Wir würden außer- dem ignorieren, dass Polyamorie sich in ihren spezifschen Erscheinungsweisen in einem histori- schen Prozess herausgebildet hat, in welchem schritweise typische Prinzipien wie der unbedingte und .reiwillige Konsens inkorporiert worden und eine Verschiebung von nicht-monogam gelebter Sexualität zu nicht-monogam gelebter (romantischer) Liebe eingetreten ist – und so eine diachrone Vergleichbarkeit von Erzählmustern, Figuren und Milieus etc. verunmöglichen. Und schließlich würden wir alle Filme aussieben, die sich nicht im Bereich des Eindeutigen verorten lassen und die flmische Neigung hin zum Unrealistischen, Unwahrscheinlichen, Unplausiblen und Fantastischen ignorieren, die zu Konstellationen führt, die sich mit wirklich gelebten polyamoren Beziehungen nur schwer vergleichen lassen. Filme lassen sich nicht au. die gleiche Art und Weise wie ein Mensch danach be.ragen, ob sie denn polyamor „sind“ – und sie weisen sich kaum je explizit als polyamor aus (vgl. Pallota-Chiarolli, Haydon & Hunter, 2013, S. 128). Wir haben uns deshalb entschieden, eine erweiterte Liste zu veröfentlichen, die diesen Punkten weitgehend Rechnung trägt. Im Zentrum stehen Filme, die dem am weitesten verbreiteten Verständ- nis von Polyamorie entsprechen: Als polyamore Filme verstehen wir solche, in denen mindestens eine Figur mehr als eine romantisch-liebevolle (also auch sexuelle) Beziehung zu anderen Figuren unterhält. Um einen gewissen Freiraum bei der narrativen Gestaltung des flmischen Werks zuzulas- sen, müssen beteiligte Figuren zumindest an einem Zeitpunkt der Handlung mit allen Umständen vertraut und einverstanden sein. Als peripher verstehen wir dagegen all jene flmischen Werke, wel- che diesen Kriterien nicht in Gänze entsprechen, unserer Ansicht nach jedoch trotzdem zum flmi- schen Diskurs um Polyamorie gehören. Die Peripherie des Samples bietet also ein Sammelbecken für bestimmte Arten von Abweichung. Ein relevantes Kriterium ist, dass der Film die Möglichkeit polyamoren Begehrens und Liebens insze- niert und nachdrücklich betont. Das illustrieren beispielsweise Filme wie Jules et Jim und daran an- Polyamorie im filmischen Diskurs // Medienwissenschaft, 181, 2018 /// 3 gelehnte Hommagen (Lovin’ Molly, USA 1974, Sidney Lumet; Willie and Phil, USA 1980, Paul Mazur- sky), in denen zwei Freunde ofen von derselben Frau geliebt werden, welche mit dieser Situation zwar nie glücklich sind, sie aber dennoch akzeptieren; auch Filme wie Same Time, Next Year (USA 1978, Robert Mulligan) verletzen das strikte Konsensprinzip, zeigen aber trotzdem beständige und tie.gehende (parallel bestehende) Beziehungen. Ebenso schließt die Peripherie Filme mit ein, in denen andere CNM gezeigt werden. Besonders in älteren Filmen weisen sie sich als historische Vorläu.er von Polyamorie aus. Hier sei au. Bob and Carol and Ted and Alice (USA 1969) verwiesen, eine von Paul Mazursky verflmte Komödie mit Nata- lie Wood in der Hauptrolle, in der sich zwei mitelständische Paare von der .reien Liebe ihrer Zeit inspiriert am Swinging erproben. Als jüngeres Beispiel operiert Happy Few (Frankreich 2010) von Antony Cordier schon deutlich näher an der Grenze zwischen
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