Klangkunst als Philosophie Nicola L. Hein 0 Inhaltsverzeichnis: 1. Philosophisches Konzept 1 1.1 Einleitung 1 1.2 Der Begriff der Klangkunst 5 1.3 Familienähnlichkeit und Klangkunst 10 1.4 Was ist Philosophie? 17 1.5 Alva Noë, Georg Bertram, Richard Rorty: Philosophie und Kunst 21 1.6 Was ist Klangkunst? 27 1.7 Cox: Klangkunst als Gestaltung der Frage: „Was ist Klang“? 28 1.8 Klangkunst als Diskurs 33 1.9 Klangkunst und Skepsis 38 1.10 Bestimmungen der Klangkunst in der künstlerischen Praxis 43 1.11 Klangkunst als Philosophie 58 2. Darstellung: „Sokratischer Versuch über politische Kontingenz“ 65 2.1 Das Konzept 65 2.2 Die Änderungen 71 2.3 Die Durchführung 81 2.4 Wurde Anspruch der Klangkunst als Philosophie eingelöst? 95 3. Perspektiven 99 4. Quellenverzeichnis 100 4.1 Literaturverzeichnis 100 4.2 Abbildungsverzeichnis 105 1 1. Philosophisches Konzept 1.1 Einleitung Die Geschichte der Kunstform, die unter dem Namen der Klangkunst oder der sound art bekannt ist, ist von unterschiedlichen definitorischen Versuchen gekennzeichnet. Die interpretatorischen und definitorischen Differenzen unterschiedlicher WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen und JournalistInnen weisen dabei eine enorme Spannweite auf. Was ist Klangkunst? Welche Objekte, Handlungsformen und Prozessen fallen unter ihren Begriff und welche Merkmale weißt jene Kunstform auf? Wie lässt sich Klangkunst abgrenzen von anderen Formen der Kunst, wie etwa der Neuen Musik, der Improvisierten Musik, der Performance Art, der Skulptur und der Plastik? Gegenüber dieser Entwicklung soll gerade die Heterogenität des Entwurfs der Klangkunst dazu genutzt werden, den Versuch einer Definition zu wagen, die diese aus einem anderen Winkel heraus betrachtet und versteht, indem sie die bereits in der künstlerischen und theoretischen Praxis auffindbaren Bestandteile zusammenfügt und diese in eine spezifische Direktion weiter denkt. Im Verlauf der Arbeit soll die der Klangkunst innewohnende Skepsis als Ausgangspunkt einer solchen Konzeption jener genutzt werden. Der Ansatzpunkt der Überlegungen liegt in der Explikation bereits vorhandener und praktiziert Potentiale, welche zu einer Betrachtung der Klangkunst ausgearbeitet werden sollen, die die Anlagen zu einem alterierten Verständnis ihres grundsätzlichen Anliegens hin ausweitet. Dieser Betrachtung ist es an der Frage gelegen, welche Verständnisebenen der Klangkunst sich eröffnen, wenn sie als Form der Philosophie verstanden und anhand dieses Aspektes untersucht wird. Darüber hinaus vermag es diese Betrachtung, neue künstlerisch-praktische Arbeitsweisen zu inspirieren. Dieses Potential wird auch anhand der Arbeit „Sokratischer Versuch über politische Kontingenz“ verdeutlicht. Die im Folgenden präsentierten Überlegungen sind im Kontext der mit ihnen verbundenen Arbeiten zu verstehen und müssen ihrem pragmatischen Anspruch nach verstanden werden. Die Überlegungen gelten der Klangkunst und werden vollzogen von einem Autor, der nicht nur Betrachter, sondern wesentlich Künstler ist. Dabei bieten die Theoriekonzeptionen des Neopragmatismus einen wichtigen Hintergrund für die Bestimmung der Ausrichtung des Denkens über die Klangkunst. Es sind Überlegungen eines Künstlers über die Kunst, über das dem künstlerischen Arbeiten zu Grunde liegende mögliche Denken. Dieses verdient eine besondere Beachtung, wenn über Klangkunst gesprochen wird. Durch eine Veränderung des Denkens über Klangkunst und einen Fokus der Betrachtung der philosophischen Aspekte derselben, ist es möglich, die bereits geschehene und geschehende Kunst anders zu verstehen und dem künstlerischen Handeln neue Räume zu erschließen. 2 Ausgehend vom Standpunkt des Pragmatismus und des Neopragmatismus kann die vorliegende Arbeit in Anlehnung an das dort entwickelte Wahrheitskriterium betrachtet werden. John Dewey, Charles Sanders Pierce und William James entwickelten in ihren Arbeiten, in Abgrenzung zu den die europäische Philosophie des ausgehenden 19ten Jahrhunderts dominierenden neokantianischen und neohegelianischen Diskursen, unterschiedliche Theorien eines pragmatischen Kriteriums der Wahrheit. Dabei besetzen alle drei Philosophen unterschiedliche Positionen, stimmen jedoch in der Bedeutung der empirischen Evaluation einer Theorie überein. Charles Sanders Pierce entwickelt die Theorie, dass "der rationale Inhalt eines Wortes oder anderen Ausdrucks ausschließlich in seiner vorstellbaren Bedeutung ("bearing") die Führung des Lebens ("conduct of life") liegt.“1 Auch William James wendet dieses Kriterium der Wahrheit in seinen Schriften an und plädiert ebenso für eine pragmatische Wende der Theoriekonstruktion, betont jedoch, im Gegensatz zu Pierce, die Bedeutung der partikularen Erfahrung: "Unser letztlicher Test dessen, was eine Wahrheit bedeutet, ist in der Tat das Verhalten ("conduct"), das sie vorschreibt oder anregt. Doch regt sie dieses Verhalten an, weil sie zuerst eine besondere Wendung in unserer Erfahrung vorhersagt, die nach genau diesem Verhalten von uns verlangt. Und ich würde es vorziehen, Peirces Prinzip so auszudrücken, daß ich sage, daß die effektive Bedeutung irgendeines philosophischen Satzes immer zu einer besonderen ("particular") Konsequenz in unserer zukünftigen praktischen Erfahrung, ob aktiv oder passiv, herab geholt ("brought down") werden kann; wobei der springende Punkt eher in der Tatsache liegt, daß die Erfahrung partikular sein muß, als in dem Umstand, daß sie aktiv sein muß." 2 Der Philosoph Richard Rorty, welcher als einer der zentralen Denker des Neopragmatismus gelten kann, folgt dieser Auffassung des pragmatischen Wahrheitskriteriums, hebt dabei die poetischen Aspekte der Sprache hervor und entwickelt eine Betrachtung der Philosophie unter dem Aspekt der Literatur, wodurch die konstruktiven Potentiale der Sprache aktiviert und aktualisiert werden. Durch diese Auffassung verändert sich Rorty zu Folge nicht nur die Praxis der Betrachtung, sondern auch die des Handelns. Die Philosophie gewinnt somit eine Anbindung an die Praxis des denkenden Handelns, ist nicht nur in der Theorie, sondern im handelnden Vollzug verordnet3. An diese Überlegungen angelehnt muss die hier erfolgende Untersuchung als handlungsorientiertes Nachdenken eines Künstlers über seine Materie verstanden werden, das dem Ziel des Hervorhebens bereits in der Materie vorhandener Potentiale dient, damit diese einerseits das Verständnis und andererseits die künstlerische Praxis bereichern können. 1 Neubert, Stefan (1998) S.59 2 ebd. S. 61 3 Rorty, Richard (2007) S.X 3 Gemäß Wittgensteins an späterer Stelle in diesem Text explizierter Sprachspieltheorie kann argumentiert werden, dass ein Objekt (z.B. ein Gegenstand, eine Handlung, ein Ereignis etc.) erst vor einem Hintergrund als bedeutungstragends Objekt erscheinen kann, d.h. eine Bedeutung hat, weshalb dem reflektierende Denken einer KünstlerIn über ihre Kunst eine große Bedeutung zukommt. Der Begriff des Denkens wird hierbei nicht auf den Bereich der Sprache eingeengt, sondern umfasst auch den Bereich der „Intuition“, insofern es viele unterschiedliche Formen des reflektierenden Vollzugs von Kunst gibt, welche nicht alle der Sprache bedürfen. Diese jedoch fassen die Dinge in einen Kontext, in einen sinnhaften Betrachtungsrahmen, auch wenn dies mit anderen „Mitteln“ geschieht. Das konzeptuelle Arbeiten und Nachdenken ist besonders im 20ten Jahrhundert in den unterschiedlichsten Kunstrichtungen explizit praktiziert worden, was durch die unzähligen Manifeste unterschiedlichster Kunstrichtungen4, die schriftlichen Reflexionspraxen, verbalen Diskussionskulturen (z.B. bei den Darmstädter Ferienkursen für neue Musik), Essays von KomponistInnen (Karlheinz Stockhausen5, Morton Feldman6, John Cage7, Gottfried Michael Koenig8, Pauline Oliveros9), ebenso von Kunstschaffenden unterschiedlichster anderer Richtung und die wissenschaftliche Analyse der Künste in großer Breite belegt ist. So haben sich auch prominente KlangkünstlerInnen wie Bernhard Leitner, Christina Kubisch, Max Eastley, Brandon Labelle und Peter Weibel an unterschiedlichen Stellen explizit zu Fragen der Klangkunst geäußert und damit Statusbestimmungen und Definitionen eben jener geleistet. Das konzeptuelle Denken über Klang scheint für viele KlangkünstlerInnen einen integralen Bestandteil ihrer Arbeit zu bedeuten. Der vorliegende Text beginnt mit einer Darstellung der Klangkunst als Philosophie und einer Betrachtung von Arbeiten unterschiedlicher KünstlerInnen. Die Explikation der Umsetzung jenes Verständnisses in die künstlerische Praxis soll anhand der Analyse und Darstellung der Entwicklung von „Sokratischer Versuch über politische Kontingenz“ erfolgen. Zuletzt wird eine Betrachtung der Perspektiven dieses Projektes geschehen. Der theoretische Ansatz ist hierbei auch ein pragmatischer, insofern er die Theorie nicht nur befragt, ob sie wahre Aussagen zu Tage fördere, sondern sie auf ihren praktischen Nutzen hin betrachtet. Die Theorie kann der künstlerischen Praxis zu neuen Ansätzen verhelfen. Aus dieser reflektierenden Beschäftigung mit künstlerischem Handeln, kann ein anderes Bewusstsein der Möglichkeiten und Freiheiten entstehen. Es folgt dem Bewusstsein der Freiheit dabei jedoch nicht nur eine Freiheit im Denken, sondern auch eine solche im Handeln, beide sind 4 Lack, Jessica (2017) 5 Stockhausen, Karlheinz (1988) 6 Feldman, Morton (1985) 7 Cage, John (1961) 8 Koenig, Gottfried Michael (1996) 9 Oliveros, Pauline (2004) 4 unmittelbar miteinander verbunden und integriert. Die Bestimmung des Handelns kann ohne die Bestimmung des Denkens, welche nicht sprachlich geschehen muss,
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