"War came to our place" – Eine Sozialgeschichte des Krieges im Luwero-Dreieck, Uganda 1981 – 1986 Von der Gemeinsamen Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften der Universität Hannover zur Erlangung des Grades eines DOKTORS DER PHILOSOPHIE Dr. phil. genehmigte Dissertation von Frank Schubert, M.A. geboren am 02.03.1962, in Brilon 2005 2 Referent: Prof. Bley Korreferentin: Prof. Behrend (Universität Köln) Vorsitzender: Prof. Gabbert Tag der Promotion: 30.10.2003 3 Abstract In der vorliegenden Arbeit untersuche ich die Handlungen und Motive von Zivilisten im Bürgerkrieg im so genannten Luwero-Dreieck in Uganda, in dem die Guerillabewegung der National Resistance Army (NRA) unter Yoweri Museveni ab 1981 gegen die Regierung Milton Obote und deren Armee, die Uganda National Liberation Army (UNLA), kämpfte und schließlich 1986 die Macht übernahm. Diese Arbeit ist keine Militärgeschichte im klassischen Sinne, sondern versucht die Dynamik eines Guerillakrieges und seiner Gewalt nachzu- vollziehen. Dies schließt die besondere Bedeutung einer "Plünderöko- nomie" durch Soldaten ein. Auch die Rolle nationaler und internationaler Hilfsorganisationen wird untersucht. Besonderes Gewicht liegt auf den sozialen Prozessen innerhalb der vom Krieg betroffenen Bevölkerung, auf der Veränderung sozialer Netzwerke und der Relevanz innergesell- schaftlicher Differenzierungen und Konflikte. Hauptquellen für diese Arbeit sind erfahrungsgeschichtliche Interviews mit Zivilisten, auch mit jenen, die im Laufe des Krieges zu Soldaten wur- den. Diese Interviews zeigen, dass Zivilisten, Männer wie Frauen, auch in einer brutalen Kriegssituation bei ihren Überlebensstrategien und bei ihrem Verhalten gegenüber den Kriegsparteien eigene Handlungsoptio- nen suchten und eigene Entscheidungen trafen. Sie versuchten, sich der Gewalt des Krieges zu entziehen und handelten dabei gemäß eigener Rationalitäten, Erfahrungen und Erwartungen, die sich nicht notwen- digerweise an den politischen und militärischen Frontstellungen des Krieges orientierten und die kaum von Kriegsursachentheorien und Kriegsklassifizierungen erfasst werden. Im Gegensatz zu vielen Publika- tionen über Kriege im postkolonialen Afrika waren die Zivilisten in die- sem Bürgerkrieg weder ein williges Gefolge noch hilflose und passive Opfer, sondern Akteure. Schlagworte: Afrika – Bürgerkrieg – Oral History 4 Abstract The thesis presented here inquires into the actions and motives of civilians in the civil war in the so-called “Luwero Triangle”, Uganda. In 1981 the National Resistance Army (NRA) of Yoweri Museveni started a guerilla war against the government of Milton Obote and the Uganda National Liberation Army (UNLA). The NRA finally succeeded and took over power in 1986. This thesis is not supposed to be a military history in a conventional way. It aims at the reconstruction of the dynamics of a guerilla war and of its features of violence, including the importance of an economy of plunder run by soldiers. It also analyzes the part in the war played by national and international relief organizations. Particular emphasis is put on social processes within the war-affected society, the transformation of social networks, and the relevance of social differentiations and struggles among the population. Interviews with civilians – including some who became soldiers in the course of war – provide the main sources for this thesis. These inter- views reveal that civilians, both male and female, were trying to look for own options and strategies in dealing with combatants and in order to survive the brutality of war. They acted and decided according to their individual rationalities, experiences and expectations that did not neces- sarily follow the political and military front lines and that are usually not considered by theories on the causes of war and classifications of armed conflicts. Thus, in contrast to many publications on war in post- colonial Africa, most civilians were neither willing followers of an army nor passive victims without an agenda. Key words: Africa – War – Social History 5 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 6 1.1. "I want my name written in a book" – Erfahrungs- geschichtliche Interviews im Luwero-Dreieck 15 2. "The roots of instability" kriegsursachen und Konflikt potenziale aus historischer Perspektive 26 2.1. Regionale Disparitäten und politische Ethnizität bis 1971 27 2.2. Armee und Ethnizität – Die Entstehung von 'martial tribes' 40 2.3. Politik und Militär – Militär und Gewalt 51 2.4. Der gescheiterte Neuanfang nach 1979 66 3. "Protracted People's War" – Der Krieg im Luwero-Dreieck 73 3.1. Die Geschichte des Krieges 74 3.2. Krieg als Wirtschaftsform 100 3.3. Die Rolle der Hilfsorganisationen 112 4. "When two elefants are fighting, the grass is suffering" – Zivilisten im Krieg 127 4.1. "War came to our place" – Kriegsanfänge und Gewalt als Wesen des Krieges 129 4.2. "Taking sides?" – Zivilisten und Kombattanten 140 4.3. Überlebensstrategien 166 4.4. Gesellschaft und Solidarität im Krieg 195 4.5. Interne Konflikte und Konfliktpotenziale 210 5. "To be a rebel is not a joke" – Der Krieg aus der Sicht der NRA-Soldaten 235 5.1. In den Busch gehen – Rekrutierung und Mobilisierung der NRA 236 5.2. Leben im Busch – Kriegsalltag in der NRA 255 6. "From fundamental change to no change?" – Ausblick und Schlusswort 284 Literatur- und Quellenverzeichnis 301 6 1. Einleitung Ziel dieser Arbeit ist es, zentrale sozialgeschichtliche Aspekte des Bürgerkrieges in Uganda von 1981 bis 1986 herauszuarbeiten und deren Relevanz für den Verlauf und den Charakter des Krieges nachzuweisen. In diesem Krieg im so genannten Luwero-Dreieck in Zentraluganda kämpfte die Guerilla der National Resistance Army (NRA) unter Yoweri Museveni gegen die Regierung von Milton Obote und ihrer Armee, der Uganda National Liberation Army (UNLA). In Europa wurde dieser Krieg kaum zur Kenntnis genommen. Er war einer der "vergessenen Kriege"1 Afrikas. Uganda galt in der bipolaren Weltordnung der 1980er Jahre als ein strategisch eher uninteressantes Land. Die politische oder gar militärische Rolle ausländischer Mächte war daher gering. Der Krieg war bis Mitte 1985 ein Guerillakrieg mit relativ wenigen direkten Kampfhandlungen, aber einem großen Ausmaß an Gewalt gegen die Bevölkerung, die überwiegend von Regierungseinheiten ausging. Die Zahl der Opfer ist unbekannt. Nach groben Schätzungen internationaler Hilfsorganisationen starben im Luwero-Dreieck, einem Gebiet mit vormals 700.000 bis 800.000 Einwohnern, zwischen 100.000 und 300.000 Menschen.2 Im Juli 1985 putschten UNLA-Offiziere unter der Führung von Tito Okello erfolg- reich gegen die Regierung Obote. NRA und UNLA führten den Krieg jedoch weiter. Die NRA änderte allerdings ihre Strategie und ging zu einer konventionellen Kriegführung über. Im Januar 1986 eroberte sie – trotz eines formellen Friedens- abkommens mit der Okello-Regierung im Monat zuvor – die Hauptstadt Kampala. Seitdem ist Guerillaführer Museveni der Präsident Ugandas. Mit der NRA hatte erstmals im nachkolonialen Afrika eine Rebellenbewegung in einem Bürgerkrieg, aus der Mitte des Landes operierend und ohne nennenswerte Unterstützung aus dem Ausland, gesiegt und die Macht übernommen. Allerdings sah sich die neue Regierung Museveni in den folgenden Jahren mit militärischem Widerstand im Nor- den und Osten des Landes konfrontiert, der teilweise bis heute andauert. Der Krieg im Luwero-Dreieck war in der nachkolonialen Geschichte Ugandas ein wichtiges Ereignis. Dennoch gibt es kaum wissenschaftliche Texte, die sich ausführlich mit dem Krieg beschäftigen.3 Zu Beginn meiner Forschung hatte ich erwartet, dass mit wachsendem zeitlichen Abstand ugandische und ausländische 1 Vgl.: Rolf Hofmeier / Volker Matthies (Hg.), Vergessene Kriege in Afrika, Göttingen 1992. 2 Zur Problematik der Opferschätzungen siehe Kapitel 4.3. 3 Eine Ausnahme ist: Pascal Ngoga: Uganda – The National Resistance Army, in: C. Clapham (ed.), African Guerillas, Oxford 1998, S. 91-106. Dieser Aufsatz ist eine Zusam- menfassung seiner unveröffentlichten Doktorarbeit: Pascal Ngoga: Guerilla Insurgency and Conflict Resolution in Africa – A Case Study of Uganda, PhD Thesis Lancaster University. 7 Wissenschaftler den Krieg untersuchen würden. Dies ist jedoch nur zu spezifischen Fragestellungen geschehen.4 Zudem gibt es auch nur wenig ver- öffentlichte Kriegserinnerungen5 oder literarische Verarbeitungen6 des Krieges, auf die sich meine Arbeit beziehen kann. Über den Krieg im Luwero-Dreieck ist deutlich weniger geschrieben worden als über andere Kriege in Afrika, etwa dem Mau Mau-Krieg in Kenia in den 1950er Jahren, dem Bürgerkrieg in Nigeria in den 1960er Jahren oder dem Krieg in Simbabwe in den 1970er Jahren. Mit dieser Arbeit versuche ich weder eine umfassende Militärgeschichte des Krieges im Luwero-Dreieck zu schreiben, noch eine quantitative Kriegsfolgen- abschätzung vorzunehmen. Ebenso wenig möchte ich die Geschichte des Krie- ges aus der Feldherrenperspektive der "klassischen Kriegsakteure", den so genannten "geschichtsmächtigen Kräften" schreiben. Eine Guerilla muss sich in der Bevölkerung bewegen – so die oft zitierte Parole von Mao Tsetung – "wie die Fische im Wasser". So möchte ich in dieser Arbeit nicht nur die Fische, sondern auch das Wasser, in dem die Fische schwimmen, mit der ihm zustehenden Wich- tigkeit behandeln. Das heißt, dass ich die Zivilisten, auch die, aus denen im Laufe des Krieges Soldaten wurden, mit ihren Handlungen und Motiven und somit als Akteure in den Blick nehme. Eine solche Perspektive, die die Erfahrungen, Strategien
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