3 Die Materialität des Teufels und ihre Wir- kung auf Hexenverfolgung und Hexenprozeß in ausgewählten europäischen Ländern und in den neuenglischen Kolonien Kernpunkt vieler Hexenprozesse der frühen Neuzeit in Europa und in den neuenglischen Kolonien war die Frage nach der materiellen Existenz des Teu- fels und ihr Nachweis. Teufelspakt, Teufelsbuhlschaft und Hexenflug - alles Elemente des Volks- aberglaubens - waren für einen großen Teil der Hexenprozesse zentrale An- klagepunkte in den Gerichtsverfahren und trugen sowohl in Europa als auch in den neuenglischen Kolonien zu einer Intensivierung der Hexenverfolgung in der frühen Neuzeit bei. Martin Pott bezeichnet diese Elemente des Volksaberglaubens als „Penta- gramm des Hexenwahns“. Er sieht den Hexenglauben als ausgefeilte Theorie, deren Inhalte im Begriff des Teufelspaktes kulminieren.196 Seit Menschengedenken gehörte die Vorstellung einer den Menschen nicht immer freundlich gesinnten, real existenten Parallelwelt zum alltäglichen Le- ben. Einerseits war sie in vorchristlicher Zeit eine durchaus wertfreie Möglich- keit, unerklärliche Erlebnisse verständlich zu machen, andererseits diente sie später dem Christentum als spirituelles Gegengewicht zum göttlichen Wir- ken. Vor allem in kontinentaleuropäischen Ländern, wie zum Beispiel in Deutschland, gewann das Übernatürliche in der frühneuzeitlichen Hexen- verfolgung an Bedeutung. Die Verhandlung von Hexenanklagen vor Gericht mußte dieser Entwicklung Rechnung tragen. Zeugenaussagen und Geständ- nisse der Angeklagten, welche die Existenz des Teufels als materielle Gestalt belegten, erlangten in den Hexenprozessen der frühen Neuzeit eine entschei- dende Bedeutung. Dabei war die Frage nach der materiellen Existenz des Teufels war in ihrer Problematik äußerst komplex. Sie wurde auf allen gesellschaftlichen Ebenen - in der Kirche, Politik und unter Juristen diskutiert. Geistliche wie auch Rechtsgelehrte standen in der frühen Neuzeit vor der oft prozeßentscheidenden Frage, wie man die materielle Existenz des Teu- fels nachweisen könne und welche Relevanz seine Taten vor Gericht haben 196vgl. Pott, Martin, Aufklärung und Hexenaberglaube - Philosophische Grundsätze zur Überwindung der Teufelpakttheorie in der deutschen Frühaufklärung, in Herget, Winfried, S.187; 65 könnten. Im ausgehenden 17. Jahrhunderts wurde in Deutschland und in England anläßlich der unheilvollen Verknüpfung von Hexenprozeß und Folter nun in immer stärkere Maße öffentlich diskutiert, ob der Teufel Imagination oder doch reale Erscheinung war und inwieweit übernatürliche Ereignisse damit vor Gericht als „Beweis“ für die Schuldhaftigkeit der Angeklagten in Hexen- prozessen herangezogen werden konnten. Unbestritten ist dabei, daß keiner der Gelehrten der frühen Neuzeit, we- der einer der stärksten Kritiker der Hexenprozesse in Deutschland, Christian Thomasius, noch Increase Mather, ein durchaus kritischer Zeitzeuge der He- xenprozesse von Salem , die Existenz des Teufels an sich in Frage stellte. Bis heute ist fraglich, ob Thomasius in seiner Haltung zum Teufel, dessen Existenz er nicht leugnete, jedoch seine Materialität verneinte, noch stark in der vom Volksaberglauben geprägten frühneuzeitlichen Denkweise verhaftet war, oder ob er diese Position einnahm, um seine Ende des 17. Jahrhunderts durchaus revolutionären Thesen zum Teufel als imaginäre Gestalt, die schon aufklärerische Züge zeigen, der Öffentlichkeit nahezubringen. Kann eine imaginäre Gestalt für reale Straftaten zur Verantwortung ge- zogen werden? Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser entschei- denden Frage führte schließlich Anfang des 18. Jahrhunderts zu der sukzes- siven Einstellung der Hexenprozesse in Europa und in den neuenglischen Kolonien. Die beginnende Aufklärung mit ihren neuen Möglichkeiten in den Na- turwissenschaften und den damit verbundenen Erklärungsmodellen trug ein ihres zum Ende der Hexenverfolgung in den genannten Ländern bei. Die Erklärungsmodelle für die Frage nach der Materialität des Teufels unterschieden sich jedoch in Europa und in den neuenglischen Kolonien. Während in Deutschland und in England die Frage eher juristisch und philosophisch beantwortet wurde, herrschten in den neuenglischen Kolonien auf Grund der engen Verbindung zwischen Kirche und Staat religiöse Erklä- rungsmodelle vor. Die Diskussion in den neuenglischen Kolonien war dadurch weniger auf eine Veränderung der eher theokratischen puritanischen Gesell- schaft ausgerichtet. Sie waren abhängig vom jeweiligen Gesellschaftsmodell. Die Frage nach der Materialität des Teufels hatte, so nebensächlich sie heute auch erscheinen mag, vor allem in Deutschland, in geringerem Umfang auch in England und in den neuenglischen Kolonien, durchaus gesellschaft- politische Konsequenzen. Auf dem europäischen Kontinent war sie Anlaß für Änderungen im Straf- verfahren und im Strafrecht. Geständnisse gewannen sowohl in den konti- nentaleuropäischen als auch in den neuenglischen Gerichtsverfahren an großer Bedeutung. Da die Körperlichkeit des Teufels nur durch Zeugenaussagen und 66 ein Geständnis der Angeklagten nachzuweisen war, entwickelte sich vor allem in Deutschland die Folter zu einem zentralen Element in den Hexenprozessen. Dabei stand nicht das Ausüben körperlicher Gewalt als Selbstzweck im Vor- dergrund, sondern die Suche nach einem Geständnis als notwendigen Beweis für die Hexerei der Angeklagten und als Möglichkeit der seelischen Reinigung und Reue als spiritueller Weg zurück zu Gott. Das Geständnis übernahm in diesem Fall die Funktion der Beichte. 3.1 Der Einfluß des Teufels auf die Gesetzgebung im Deutschland der frühen Neuzeit Genauso intensiv wie die Hexenverfolgung in Deutschland war auch die Aus- einandersetzung mit der Materialität des Teufels. Besonders zum Tragen kam der bei der Mehrheit der deutschen Bevölkerung vorherrschende Teufelsglau- be in der Rechtsprechung. Mag man den Teufel noch so sehr in das Reich der Phantasie verbannen, seine Auswirkung auf die Gesetze der frühen Neuzeit war erheblich. Ohne den Glauben an den Teufelspakt, nach Siefener ein förmlicher Vertrag der Hexe mit den Mächten der Hölle, der ein beiderseitiges Leistungsverhältnis begründet,197 hätte die Folter wahrscheinlich nicht die Bedeutung im Straf- prozeß der frühen Neuzeit erhalten und der Inquisitionsprozeß wäre nicht das führende Verfahren im Deutschland der frühen Neuzeit geworden. In Deutschland gab es nicht eine einheitliche Form des Hexenprozesses, sondern mehrere unterschiedliche Ausprägungen. Seit dem späten Mittelal- ter existierte der in der kirchlichen Praxis ausgebildeten Hexenprozeß, wel- cher sich mit Hilfe der Inquisition auf den weltlichen Strafprozeß auswirkte. Weiterhin kam das je nach Staat sich unterscheidende altdeutsche Verfah- ren sowie seit 1532 die Constitutio Criminalis Carolina zur Anwendung. Das Hauptaugenmerk im frühneuzeitlichen Strafrecht lag jedoch auf dem wis- senschaftlich ausgebildeten Inquisitionsprozeß gemeinrechtlicher Prägung mit regionalen Sonderregelungen.198 Seit dem späten Mittelalter gewann in Deutschland, bedingt durch die Verknüpfung von Ketzerverfolgung und Hexenverfolgung, aufbauend auf dem Alten und Neuen Testament, die Dämonologie, die den Teufel als materielle Gestalt ansah, auch die Frage der rechtlichen Verfahrensweise in Hexenpro- zessen immer mehr an Bedeutung. 197vgl. Siefener, Michael, Hexerei im Spiegel der Rechtstheorie, S.36; 198vgl. Trusen, Wilhelm, Rechtliche Grundlagen der Hexenprozesse, in Herget, Winfried, Die Salemer Hexenverfolgung, Trier: WVT Verlag, 1994, S.204; 67 Magische Kräfte wurden von der christlichen Kirche und weltlichen Herr- schern nicht mehr nur als Relikte heidnischen Ursprungs angesehen, die, so- fern sie keinen realen, strafrechtlich relevanten Schaden anrichteten, noch bis in das späte Mittelalter toleriert wurden, da die umfassende Christianisierung der Bevölkerung nun im Vordergrund stand. Um die oft unverhältnismäßig erscheinende Reaktion der Kirche gegen- über den Hexen in einen zeitlichen Kontext einzuordnen, darf nicht vergessen werden, daß die Kirche in erster Linie nicht gegen die Hexen kämpfte. Die Hexen waren für die Kirche nur eine kleiner Bestandteil des „Kampfes gegen das Böse“. Lange Zeit vermittelte die Kirche die Vorstellung, daß der Teufel als verstoßener Engel sein Unwesen treibt, voller Neid gegen Gott, weil er aus dem Paradies ausgeschlossen worden war. Der wahre Feind der Kirche war der Teufel.199 Mit dem Aufkommen christlicher Splittergruppen wie zum Beispiel der Katherer, die der etablierten Macht Roms kritisch gegenüberstanden und sowohl für den Papst, als auch für weltliche Herrscher eine reale Bedrohung darstellten, gewann im späten Mittelalter die Frage der Nachweisbarkeit des imaginären Bösen an Bedeutung. In Deutschland wurde m 14. Jahrhundert die Kritik am Papsttum immer stärker. Viele Gläubige waren durch die oft kriegerischen Machtkämpfe zwi- schen den kirchlichen und weltlichen Herrschern beunruhigt. Zur Finanzie- rung dieser Auseinandersetzungen und zur Sanierung ihrer Finanzen suchte die Kirche nach neuen Wegen. Nicht nur durch der Ablaßhandel belastete finanziell den Gläubigen oft bis an die Grenzen des Tragbaren. Es stiegen auch die Steuern. Um die dreißig Prozent mußte der freie Bürger im späten Mittelalter an den Papst zahlen. In dieser Zeit wuchs der christliche „Widerstand“. Es entstanden zahlreiche Sekten und laienreligiöse Bewegungen. Heinemann nennt diese Entwicklung eine „Individualisierung des Gläubigen“ und einen Beitrag zur „Verdiesseiti- gung der Lehre“. Die Kirche fürchtete um ihre Vormachtstellung
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