Bruno Walter an Oskar Wienert??? ... mich sehnsüchtig auf die Schulbank als Lernen- der zurückzuwünschen» Bruno Walter in Briefen an Oskar Franz Wienert Zum 140. Geburtstag des Dirigenten und Musikers Bruno Walter (1876–1962) am 15. September veröffentlichen wir 608 North Bedford Drive drei bisher unpublizierte Briefe Walters an den Anthroposo- Beverly Hills, California phen und Dichter Oskar Franz Wienert (1890–1963)1. 19ten November 1950 Oskar Wienert wurde mit Bruno Walter durch die Sängerin De- lia Reinhardt (1892–1974)1, der er die Anthroposophie nahe- Lieber Herr Wienert! Wie sehr wünschte ich die Zeit zu brachte, bekannt und dann befreundet; Walter seinerseits ist haben, Ihnen so antworten zu können wie mir ums durch Delia Reinhardt mit der Anthroposophie in Verbindung Herz ist, Ihnen das Gefühl der freudigen Dankbarkeit gekommen. (Siehe dazu Bruno Walters Brief an Emil Bock, mit auszudrücken, mit dem mich die Botschaften erfüllt ha- dem Walter in reger Korrespondenz stand, vom 22. September ben, die Sie mir seit unseren Begegnungen in Garmisch 1956, in Emil Bock, Briefe, Stuttgart 1968.) Wie sehr sich und München zukommen ließen! Aber gar zu schwer Bruno Walter der Welt der Anthroposophie als lebenslang Ler- lastet auf mir noch die Fülle des Beruflichen und nender gegen Ende seines Lebens aufzuschließen vermochte, Pflichthaften, das mit einer Kunstausübung wie die mei- geht aus dem Epilog zu seinem vermächtnishaften Werk Von ne verbunden ist, als dass ich die Muße und Konzentra- der Musik und vom Musizieren hervor (siehe Kasten auf S. 5), tion finden könnte, deren ich zu einem Brief wie dieser und davon legen auch seine Briefe an Oskar Wienert, dem wir bedarf. Wie tief ich unser Zusammensein und unser Ge- eine schöne, hier erstmals publizierte Porträtskizze Walters spräch in Ihrem Hause genossen habe, möchte ich Ih- verdanken, ein bewegendes Zeugnis ab. nen vor allem sagen; in der Atmosphäre des Raumes, Für die Erlaubnis, Briefe wie Porträtskizze abdrucken zu dür- der uns drin vereinigte, fühlte ich etwas von der fen, danke ich Waltraud Wienert, der Tochter des Dichters, «höchsten reinlichsten Zelle» am Schluss des Faust, und sehr herzlich. so vertieft wirkt dieser Eindruck in mir nach, dass ich Thomas Meyer erst gestern Delia Reinhardt neuerlich davon gespro- chen habe. Und unser Gespräch: Wie «wesentlich» war es, wie seiend, wie bleibend! Lassen Sie mich auch hin- zufügen, dass ich mit großer Dankbarkeit Ihre beredte und aus so verstehendem Herzen stammende Begrü- ßung im Heft des Goetheanum genossen habe.2 Es hat mich beglückt, gerade in diesen Blättern begrüßt zu werden, von deren bedeutendem Inhalt ich so oft Berei- cherung erfahre. Ich habe Ihnen ja damals angedeutet, dass mir die Gedankenwelt, von der sie berichten, nicht mehr fremd ist – eine mir eingeborene Richtung dort- hin hat von der Freundin nun Bestätigung und bestim- mende Förderung erfahren. Mir erfüllt sich so ein alter Traum: nie konnte ich (als Erwachsener) bei der offen- stehenden Tür eines Schulklassenzimmers vorbei gehen – Chorproben zu Oratorien finden häufig in Schulge- bäuden statt – ohne mich sehnsüchtig auf die Schul- bank als Lernender zurückzuwünschen. Im biblischen Alter ist mir der Wunsch gewährt worden. Aber nun genug von mir und wieder zu Ihnen; Ich danke Ihnen für die Zusendung Ihrer Dichtung «Un- nahbar Euren Schritten». Ich werde sie mit großem In- teresse lesen und freue mich darauf. Auch möchte ich Ihnen noch sagen, wie wohl mir Ihre Erschlossenheit Bruno Walter, Delia Reinhardt und Oskar Wienert in Dornach Der Europäer Jg. 10 / Nr. 11 / September 2006 3 Bruno Walter an Oskar Wienert für die Musik getan hat, von der mir Ihr Wort und Ihr sam, dass Ihr Brief gerade von Ihrem Ringen mit den Wesen Kunde gegeben haben. Und endlich wünsche ich Problemen Ihres Ernst Haeckel-Dramas berichtet und Ihnen Befriedigung und Freude von dem bevorstehen- das zu einer Zeit, in der wir unter dem erschütternden den Aufenthalt in Dornach. Mit den wärmsten Grüßen Eindruck seines Briefwechsels mit Franziska v. Alten- bin ich Ihr herzlich ergebener kamm stehen, für mich eines der wahrhaft erhe- Bruno Walter bendsten Dokumente der Geschichte des menschlichen Herzens. Wir beschäftigen uns nun mit den so erleuch- tenden Ausführungen Rudolf Steiners zu Haeckels Den- ken und Wirken und leben intensiv in der Sphäre dieses Beverly Hills, California 25. 3. 1953 so tragisch zwiespältigen, mächtigen, reinen und hoch- gesinnten Menschen. Lieber verehrter Herr Wienert! Ich möchte Ihnen sofort Dass Ihnen die Kapitel aus meinem künftigen Buch3 für Ihren sehr lieben und willkommenen Brief danken, einige Anregung gebracht haben, beglückt mich und den mir Delia übergeben hat. Er vermittelt wiederum ich sehe dem schriftlichen Niederschlag Ihrer Gedan- ein klarstes umfassendes Bild von einem reichsten inne- ken zu Ihrem mich so nah berührenden Thema mit ren Leben und hat mich sehr bewegt. Wie schön, was Spannung und Vorfreude entgegen. Denken Sie sich, Sie von des sterbenden Richard Strauss’ Hinweis auf sein der Brief, den Sie mir in der Weihnachtszeit mit dem Er- Jugendwerk «Tod und Verklärung» schreiben, das ihm suchen um ein Blatt als Einlage für Ihr Exemplar von nun neuerlich aufklang. Sie wissen, dass er es als etwa «Thema und Variationen»4 schrieben, ist nie in meine Fünfundzwanzigjähriger nach schwerer Krankheit ge- Hände gelangt. Ich hätte sonst natürlich sofort Ihren schrieben hatte und dass wir es also als bedeutendes Be- Wunsch erfüllt und tue es hiermit verspätet. kenntnis zu verstehen haben. Sein Leben und Schaffen Dass der Plan der Anschaffung eines Vervielfälti- hatte ihn dann weit davon entfernt und so ist es tief gungs-Apparates sich als unausführbar erwiesen hat, tut aufschlussreich und ergreifend, dass gerade dieses Ju- mir unendlich leid. – Ihr Wunsch aber nach Anhören ei- genderlebnis die Seele des Sterbenden erfüllte. – Selt- ner Bruckner-Aufführung unter meiner Leitung dürfte Oskar Franz Wienert Bruno Walter 4 Der Europäer Jg. 10 / Nr. 11 / September 2006 Bruno Walter an Oskar Wienert Bruno Walters Bekenntnis zur Anthroposophie Mir ist im hohen Alter das Glück zuteil geworden, in die Welt der Anthroposophie eingeführt zu werden und mich im Laufe der letzten Jahre in die Lehre Rudolf Steiners ver- senken zu können. Hier lebt und wirkt jenes Rettende im Hölderlinschen Sinn; sein Segen hat sich auch auf mich er- gossen, und so soll denn dies Buch mit dem Bekenntnis zur Anthroposophie ausklingen. Es gibt kein Gebiet meines In- nenlebens, das nicht von der hohen Lehre Rudolf Steiners neues Licht und entscheidende Förderung empfangen hät- te. Doch wage ich hier nur als Musiker zu sprechen – ich müßte mich sonst ins Grenzenlose verlieren. Als solcher aber durfte ich mit anfänglicher Verwunderung und späte- rer tiefer Genugtuung aus den Strahlen, die aus der anthro- posophischen Lichtquelle auch auf die Musik fallen, erfah- ren, dass ich vom dunklen Drang meiner Jugendjahre wie vom folgenden bewussten Suchen nach Erkenntnis auf den rechten Weg gewiesen worden war, und dass die aus mei- nem Musikertum entstandenen Gedanken über Ursprung und Wesen der Musik vor der anthroposophischen An- schauung bestehen können. ja, mehr als das: sie finden in der erhabenen Weltschau Rudolf Steiners eine unendlich vertiefte, weisheitsvollere Begründung und eine Erweite- rung, wie sie mir mein Musikertum allein nie hätte gewäh- ren können, und die meine mehr intuitiven Erkenntnisse zur Gewissheit machten. Nichts hätte mich über die mir an- geborene Richtung zur Anthroposophie überzeugender auf- klären können als die Erfahrung, dass der grundlegende Teil dieses Buches, der lange vor meiner ersten Berührung mit der Lehre Rudolf Steiners geschrieben war, seine wesentli- che Gültigkeit auch im Schein der mir so spät gewordenen Bruno Walter, Skizze (unvollendet) von Oskar Wienert höheren Einsicht bewahrte. Freilich, die Einheitlichkeit die- ses meines musikalischen Testamentes fand ich durch die Ich bin mir klar, dass ein solches Werk nicht meine Sache bis dahin nicht geahnte plötzliche Geistesfülle, die mitten sein kann – eine andere, eine tiefere Vertrautheit mit dem während seiner Abfassung mein Leben überflutete, in Frage Lehrgebäude, das Rudolf Steiner errichtete, wäre dazu erfor- gestellt. Da aber, wie gesagt, der damals vorhandene Teil des derlich als die, die ich mir in den wenigen Jahren meiner Be- Buches im Wesentlichen mit den Aufschlüssen und Aus- mühungen hatte erwerben können. Doch drängt es mich, all sagen Rudolf Steiners über die Musik wunderbar über- das, was ich hier als Musiker geschrieben, mit einem Wort an einstimmte, so fühlte ich mich ermutigt, den einmal ein- die Anthroposophie zu beschließen. Denn – ich wiederhole geschlagenen Weg fortzusetzen, mit anderen Worten, es – groß ist meine Dankbarkeit für die unermessliche Berei- weiterhin als fachlicher Musiker zu schreiben und nicht als cherung, die sie meinem hohen Alter gewährt hat. Es ist herr- Anthroposoph. Was ich hier geschrieben, ist also nicht auf lich, in meinen Jahren noch einmal Schüler geworden zu dem Boden der Anthroposophie entstanden, doch fühle ich sein. Ich fühle in meinem ganzen Wesen die Verjüngung, die mich in dem kühnen Glauben sicher, dass sie es im Wesent- stärkend und erneuernd auch auf mein Musikertum, ja auf lichen billigen kann. Eine aus der anthroposophischen mein Musizieren wirkt. Diese besondere Dankbarkeit des Weltschau entstandene umfassende Deutung der Musik ist Musikers geht aber völlig auf in dem überwältigenden Ge- freilich erst zu erwarten, und es wird Sache erfahrenerer
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