Der Meuchelmord von Laubenheim Ein Stück Kreuznacher Justizgeschichte von Joachim Hennig Unsere jüngste Geschichte ist auch heute noch aktuell – auf jeden Fall dann, wenn sie damals nicht irgendwo, sondern hier bei uns spielte. Denn dann auf einmal polarisiert sie, lässt aus braven, biederen Nachbarn „Wutbürger und Kämpfer“ werden gegen eine Sache, die nicht vergeht, die nicht vergehen will und auch nicht vergehen soll. So ist es heute noch. Und so war es schon früher. Etwa auch im Februar und März 1953 in Bad Kreuznach und Umgebung. I. Wie die Geschichte begann Damals hatte sich der „Volkszorn“ u.a. an der Fassade des Landgerichts Bad Kreuz- nach entladen. Als die Beteiligten des unter dem Vorsitz des Amtsgerichtsdirektors Schott stattfindenden Prozesses gegen den ehemaligen SS-Obersturmführer (Ober- leutnant) Tesch das Gebäude betraten, konnten sie links und rechts des Eingangs lesen: Weg mit Schott – Freiheit für Tesch. Diesen Text hatten Sympathisanten des Angeklagten Tesch in der Nacht zuvor mit schwarzer Farbe angebracht und unter dem Schriftzug Weg mit Schott einen Totenkopf mit gekreuzten Knochen ge- schmiert.1 Der damit gemeinte Prozess machte Anfang der 1950er Jahre in Bad Kreuznach und Umgebung Furore, ebenso wie der ihm zugrunde liegende Vorfall in Laubenheim acht Jahre zuvor. Auch heute ist diese Geschichte bei erstaunlich vielen in Laubenheim und bei den Angehörigen der damaligen Akteure bekannt.2 Als ein wichtiges Stück regionaler Kriegs- und Nachkriegsgeschichte und ein Lehrstück für den Umgang der Menschen miteinander in schweren Zeiten ist, soll sie hier auch einem größeren Kreis Interessierter erzählt werden. 1 Bericht des Oberstaatsanwalts Bad Kreuznach vom 10. März 1953 an den Generalstaatsanwalt Kob- lenz, Landeshauptarchiv Koblenz (LHA Ko) Bestand (Best.) 584,6 Nr. 68, Bl. 56. 2 Den Hinweis auf das Geschehen und auf die Akten des Nachkriegsprozesses gab dem Autor Herr Vizepräsident des Landgerichts Bad Kreuznach a. D. Karl Ludwig Knodel. Herrn Knodel sei an dieser Stelle sehr herzlich dafür und für sein Interesse an dieser Arbeit gedankt. 380 Joachim Hennig Abb. 1:Ehemaliges Casinogebäude, Brückes 1, Anfang der 1950er Jahre Sitz des Landgerichts Bad Kreuznach, Aufnahme von 1943/44 (Quelle: Stadtarchiv Bad Kreuznach) Die Nachkriegsgeschichte, die zu dem Prozess und den Schmierereien führte, begann am 23. Mai 1952.3 An diesem Tag erfuhr die Ortspolizeibehörde Langenlonsheim von einem anonym gebliebenen Informanten, dass der Langenlonsheimer Landwirt und Weingutbesitzer Kurt Tesch, der jahrelang als „vermisst“ galt, wieder nach Hau- se zu seiner Familie, zu seiner Ehefrau und seinen drei Kindern, und zu seinem Be- trieb zurückgekehrt war.4 Noch am Abend desselben Tages wurde Tesch vorläufig festgenommen und wegen dringenden Tatverdachts und Fluchtgefahr am folgenden Tag dem Amtsgericht Bad Kreuznach zugeführt. Dies erließ am selben Tag gegen ihn einen Haftbefehl.5 Die anschließenden Ermittlungen erbrachten sehr bald einen Sachverhalt, der für das gesamte Verfahren in groben Zügen maßgeblich sein sollte. Danach hatte sich im Oktober 1944 ein amerikanischer abgeschossener Flieger aus seinem brennenden Flugzeug gerettet und war mit seinem Fallschirm in den Wein- bergen von Laubenheim niedergekommen. Dort nahmen ihn widerstandslos zwei 3 Der Nachkriegsprozess gegen Kurt Tesch ist dokumentiert in den Strafakten der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach Az. 2 Js 509/52//2 Ks 1/53 Landgericht Bad Kreuznach. Die Akten des strafgerichtli- chen Verfahrens (3 Bände) sowie die Handakten der Staatsanwaltschaft (1 Band) sind heute archiviert im LHA Ko Best. 584,6 Nr. 65, 66 und 67 sowie 68. 4 Strafanzeige vom 24. Mai 1952, LHA Ko Best. 584,6 Nr. 65, Bl. 2 Vs +Rs. 5 LHA Ko Best. 584,6 Nr. 65, Bl. 8. Der Meuchelmord von Laubenheim 381 deutsche Soldaten der in Laubenheim stationierten leichten Flakeinheit fest. Waffen hatte er keine bei sich und er ließ sich mit seinem Fallschirm abführen. Die beiden wollten ihn bei ihrem Einheitsführer im Ort abliefern. Auf dem Weg dorthin wurden die drei von einer größeren Menschenmenge begleitet. Unter ihnen war auch Tesch. Hinter der Dreier-Gruppe gehend, griff er zu seiner Pistole und schoss hinterrücks aus nächster Nähe dem amerikanischen Flieger ins Genick. Dieser fiel nach vorn. Unmittelbar danach lief Tesch davon, während die Menschenmenge rief: „Tesch hat ihn erschossen!“ An den Folgen des Schusses starb dann der Amerikaner. Abb. 2: Blick aus Richtung Münster-Sarmsheim (von der Weinlage St. Remigiusberg) auf Laubenheim/Nahe, 2016 (Quelle: privat) Wenn dieser Sachverhalt auch sehr schnell und eindeutig ermittelt werden konnte, so stellte sich im Laufe des Verfahrens doch heraus, dass das damalige Geschehen viel komplexer, komplizierter, differenzierter und schuldbeladener war, als es nach den ersten Ermittlungen den Anschein hatte. Es bedurfte offenbar erst eines Strafprozesses gegen Tesch vor dem Landgericht – Schwurgericht – Bad Kreuznach, bis sich wichtige Tatzeugen meldeten und tiefere Einblicke in das Geschehen gaben. Erhellend ist das Schreiben des Polizeiamtes Bad Kreuznach vom 11. März 1953 an die Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach, einige Tage nach Ergehen des (ersten) Urteils gegen Tesch:6 Da nach Beendigung des Verfahrens gegen den Landwirt und Winzer Kurt Tesch aus Langenlonsheim vertraulich bekannt geworden war, dass in der Hauptverhandlung 6 Bericht vom 11. März 1953, LHA Ko Best. 584,6 Nr. 66, Bl. 369. 382 Joachim Hennig vor dem Schwurgericht in Bad Kreuznach evtl. der Angeklagte und einige Zeugen nicht der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht haben, wurden durch die Kripo Bad Kreuznach auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach weitere Ermitt- lungen geführt. So war bekannt geworden, dass ... (wird ausgeführt). Es besteht somit der dringende Verdacht, dass die als Zeugen gehörten Personen als auch der Ange- klagte, wissentlich Vorgänge verschwiegen haben, die für die Untersuchung von Bedeutung waren. (...) Es kann hier gesagt werden, dass alle Personen, die über- haupt Angaben machen können, sich sehr zurückhaltend verhalten, keiner möchte einen anderen belasten und man merkt recht deutlich, dass es jedem, der befragt wird, peinlich ist, dass er Angaben machen soll. In dieses Bild passt, was schon unmittelbar nach dem Vorfall der damalige Chefarzt der Bad Kreuznacher Diakonieanstalten Sanitätsrat Dr. Alfred Behrens seinem Tage- buch anvertraute:7 Die Langenlonsheimer Flak hat (…) ein Flugzeug abgeschossen. Die fünf Insassen kamen mit Fallschirmen runter und wurden dann von Soldaten gefangen genommen. Aus Langenlonsheim fuhr ein Herr Tesch, ein Weinbauer, anscheinend Mitglied der Landwacht, mit dem Motorrad raus und schoss den Gefangenen nieder. Er scheint dann zu den Soldaten noch eine Bemerkung gemacht zu haben, nicht darüber zu sprechen. Das ist doch ein unglaubliches Verhalten! Durch nichts zu entschuldigen! Die Soldaten sollen noch versucht haben, den Engländer (hier irrt Dr. Behrens, es war ein Amerikaner, Erg. d. A.) zu schützen und hätten den Tesch auf das Gemeine seiner Handlungsweise aufmerksam gemacht. Welchen Zeiten wir wohl entgegenge- hen? Erst nach und nach erbrachten die weiteren Ermittlungen und insbesondere die Aus- sagen „neuer“ Zeugen Einzelheiten und wichtige Details, die zusammengefügt und gewertet ein sehr viel differenzierteres Bild von dem damaligen Geschehen, der Situ- ation insgesamt und den Akteuren vor Ort ergaben. Nach einer wertenden Betrach- tungsweise hat sich – was ausdrücklich betont werden soll – auf der Grundlage des Akteninhalts des Nachkriegsprozesses das damalige Geschehen, eingebettet in die Endphase des Zweiten Weltkrieges, wahrscheinlich so zugetragen: II. Der Luftkrieg Es war Hitler, der die Flächenbombardements im Zweiten Weltkrieg begonnen hatte. Beim Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Polen Anfang September 1939 griff die deutsche Luftwaffe den Großraum der polnischen Hauptstadt Warschau („Schlacht 7 Dieter Behrens/Antje Renner, geb. Behrens (Hg.), Dr. Alfred Behrens Tagebücher, 1999, S. 25. Der Meuchelmord von Laubenheim 383 um Warschau“) an und zerstörte sehr viel. Der nach dem „Blitzsieg“ gegen Polen begonnene „Westfeldzug“ startete ebenfalls mit einem Bombardement, bei dem die deutsche Luftwaffe die holländische Hafenstadt Rotterdam weitgehend in Schutt und Asche legte („Rotterdamer Blitz“). Darauf reagierte der britische Premierminister Winston Churchill am Tag danach, am 15. Mai 1940, mit der Aufhebung des bisheri- gen Verbots, deutsche Städte zu bombardieren. Damit war der strategische Luftkrieg gegen die Zivilbevölkerung faktisch eröffnet. Die Gewaltspirale von Angriff und Vergeltung nahm ihren folgenschweren und unaufhaltsamen Verlauf. Mit der fast vollständigen Zerstörung der englischen Stadt Coventry durch die deutsche Luftwaf- fe eskalierte der Luftkrieg. Verheerende Angriffe der Royal Air Force (RAF) auf Lübeck, Rostock und Köln waren im Frühjahr 1942 der Auftakt für ihre weiteren Großangriffe und gezielten Flächenbombardements. Nach dem Kriegseintritt der Amerikaner beteiligte sich die US Army Air Force (USAAF) am Luftkrieg gegen das Deutsche Reich. Es kam zu einer Aufgabenteilung der Alliierten. Während die Briten - in der Nacht - weiterhin deutsche Großstädte angriffen, bombardierten die Ameri- kaner - am Tag - gezielt Rüstungs-, Industrie- und Verkehrsanlagen. Das war die Antwort der Westalliierten auf den „Vernichtungskrieg“ Hitler-Deutschlands im Osten und auf die Ausrufung des „totalen Kriegs“ durch den Reichspropagandami- nister Joseph Goebbels im Februar 1943. Anfang Sommer 1944 hatte
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