Kultur Schwerpunkt: Musik Allerneueste deutsche Welle Pop HipHop ist die gegenwärtig erfolgreichste Jugendkultur des Landes. Niemand trifft das Lebensgefühl der Generation Selfie besser als die Rapper, die vor Kurzem noch die Schmuddelkinder der Nation waren. Sänger Cro in Straubing o viele Mädchen. Es ist Donnerstag - ta-Rap-Freundespaar Bushido und Kay abend im bayerischen Straubing, und One über den Anarcho-Rapper Favorite Sauf dem Konzertgelände am Rand bis zu den Frankfurter Quasselköpfen Celo der Innenstadt sieht es aus, als bestünde & Abdi und dem Offenbacher Getto-Dich - dieser Ort nur aus Mädchen. Es sind meh - ter Haftbefehl. rere Tausend, sie tragen T-Shirts, die einen Und sie haben die Hits. Da gibt es „Kids stilisierten Panda zeigen, und eigenartige (2 Finger an den Kopf)“ des Berliners Mar - schwarz-weiße Masken, manche haben teria, einen Song über die Langeweile, die Stoffbären dabei. das Leben junger Erwachsener ergreifen Sie warten auf Cro, den gerade erfolg - kann, wenn die Kumpels auf einmal keine reichsten deutschen Rapper. Im Juni ist Zeit zum Kiffen mehr haben. Es gibt Cros sein Album „Melodie“ erschienen, es war „Meine Gang (Bang Bang)“ und „Bad in Deutschland, der Schweiz und Öster - Chick“ – das erste ein sommerleichtes Lied reich auf Platz eins der Charts. Sein Mar - auf die Freundschaft, das zweite eines auf kenzeichen ist eine Pandabärenmaske, die ein Mädchen, das seinen eigenen Willen er fast immer trägt – auf der Bühne und hat. Der Düsseldorfer Angeber-Rapper im echten Leben. Farid Bang glänzt in „Lutsch“ mit Zeilen Cro sieht aus wie eine Zeichentrickfigur wie „Du siehst meinen Rücken und hältst mit der Maske über dem Gesicht, den dün - mich für ’nen V-Mann“. nen Beinen, die in engen Hipsterhosen ste - Dann ist da noch Kollegah, ebenfalls aus cken, dem schmalen Oberkörper im weiten Düsseldorf. Vor Jahren galt er als body - T-Shirt und den langen Armen. Lustig und buildinggestählter Erfinder des sogenann - irgendwie süß. Der Rapper hat einen Body - ten Zuhälter-Rap. Mittlerweile handeln sei - guard, der vor allem dazu da ist, ihn zu ne Stücke nur noch von ihm selbst, tragen warnen, wenn ein Fotograf in einem Mo - Titel wie „Alpha“ , „King“ oder „Du bist ment auftaucht, wo er die Maske nicht Boss“ und drehen sich im Wesentlichen trägt. Und Fotograf ist heute fast jeder, ein darum, dass Kollegah der Größte ist. Handy genügt. Dann hält Cro sich Schönste Zeile: „Alte Homies bit - ein Handtuch vors Gesicht. Video: ten mich, ihnen anstandshalber Das Konzert ist seit Wochen aus - So klingt Geld zu leihen / Doch alles, was ich verkauft, es findet in einem großen deutscher pumpe, sind die Langhanteln aus Festzelt statt, auf das den ganzen HipHop Elfenbein.“ Sein bestes Lied hat spiegel.de/app Tag die Sonne geschienen hat. 312014HipHop er bloß als Internetvideo veröf - Kaum hat Cro die Bühne betreten, oder in der App fentlicht. Die großartig-bekloppte läuft ihm schon der Schweiß unter DER SPIEGEL 16-Jährigen-Hymne „Von Salat der Maske hervor. Ordner schütten schrumpft der Bizeps“ dürfte ein Wasser über die Mädchen. Die sin - Klassiker des Karnevalliedguts wer - gen jedes Lied mit. den, ein Wiesn-Hit. Es ist etwas passiert in Deutsch - HipHop ist die neue Volksmusik, land. Wer pubertierende Kinder man traut es sich kaum hinzuschrei - hat, weiß es: Kein Genre im deut - ben. Was ist da passiert? schen Pop boomt gerade so wie HipHop. „Die Künstler sind immer besser gewor - Falls es dafür eines Beweises bedürfte, die - den“, sagt Elvir Omerbegović, 35, Musikma - ser Abend wäre einer. Wenn diese Musik nager mit dem schönen Titel „President of in Straubing funktioniert, südöstlich von Rap“ beim Branchenführer Universal. „Und Regensburg, 45 000 Einwohner, dann funk - wir haben gelernt, das Internet zu nutzen.“ tioniert sie überall in Deutschland. Omerbegović ist Kind jugoslawischer Zehn Nummer-eins-Alben aus dem Einwanderer und ein ehemaliger Basket - deutschsprachigen HipHop gab es 2013 in baller aus Düsseldorf, wo er auch lebt. Er den hiesigen Charts, in diesem Jahr sind hat „Selfmade“ auf das rechte Handgelenk es bereits sechs. HipHop boomt, und ein tätowiert, was der Name der Plattenfirma Ende ist nicht abzusehen. Ausgerechnet ist, die er groß gemacht hat, unter anderem diese Musik, um die es Mitte der Neun - mit Kollegah, und die nun einen profita - ziger noch großen Streit gab, weil es un - blen Deal mit Universal hat. Zum Spaß klar schien, ob sich auf Deutsch überhaupt rast Omerbegović am Wochenende mit sei - rappen lässt, und die dann lange als Un - nem Renn-Porsche über Formel-1-Strecken. terschichtsvergnügen verschrien war, ist Selfmade Records sitzen in einem un - zur größten deutschen Jugendkultur ge - spektakulären Büro in der Düsseldorfer worden. Innenstadt, nah am Rhein, hier könnte L E G E Mit allem, was dazugehört. Einem Star - auch eine Versicherung residieren oder I P S system, das für die verschiedensten Män - eine Importfirma für Toaster. Nur die Gol - R E D / nermodelle Platz hat. Von einem Spaß - denen Schallplatten an der Wand erinnern A C I V vogel wie Cro und einem Emo-Poeten wie daran, dass hier Hits gemacht werden. A L S Casper bis zum Ex-Porno-Rapper Prinz Pi. „Im Internet fressen nicht die Großen : O T O Von dem mittlerweile verfeindeten Gangs - die Kleinen, sondern die Schnellen die F Kultur Schwerpunkt: Musik Welthits „Sunny“, wurde einer der größ - ten deutschen Pop-Erfolge der vergange - nen Jahre – das Video auf YouTube hat mittlerweile über 40 Millionen Klicks, eine irre Zahl, in dieser Größenordnung bewe - gen sich sonst die US-Superstars, und die bespielen die Welt, nicht nur den deutsch - sprachigen Raum. Waibel entwarf T-Shirts, bevor er zum Rap-Star wurde. Das macht er auch immer noch. Die sozialen Netzwerke bespielt er mit Geschick: Auf dem Höhepunkt des Kon - zerts hält er die Musik an und lässt sich mit dem Publikum fotografieren. Das Bild stellt er nach dem Konzert auf seine Face - book-Seite . Kurze Zeit später hat es über 7000 Likes, fast doppelt so viele wie Besu - cher, die in Straubing da waren. Es ist gar nicht so einfach, sich mit Cro zu unterhalten. Vor allem, wenn ein Kla - vier in der Nähe ist. In dem Theater beim Konzertgelände, wo er und seine Band un - tergebracht sind, steht ein Flügel. Er setzt sich an die Tasten und spielt vor sich hin. Im Gespräch daddelt er dann auf seinem Telefon herum. Einmal wird er munter: bei der Frage, wie er seine Hits schreibt. Erst komme die Musik, dann der Beat, dann die Gesangsmelodie. Dann die Wör - Rapper Kollegah, Marteria: Platz für alle deutschen Männlichkeitsmodelle ter. „Es gibt vier Themen, und die erzählt man jedes Mal: Mädchen, Geld, Alltag und Langsamen“, sagt Omerbegović und skiz - mixten und dazu rappten. Ich bin schwarz, Spaß.“ ziert, wie seine Firma die Künstler zu Stars ich habe keine Arbeit, und ich habe kein Mehr nicht? Keine Politik, kein Protest? macht. Selfmade arbeitet mit dem Strea - Geld. Aber ich bin da, es gibt mich! Ihr „Das interessiert die Menschen nicht. Ich mingdienst Spotify zusammen, viele der könnt nicht so tun, als würdet ihr mich schreibe über einfache Sachen. Alle Trot - jungen Hörer nutzen ihn. Es gibt immer nicht sehen! tel, die versuchen, etwas Komplexes im noch das Radio und die Liveauftritte der So fing es an. Pop zu machen, fallen auf die Schnauze.“ Künstler. Und, am wichtigsten, die so - HipHop war damals die erste postindus - „Raop“ hat Cro seinen Stil einmal ge - zialen Netzwerke. Selfmade hat einen ei - trielle Musik. Die Rapper kamen nicht nannt, eine Mischung aus Rap und Pop. genen YouTube-Kanal mit 750 000 Abon - mehr aus einer rebellischen Arbeiterklasse, Tatsächlich gibt es wenige, die mit ähnlich nenten und rund drei Millionen Likes bei so wie die Rock-’n’-Roll-Bands. HipHop leichter Hand Bilder für die Alltagsdramen Face book, wenn man die Label- und die war der Sound der innerstädtischen Min - deutscher Teenager zeichnet. Künstlerseiten zusammenzählt. derheiten, die vom neuen Dienstleistungs - Dafür hat Cro einigen Spott anderer „Wir erzählen Geschichten“, sagt Omer - kapitalismus nicht mehr gebraucht wurden, Rapper einstecken müssen – doch dass begović. die sich abgekoppelt fühlten von der ge - nicht mehr nur über dicke Autos und Kollegah etwa hat fast ein Jahr vor der sellschaftlichen Entwicklung. willige Frauen gerappt wird, dürfte eher Veröffentlichung seines neuesten Albums Und jetzt, rund 40 Jahre später, in einer ein kultureller Fortschritt als ein Rück - angefangen, seine Fans darauf vorzube - ganz anderen Ecke der Welt, taugt ausge - schritt sein. reiten. Er hat täglich Filme bei YouTube rechnet diese Geste wie keine andere für HipHop in Deutschland hat eine eigen - eingestellt, sein Leben über Monate do - die Bedürfnisse der Generation Selfie und tümliche Geschichte. In den Achtzigern kumentiert, als Reality-Comedy-Show. die Mechanismen der neuen Aufmerksam - war er vor allem die Musik der migranti - Als „King“ dann erschien, reichten schon keitsökonomie. Für Jugendliche, die mit schen Unterschichten und die letzte Be - die Vorbestellungen für die Nummer eins. den sozialen Netzwerken aufwachsen und satzermusik – dort, wo die amerikanische Was früher die „Promophase“ war, die einen beträchtlichen Teil ihres Tages damit Armee ihre Basen hatte, entstanden die Phase für die Werbung, ist heute Teil der zubringen, ihr Leben in die virtuellen Wel - ersten Szenen. Zum ersten Mal in die Show. ten von Twitter, Instagram und Facebook Charts kam HipHop allerdings als Main - „HipHop zu machen ist egolastig, rau einzuspeisen, gibt es keine Parole, die so stream-Popmusik, die Fantastischen Vier und anstrengend“, sagt Omerbegović. attraktiv wäre wie: Nimm mich wahr! waren es, die deutschsprachigen Rap An - „Und du kannst es nicht faken. Das merkt Wer damit zu spielen weiß, hat gewon - fang der Neunziger massenkompatibel ein Fan sofort.“ nen. machten. Ein interessanter Gedanke. Tatsächlich Auch Cro oder Carlo Waibel, wie der Natürlich gab es auch in den Neunzigern ist die Grundgeste dieser Musik ja: Nimm 24-Jährige mit bürgerlichem Namen heißt, Migrantenkids, die rappten: Die großen mich wahr! Schau mich an! So war es vom ist auf einem ungewöhnlichen Weg zum Plattenfirmen wollten aber nichts von ih - ersten Augenblick an, als ein paar schwar - Rap-Star geworden.
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