Das Betzenweiler "Stübleü

Das Betzenweiler "Stübleü

Das Betzenweiler "StübleÜ Von Judith Maier M.A., Kürnbach Mit dem Wohnhaus und der Scheuer des Unte- ren Bauhofs aus Betzenweiler wurde im Jahre 1991 auch das "Stüble" in Ganzteilen in das Kreis- Daabsattest freilichtmuseum Kürnbach umgesetzt. Die bauli- chen Befunde führten zu dem Entschluß, den Zu- stand zur Zeit der letzten Bewohner - der pommer- JilImll&N1avn: sehen Flüchtlingsfamilie Thrun. die von 1947 bis """'-<"Mo/ 1973 dort lebte - zu zeigen. Dank der Hilfe der Tochter, Frau Gisela Peterrnann. geb. Thrun. die das Museum bereitwillig unterstützte, war es möglich, die Einrichtung zu rekonstruieren. Gute Dienste leistete dabei ihr Fotoalbum, aus dem einige Er- _ ".U'<-.1:# kenntnisse über die frühere Einrichtung gewonnen DloteNle\J IKI,kft::J ("litt f'Of1tt:jlllnJ:tru. N~~nso. ,v,.Bj- ~Il~r,'mI) T••".•..,Il{ •.••~«• 'K.:ctlfwh',d •• n.lclftU~ ,r~~.fJ,,~. i-"'/c~ werden konnten. Auch überließ sie dem Kreisfrei- Ie<:.,. lI;l/lIHJ"'I, ~fM\ k.('o'l", Am'~ lichtmuseum viele Dinge wie z. B. Geschirr, 1••. •J,",/, 'V' ,u/ Küchengeräte, Tischdecken und Wandschmuck, die sie nach dem Tode ihres Vaters im Jahre 1988 aufbewahrt hatte und die dem Stüble heute sein Gesicht geben. Nach gut einjähriger Arbeit war es dann soweit: am 28. Juni 1997 konnte Landrat Pe- ter Schneider das "Stüble" der Öffentlichkeit über- ().~f'llldPmllU'b<en med RotcI'Irr-rinr'PfOtol;olki'l ~M"" geben. Die Besucher erleben im "Stüble" aber nicht J)l.u, •••.ir~tlnaIo_hl(' •••••••• Os'~ ••• w~ nur eine Zeitreise zurück in die sechziger Jahre: --<..:;tt'~~=--~!:.'iß /.{,{t ••. eine Tafel erinnert auch an die Schicksale und Lei- stungen der Flüchtlinge und Vertriebenen, die im 00.ÄlJ;;, Jiid~-Jl';; !lkW'" -c.."" Landkreis Biberach eine neue Heimat fanden. pi.!: 4gI1"r" Der Taufschein von Gisela, ausgestellt in Kopenhaqen. Ein kurzer Blick zurück Der damalige Eigentümer des "Unteren Bau- milie mit einem Pferdekarren, auf den noch Haus- hofs" in Betzenweiler, Nikolaus Wiedmann, er- rat und "wenige Klamotten" geladen wurden. Auf stellte 1846 das einstöckige Gebäude für sich als diese Weise gelangten die Flüchtlinge nach Däne- Ausdingstüble ("Speicher"). Von der Witwe des Er- mark, wo sie in einem Flüchtlingslager in Kopen- bauers kaufte es 1870 der Betzenweiler Lehrer hagen untergebracht wurden. Im Lager kam die Gaier und von diesem 1873 Pelagius Kopf (t 1874), Tochter Gisela am 22. Dezember 1946 auf die Welt. der Vater des seinerzeit berühmten Bildhauers Jo- Am 19. Januar 1947 wurde sie noch vom Pfarrer seph von Kopf, des .Lenbachs der Bildhauer". 1909 der elterlichen Heimatgemeinde getauft. Schließ- erwarb es der Eigentümer des Bauhofs, Josef lich gelangte die nun fünfköpfige Familie im Som- Gnann, von einer Schwester Joseph von Kopfs. mer 1947 in einem Viehwaggon mit ihren wenigen Von etwa 1910 lebte bis zu ihrem Tode Franziska Habseligkeiten nach Riedlingen, wo sie ein halbes Minst (1866-1944) im Stüble. Sie arbeitete in Jahr lang auf weitere Zuteilung warten mußte. Buchau in der Trikotfabrik Moos AG. "Wosind wir da nur hingeraten?" Die Familie Thrun Das erste Notquartier bezogen die Thruns im Emil (1901-1988) und Anna Thrun, geb. Krüger Stüble des Gasthofs "Traube" in Riedlingen, das (1905-1974) heirateten am 28. Februar 1930 in aber in sehr schlechtem Zustand war. Sie waren so Hügendorf, dem Heimatort Anna Thruns. Im Jahre froh, als ihnen eine andere bessere Wohnmöglich- 1939 zogen sie nach Borntuchen. Kreis Bütow/ keit zugewiesen wurde. Diese fand man im Stüble Pommern, wo Emil Thrun als Kutscher eines Forst- des Unteren Bauhofes in Betzenweiler, das damals hauses arbeitete.Seine Frau half im Haushalt des seit fast drei Jahren leerstand. Im Häuschen befan- Försters mit. Das erste Kind, ein Mädchen, starb als den sich noch ein paar kleinere Möbel, zur weite- Kleinkind auf tragische Weise. 1934 kam die Toch- ren Einrichtung bekamen Thruns alte Möbel von ter Erika zur Welt (t 1989), 1943 der Sohn der Dorfbevölkerung geschenkt. Flüchtlinge aus Günther. Während des Krieges diente Vater Thrun dem Osten waren in Oberschwaben damals noch freiwillig als Lebensmittel- und Sanitätsfahrer. Als keine alltägliche Erscheinung der Nachkriegszeit, die Ostfront immer näher rückte, holte er seine Fa- so daß die Dorfbewohner ihnen zunächst mit Di- 51 Morgens machte er sich mit dem Fahrrad auf den Weg und abends ging er noch gern zum Einkehren, wo ihn seine Frau ab und zu abholen mußte, am Freitag ließ er sich aber seinen Skatabend nicht nehmen. Günther spielte zudem im Fußballverein, und wäre Gisela katholisch getauft worden, hätte sie Mitglied im Kirchenchor werden können. Im Sommer stand sie abends gern am Fenster ihres Zimmers und sang. Ihre Eltern saßen dann unten auf dem Bänkchen vor dem Haus, lauschten ihr und waren stolz auf sie. Bei Dorf- oder Gemeinde- festen sah man die Thruns regelmäßig. Gegen Abend saßen sie gern auf ihrer Bank vor dem Haus und hielten einen Tratsch mit den Nachbarn oder denen, die gerade vorbeikamen - eben eine "Ho- stube". Nur mit dem Besitzer des Unteren Bauhofes und des Stübles, Josef Nusser, kam die Familie Thrun nicht gut aus. Er war von vornherein gegen die Zwangseinweisung der Flüchtlinge in das Häus- chen gewesen, da er es gerne für andere Zwecke genutzt hätte. Auch sein Versprechen, einen mo- derneren Abort einbauen zu lassen, hielt er nicht, in der Hoffnung, die Familie würde dann auszie- hen. Als er wieder einmal besonders heftig damit drohte, Thruns rauszuschmeißen. dachte sich Mut- ter Thrun: "Das laß ich mir nicht bieten, das geht zu weit!" Wütend ging sie zum Bürgermeister und re- dete mit ihm. Dieser erteilte Nusser eine Rüge, worauf es wieder ruhiger wurde. Frau Nusser hin- gegen konnte Thruns gut leiden, und ließ oft etwas Straßenwart Emil Thrun mit seinem Fahrrad. "über dr Gartazaun 'rüberwachsa". Nur Tochter Erika scheint etwas Probleme mit der Integration gehabt zu haben. Sie verließ das El- stanz begegneten.Auch Sprache - Thruns Heimat- ternhaus nach wenigen Jahren, arbeitete zunächst dialekt. Platt, wurde ebensowenig verstanden, wie bei einem Busunternehmen in Reutlingen und von ihnen das Schwäbische - und Umgebung wa- ging schließlich nach Köln, wo sie auch heiratete. ren fremd. "Wo sind wir da nur hingeraten?" war Ihre Schwester Gisela nahm sie für zwei Jahre zu ein Satz, den Emil Thrun anfangs öfters von sich sich, damit sie ihr im Haushalt helfen konnte. Als gab. Günther Anfang der 60er Jahre zur Bundeswehr mußte, kehrte Gisela zurück nach Betzenweiler, Integration im Dorfe damit ihre Eltern nicht allein blieben. Von Erika, deren Ehemann in der Elektrobranche tätig war, Die Herkunft der Familie Thrun und die sprach- bekamen Thruns einen Fernseher geschenkt - der liche Barriere hätten schon Hindernisse zur Inte- erste im Dorf Betzenweiler. Bei der Übertragung gration bilden können. Jedoch zeigte sie anderer- von wichtigen Fußballspielen traf sich im Stüble seits die Bereitschaft, sich dem Dorfleben anzupas- das "halbe Dorf" und verfolgte mit Spannung das sen. Natürlich waren es die Kinder, vor allem Gisela Geflimmer auf dem Bildschirm. und Günther, die den schwäbischen Dialekt schnell Gisela wäre gerne Bäurin geworden. Wie ihre annahmen, die Eltern dagegen nie. Günther ver- Mutter half sie gerne bei den Bauern aus und ar- diente als Hütebub etwas dazu, und auch Gisela beitete im Haushalt mit. "Noch dr Schul hon I dr hütete ab und zu die Gänse. Mutter Anna galt als Ranza in d'Ecke g'schmissa und bin glei zu de freundliche und zuverlässige Frau, die gern für Baura norn". so erzählt sie heute noch. Auch die Aushilfstätigkeiten in der Landwirtschaft geholt Chancen bei der männlichen Dorfjugend standen wurde. Beispielsweise kochte sie für die Drescher für sie recht gut. Doch sobald das Interesse etwas oder half bei der Ernte. Auch beim Metzger half sie ernster wurde, kamen die Mütter zu Anna Thrun öfters aus. Entlohnt wurde sie mit Geld und Natu- und sagten ihr: "Des Mädle wär: scho recht, wenn ralien. Vater Emil bekam bald eine Stelle als se halt it evangelisch wär." Es spielte also weniger Straßenwärter und war für den weiten Bereich Bad eine Rolle, daß Gisela die Tochter von Flüchtlingen Buchau - Oggelshausen - Tiefenbach - Seekirch war, als die konfessionelle Grenze, die dann doch Alleshausen - Moosburg - Seelenwald - Dürmen- nicht überschritten werden sollte. Dabei hatten tingen zuständig. Sein Straßenwärterhäuschen Thruns ein recht liberales Verhältnis zur Religion: stand in Betzenweiler an der Hauptstraße. Manch- "Es gibt nur einen Herrgott" hieß die Devise der mal begleiteten ihn seine Kinder auf seinen Touren. Mutter. Eine Madonnenfigur, welche die Familie 52 Anna Thrun begutachtet das Wachstum ihrer Pflanzen im Garten. zu ihrem Einzug von Nachbarn geschenkt bekam, takt mehr. Natürlich wünschten sich Thruns nichts erhielt einen Ehrenplatz in der Wohnstube. Bei ka- sehnlicher, als die Heimat einmal wiederzusehen, tholischen Festtagen feierte auch die Familie Thrun doch als Flüchtlinge aus den ehemals ostdeutschen mit - an Fronleichnam schmückten Gisela und ihre Gebieten wurde ihnen die Einreise über die dama- Mutter auch das Stüble mit Blumen und bauten ei- lige DDR verweigert. nen kleinen Altar auf. Die katholische Kirche stand nur wenig entfernt. Fand der Sonntagsgottesdienst Saubohnen mit Stampfkartoffeln statt, so lauschte die ganze Familie im Stüble und und Buttermilch sang sogar die Lieder mit. Zum Stüble gehörte auch ein großer Garten, den "Mensch ärgere dich nicht" und die Familie für den Eigenbedarf bepflanzte, z.B. "Schummerstunde" mit Kartoffeln, Erbsen, Rettich, Gurken, Rüben, Rote Beete, Johannisbeeren,

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