Ein Beitrag Zu Den Arbeiten Am SPD-Grundsatzprogramm

Ein Beitrag Zu Den Arbeiten Am SPD-Grundsatzprogramm

411_58_66_Opdenhövel 29.01.2004 14:03 Uhr Seite 58 Ein Beitrag „Erneuerung zu den Arbeiten am im Wartestand“ SPD-Grundsatzprogramm Patrick Opdenhövel „Ein SPD-Grundsatzprogramm ist stets „Euch mache ich fertig!“ im Nachgang zu mehr als ein Regierungsprogramm. Es den schlechten Wahlergebnissen von muss die modernen Fragen aufgreifen, sie Wolfgang Clement (56,7 Prozent) und mit modernen Antworten versehen und Olaf Scholz (52,6 Prozent). „Erschreckt sozialdemokratische Politik auf einen beklagen Delegierte programmatische modernen Begriff bringen“, so der An- Defizite“, berichtete die Frankfurter Allge- spruch des SPD-Fraktionsvorsitzenden meine Zeitung. Gar von „Partisanen- im Niedersächsischen Landtag, Sigmar kampf“ auf dem Parteitag war die Rede. Gabriel, an das Grundsatzprogramm sei- Ein Aufbruchsignal sieht anders aus, ner Partei. und so verwundert es nicht, dass nach Berlin, Dezember 1999, SPD-Bundes- dem Parteitag demoskopisch nur ein Zu- parteitag. Die SPD stellte das Berliner gewinn von einem Prozent bei der politi- Programm von 1989 auf den Prüfstand: schen Stimmung (26 Prozent) zu beob- „Angesichts der Veränderungen der letz- achten war. Die SPD verharrte unter drei- ten zehn Jahre soll das Grundsatzpro- ßig Prozent bei der Sonntagsfrage im De- gramm der SPD überarbeitet und neu for- zember 2003. muliert werden.“ Auch nach Bochum bleibt die Frage vi- Bochum, November 2003, SPD- rulent: Wie glaubwürdig, verantwor- Bundesparteitag. In Anlehnung an den tungsbewusst und regierungsfähig ist eine Kultsong von Herbert Grönemeyer war Partei im Hinblick auf notwendige Wei- man versucht zu fragen: Bochum, was chenstellungen für die Zukunft Deutsch- kommt aus dir? Im Hinblick auf die Defi- lands, die 1999 erkannt hat, dass es nötig nition der politischen Grundsätze nichts, ist, ihr Grundsatzprogramm den ge- denn diese sind erst für das Jahr 2004 an- änderten weltpolitischen Rahmenbedin- gekündigt, also fünfzehn Jahre nach der gungen anzupassen, und dies bis heute Beschlussfassung eines Grundsatzpro- nicht geschafft hat? Der Umstand, dass grammes, das dann seit mindestens fünf die beschlossene Erneuerung des SPD- Jahren als überarbeitungsbedürftig gilt. Grundsatzprogrammes auf sich warten Für Bundeskanzler Gerhard Schröder lässt, macht das Grundsatzprogramm für brachte Bochum ein deutlich schlechteres die Partei zunehmend zu einem Grund- Wahlergebnis bei seiner Wiederwahl satzproblem. Dies gilt umso mehr, wenn zum Parteivorsitzenden. Aufmerksam- damit der Erhalt der Mehrheitsfähigkeit keit erzielte er weniger mit seiner Rede der SPD verbunden wird. zur Verteidigung der Agenda 2010 als Modernisierungsprogramm als vielmehr Programmatisches Nomadentum mit seiner Kritik an der „kollektiven Un- Es ist nicht so, dass die deutsche Sozial- vernunft“ der SPD oder seiner Drohung demokratie kein gültiges Grundsatzpro- gegenüber der niedersächsischen SPD gramm mehr hätte. Sie hat aber eines, das Seite 58 Nr. 411 · Februar 2004 411_58_66_Opdenhövel 29.01.2004 14:03 Uhr Seite 59 „Erneuerung im Wartestand“ sie nicht mehr als zeitgemäß ansieht, das halten nicht leichter, indem man Begriffe ihren eigenen Ansprüchen nicht mehr ge- streicht – es sei denn, man will eine andere recht wird und dessen Aussagen in ihrem Partei.“ Gerhard Schröder hat sich in Bo- Wertgehalt stets mit einem Fragezeichen chum bemüht, die Begriffe soziale Demo- versehen sind. Dieser Mangel ließ sich kratie und demokratischer Sozialismus als auch nicht durch einzelne programmati- identisch zu definieren, und gleichzeitig sche Vorstöße ausgleichen. Sie sind ver- die Warnung hinzugefügt: „Der Streit um pufft oder haben sogar das Gegenteil be- Begriffe allein bringt uns wahrlich nicht wirkt: „Abrupte ideologische Pendelum- weiter.“ Der Streit wird aber eben nicht schwünge wie etwas das Schröder-Blair- um den Begriff „demokratischer Sozia- Papier (1999), die ,Agenda 2010‘ oder die lismus“ geführt, sondern letztlich um des- neuen, sich gegen den Begriff der sozialen sen Inhalt. Ein Blick in das Berliner Pro- Gerechtigkeit wendenden Thesen des gramm zeigt, dass dort der Begriff „de- SPD-Generalsekretärs Olaf Scholz treffen mokratischer Sozialismus“ in weitaus direkt ins Rückenmark einer sozialde- stärkerem Maße Verteilungskomponen- mokratischen Partei und führen im ten enthält als in der Begriffsbestimmung, schlimmsten Fall zu Lähmung, Stillstand die der Parteivorsitzende in seiner Rede – und eklatanten Wahlniederlagen.“ vorgenommen hat. Die Auseinandersetzung um den „de- Die SPD hat es als Regierungspartei in mokratischen Sozialismus“ im Grund- den ersten Regierungsjahren verpasst, ih- satzprogramm ist ein weiteres Beispiel. ren programmatischen Kern, wie er sich Diese Diskussion trifft den Nerv der Par- im Grundsatzprogramm abbildet, zu ak- tei, weil der Begriff für viele in der SPD tualisieren, um auf der Basis dieser pro- nach wie vor ein programmatisches Fun- grammatischen Neuorientierung die Re- dament beschreibt – sei es ein eher his- gierungsarbeit mit politischen Grundsät- torisch gewachsenes im Sinne einer sozi- zen flankieren zu können. Sie hat sogar aldemokratischen „Leitkultur“, wie dies bewusst darauf verzichtet. Wegen der Ar- Sigmar Gabriel sieht, oder eines, das im beit am Wahlprogramm für die Bundes- Sinne Heidemarie Wieczorek-Zeuls eine tagswahl 2002 hatte die SPD die Arbeiten langfristige Perspektive beinhaltet: „Was am Grundsatzprogramm nahezu ein- ist die Meta-Botschaft in dieser Auseinan- gestellt. Franz Müntefering wurde mit dersetzung? Reduzieren wir die pro- der Begründung zitiert, „es müsse ver- grammatische Spannweite auf das, was mieden werden, dass sich aus parallelen aktuelle Notwendigkeiten sind, oder ist Beratungen eines Parteiprogrammes und die grundlegende Perspektive ersichtlich? des Wahlprogrammes Missverständnisse Ich bin überzeugt, dass gerade in Phasen, über den Kurs der Partei ergäben“. Diese da uns schwierige Entscheidungen abver- Äußerung Münteferings ließ bereits früh langt werden, die langfristige Perspektive das Ausmaß der programmatischen Zer- deutlicher sichtbar sein muss.“ Die Aus- rissenheit der SPD erahnen, die im Ab- sage von Nordrhein-Westfalens SPD- stimmungsverhalten der Delegierten auf Chef Harald Schartau, dass es für die SPD dem Bochumer Parteitag ihren Ausdruck keinen Sinn mehr macht, „Begriffe hoch- fand. zuhalten, die keinen Inhalt mehr besit- Der Sozialwissenschaftler und Politi- zen“, klingt logisch, hat aber eine an die ker von Bündnis 90/Die Grünen, Hubert Substanz der SPD greifende Qualität, Kleinert, kommt zu dem Ergebnis, „dass was die hessische SPD-Landesvorsit- nach dem missratenen und öffentlich als zende Andrea Ypsilanti auch zum Aus- Kokettieren mit dem Neoliberalismus druck bringt: „Man tut sich mit den In- missdeuteten Ansatz des Schröder-Blair- Nr. 411 · Februar 2004 Seite 59 411_58_66_Opdenhövel 29.01.2004 14:03 Uhr Seite 60 Patrick Opdenhövel Papiers 1999 gleich jede Form von pro- gungskraft des Freiheitsgedankens als grammatischer Debatte in der deutschen vielmehr auf die Brachialgewalt seiner Sozialdemokratie eingestellt und in den Rücktrittsdrohungen gesetzt. Im Übrigen Jahren danach nur noch muddling through hat er in seiner Bochumer Parteitagsrede in einer inhaltlich entleerten SPD betrie- den Begriff Gerechtigkeit dreimal häufi- ben worden ist, die ihr Politikangebot als ger als den Begriff Freiheit benutzt und besserer Kanzler-Wahlverein auf die ver- sich im Gegensatz zum Freiheitsbegriff meintlichen Imperative des Machterhalts diesem auch inhaltlich gewidmet. Die in reduziert hat. [. .] Statt wenigstens nach Bochum gefassten Beschlüsse zur Ausbil- der machtpolitischen Grundsatzentschei- dungsplatzabgabe und Erbschaftsteuer, dung, den der Rückzug Lafontaines ja be- der Ausschluss „einer Verlagerung von deutete, nach einer neuen programmati- Tarifverantwortung in die Betriebe“ im schen Orientierung für eine moderni- Leitantrag und der zusätzlich beschlos- sierte Sozialdemokratie zu suchen und sene Initiativantrag zur Tarifautonomie dabei die widersprüchlichen Erwartun- mit dem Ziel, das bestehende Tarifver- gen, die mit der Regierungsübernahme tragssystem unverändert zu erhalten, verbunden waren, abzuarbeiten, hat man sind nicht gerade Belege für das Ver- sich mit der langen Schwäche einer kri- trauen der SPD in die Freiheit. selnden Union beruhigt und ansonsten Unabhängig davon, was es für die einreden lassen, im Zeitalter der Medien- Regierungspartei SPD bedeutet, wenn demokratie gehe es auch ohne klare Li- sie nach fünf Jahren in der Regie- nienführung und sinnstiftende Identifi- rungsverantwortung einen Initiativan- kationsangebote.“ trag „Deutschland braucht ein Leitbild Ge- Gänzlich eingestellt wurde die pro- rechtigkeit“ beschließen muss, ist es be- grammatische Debatte bei der SPD zwar zogen auf die Grundsatzdiskussion schon nicht, konsequent betrieben wurde sie aufschlussreich, dass es eben um ein Leit- aber zweifellos auch nicht. bild „Gerechtigkeit“ und nicht um ein Leit- bild „Freiheit“ geht. Freiheit: viel zitiert, Der bürgerliche Freiheitsbegriff setzt aber politisch folgenlos bei der Freiheit des Individuums an. Die- Wird im Berliner Programm die Gleich- ser Denkansatz ist unmittelbar verbunden rangigkeit von Freiheit, Gerechtigkeit mit dem Gedanken der Eigenverantwor- und Solidarität postuliert, zeigt die ak- tung und Subsidiarität und damit auch ei- tuelle Programmdiskussion eine eindeu- nem geringeren Maß an staatlicher Inter- tige Konzentration auf den Gerechtig- vention. In der Programmdiskussion der keitsbegriff. Der Gedanke der Freiheit SPD erhält der Freiheitsbegriff eine

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