Deutschland CTK EPD Ehemaliges Polizeigefängnis „Kleine Festung Theresienstadt“, SS-Opfer (1945): „Sonderbehandlung“ und Schläge „bis zur Ohnmacht“ scher übersetzen. „Er bittet Gott, ihn zu SS-VERBRECHEN sich zu nehmen.“ Daraufhin spaltete der „schwarze Hans“ dem Betenden mit ei- nem Spaten den Schädel. Aus Langeweile getötet Wie viele Gefangene bis Ende April 1945 ermordet wurden, ist nicht genau bekannt. Über 55 Jahre konnte sich ein mutmaßlicher SS-Verbrecher der Wahrscheinlich waren es mehr als 750. Später stellten Ermittler nüchtern fest, dass Justiz entziehen. Nun sitzt Anton Malloth doch in Untersuchungs- die Wächter nicht nur aus „Rassenhass haft. Ein Prozess ist ungewiss – der Mann ist 88 und fast blind. getötet“ hatten – sondern auch „wahllos aus Langeweile“. ie Todgeweihten hatten ihren Pei- Hitler-Deutschland, 1939. Österreich war Als im Sommer 1948 das „Außerordent- nigern Tarnnamen gegeben. Ein einverleibt, die Tschechoslowakei zerschla- liche Volksgericht“ in Litom¥ºice zu- DScherge hieß „Fischauge“, ein an- gen und als Protektorat Böhmen und sammentrat, um wegen Mordes sowie derer „Zauberer“, „schwarzer Hans“ oder Mähren Bestandteil des Deutschen Reiches. „unmenschlicher Bestrafungen und Quä- „grüner Bogenschütze“. Die neuen Herren regierten mit harter lereien“ zu verhandeln, hatten sich alle Und „schöner Toni“. Der pflegte sein Hand. Wer sich „reichsfeindlich“ betätigte, Beschuldigten längst abgesetzt. Das Urteil dunkles Haar mit Hingabe, puderte sich dessen Schicksal war oftmals besiegelt: – Tod durch den Strang – erging in Abwe- das Gesicht und trug im Dienst oft Hand- „Sonderbehandlung“, also Liquidierung. senheit. schuhe. Dabei war Anton Malloth, SS- Theresienstadt gehörte zu den Todesstätten. Malloths Chef, SS-Obersturmbannfüh- Oberscharführer und Aufseher im Polizei- Malloth, 1912 in Innsbruck geboren und rer Ernst Gerke, nahm einen falschen Na- gefängnis „Kleine Festung Theresienstadt“, gelernter Fleischhauer, kam 1940 als Auf- men an und unterrichtete in Hamburg als ein brutaler und eiskalter Folterknecht. seher in das berüchtigte Gefängnis nahe Privatlehrer Latein. Malloth selbst dachte 55 Jahre nach Kriegsende sitzt Malloth dem Städtchen Leitmeritz (Litom¥ºice). gar nicht daran, in die Illegalität zu gehen nun in München selbst im Gefängnis – we- Mit ihm dienten etwa 60 andere SS-Leute – offenbar plagte ihn kein schlechtes Ge- gen Mordverdachts. und über 20 Kapos. Der Mann, sagt Vera wissen. Dass er erst so spät richtig ins Faden- Zahourková, die in Theresienstadt einsaß, Nach seiner Flucht saß er 1949 zwar in kreuz der Justiz gerät, hat nicht nur mit sei „eine Bestie“ gewesen. Richard Loewy österreichischer Auslieferungshaft. Aber dem Chaos der Nachkriegszeit zu tun, son- aus Wien, Jahrgang 1928, erinnert sich an die aus Prag angeforderten Prozessakten dern auch mit Ermittlerpech, trüber Quel- Schläge „bis zur Ohnmacht“. kamen nicht, und Malloth musste auf frei- lenlage – und offenkundi- Fast täglich starben Häft- en Fuß gesetzt werden. Als sie eintrafen, gem Desinteresse. Dreimal Malloth (1992) linge, und als schließlich wurde Haftbefehl erlassen. Zu spät. Mal- eröffneten deutsche Staats- von Osten her die Rote Ar- loth hatte sich nach Südtirol abgesetzt. anwälte ein Ermittlungs- mee nahte und von Westen Im März 1952 nahm er – so ist es verfahren, dreimal stellten die US-Armee, mussten die dokumentiert – die italienische Staats- sie es ein. Mal galt Malloth SS-Gefangenen Panzergrä- angehörigkeit an. Doch die verwaltungs- als tot, mal galten Belas- ben ausheben – mit bloßen pusseligen Deutschen akzeptierten das tungszeugen als unglaub- Händen. Weil der Grund- nicht: Ein „einseitiger Verzicht“ führe nicht würdig. Bei einer früheren wasserspiegel sehr hoch automatisch „zum Verlust der deutschen Vernehmung räumte er lag, arbeiteten sie in tiefem Staatsangehörigkeit“, vermerkten Spezia- zwar ein, Aufseher in The- Wasser. Manche fielen vor listen des Auswärtigen Amtes. resienstadt gewesen zu Erschöpfung hin und er- Ergo stellte ihm das zuständige deutsche sein. Ansonsten verweiger- tranken. Generalkonsulat in Mailand einen Pass aus te er jedes weitere Wort – Ein Häftling kniete nie- und verlängerte ihn immer wieder. Längst und kam damit lange Zeit der und betete. Auf Wei- stand Malloth auf der Kriegsverbrecher- durch. BORRS W. sung musste ein Dolmet- liste der Vereinten Nationen, und in der 58 der spiegel 26/2000 tional für NS-Mörder“, urteilt der Infor- mationsdienst „blick nach rechts“. Die „Stille Hilfe“ war bis vor wenigen Jahren sogar als gemeinnützig anerkannt. Die Himmler-Tochter besorgte Malloth, der nach seiner Abschiebung in einer Münchner Männerpension „unter men- schenunwürdigen Umständen“ gelebt habe, ein hübsches Zimmer in einem ge- diegenen Pullacher Altersheim. Malloths Frau und seine Tochter gaben Gudrun Bur- witz schriftlich, dass ihr „bei seinem Ab- leben“ alle „persönlichen Dinge zur Ver- fügung gestellt werden“. Das juristische Spiel ging weiter. Im April 1993 nahm Schacht die Ermittlungen wieder auf – weil Mitarbeiter der Gauck- Behörde einen interessanten Fund gemacht hatten. 1968 war vom Stadtgericht Groß- Berlin ein Kamerad Malloths aus der „Klei- nen Festung Theresienstadt“ zum Tode Hinrichtungskommando mit Malloth (5. v.r.): Dreimal wurde das Verfahren eingestellt verurteilt worden; die Staatssicherheit hat- te während der Hauptverhandlung ein Ton- Bundesrepublik lief ein groß angelegtes Er- Theresienstadt“ zum ersten Mal ein. Mal- band mitlaufen lassen, 80 Stunden lang. mittlungsverfahren gegen die Theresien- loths „Schicksal“ habe nicht ermittelt wer- Wieder wurden Zeugen gehört, Archive städter Schergen – seit 1964 in Köln und den können. durchstöbert, Tausende Seiten Akten ko- dann, ab 1970, in Dortmund. Am 5. August 1988 erreichte den zu- piert. Schließlich umfasste der Vorgang Eine tschechische Regierungskommis- ständigen Dortmunder Oberstaatsanwalt Malloth 60 Leitz-Ordner. Schacht, heute sion hatte dorthin umfangreiches Belas- Klaus Schacht der Anruf eines Kollegen pensioniert, vor zwei Jahren: „Wir reißen tungsmaterial übersandt. Dies reichte aus, von der Bozener Anklagebehörde. Der teil- uns die Beine aus.“ um „zunächst wegen 764 Fällen der Tö- te mit, der Gesuchte sei „bei seiner Fami- Im Juni 1999 jedoch beerdigte er das tung von (wahrscheinlich mehreren tau- lie aufgegriffen“ worden. Er halte sich „il- Malloth-Verfahren zum dritten Mal – eine send) Häftlingen zu ermitteln“, so ein Be- legal in Italien“ auf, und da er Entscheidung, die auch vom richt des nordrhein-westfälischen Justiz- „einen abgelaufenen Pass der NRW-Justizministerium gutge- ministeriums. Die Zahl der Beschuldigten: Bundesrepublik Deutschland“ heißen wurde. Mordtaten hät- „mehr als hundert“. besitze, sei seine Abschiebung ten nicht nachgewiesen werden Malloth war nicht darunter. Der galt als „beabsichtigt“. können, die „generelle Fest- tot, weil das Wiener Innenministerium Schacht sprang nicht sofort stellung“, Malloth habe sich deutschen Behörden irrtümlich mitgeteilt drauf an. Er bat, Malloth erst „in brutaler Weise an Leib und hatte, er sei nach dem Schuldspruch von einmal bei seiner Familie zu Leben von Gefangenen ver- Litom¥ºice „hingerichtet“ worden. belassen, um ihn später ver- gangen“, reiche für eine An- Niemand fasste so richtig nach. Erst ein nehmen zu können. Die Italie- klageerhebung nicht aus. Bericht des Mailänder Generalkonsulats ner aber wollten ihn so schnell / TELEPRESS PANDIS So schien der Fall gut 35 über den Malloth-Pass enthüllte, dass der wie möglich loswerden. Fünf Helferin Burwitz Jahre nach seinem Beginn SS-Mann noch lebte – und ein Haus an der Tage nach dem Telefonat setz- in Deutschland endgültig be- Petrarca-Straße zu Meran besaß, das Mit- ten sie ihn ins Flugzeug und expedierten endet. Da meldete sich im November 1999 te der siebziger Jahre zwölf Millionen Lire Malloth nach München. bei der Prager Staatsanwaltschaft ein über wert war (damals rund 45000 Mark). Im Februar 1989 kam Druck ins Verfahren 70-jähriger Mann, dessen Name aus „er- Von nun an sei, so ein Ankläger, gegen – von ganz anderer Seite. Der Kölner Schrift- mittlungstaktischen Gründen“ geheim ge- Malloth „gezielt“ ermittelt worden. Zu- steller Peter Finkelgruen, der in Prag das halten wird. Er könne bezeugen, dass Mal- nächst jedoch ergebnislos. Ein Dortmunder Schicksal seiner Familie recherchierte, traf loth im September 1943 bei der Feldarbeit Begehren, ihn durch ein Meraner Gericht zufälligerweise auf eine alte Dame, die sei- einen jüdischen Gefangenen erschossen vernehmen zu lassen, schlug fehl. Die Ita- nen Großvater gekannt hatte. Sie schilderte habe – weil der offenbar hungrige Mann liener teilten lapidar mit, Malloth sei „im ihm, dass Martin Finkelgruen in Theresien- einen Kohlkopf unter seiner Jacke ver- Jahr 1972 aus Italien ausgewiesen“ wor- stadt erschlagen worden sei – „von Malloth“. steckt hatte. den, sein Aufenthalt „unbekannt“. Finkelgruen, der den Fall detailliert in Als die Post aus Prag eintraf, fühlten sich Eine sonderbare Nachricht. Nur wenige seinem Buch „Haus Deutschland“ schil- die Dortmunder Juristen nicht mehr zu- Monate nachdem Dortmund um Amtshil- dert, erstattete Anzeige. Schacht vernahm ständig. Sie gaben den Vorgang an die fe gebeten hatte, saß Malloth im Südtiroler die Frau und einen weiteren Zeugen, kam Staatsanwaltschaft München I weiter, in Schlanders vor einem Notar. Unter dem aber zu der Erkenntnis, deren „wider- deren Kompetenzbereich der Vorort Pul- Aktenzeichen 1583/76 hielt der Jurist fest, sprüchliche Angaben“ könnten keinen lach fällt. Am 25. Mai erwirkte
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