1919 –1945 Leben an Der Grenze Helmut Konrad Petra Greeff

1919 –1945 Leben an Der Grenze Helmut Konrad Petra Greeff

100 Jahre Grenze. Eine Ausstellung in 3 Kapiteln 1919 –1945 Leben an der Grenze Helmut Konrad Petra Greeff 100 Jahre Grenze. Eine Ausstellung in 3 Kapiteln 1919–1945 Leben an der Grenze Museum für Geschichte Universalmuseum Joanneum www.museumfürgeschichte.at Impressum Inhalt 100 Jahre Grenze. Eine Ausstellung in 3 Kapiteln 4 1919–1945 Vorwort Leben an der Grenze Helmut Konrad Autor/in 100 Jahre Grenze II: 1919–1945 Helmut Konrad Text- und Bildteil im Wechsel 6–51 Petra Greeff Herausgeberin Bettina Habsburg-Lothringen, Leiterin Museum für Geschichte Lektorat Jörg Eipper-Kaiser Grafische Gestaltung Leo Kreisel-Strauß Druck Medienfabrik Graz Umschlagbild Panzersperren bei Šentilj/St. Egidi als Hindernis gegen die deutsche Wehrmacht Fotograf: Alfred Steffen, Multimediale Sammlungen/UMJ Graz 2018 Radkersburg, Murbrücke. Undatiert, Fotograf unbekannt, Multimediale Sammlungen/UMJ Herzlich willkommen! Wir möchten als Museum für Geschichte und Teil distanziert erscheinen. Im Museum kann beides auf- eines großen Landesmuseums einen Betrag dazu einandertreffen und in Dialog gebracht werden. leisten, die Geschichte der Steiermark ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Mit der Ausstellungs trilogie Eben dies, das subjektiv Erlebte mit dem dokumen- 100 Jahre Grenze, die wir vom April 2018 bis zum tierten Ereignis in Zusammenhang zu bringen, versu- Mai 2019 in der Hofgalerie unseres Museums zeigen, chen wir auch im zweiten Teil der Ausstellungsreihe wollen wir Ihre Aufmerksamkeit auf den Süden des 100 Jahre Grenze. Unter dem Titel Leben an der Landes und seine wechselhafte Entwicklung im 20. Grenze: 1919–1945 zeichnen wir die Zwischen- und frühen 21. Jahrhundert lenken. kriegszeit im Gebiet zwischen Soboth und Bad Rad- kersburg, die Zeit des Nationalsozialismus sowie Regionale Geschichte steht immer in Beziehung die unmittelbare Nachkriegszeit nach. Der Einsatz zu überregionalen und europäischen Ereignissen: privater Fotografien und historischer Filmaufnahmen politischen Vorgängen, wirtschaftlichen Bewegun- sowie die Einbeziehung von Zeitzeug/inn/en-Berich- gen und gesellschaftlichen Umbrüchen. Und sie ten erlauben es dabei, Geschichte nah am Menschen wird von Menschen geprägt, die sich in sozialen, und ihrem Alltag zu vermitteln, ohne das politisch ökonomischen und herrschaftlichen Abhängigkeiten Verstörende oder wirtschaftliche und soziale Kon- befinden, aber Gegebenheiten nicht nur hinnehmen flikte auszusparen. und reproduzieren, sondern auch infrage stellen, verändern und so ihre Lebenswelt aktiv mitgestalten. Das Zustandekommen der Ausstellung verdankt sich Blickt man auf zeitgeschichtliche Entwicklungen, – wie auch schon im Falle des ersten Teilprojekts – also die jüngere Vergangenheit, fällt auf, dass diese dem Engagement privater Sammlerinnen und Samm- wie Magma nur allmählich zu Geschichte gerinnt und ler aus der Region sowie der Mithilfe lokaler Museen gerade dort über Jahrzehnte „heiß“ bleibt, wo sie von und Archive. Ihnen sei an dieser Stelle für ihre Unter- Krisen, Brüchen und Widersprüchen bestimmt wird. stützung herzlich gedankt! Mein abschließender Geschichte ist hier zähe Verhandlungsmasse, präsent Dank gilt erneut Helmut Konrad, dem „inhaltlichen und lebendig gehalten u. a. von Zeitzeuginnen und Kopf“ und Kurator der Ausstellung, sowie Petra Zeitzeugen, die ihre Erfahrungen in den öffentlichen Greeff aus dem Team der Multimedialen Sammlungen Diskurs sowie in das Gedächtnis ihrer Familien ein- für die wissenschaftliche Mitarbeit! weben, unmittelbar, persönlich und in einer Weise berührend, dass die Berichte der wissenschaftlichen Bettina Habsburg-Lothringen Expertinnen und Experten dagegen oft blass und Leiterin Museum für Geschichte 4 5 6 7 Helmut Konrad 100 Jahre Grenze II: 1919–1945 ei der letzten Volkszählung in der viele Menschen aus slowenischsprachigen Donaumonarchie hatten im Gebiet Familien Deutsch an und es ist der spiegel- Bder Untersteiermark etwa 15 % verkehrte Prozess zur Untersteiermark zu oder gut 73.000 Personen Deutsch als beobachten) und daher nicht als absolute ihre Umgangssprache angegeben. Diese Größenangaben zu werten sind, ist dieser deutschsprachige Bevölkerung lebte vorwie- Rückgang doch erheblich. Er war den neuen gend in den Städten und stellte in Maribor/ politischen Machtverhältnissen geschuldet, Marburg, Celje/Cilli und Ptuj/Pettau gut zeigt aber auch deutlich, dass Sprache kein 80 % der Bevölkerung. Ökonomisch war Kriterium ist, um nationale oder gar ethni- diese Gruppe in der Untersteiermark domi- sche Zuordnungen vornehmen zu können. nant und kulturell verstand sie sich zwei- Sprache ist nicht nur „Muttersprache“, son- felsfrei als überlegen. Die slowenischspra- dern auch voluntaristisch gewähltes Kom- chige Bevölkerung hatte auf dem flachen munikationsmittel, wechselbar, freiwillig Land des Gebietes und insgesamt betrach- oder aber durch gelebte Alltagspraxis oder tet in der ganzen Untersteiermark quanti- den (erhofften) sozialen Aufstieg zumindest tativ die eindeutige Dominanz. Angesichts für die nächste Generation. dieser Gemengelage war es unmöglich, eine Der SHS-Staat hatte in Saint Germain Trennlinie zu ziehen, die von allen als fair zugesichert, dass die nationalen (gemeint: empfunden werden sollte. Das Ergebnis des die sprachlichen) und religiösen Minoritä- Ersten Weltkrieges machte es aber notwen- ten einen Mindestschutz erhalten sollten. dig, eine neue Grenze zu ziehen. Zudem sollten sie auf eigene Kosten Bil- dungseinrichtungen und soziale Institutio- Nach der definitiven Grenzziehung durch die nen betreiben können. Wenn auch beider- Bestimmungen des Friedensvertrages von seits der Grenze die Behörden nicht gerade Saint Germain, die die Untersteiermark zu minderheitenfreundlich agierten, gelang einem Teil des SHS-Staates machte, wurden es dennoch einigen deutschsprachigen die meisten deutschsprachigen Schulen Industriellen, ihre wirtschaftliche Stellung südlich der neuen Grenze auf slowenisch- in Slowenien zu bewahren. Sie waren als sprachig umgestellt und die deutschsprachi- private Unternehmer nicht unmittelbar gen Beamten der Verwaltung entlassen. Die von der Schließung der Schulen oder den deutschsprachigen Vereine wurden aufge- Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst löst. Tausende deutschsprachige Unterstei- betroffen. In der Südbahngesellschaft trafen rer verließen daraufhin das Gebiet, manche freiwillig, andere unter oft massivem direk- ← Vorherige Doppelseite ten oder indirekten Druck. Bei der Volkszäh- Straße im Steirischen Grenzland, undatiert, Fotograf lung von 1921 gaben nur noch 22.500 Men- unbekannt, Multimediale Sammlungen/UMJ schen Deutsch als ihre Umgangssprache an, 1931 waren es nur mehr 12.400. Obwohl Rechts Radrundfahrt in Spielfeld im Sommer 1927, Fotograf diese Sprachenerhebungen kein unbeein- unbekannt, Multimediale Sammlungen/UMJ, Schenkung flusstes Bild zeigen (in Kärnten kreuzten Kriegl 8 9 hingegen diese Entlassungen die Menschen übertritte, die notwendig geworden waren, besonders hart, da bereits die mangelhafte weil die neue Grenze ja manchmal funktio- Kenntnis der slowenischen Sprache als nierende alte ökonomische Einheiten durch- Entlassungsgrund ausreichend war. Insge- schnitten hatte. Das Leben an der Grenze samt aber war Slowenien durchaus noch schien sich trotz aller Belastungen und von der rechtsstaatlichen Tradition der menschlichen Verwundungen, die die Grenz- österreichischen Reichshälfte der Monarchie ziehung als Resultat der Kriegsniederlage geprägt, was zu einem relativ berechenba- Österreichs im Ersten Weltkrieg mit sich ren Vorgehen der Machthaber führte. Man gebracht hatte, einzupendeln. kann zweifellos sagen, dass beiderseits der Als im Juli 1934 Teile der österreichischen Grenze zumindest dann, wenn man Kärnten Nationalsozialisten einen Putsch gegen und die an die dortige slowenischsprachige die österreichische Bundesregierung unter- Bevölkerung gemachten Versprechen und nahmen, in dessen Verlauf Bundeskanzler die Zusagen seitens der Kärntner Landes- Engelbert Dollfuß ermordet wurde, war nach regierung, die für die Volksabstimmung von dem Scheitern des Aufstandes, der in den 1920 gemacht wurden, mit einbezieht, eine südlichen Bundesländern zwar nur kurz, Art des Gleichgewichts der Ungerechtigkei- aber besonders heftig war, Jugoslawien das ten zwischen Österreich und Jugoslawien bevorzugte Rückzugsland für die geschlage- erreicht worden war. Die Ungerechtigkeiten nen und flüchtenden nationalsozialistischen hatten die jeweiligen sprachlichen Minoritä- Putschisten, die dort freundliche Aufnahme ten in den Grenzregionen zu tragen. in Sammellagern fanden und auch die Gele- Obwohl also auf beiden Seiten der neuen genheit nutzen konnten, von Jugoslawien Grenze die jeweiligen Minoritäten unter aus nach Deutschland zu gelangen, um dort großem Assimilationsdruck standen, ent- die „österreichische Legion“ zu bilden, die wickelte sich entlang der Grenze für einige im weiteren Verlauf der Geschichte noch Jahre eine gewisse Normalität. Die Mur, eine Rolle spielen sollte, nicht zuletzt beim nunmehr Grenzfluss, war bald wieder belieb- Einmarsch der deutschen Truppen in Öster- tes Ausflugsziel und ein Ort, an dem etwa reich im März 1938. Wassersport betrieben werden konnte. An den Murbrücken standen jeweils die Grenz- Rechts oben kontrollen der beiden Staaten und man Wahrscheinlich 1933 oder 1934: „Zu sehen ist der LKW der Fa. Josef Wurzer in Ehrenhausen, Hauptstraße Nr. musste, wenn man die Grenze passierte, vor 30, mit dem Chauffeur Johann Ackerl (1900–1969) – allem darauf achten, dass man in Österreich meinem Vater – und einem Lehrling.

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