CARSHARING: MYTHOS, HYPE, CHANCE Verkehrliche und ökonomische Bewertung Von Christian Mehlert und Sylvie Grischkat Sonderdruck aus Neue Mobilität, Herbst 2019 n Deutschland nahm Carsharing bereits 1988 mit dem Pionier StattAuto in Berlin seinen Anfang. Gut zwei Jahrzehnte später betraten Autokonzerne mit car2go (Daimler, 2010) und Dri- veNow (BMW, 2011) den hauptstädtischen Mobilitätsmarkt. IInzwischen sind im Berliner Straßenbild - neben diversen Bike- und Scootersharing-Diensten – die insgesamt rund 5 000 Carsha- ring-Fahrzeuge zahlreicher Anbieter unübersehbar. Diese Entwick- lung, die dem Ridepooling-Hype in deutschen Großstädten ähnelt [1], nehmen die Autoren zum Anlass, einen Überblick über den Berliner Carsharing-Markt zu geben, die ökonomische Tragfähig- keit von Carsharing und dessen verkehrliche Wirkungen zu hinter- fragen sowie Schlussfolgerungen zur flächendeckenden Carsha- Abb. 2: Stadtmobil-Station in der Siedlung Schillerpark unterstützt den Verzicht aufs eigene Auto und fördert nachhaltige Mobilität. Quelle: C. Mehlert ring-Einführung in Stadt und Land zu ziehen. Beim freefloating Carsharing parken die Fahrzeuge stationsfrei im Ge- Begriffe, Varianten, Entwicklung schäftsgebiet des jeweiligen Anbieters. Die Nutzer orten und buchen Beim Carsharing – zu Deutsch: Autoteilen – besitzt man das Auto nicht über ihr Smartphone ein Auto und stellen dieses nach Fahrtende inner- selbst, sondern teilt es sich mit Anderen. Der Carsharing-Anbieter ist in der halb der Gebietsgrenzen wieder ab. Systembedingt sind Reservierungen Regel zugleich Halter des Autos. Bei der Anmeldung schließen die Kunden im Voraus nicht möglich. Die Fahrzeuge stehen häufig nicht verlässlich in mit dem Anbieter einen Rahmenvertrag, innerhalb dessen alle Fahrzeuge der Nähe zur Verfügung, eignen sich dafür aber auch für Spontan- und rund um die Uhr selbstständig buchbar sind. [2] Einrichtungsfahrten („One-Way-Trip“). Die Preise liegen über denen des Autoteilen entstammt ursprünglich der autokritischen Umweltbewegung. stationären Carsharings. [4] Mit dem Aufkommen der „Sharing Economy“ seit den 2000er Jahren fin- Das in diesem Beitrag behandelte gewerbliche Carsharing unterscheidet det durch die Autoindustrie eine Kommerzialisierung dieser Idee statt, bei sich vom privaten peer-to-peer-Carsharing dadurch, dass bei letzterem der Carsharing ein Geschäftsmodell zur Pkw-Kurzzeitvermietung bildet. Privatpersonen innerhalb ihrer Nachbarschaft oder über eine Internetplatt- Zwar wird dieses pauschal als nachhaltig vermarktet („Sharing is caring“); form wie Drivy ihr eigenes Auto vermieten und hierzu jedes Mal einen tatsächlich ist Sharing in den meisten Fällen lediglich eine neudeutsche Einzelvertrag abschließen. Einzelverträge werden auch bei klassischen Umschreibung für Vermietung, wie der Slogan „Miet und share die Rob- Autovermietern wie Sixt oder Europcar abgeschlossen, bei denen die be“ der Transporter-Vermietung Robben & Wientjes veranschaulicht Vermietung zudem erst ab einem Tag erfolgt, während Carsharing auch (Abb. 1). für wenige Minuten, Stunden oder Kilometer möglich ist. Ridesharing un- terscheidet sich vom ähnlich klingenden Carsharing dadurch, dass beim Grundsätzlich sind zwei Carsha- Ridesharing eine Privatperson eine dritte Person – mit oder ohne geringfü- ring-Varianten zu unterscheiden. giger Kostenbeteiligung – im eigenen Pkw mitnimmt (Fahrgemeinschaft). Beim stationären Carsharing be- Ridepooling beschreibt hingegen die gewerbliche Personensammelbeför- ginnen und beenden die Kunden derung im fahrplanfreien Flächenbetrieb. ihre Fahrt am selben Ort („Re- turn-Trip“). Hiervon gibt es die Marktüberblick Berlin stations- und die zonenbasierte In Berlin sind gegenwärtig zehn Carsharing-Betreiber mit jeweils über 25 Untervariante, bei denen die Au- Fahrzeugen am Markt, die – Smartphone, gültige Fahrerlaubnis und Giro- tos entweder an einer Parkstation bzw. Kreditkarte vorausgesetzt – für alle frei zugänglich sind. Nach dem (meist) auf Privatgrund (Abb.2) Herunterladen der jeweiligen App (Abb. 3) sowie anschließender Regist- oder innerhalb einer Parkzone rierung und Freischaltung sind in Summe vier flexible und sechs stationäre Abb. 1: Sharing ist das neue Mieten. Quelle: C. Mehlert im öffentlichen Straßenraum ste- Angebotsvarianten nutzbar (Tab. 1, Tab. 2). hen. Reservierungen sind mehrere Tage oder Wochen im Voraus möglich. Stationäres Carsharing eignet sich Viele Anbieter haben eine gesellschaftsrechtliche Verknüpfung mit Auto- besonders für Personen, die auf ein eigenes Auto verzichten wollen und herstellern und -vermietern, teilweise auch mit Investoren bzw. Wagnis- trotzdem die Verlässlichkeit eines in ihrer Nähe bereitgestellten Fahrzeugs kapitalgebern. Die Deutsche Bahn ist als einziges Verkehrsunternehmen brauchen. Es bildet im Vergleich zum freefloating Carsharing die preis- auf dem Berliner Carsharing-Markt aktiv. Stadtmobil und Cambio sind günstigere Variante. [3] Verbünde von klein- und mittelständischen Carsharing-Unternehmen, 1 Homepageveröffentlichung unbefristet genehmigt für https://www.kcw-online.de/. Rechte für einzelne Downloads und Ausdrucke für Besucher der Seiten genehmigt. DVV Media 2019 Sonderdruck aus Neue Mobilität, Herbst 2019 die keine gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen mit der Autoindustrie besitzen. Die Geschäftsgebiete der freefloa- ting Carsharing-Angebote umfassen stets die Ortsteile im und am Berliner S-Bahn-Ring, der die Berliner Innen- Abb. 5: Der Name ist Programm: Miles rechnet nach Kilometern ab. Quelle: Miles Mobility stadt umschließt. Stationen und Zo- nen von stationären Diensten liegen sitzen einen Elektro- oder Hybridantrieb. WeShare („100% electric car oftmals auch jenseits davon, selten sharing“) setzt auf eine freefloating Flotte, die ausschließlich aus Elektro- jedoch in den äußeren Stadtrand- fahrzeugen der Volkswagen-Gruppe besteht (Abb. 6) [7]. bereichen. Dennoch geht das durch Carsharing erschlossene Stadtgebiet Ökonomische Tragfähigkeit und verkehrlicher Nutzen deutlich über die Geschäftsgrenzen Bei oberflächlicher Betrachtung entsteht der Eindruck, dass Carsharing der gegenwärtigen Bike- und Scoo- ein lukratives Geschäftsmodell (in Großstädten) sei. Bei genauerem Hin- tersharing-Angebote hinaus. sehen zeigt sich jedoch ein differenzierteres Bild. So geriet beispielswei- Die Parkierung erfolgt beim free- se StattAuto im Jahr 2000 in eine finanzielle Krise. Erst durch ein tief- floating Carsharing innerhalb des greifendes Sanierungskonzept sowie Beteiligung des niederländischen Abb. 3: 3-in-1-App von Sixt: Auswahl zwischen Autovermietung (Rent), Car- und E-Scooter-Sharing jeweiligen Geschäftsgebiets. Bei der Carsharing-Betreibers CollectCar konnte die Firma gerettet werden, die (Share) und Taxi/Fahrdienst (Taxi-Ride) Quelle: C. Mehlert stationären Variante findet diese sys- seit 2006 als Greenwheels AG firmiert und sich inzwischen in den Händen tembedingt an Stationen, teilweise von Volkswagen befindet. [8] Der zum französischen PSA-Konzern ge- zusätzlich auch in Parkzonen statt. Oply („Dein Carsharing-Anbieter in der Nachbarschaft“) parkiert ausschließlich in nachbarschaftlichen Park- zonen. Stadtmobil und Cambio sind in Berlin ausschließlich stations- bzw. zonenbasiert. Bei den stationären Angeboten gelten grundsätzlich kombinierte Zeit-Weg-Tarife, bei denen sich die Kosten aus den gebuchten Stunden bzw. Tagen und den gefahrenen Kilometern berechnen. Eine Ausnahme bildet Ubeeqo, dessen Kunden einen reinen Zeittarif inklusive Kilometer- pauschale zahlen (Abb. 4). Zeitbasierte Tarife sind ansonsten bei den Free- floatern üblich. Hiervon bildet nur Miles („Pay for the ride not the traffic“) Abb. 6: WeShare ist freefloating Carsharing Abb. 7: Citroën stellte sein Elektro-Carsharing Multicity ausschließlich mit Elektroautos. 2017 wieder ein. mit einem Kilometertarif eine Ausnahme (Abb. 5). Einige Carsharer bieten Quelle: VW Quelle: P. Kuley CC BY-SA 3.0 auch Abotarife an, bei denen sich gegen Zahlung einer Pauschale pro Monat oder Quartal die Kostensätze zur Nutzung reduzieren. In allen Ta- hörige Autohersteller Citroën startete 2012 in Berlin sein Carsharing-An- rifen sind sowohl die Kraftstoff- bzw. Stromkosten als auch die Park- und gebot Multicity mit einer reinen Elektroflotte (Abb. 7), stellte dieses aber Versicherungsgebühren enthalten. nach fünf Jahren Betrieb im Jahr 2017 mit der Begründung einer man- gelnden Ladeinfrastruktur wieder ein. [9] Die Flotten umfassen fast immer Kleinwagen bis Mittelklassefahrzeuge, häufig auch Lieferwagen oder Transporter. Einige dieser Fahrzeuge be- Laut der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sei freefloating (Er- gänzung der Verfasser) Carsharing ein Milliardengrab; darum hätten Daimler und BMW ihre Dienste car2go und DriveNow unter der Bezeich- nung ShareNow „aus lauter wirtschaftlicher Verzweiflung zusammenge- DEIN FLEXIBLER MIETWAGEN SCHON legt“ [10]. Auch die Süddeutsche Zeitung titelt „Carsharing rechnet sich in den meisten deutschen Städten nicht“ [11] und nimmt dabei Bezug auf AB 3,50€/STD ODER 30€/TAG die im August 2019 von A.T. Kearney veröffentlichte Studie „The Demys- Benzin, Versicherung und 50 Freikilometer inklusive. tification of Car Sharing“ [12] – die Carsharing allerdings auf die freefloa- ting Variante reduziert und die stationäre Alternative ausblendet. Dass die freefloating Geschäftsmodelle ökonomisch aufgehen, ist also keineswegs ausgemacht. Stationäres Carsharing wird hingegen in 61 Großstädten mit 100.000 bis 500.000 Einwohnern seit vielen Jahren erfolgreich betrieben. STATIONSBASIERT: FAHREN UND ZURÜCKBRINGEN. CARSHARING
Details
-
File Typepdf
-
Upload Time-
-
Content LanguagesEnglish
-
Upload UserAnonymous/Not logged-in
-
File Pages4 Page
-
File Size-