26. Jahrgang Dezember 2020 fiftyfifty Titelstory: Freiheit, Wohnungslose von der Straße lesen. Gleichheit, 2,40 Euro, davon 1,20 Euro für den/die VerkäuferIn Beethoven. soziales/politik/wirtschaft/kunst/kultur fiftyfifty.de Vorwort: Bundespräsident Steinmeier fiftyfifty wünscht allen Leserinnen und Lesern ein frohes und gesundes Weihnachtsfest! Exklusiv für fiftyfify: Denkanstöße Beethoven Grafik von durch Punk MARKUS LÜPERTZ s. S. 9 / 24 CAMPINO im ff-Interview Foto: © Daniel Hofer Foto: 02_intro kabarett_03 Liebe Leserinnen und Leser, seit mehr als 25 Jahren gibt es Straßenmagazine und –zeitungen in Deutsch- land. Seit zweieinhalb Jahrzehnten sind sie Menschen, die auf der Straße leben, eine Hilfe zur Selbsthilfe. Und sie leben von der Straße, vom Straßen- verkauf. Monat für Monat – bis zu diesem April, als viele von ihnen nur mehr digital erscheinen konnten. Denn die Straße, das öffentliche Leben, unser aller Leben, steht seit nunmehr einem dreiviertel Jahr unter dem Einfluss der welt- weiten Corona-Krise. Was bedeuten die Infektionsgefahr und die Kontaktbeschränkungen für Men- schen, die weiter auf der Straße leben, die auf Einkünfte aus dem Straßenver- Frank-Walter Steinmeier, Bun- despräsident der Bundesrepublik kauf angewiesen sind, deren Anlaufstellen nur noch im Notbetrieb arbeiten Deutschland. Foto: Bundesregie- können, die keinen Rückzugsraum haben? Ein öffentlicher Raum ohne Men- rung/Steffen Kugler schen, ohne Kommen und Gehen, ist wie ein blinder Fleck. Doch gerade jetzt sind die Menschen, die weiter auf der Straße und von der Straße leben, auf Wahrnehmung angewiesen, darauf, dass sie nicht aus dem Blick geraten in dieser Krise. Durch Corona sind wichtige Anlaufstellen und Auf- enthaltsorte für wohnungslose Menschen nur noch eingeschränkt nutzbar. Im bevorstehenden Winter heißt das für viele – trotz großer Anstrengungen einer Vielzahl von karitativen Organisationen: Weniger Orte zum Aufwärmen, und, gerade in dieser Gesundheitskrise, weniger Möglichkeiten für einfachen medi- Wir danken allen sehr herzlich, die zinischen Rat. die Projekte von Straßenmagazine wie fiftyfifty und andere Einrichtungen der Obdachlosenhilfe fiftyfifty unter- können hier Unterstützung leisten. Sie verlieren ihre Leute nicht aus den Au- stützen und un- gen. Wir sollten es auch nicht. Wer obdachlos ist, ist schutzlos, wenn ihm nicht terstützt haben. geholfen wird. Alle Institutionen der Obdachlosenhilfe sind deshalb auf unsere Unser Spenden- Wahrnehmung und Hilfe angewiesen, gerade in dieser Zeit, in der sich Deutsch- Konto lautet: land und Europa darauf konzentrieren, die Corona-Krise zu überwinden. Asphalt e.V., Denn: Wenn wir alle aufgefordert sind, zuhause zu bleiben, was bedeutet das IBAN: DE 3536 für Menschen, die kein Zuhause haben? Müssen wir diejenigen, die kein Zuhau- 0100 4305 se haben, in einer solchen Zeit nicht erst recht stützen, damit sie nicht fallen? 3966 1431 Daran könnten wir denken, wenn wir uns in diesem Jahr nicht auf festlich ge- BIC: PBNKDEFF schmückten Straßen und Weihnachtsmärkten begegnen, sondern im engsten Kreis Weihnachten feiern. Ich wünsche uns allen ein frohes Weihnachtsfest, Gesundheit und ein gutes neues Jahr! kabarett_03 Siebzig Jahre Josef! Eine Schöpfungsgeschichte Von Fritz Eckenga Mit sich im Reimen: Rettungsreimer Fritz Eckenga. Foto: Rainer Szymura Fritz Eckenga 1955 in Bochum geboren, lebt in Dort- or knapp einundsiebzig Jahren im nächsten Jahr, im elften Mond, mund. Er ist Kabarettist, Autor und Ko- trank der Schöpfer einen Klaren, ein Josef, der in Bottrop wohnt. lumnist in Radio und Presse. Eckenga genauer, einen Weizenkorn, Maria wird mal seine Frau. V war Mitbegründer des Musik-Thea- und entschied: „Noch mal von vorn! Keine Angst, ich bin nicht blau, ter-Ensembles N8chtschicht und tour- Ich hatte, das ist keine Frage, behaltet einfach mal die Ruhe, te mit ihm über 20 Jahre lang vor allem hin und wieder schlechte Tage, ich weiß genau, was ich da tue. durch Nordrhein-Westfalen. Mit seinen vereinzelt wirkt die Kreation Wir machen’s diesmal ganz legal, Soloprogrammen, aktuell „Am Ende der wie ne Montagsproduktion. wir machen’s nicht wie letztes Mal, Ahnenstange“, ist er bundesweit unter- wegs. Er hat zahlreiche Bücher und CDs Mit Stadt, Land, Fluss, im Allgemeinen, bei dieser anderen Geschichte veröffentlicht, 2015 erschien im Verlag bin ich soweit ganz im Reinen, gabs mir viel zu viel Gerüchte Antje Kunstmann die umfangreiche auch für Hund und Katz und Maus um Vater, Mutter und um Kind, Gedichtsammlung „Mit mir im Reimen“, spend ich mir dezent Applaus. ihr wisst ja, wie die Leute sind. vor Kurzem folgte der Band „Eva, Adam, Nicht zufrieden, nicht die Bohne, Um Getratsche zu vermeiden, Frau und Mann – da muss Gott wohl bin ich mit der Schöpfungskrone. soll’s bei unsren Hübschen beiden noch mal ran. Neue Rettungsreime“, Eva, Adam, Frau und Mann, später dann ein Mädchen sein, den wir in der vorigen fiftyfifty-Aus- da muss ich wohl noch mal ran.“ amtlich, mit Familienschein.“ gabe besprochen haben und dem, mit freundlicher Genehmigung des Kunst- Vor knapp einundsiebzig Jahren So kam, weil es der Herr vorsah, mann-Verlags, der nebenstehende Text trank der Schöpfer noch nen Klaren, nicht nur die Welt zu Josef K., entnommen ist. Eckenga hat zuletzt einen zweiten Weizenkorn, sondern später, mit Krakeele, den Literaturpreis Ruhr, den Radio-Ka- und befahl: „Es wird geborn, noch zu einer Gabriele. barettpreis Salzburger Stier und den Tegtmeier Ehrenpreis erhalten.. 04_rückblick fiftyfifty-Verkäufer berichten: Rückblick auf 2020 Lobo (63), fiftyfifty-Verkäufer der ersten Stunde, seit Sommer wieder auf der Straße Eine fiftyfifty-Verkäuferin Erstmal wünsche ich mir, dass ich mobil bleibe und immer gut über die Runden komme. Außerdem wünsche ich mir, dass es meinem und zwei Verkäufer 10-jährigen Hund Micky, Spitzname Kampfkrümel, weiterhin gut geht. Ich habe zum Glück einiges an warmer Kleidung bekommen, blicken zurück auf das Jahr sodass ich anderen Leute sogar etwas überlassen konnte. Trotzdem macht mir der Winter Sorgen, denn ich habe Arthrose im Endstadi- 2020. Sie berichten über um in allen Gelenken, ein künstliches Kniegelenk und einen Herz- schrittmacher. Damit gehöre ich zur Risikogruppe. Im Moment ihre alltäglichen Sorgen habe ich glücklicherweise einen trockenen und überdachten Platz zum Schlafen gefunden. Ich wünsche mir aber auf Dauer wieder und Erfahrungen auf der eine solide Wohnung. Ich habe einen Trolly, auf den ich meine gan- Straße, ihre besonderen zen Sachen gepackt habe. Es ist sehr anstrengend, den ganzen Tag mit dem Trolly herum zu Probleme während der laufen. Man kommt auch nicht überall damit rein. Bei der Sparkasse habe ich mit dem Ding zum Beispiel keine Chance. Ich kann auch Corona-Pandemie, ihre deswegen kaum zum Arzt gehen. Ich wünsche mir auch, dass es an- deren Obdachlosen besser geht, dass manche es schaffen, weniger Wünsche für 2021 und Alkohol zu trinken und weniger unter ihrer Sucht leiden. Ich bin oft in anderen Städten unterwegs, wo das Ordnungsamt darüber, wie wichtig freundlich ist und nett mit mir redet. In Düsseldorf ist der OSD sehr streng und behandelt die Leute von oben herab. Ich würde fiftyfifty für sie ist. mir wünschen, dass die Mitarbeiter vom OSD respektvoller mit Obdachlosen umgehen. Ich befürchte, dass wir unter dem neuen CDU-Oberbürgermeister in Düsseldorf vielleicht noch schlimmere Zustände deswegen bekommen werden. Bei mir läuft der fiftyfifty-Verkauf. Ich verkaufe viele Kalender und bin dankbar für meine Stammkunden. Ich weiß aber, dass der Ver- kauf seit Corona bei vielen stark zurückgegangen ist. Bitte kauft da- her weiter fiftyfifty-Zeitungen, das hilft den Menschen auf der Stra- ße wirklich sehr. Passt auf und haltet euch an die Abstandsregeln. rückblick_05 zwischenruf Mirjam (44), fiftyfifty- von olaf cless Verkäuferin seit 2003 und Stadtführerin Das letzte Jahr lief leider relativ Seife, Zahnbürste und Kamm schlecht für mich. Die Firma, bei der ich arbeite, bekommt nahezu „In Krisenzeiten passt das, was der Mensch an Kultur keine Aufträge mehr, deshalb bin benötigt, in einen kleinen Beutel: Seife, Zahnbürste, ich seit März, wie so viele seit Beginn Kamm und vielleicht noch ein Nagelknipser.“ Sagte mit der Corona- Pandemie, in Kurzarbeit traurigem Sarkasmus der Kabarettist Wilfried Schmick- und fürchte, auf Dauer wieder arbeitslos zu ler kurz vor der Verhängung des November-Lockdowns, werden. Glücklicherweise kann ich dank fiftyfifty in dieser Zeit noch bei seinem vorläufig letzten Auftritt, es war im Bonner einen kleinen Betrag dazu verdienen. „Pantheon“, ein Name, der schon verdächtig nach Pan- Der fiftyfifty-Verkauf läuft derzeit bei mir und meinen Kollegen lei- demie klingt. Es hat sie aufs Neue schwer erwischt, die der nur mittelmäßig. Die Loop-Schals von Jaques Tilly sind hingegen Kultur im Lande – Theater, Musik, Kino usw. Umsonst, zum Glück sehr begehrt. Ich bitte Sie aber auch, die Zeitungen und dass es gute, erfolgreich erprobte Hygienekonzepte den Underdog-Kalender gerade in der aktuellen Lage zu kaufen. Mich gab und gibt, dass man sich kaum irgendwo sicherer finden Sie in der Stadtmitte an der Marienkirche oder in Ratingen am fühlen konnte als im Museum. Überhaupt die Museen: Wochenmarkt. Sie kamen in den ersten Regierungs-Verlautbarungen Ich wünsche mir, wie jeder im Moment, dass es nächstes Jahr wieder zum Lockdown gar nicht vor und machten sich entspre- bergauf geht, dass die Fallzahlen wieder sinken und sich die Lage bald chende Hoffnungen. Dabei waren sie nur schlicht ver- wieder entspannt. Passt auf euch auf und bleibt gesund!
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