Ladytron-Musiker Wu, Marnie, Aroyo, Hunt 24 4/2003 KulturSPIEGEL VON CHRISTOPH DALLACH FOTO: BENNO KRAEHAHN ie achtziger Jahre kennt Daniel Hunt im sondern dem Künstler obendrein Drohbriefe und Grunde nur aus Erzählungen. In Clubs Beschimpfungen auf der Stra§e einbrachten. Dwar er zu dieser Zeit natürlich nie, und Das Phänomen, dass Numan nun voll rehabilitiert Musik hat er gehört, aber eben nicht richtig zu- ist und erstmals in seiner Karriere tatsächlich gehört. An Gary Numans düsteren Elektro-Pop, cool dastehen lässt, hat viele Namen. Der belieb- der damals mit dem fröhlichen Disco-Sound ab- teste ist Electroclash, aber das simple Synthie-Pop rechnete, kann er sich nicht erinnern. Und was trifft die Angelegenheit besser. Die Helden sind er heute von ihm kennt, kann er nicht leiden. halb vergessene Pioniere der voll elektronischen Noch weniger erträgt er deshalb die Frage, ob Nu- Popmusik, grell geschminkte Stars der achtziger mans Songs denn Vorbild für die Musik seiner Jahre wie Visage, Ultravox oder eben Numan. britischen Band Ladytron seien. Gern stöhnt Eine junge Generation hat ihre Musik für cool und Hunt auch darüber, wie satt er die ãHuman- glamourös befunden und macht sich mit immer League-Vergleiche“ habe. Dabei erinnern schon größerem Erfolg darüber her. die ersten Takte des neuen Ladytron-Albums Ladytron ist wohl die talentierteste Gruppe der „Light & Magic“ sehr dringlich an, tja, The Hu- Szene, will aber mit dem Rest der Electroclash- man League. Das waren ebenfalls Genre-Pionie- Bands nichts zu tun haben. Schon den Begriff re der Achtziger, die damals mit „Don’t You Electroclash finden sie ãentsetzlich“. Während Want Me“ einen Super-Hit hatten Ð und die sich der Aufnahmen zu „Light & Magic“ hatte das ihr täglich Brot heute auf Greatest-Hits-Tourneen Quartett aus zwei Frauen und zwei Männern die in der Provinz sehr unhip verdienen müssen. Hülle einer alten Numan-Platte an die Studio- Das lange angekündigte Revival der achtziger wand gepinnt: ãDie sollte uns Warnung sein, nie- Jahre findet nun also tatsächlich statt: In der mals so unemotionale Musik wie Numan zu pro- Mode werden die Schultern breit, die Schnitte duzieren“, sagt Hunt. asymmetrisch. Im Design werden die Farben Dabei sprühen die Songs, die Ladytron produ- greller. Und in der Musik wird Numan als coo- ziert, auch nicht gerade vor guter Laune. Ein ler Pionier gefeiert, sein Sound von neuen Bands Kritiker hat die Band sehr treffend als ãAbba auf reanimiert und modernisiert. Methadon“ bezeichnet. In seiner fast ein Vierteljahrhundert währenden Ladytron beherrscht sehr eingängige Melodien, Karriere als finster dreinblickender Produzent die die Musiker mit diffus modernistischen Tex- unterkühlter und düsterer Elektro-Melodien hat ten über verwirrte Sexualität und die Leiden- Numan so viel Hohn und Abneigung auf sich schaft für Männer, die Frauen beim Tennisspie- gezogen wie kaum einer seiner Kollegen. 1979 len zuschauen, verzwirbeln. Angemessen spin- produzierte er Millionen-Bestseller wie ãAre nert sind auch die Informationen, die sie über ,Friends‘ Electric?“ oder „Cars“, die nicht nur sich publizieren. Dazu gehört auch das Mär- zuverlässig von Journalisten verhöhnt wurden, chen, die Ladytron-Frauen Helena Marnie und KulturSPIEGEL 4/2003 25 Mira Aroyo hätten sich während einer Zugreise Doch auch andere haben den Achtziger-Klang sehr hübsch aufgefrischt: So durch Bulgarien kennen gelernt. gelang dem kanadischem DJ Tiga ein Überraschungscoup mit seiner ex- Fest steht, dass die Ladytron-Männer Hunt und zellenten Neubearbeitung des unsäglichen Achtziger-Jahre-Hits ãSunglas- Reuben Wu sich vor einigen Jahren beim Studi- ses at Night“. Der EMI-Konzern lie§ es sich angeblich einen Millionen- um in Liverpool getroffen haben. Sie benannten betrag kosten, das Debüt-Album der exzentrischen New Yorker Elektro-Pop- ihre Band nach einem alten Roxy-Music-Song und Avantgardisten Fischerspooner wieder zu veröffentlichen. Und das britische wollten vor allem schön futuristisch daherkom- Girlie-Trio Sugababes landete im vergangenen Frühjahr einen massiven Hit men. Sie besorgten sich betagte Synthesizer beim mit ãFreak Like Me“, einer quasi Cover-Version des Numan-Klassikers ãAre Trödler und ließen sich frei nach ihren liebsten ,Friends‘ Electric?“. Science-Fiction-Filmen schnieke Bühnen-Unifor- Dazu laufen Platten, die noch vor gar nicht langer Zeit als Sondermüll der men schneidern. Aber was nach mittelprächti- Popgeschichte galten, auf einmal in coolen Läden von München bis Man- gem Kunststudenten-Amüsement klingt, führte hattan. Im Londoner ãNag Nag Nag“-Club zum Beispiel tanzen Horden 2001 zum exzellenten Ladytron-Debüt-Album schöner Menschen gut gelaunt in wiederentdeckten Geschmacklosigkeiten „604“: Es klang wie ein verlorenes Elektro-Pop- wie fingerlosen rosa Handschuhen oder Skibrillen zu alten und neuen Meisterwerk der achtziger Jahre. Elektro-Hits von Yazoo, A Flock of Seagulls und Toktok vs. Soffy O. Auf Ein wenig irritierend ist da nur, dass die Band so fiesen wei§en Ledersofas drängelt sich dazu Szene-Prominenz von Björk bis tut, als sei sie von der Vergangenheit gänzlich un- Boy George. Selbst Kim Wilde tauchte aus der Versenkung auf. Der Chef beleckt. Dabei hat sich Ladytron auch bei alten des Ladens, der sich Jonny Slut nennt, gibt sich angesichts des gro§en Er- House- und HipHop-Nummern ein paar gute folges cool: ãDas ist doch kein Wunder. Wir haben nur nach London trans- Ideen geliehen. Neu ist an ihrer Musik Ð bei al- feriert, was in New York und Berlin schon lange gut läuft“, sagt er. lem Respekt Ð nichts. Hunts Beteuerung: ãWir Wo und wann das Phänomen Electroclash seinen Anfang hatte, darüber gibt möchten nicht, dass unsere Musik irgendwen an es zwei Theorien. Die eine besagt, es begann vor einigen Jahren mit der irgendwas erinnert“, ist leider Unfug. Was die Aufwertung Numans, als sich der sehr erfolgreiche Düster-Rock-Kasper Ma- Freude an der schönen Musik der Band nicht rilyn Manson als Numan-Fan outete und dessen alte Hits bei Konzerten schmälern sollte. nachspielte. Dem folgten prominente Numan-Verehrer wie die Cobain-Wit- we Courtney Love, Damon Albarn von der Brit-Pop Band Blur und der ame- Die Jungen grenzen sich von der Vergangenheit rikanische Songwriter-Kauz Beck. Zuletzt verneigten sich Pop-Größen wie ab, die Älteren distanzieren sich von der Gegen- die Briten Basement Jaxx, die Numan sampelten, bis zu den Sugababes. wart. Numan hat abgelehnt, in einer BBC-Doku- Vielleicht beginnt die Geschichte aber auch in Deutschland, genauer ge- mentation zum Thema Electroclash aufzutreten sagt in München, wo Helmut Geier, der sich DJ Hell nennt, seinen Ge- – und rät dem Nachwuchs, sich etwas Neues ein- schäften nachgeht. Er ist in den letzten Jahren als Plattenaufleger und Be- fallen zu lassen: ãDiese Sehnsucht, die Vergan- treiber der hippen Plattenfirma International DeeJay Gigolo Records Ð die genheit im Popgeschäft immer wieder auferstehen einige Szene-Standards wie Tiga und Fischerspooner gro§ gemacht hat Ð zu lassen, war mir schon immer ein Rätsel.“ in den Metropolen der Welt zu Ruhm gekommen und gilt als einer der Aber vielleicht ist das ja auch alles nur eine Fra- gro§en Kreativen der Electroclash-Szene. ge des Alters: „Ich bin über 40 und damit defi- Das Modernste an dieser Retro-Bewegung ist ohnehin die Internationalität. nitiv zu alt für allen Electroclash.“ Denn die Hauptdarsteller des Electroclash reduzieren sich nicht, wie früher im Musikgeschäft üblich, auf Engländer und Amerikaner. Sie kommen aus Diskografie: Gary Numan: ãExposure Ð The Best Berlin (Toktok), Montreal (Tiga) und sogar aus Grenoble (Miss Kittin). of Gary Numan 1977–2002“ (Universal); Lady- Überhaupt ist es die elektronische Popmusik, die die historische Pop- tron: „Light & Magic“ (Eastwest/Warner); Tiga: Dominanz aus Gro§britannien und Amerika vorläufig außer Kraft gesetzt ãDJ-Kicks“ (!K7/Zomba); Toktok vs. Soffy O.: hat. Was mal in Kontinental-Europa mit Kraftwerk, Giorgio Moroder und ohne Titel (Eastwest/Warner); Fischerspooner: Jean Michel Jarre in den siebziger Jahren seinen Anfang nahm, hat sich spä- „#1“ (Capitol/EMI); Miss Kittin & The Hacker: testens seit Techno sehr erfolgreich global verbreitet. ãFirst Album“ (International DeeJay Gigolo/Efa); Aber abgemeldet sind die Briten im aktuellen Elektro-Pop deshalb noch lan- Diverse: ãReproductions Ð Songs of The Human ge nicht. Bands wie Baxendale und natürlich Ladytron veröffentlichten sehr League“ (March Records/Import), Baxendale: eingängige Alben, was in einer Szene, die sich vor allem über Singles de- ãYou Will Have Your Revenge“ (Lowsley Sound/ finiert, etwas Besonderes ist. Darauf legt auch Ladytron-Boss und Songwriter Import); Diverse: „Electroclash“ (Ministry of So- Hunt gro§en Wert: ãWir sind eine Band, nicht blo§ ein Laptop. Wir schrei- und/Intergroove); Felix da Housecat: ãKittenz and ben Lieder.“ thee Glitz“ (WEA/Warner)..
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