87 87 Japan aktuell 4/2008 87 Im Fokus Der Animationsmarkt in Japan The Animation Market in Japan Freddy Litten Abstract 50 years ago, on 22 October 1958, „Hakujaden“ („Panda and the Magic Serpent“) premiered in Tokyo.This was Japan’s first full-length, colour animated movie, marking the beginning of commercially produced Japanese animation, later to be called “anime”. From one movie a year at that time, animation in Japan has now grown into an industry which turned over about USD 2 billion in 2006, with even larger sales of “character goods” based on the animation. Key information on this market (movies, television, dvds, and network-based distribution) and its recent development is presented in this context. While the data seem to paint a picture of a market in good health, there are signs that the future of anime will not be free of trouble. Keywords: Japan, animation market, anime 1 Ein halbes Jahrhundert kommerzieller japanischer Zeichentrick Am 22. Oktober 1958 wurde der Film „Hakujaden“(Erzählung einer weißen Schlange) von Regisseur Yabushita Taiji1 in Tokyo uraufgeführt. Dies war der erste japanische Farbzeichentrickfilm in Spielfilmlänge und gleichzeitig der Be- ginn der kommerziellen Zeichentrickfilmproduktion in Japan. Denn anders als zuvor, als Zeichentrickfilme üblicherweise von Ein-Mann-Studios oder kleinen Gruppen geschaffen worden waren, wurde „Hakujaden“ von Toei Doga¯ (später Toei Animation) hergestellt, dem im Jahr 1956 gegründeten Ableger von Toei, einem der größten Filmstudios Japans. Das Ziel war, durch ein entsprechendes Angebot einen Markt für einheimische Zeichentrickfilme (damals noch manga 1 Bei Namensangaben wird der japanischen Konvention gefolgt und der Nachname zuerst ge- nannt. Sofern nicht eine offenbar von japanischer Seite bevorzugte oder inzwischen im Westen eingebürgerte Schreibweise vorliegt, wird das revidierte Hepburn-System zur Umschrift verwen- det. Anime-Titel werden nach Möglichkeit zusätzlich in der Form angegeben, die in Deutschland Verwendung findet, teilweise auch nur in dieser. 87 87 88 88 88 Freddy Litten eiga genannt) zu eröffnen; in den folgenden Jahren kam dann auch jeweils ein großer Zeichentrickfilm von Toei Doga¯ in die Kinos. Nicht einmal fünf Jahre später, am 1. Januar 1963, startete die Zeichentrick- fernsehserie „Tetsuwan Atomu“(außerhalb Japans besser bekannt als „Astro Boy“) im japanischen Privatfernsehen.Tezuka Osamu – bereits damals eine Berühmtheit als Manga-Autor – und das von ihm gegründete Studio Mushi Production legten damit ein neues Geschäftsmodell vor, das sich prägend auf den japanischen Zei- chentrick auswirken sollte. Statt sich an den Werken Walt Disneys zu orientieren, wie es Toei Doga¯ getan hatte, wandte Mushi Production „limited animation“ à la Hanna-Barbera2 an. Da trotz der geringeren Aufwendungen die vom Fernseh- sender bezahlten Ausstrahlungsgebühren nicht zur Kostendeckung ausreichten, wurde ein kommerzieller Sponsor gesucht und zusätzliches Merchandising be- trieben. Andere Studios, darunter Toei Doga¯ , stellten sich auf die veränderte Situation sofort ein und wandten sich nun ebenfalls dem Fernsehmarkt zu, der bis dahin (japanischen) Zeichentrick fast ausschließlich für Werbung gekannt hatte. Noch im Jahr 1963 kamen vier weitere Serien ins Fernsehen, 1968 starteten bereits 14 neue Serien. Schließlich entstand am 16. Dezember 1983 neben Kinofilmen und Fernseh- zeichentrick3 die dritte Distributionskategorie des Anime, wie diese Produkte japanischer Herkunft inzwischen allgemein genannt werden4: die „Original Vi- deo Animation“(OVA). Der Science-Fiction „Dallos“ von Oshii Mamoru war 2 Der Hauptunterschied zwischen der „full animation“ der Disney Studios und der „limited animation“ von Hanna-Barbera, die damals den US-amerikanischen Fernsehmarkt eroberten (z.B. mit „Familie Feuerstein“), liegt in der sogenannten „frame rate“. Bei Disney waren es, zumindest in der Theorie, 24 unterschiedliche Bilder pro Sekunde, in der „limited animation“ nur acht bis zwölf, sodass ein Bild drei- bzw. zweimal aufgenommen wurde, um die notwendigen 24 Bilder pro Sekunde zu erreichen. Im Ergebnis wirken die Bewegungen bei „limited animation“ weniger flüssig als bei „full animation“. 3 Hier sind auch die TV-Specials enthalten, die in etwa dem deutschen Fernsehfilm entsprechen. 4 Animation wird in der vorliegenden Analyse als Oberbegriff für Trickfilm jeglicher Art benutzt, also inklusive etwa Puppentrick und Knetanimation, die jedoch wirtschaftlich nur eine unterge- ordnete Rolle spielen. Anime bezeichnet an sich spezifisch den japanischen Zeichentrick, wird hier aber auch in Näherung für „japanische Animation“ verwendet. Eingeschlossen sind beim Anime auch in der engeren Definition neben dem klassischen zweidimensionalen Zeichentrick die sogenannten 3D-CG-Produkte, in denen dreidimensionale Figuren und Hintergründe mit dem Computer generiert werden. Sie sind vor allem aus den USA bekannt (u.a. „Shrek“, Regie: An- drew Adamson und Vicky Jenson, 2001), werden indes auch in Japan in geringerem Maße gepflegt, so mit Sori Fumihikos „Vexille“ (2007). 88 88 89 89 Der Animationsmarkt in Japan 89 ganz zu Beginn von Bandai Visual für eine Fernsehausstrahlung gedacht gewesen, wurde dann aber direkt als Miniserie für den Videomarkt produziert5.In der Folge wurde die OVA in verschiedener Weise genutzt: für Werke, die qualitativ zwischen Fernseh- und Film-Anime angesiedelt waren, aber auch für solche, die inhaltlich oder kommerziell nicht für die beiden anderen Vertriebskanäle geeig- net erschienen (pornografische Anime zum Beispiel, aber auch Kunst-Anime). Inzwischen sind jedoch die Grenzen zum Film- und vor allem Fernseh-Anime flie- ßend geworden. Abgesehen davon wurden auch andere Anime auf Videokassette, später dann auf Laser-Disc und DVD veröffentlicht, sodass dieser Vertriebsweg schnell eine große Bedeutung erzielte. Diese kommerziell orientierte Eröffnung neuer Vertriebskanäle ist ein wich- tiger Grund für das beeindruckende Wachstum des Anime im letzten halben Jahrhundert. Ein Verzeichnis der erschienenen Anime (Film, TV und OVA, bei Letzteren mit einzelnen Folgen) enthält für den Zeitraum der Jahre 1958 bis 1983 650 Einträge, für die Jahre 1984 bis 1988 weitere 588 (Baricordi et. al. 2000). Eine Studie führt allein für das Jahr 2005 insgesamt 273 Titel auf, darunter allerdings auch Fernsehserien, die bereits länger liefen (Masuda 2007: 11-34). Im Folgenden wird detaillierter dargelegt, welches Ausmaß der Markt erreicht hat und wie er sich zusammensetzt, um zum Schluss auf die Aussichten für die nähere Zukunft einzugehen. 2 Der gegenwärtige Animationsmarkt in Japan Einzelne Daten zu den jüngsten Entwicklungen auf dem Animationsmarkt in Japan sind verstreut in der Literatur und im Internet zu finden, einen guten Überblick bietet jedoch das Joh¯ o¯ Media Hakusho, eine jährlich erscheinende Datensammlung zu den Medien in Japan, die von einem Ableger der größten Werbeagentur Japans, dem Dentsu Soken¯ , herausgegeben wird. Die Ausgabe des Jahres 2008 enthält Daten vor allem zum Jahr 2006, die hier vorgestellt werden sollen.6 Nach einem fast kontinuierlichen Wachstum (s. Abb. 1) wurde der Gesamt- markt im Zusammenhang mit Animation (Kino, Fernsehen, DVD, netzwerkba- sierter Vertrieb) für das Jahr 2006 auf einen historischen Höchststand von 241,5 5 Als erstes erschien die zweite Episode, die anderen drei folgten im Jahr 1984. 6 Soweit nicht anders angegeben, finden sich die nachfolgenden Daten in Dentsu Soken¯ 2008: 78-99 (Kapitel 5: Film; Kapitel 6: Animation). 89 89 90 90 90 Freddy Litten Mrd.JPY7 geschätzt. Damit hat er sich gegenüber dem Jahr 1996 um über 50 Prozent ausgedehnt. Abb. 1: Entwicklung des Animationsmarktes in Japan 250 233,9 200 161,1 159,3 150 106,9 100 Mrd. JPY 50 26,1 4,6 12 0 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 Quelle: Dentsu Soken¯ 2008: 94. Die drei marktführenden Unternehmen in diesem Bereich sind Bandai Visual mit einem Umsatz von 29 Mrd.JPY, Shogakukan Production mit 26,3 Mrd.JPY und Toei Animation mit 19,4 Mrd. JPY (jeweils 2007). Insgesamt dürften etwa 700 Firmen im Anime-Bereich tätig sein, davon ca. 400 in der Produktion, z.B. auch Gonzo, Production I.G, Sunrise, Nippon Animation und Gainax. Diese weitgehende Zersplitterung hat ihre historischen Wurzeln in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren, als wirtschaftliche und teilweise auch künstlerische Beweggründe zur Einrichtung zahlreicher kleiner Unternehmen führten, die jedoch auch untereinander kooperierten bzw. zusammenarbeiten mussten.8 Die Dynamik des Marktes wird zweifellos auch dadurch begünstigt, dass ein Drittel der Produktionsfirmen in zwei Tokyoter Stadtbezirken (Nerima und Suginami) angesiedelt sind (Daten für 2002; Dentsu Soken¯ 2005: 100). Ein solches Umfeld bietet sowohl eine fruchtbare Wettbewerbssituation als auch Möglichkeiten der Kooperation. Eine der Besonderheiten des Anime-Marktes liegt in der hohen Wertschöpfung 7 Entspricht ca. 1,66 Mrd. EUR nach dem durchschnittlichen Umrechnungskurs des Jahres 2006. 8 Siehe dazu z.B. Yamaguchi 2004: 90ff. 90 90 91 91 Der Animationsmarkt in Japan 91 durch Merchandising. Die Anime-Produzenten erwirtschaften in diesem Segment durch Lizenzeinnahmen und Eigenvermarktung zwar „nur“ 9,5 Prozent ihrer Einnahmen, doch der Umsatz mit sogenannten „character goods“9 ist weitaus höher. Für das Jahr 2006 wird dieser mit 1.602 Mrd.JPY beziffert, stagniert allerdings seit Jahren und erreicht längst nicht mehr den Spitzenwert des Jahres 1999 mit über 2.000 Mrd.JPY. Den Hauptanteil der Verkäufe bilden mit über einem Drittel Spielzeug sowie mit jeweils ca. 12 Prozent
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