Nr. 36 DIE ZEIT S. 12 SCHWARZ cyan magenta yellow 12 2. September 2010 DIE ZEIT No 36 ÖSTERREICH DONNERSTALK Manner mit Minarett Große Aufregung um neue Vollmilchpackungen: Sie sind auch in Türkisch (Süt) beschriftet. Das fördere die Entstehung von Parallelgesellschaften, befürchten die Freiheitlichen. Als Nächstes werde wohl ein Mi- narett die Manner-Schnittenpackung zieren anstatt Rei seleiterin Tru - des gewohnten Stephansdomes. Daher fordert die dy vor FPÖ eine deutschsprachige Produktkennzeichnungs- Schloss pflicht. Sie soll verhindern, dass es künftig noch mehr Leo poldskro österreichische Produkte mit türkischer oder gar ara- n bischer Aufschrift gibt. Dieses Notstandsgesetz gegen ah die Überfremdung im Kaufmannsladen kommt aber Adela und H in leider zu spät. Der Rote Stier, eine eigen schmecken- aus Korea nn de Flüssigkeit, die als Met der jungen Nachtschwär- Hellbru mer gilt, ist ja längst auf dem Markt. Ebenso ein erdbraunes Gesöff, das als multikultureller Durst- löscher angepriesen wird. Auch Sprite, zu Deutsch t Kobold, gleichfalls ein Softdrink, korrekt: Sanft- in Fan umarm E getränk, steht in allen Selbstbedienungsregalen. Nicht »Marias zauberhafte Elaine und Edelweiß, i-Welt« zu vergessen hochprozentige Substanzen, die immer Do-Re-M Joseph John noch fremdländische, unaussprechliche Namen legen eine tragen. Die deutsche Sprache sei ein heiliges Gut, »Sound of Music«-Pause ein Edelweiß Alfred Dorfer befürchtet, dass man bald Salzburg-Touristen lieben den Film nicht mehr verstehen »Sound of Music«. Eine Rundfahrt zu den wird, was auf einer Foto: Ingo Pertramer Foto: Zuckerlpackung steht Schauplätzen VON UTA GRUENBERGER beschwört die FPÖ-Heimseite im weltweiten Da- zwischennetz unermüdlich. Also hinweg mit dem icherheitsgurte anlegen, und während Haus des Barons Trapp diente. Am Freibad-Park- rauschen sie sich nur mehr heimlich und ohne schen mit der ersten TV-Ausstrahlung der Kino- Asylantenfusel. Schnaps darf nicht umgevolkt wer- der Fahrt auf den Verzehr von Sand- platz nebenan wird gestoppt. Mehrere Dutzend die Kids an dem Melodienreigen. Da sind Hah Ikone beglückt und kamen somit auch mit dem den. Natürlich bleibt der größte Skandal unbeachtet. wiches verzichten. »Hello! Good morning, Digitalkameras beginnen, Erinnerungsfotos zu und Adela aus Korea. Ultimative SOM-Fans und SOM-Virus in Kontakt. Nachdem mittlerweile Beim Kauf eines strombetriebenen Vergnügungs- S my name is Trudy«, stellt sich eine tem- speichern. Trudy erzählt derweil, wie einst Musi- Dauerkonsumenten. Da sitzen die einzigen Teen- in Japan jeder dritte Bürger zumindest einmal gerätes muss man sich in der Gebrauchsanweisung peramentvolle Reiseleiterin im fliederfarbenen calstar Julie Andrews, die Film-Maria, den armen agers der Rundfahrtgesellschaft, Heather und von dem Musical in seinen Bann gezogen wurde, seitenlang durch Islamistenschrift kämpfen, bis man Dirndl vor. Trudy moderiert eine Sound of Music- Christopher Plummer, ihren Partner, in Grund Mike aus Boston. SOM seit Kindertagen, die bestehen im Land der aufgehenden Sonne gute schließlich zu der deutschen Fassung gelangt? Darü- Sightseeing-Tour – vier Stunden Salzburg, Stadt und Boden gesungen habe. Er wurde nach den Songs können sie alle auswendig. Und dann Elai- Aussichten, dass sich der Erreger dort bald flä- ber sollte man endlich reden! und Umland, im klimatisierten Reisebus auf den ersten Aufnahmen durch eine singende Syn- ne und John Joseph aus San Francisco, auf Sie- chendeckend ausbreiten wird. Spuren der originalen Filmkulisse und der his- chronstimme ersetzt. »So gemein!«, findet Trudy. ben-Tage-Tour von München über Salzburg nach Das wären ideale Voraussetzungen für die torischen Schauplätze des 50 Jahre alten Holly- Die Touristenschar nickt. Wien. Alle Jahre schauen sie SOM am Weih- Mozartstadt, von der SOM-Epidemie zu pro- wood-Musicals. Trudy wird all die hübschen Nicht die einzige Volte in der SOM-Legende. nachtstag. fitieren und den Süchtigen alle erdenklichen An- AUSSERDEM Backstage-Anekdoten und Hollywood-Mogelei- Nachdem beispielsweise Maria Augusta von Die leicht verächtliche Ignoranz der Österrei- gebote zu unterbreiten. Doch ein von dem für en während der Dreharbeiten zum Besten geben. Trapp, der Baron war 1947 in Boston verstorben, cher, insbesondere der Salzburger – die wenigsten Tourismus zuständigen Landeshauptmann-Stell- Und sie wird Gäste sogar zum Singen, Summen ihre aufpolierte Lebensgeschichte zu Papier ge- kennen den Film überhaupt – ist angesichts der vertreter Wilfried Haslauer einst gegründeter und Schunkeln verführen – jawohl: Edelweiß, bracht hatte, verkaufte sie 1956 aus Geldnot Summen, die SOM-Gäste in Stadt und Land SOM-Förderverein schaffte es bis heute nicht, Bei Fuß, Genosse Edelweiß … sämtliche Rechte an Wolfgang Reinhardt, den lassen, bemerkenswert. Jährlich pilgern rund sich auf einen Standort für ein längst überfälliges Wer The Sound of Music – kurz: SOM – nicht Sohn des nach Hollywood emigrierten Regisseurs 300 000 Touristen, hauptsächlich aus Großbri- Sound of Music-Museum mit florierendem Sou- Worin könnte wohl der Unterschied zwischen »An- kennt, muss Österreicher oder zumindest und Festspielgründers Max Reinhardt – für be- tannien, Nordamerika und Fernost, nach Salz- venirladen zu einigen. Das Barockmuseum im wesenheitspflicht« und »Mitwirkungspflicht« be- deutschsprachiger Herkunft sein. In allen ande- scheidene 9000 Dollar. Eine Musicalversion der burg, um die Originalschauplätze ihres Lieblings- Mirabell, das Kloster Nonnberg, die Remise in stehen? Der eine Ausdruck entstammt der dystopi- ren Ländern der Erde wirkt die Schnulze von der Trapp-Story von Richard Rogers und Oscar filmes zu besichtigen. Seit 1971 gibt es spezielle Hellbrunn – die unterschiedlichsten Lokalitäten schen Vorstellungswelt der Innenministerin, die true story of the famous Trapp family auch eine Hammerstein, die auf dieser Biografie basierte, Rundfahrten, erfunden von jenem Unterneh- wurden erwogen, jedoch gingen die Meinungen andere Wortschöpfung ist der hilflose Versuch eines Generation nach ihrer Entstehung noch immer brachte es am Broadway auf über tausend Auf- men, das schon während der Dreharbeiten für stets zu weit auseinander. Jüngst wurde der Ver- Weicheis aus der Sozialdemokratie, sich unter die wie eine Droge. Mit jeder TV-Ausstrahlung führungen. Die Verfilmung durch Robert Wise den Transport des Filmteams zuständig war. ein deshalb ruhend gestellt. Mit Ausnahme eines Knute der österreichischen Ausländerpolitik zu fügen kommen Tausende neuer SOM-Abhängiger hin- verwandelte das unwiderstehliche Gemisch aus Laut der Gästebefragung Österreich beruhen Postkarten-Sets im kitschigen Hochglanzstil und und bei dieser Verrenkung einen Rest von Selbst re- zu, die für den Rest ihres Lebens die Melodien Alpenromantik, Liebesdrama, Familienidylle allein 700 000 Nächtigungen in Salzburg auf der einer bereits angejahrten Erinnerungsbroschüre spekt zu bewahren. Was natürlich in einem lächer- von Maria, ihrem Captain und seinen sieben und Salzburger Nockerln endgültig zum interna- Affinität zum Film. 90 Prozent der Besucher aus findet die eingeschworene SOM-Gemeinde lichen Sprachmanöver münden muss. Es geht um Kindern als unausrottbare Ohrwürmer in sich tionalen Megaseller, der noch immer Geld in die Übersee sagen, sie seien vor allem wegen des kaum Mementos in der Stadt, die sie daheim an Asylwerber. Sie sollen kaserniert werden; das kann tragen. In vielen Fällen spulen die Infizierten auf Kassen von 20th Century Fox spült! Kino-Evergreens an die Salzach gekommen – ihre Sehnsuchtsreise erinnern könnten. Da blei- man die Pflicht zum Anwesendsein oder zum Mit- Stichwort sämtliche Songtexte auswendig herun- Alle essenziellen Lebensfragen werden in dem Götterliebling Mozart oder die Festspiele seien ben lediglich spezielle »Dinner Nights« im Stern- wirken nennen. Nur eben frei herumlaufen dürfen ter – leicht errötend und mit feuchtem Glanz in bittersüßen Filmepos angesprochen: Von »What ihnen nicht so wichtig. Die meisten SOM-Pilger bräu, in denen alle bei Bier und deftiger Kost in sie nicht. Damit finstere Gesellen nicht die Luft ver- den Augen. will my future be?« über »How can love survive?« sind Individualtouristen, die im Schnitt brav 200 den unsterblichen Melodien schwelgen können. pesten, die Vorgärten plündern oder mit aufgehal- The Sound of Music ist einer der vier erfolg- bis hin zu der kulinarischen Lebensbeichte »My bis 250 Euro täglich ausgeben. Mehr als ein Drit- »Lay ee odl lay ee, odl lay hee hoo«, wohlweis- tener Hand jeden braven Bürger blöd anquatschen. reichsten Hollywood-Musikfilme aller Zeiten, favorite things are schnitzel with noodles and crisp tel hat den Film öfter als achtmal gesehen. Neuer lich hat Trudy das Mikrofon für die Bordlaut- Wird diese Landplage allerdings samt und sonders wird von Generation zu Generation weiterge- apple strudel«. Und wenn Maria alias Julie An- Hoffnungsmarkt für den Salzburger Publikums- sprecher beiseitegelegt und hantelt sich jodelnd in Internierungslager gesteckt, in diesem Punkt kann geben und schnürt innige Familienbande durch drews hoch in den Bergen eine einsame Ziegen- magneten ist nun China. Dort wurden soeben durch die Sitzreihen des Reisebusses. Im Panora- man der Innenministerin nicht widersprechen, wird gemeinsames Singen vor dem Fernsehgerät. herde bejodelt – nun denn, da 1,3 Milliarden Men- ma-Gefährt beginnt die Pilgerschar zu der Hym- sich bald Gemeinde um Gemeinde mit einem stolzen Die Einzigen, die diesem Phänomen wider- bleibt kein Auge trocken. ne zu schunkeln. Schließlich wagt sich
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