
© Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck download unter www.biologiezentrum.at Die Erdbeben von Tirol und Vorarlberg. Von Prof. Dr. Josef Schorn in Innsbruck. Ferd.-Zeitschr. III. Folge. 46. Heft. © Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck download unter www.biologiezentrum.at © Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck download unter www.biologiezentrum.at Die Erdbeben Tirols. Meist unbeachtet geht vor dem Auge des Menschen die «tetige Kleinarbeit der Naturkräfte bei der Bildung und Um- bildung unseres heimatlichen Bodens vorüber. Das auf Berges- höhen in günstige Arbeitslage gebrachte Wasser strebt, der Schwere folgend, fortwährend genährt durch wasserreiche Quell- "bäche und Niederschläge der Tiefe zu, labt hier die nach Feuchtigkeit lechzende organische Welt, durchtränkt den Boden, speist fliessende und stehende Gewässer und wirkt auf die in seinem Wege gelegenen Teile des Erdbodens mechanisch und •chemisch verändernd ein. Alltäglich sendet die Sonne ihre Strahlen auf die wärmebedürftige Erde, erwärmt den durch Ausstrahlung erkalteten Boden, weckt die schlafende organische Welt zu neuem Leben, lockt in der emporstrebenden Pflanze •das freudige Grün hervor, schafft in der Stärke, im Holze und in vielen andern geformten Stoffen einen unermesslichen Wärme- vorrat, hebt wieder ungeheure Wassermassen in die Höhe und speichert dadurch in diesen einen fast unerschöpflichen Kräfte- vorrat auf. Doch nicht immer stellen sich die Naturkräfte massvoll in den Dienst des Menschen; nur zu oft setzt sieh eine in die andere plötzlich und in ungeheurer Stärke um und schafft dadurch Katastrophen, denen der Mensch machtlos wie ein Kind gegenübersteht. Wenn die in der Höhe freigewordene Yerdampfungswärme sich zum Teil in elektrische Spannungen 7* © Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck download unter www.biologiezentrum.at — 100 — umsetzt und als wuchtiger Blitz zur Erde fährt; wenn das auf Kosten der Wärme emporgehobene Wasser als Wolkenbruch, tobender Wildbach oder brausende Lawine ins Tal stürzt; wenn das in die Erde gedrungene Wasser Erdbrüche, Muhren und Felsstürze verursacht oder durch seine lösende Kraft im Erd- innern Hohlräume schafft, deren einstürzende Decke heftige Erderschütterungen (sog. Einsturzbeben) hervorruft; wenn die infolge allmählicher Erkaltung zusammenschrumpfende und hoch- gespannte Erdrinde durch ruckweise Verschiebungen ihrer Teile den Erdboden weiter Landstrecken in Bewegung setzt (tekto- nische Erdbeben), oder wenn durch diese seitlichen und verti- kalen Druckveränderungen sich Spalten bilden, welche den unter hochgespanntem Gasdrucke stehenden Erdkern bei schreck- lichem Erzittern des Bodens (vulkan. Erdbeben) zu Ausbrüchen zwingen, dann erkennt der Mensch immer mehr seine physische Ohnmacht gegenüber der entfesselten Natur. Doch seine moralische Kraft erhebt ihn bald über all das Unglück, und sein Geist sucht forschend ins Wesen der geheimnisvoll wirkenden Naturkräfte zu dringen. In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts war es besonders die Erdbebenfrage, deren Lösung sich hervorragende Geologen zur Aufgabe machten. Ich nenne vor allem die bahn- brechenden Erdbebenstudien eines Heim, Süss, Wähner, Bittnerr Höfer und Hörnes, deren Forschungen für uns umso wert- voller sind, als sie gerade den alpinen Erdbeben ihre besondere Aufmerksamkeit geschenkt haben. Ihre Publikationen und das vorzügliche Handbuch der Erdbebenkunde von Hörnes gaben mir fortwährend neue Anregung und endlich den Mut, das in mir seit fast drei Dezennien rege Interesse für diesen Gegenstand auch literarisch zu betätigen. Die vorliegende Veröffentlichung des ersten Teiles meiner Erdbebenstudien, der Erdbeben-Chronik Tirols, trifft zufälliger Weise gerade mit dem dreissigsten Jahres- tage jenes so heftigen und für mich denkwürdigen Innsbrucker Bebens vom 7. August 1872 zusammen, an welchem Tage ich, aus dem an dergleichen Ereignissen armen deutschen Etschtale kommend, das erstemal das unheimliche Gefühl einer bebenden © Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck download unter www.biologiezentrum.at — 101 — Erde verspürte. Seitdem hatte ich öfters Gelegenheit, einer- seits in Innsbruck selbst derartige Erscheinungen zu beobachten, andererseits bot mir die in der ersten Hälfte der neunziger Jahre angestellte Untersuchung' über den gefärbten Schnee, wie auch die Teilnahme an einer topographisch-geologischen Arbeit und meine Stellung als Keferent der Erdbebenkommission für Deutsch-Tirol und Vorarlberg Gelegenheit, auch die Erdbeben- literatur Tirols eingehend kennen zu lernen. Dabei nahm ich mir vor, so weit als möglich stets aus Original-Quellen meine Erdbebennotizen zu schöpfen, so dass ich mir eine eingehendere Quellenkritik ersparen kann; denn die Quellenzitate werden den Leser selbst den Wert der betreffenden Erdbebennotizen abschätzen lassen. Den Erdbebenkatalogen von Seyfart, Ber- trand, Hoff, Keferstein, Volger, Fuchs, Gümbel, Bittner, Perrey, Höfer, Hörnes, Baratta und Lorenz habe ich nur solche Nachrichten entnommen, die in meinem Originalverzeichnis nicht quellenmässig belegt sich vorfanden. Natürlich wurde an solchen Berichten Kritik geübt und nach dem Ergebnis derselben die Notizen entsprechend verwertet. Ins Verzeichnis nicht aufgenommen wurden alle Boden- bewegungen, die in Bergstürzen, Sprengungen, Explosionen und dgl. ihren Grund haben; doch werde ich auf diese in dem später zu veröffentlichenden zweiten Teil meiner Arbeit zu sprechen kommen. Den Quellen wurden überhaupt nur jene Mitteilungen ent- nommen, die vom naturhistorischen Standpunkte aus zum Studium der Erscheinung von Wert sind. Die Zitate gebe ich zumeist im Urtexte, einerseits um in den trockenen Stoff etwas mehr Abwechslung zu bringen, anderseits aus dem Grunde, weil in der Sprache des Zeitgenossen sich oft mehr ausdrückt, als wir nach unserer Sprechweise wiederzugeben vermögen. Auch bei Zitaten aus dem Italienischen habe ich mir erlaubt, das „sussultorisch" für „aufstossend von unten" beizu- behalten und hoffe, dadurch den Bericht zu vereinfachen. Trotz der unverdrossenen Ausdauer beim Ausforschen der Quellen und trotz der peinlichen Genauigkeit, mit der ich bei © Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck download unter www.biologiezentrum.at — 102 — der Auswahl der Erdbebennachrichten vorging, bin ich mir wohl bewusst, dass mein Erdbebenkatalog einerseits noch manche Lücken enthält, die sich gewiss durch Aufzeichnungen, in mir unbekannten oder unzugänglichen Ortschroniken und Haus- büchern ergänzen Hessen, anderseits aber auch manche Beben, bringt, deren historische Richtigkeit sich nicht vollständig genau belegen lässt. Der freundliche Leser möge allfälliges zur Ergänzung oder Berichtigung dienliches Material, in dessen Besitz er sich be- findet, entweder dem Verfasser dieser Chronik gefälligst mit- teilen oder Auszüge aus demselben gütigst zur Verfügung stellen^, denn diese Berichte könnten dann im zweiten Teil seiner Arbeit, welcher der geologischen Besprechung der Erdbeben Tirols und ihrer Folgen gewidmet sein wird, als Nachtrag noch Verwertung finden. Da einige Erdbebenherde Tirols zum Teil auch auf Vor- arlberg und die benachbarten Gebiete Italiens (Mt. Baldo) und der Schweiz (Ortlergebiet und Engadin) übergreifen, mussten auch die seismischen Erscheinungen dieser Gebiete in das Ver- zeichnis aufgenommen werden. Natürlich fanden auch ausser- tirolische Erdbeben, deren Erschütterungsgebiet einen Teil Tirola berührte, kurze Besprechung. Wer den traurigen Zustand der Mehrzahl unserer Orts- uhren kennt, den werden die grossen Differenzen der Zeit- angaben über ein und dasselbe Ereignis nicht überraschen. Trotz dieser Ungenauigkeit mussten diesselben dennoch in unser Verzeichnis aufgenommen werden, um jedermann die Möglich- keit zu bieten, sich selbst ein Urteil über die Zusammen- gehörigkeit der Erscheinungen bilden zu können. Dabei darf man aber nicht ausser Auge lassen^ dass die Differenzen nicht immer im ungenauen Gang oder in der nachlässigen Bedienung der Ortsuhren ihren Grund haben, sondern dass es sich oft um die grossen Zeitunterschiede handelt, die auf der verschieden basierten Eisenbahn- bezw. Telegraphenzeit beruhen, denn nach diesen Normalzeiten und nicht nach dem Meridian des Ortes richten sich in den meisten Fällen unsere Stadt- und Landuhren, © Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck download unter www.biologiezentrum.at — 103 — Für unser Gebiet sind deshalb ausser der mitteleuropäischen Zeit (M. E. Z.), welche sich auf den 15° östlich von Greenwich gelegenen Meridian gründet und seit 1892 die Normalzeit des Verkehrs ist, noch die Pragerzeit (P. Z.), Wiener Telegraphen- zeit (W. Z.), Berner Zeit (B. Z.) und römische Zeit (R. Z. oder T. E.) von Bedeutung, da die neueren italienischen Zeitangaben in der Regel sich auf R. Z., die schweizerischen bis 1892 auf B. Z., sodann auf M. E. Z., die Tiroler vor 1892 auf P. Z. oder auf W. Z. und von da an ebenfalls auf M. E. Z. beziehen. Die vorliegende Erdbebenchronik schliesst mit dem Jahre 1895 ab, da mit dem folgenden Jahre 1896 bereits die Erd- bebenkommission der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien ihre Tätigkeit durch Veröffentlichung der auch Tirol und Vorarlberg umfassenden Berichte, die von Prof. Damian in Trient für Welschtirol und von mir für Deutschtirol und Vor- arlberg erstattet werden, begann. In das Verzeichnis der benützten Quellen haben nur solche Abhandlungen, Sammelwerke, Zeitschriften und Manuskripte Aufnahme gefunden, die mehr als ein Erdbeben betreffen; die anderen Quellen wurden der Kürze wegen den Erdbebennotizen unmittelbar beigefügt.
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