Mitteilungen Des Vereins Für Geschichte Der Prignitz Band 14

Mitteilungen Des Vereins Für Geschichte Der Prignitz Band 14

Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Prignitz Band 14 Im Auftrag des Vorstandes herausgegeben von Dr. Uwe Czubatynski Perleberg 2014 Homepages des Vereins: www.uwe-czubatynski.homepage.t-online.de/verein.html www.geschichtsverein-prignitz.de Abbildung auf dem Umschlag: Ausschnitt aus der „Heimatskarte der Prignitz“, bearb. von den Lehrern C. Remling und O. Pflüger. Kyritz [um 1910 ?]. Redaktion: Dr. Uwe Czubatynski, Burghof 10, 14776 Brandenburg Druck: Hohnholt GmbH, Bremen (www.hohnholt.com) Auflage: 275 Exemplare 3 Inhaltsverzeichnis DIETER HOFFMANN-AXTHELM Warum ging die Altstadt Freyenstein unter? 4 UWE CZUBATYNSKI Das älteste Repertorium des Pfarrarchivs Perleberg von 1690 13 ALBERT HOPPE (†) Perleberg 1945 – Tagebuchaufzeichnungen 63 UWE CZUBATYNSKI Die Aufzeichnungen des Kämmerers Krippenstapel zur Geschichte der Stadt Wilsnack. Mit einer Edition der Turmknopfinschrift von 1852 133 JÜRGEN W. SCHMIDT Die Landräte des Kreises Ostprignitz von 1920 bis 1945 151 UWE CZUBATYNSKI Der Privatfriedhof der Familie von Jagow in Rühstädt 185 JÜRGEN W. SCHMIDT Der Verkauf der „Bullenwärter- und Artillerieknechtswohnung“ zu Kyritz im Jahre 1795 191 JAHRESBERICHT der Studienstiftung Dr. Uwe Czubatynski für 2013 195 PROTOKOLL der Mitgliederversammlung Verein für Geschichte der Prignitz 199 KASSENBERICHT für das Jahr 2013 201 PROTOKOLL der Mitgliederversammlung Joachim-Wagner-Gesellschaft 205 TÄTIGKEITSBERICHT des Domstiftsarchivs Brandenburg für 2013 207 BIBLIOGRAPHIE zur Geschichte der Prignitz 215 Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Prignitz 14 (2014) 4 DIETER HOFFMANN-AXTHELM Warum ging die Altstadt Freyenstein unter? Untergegangene oder verkümmerte Altstädte gibt es viele. Altstadt sei hierbei nicht im Gegensatz zur Neustadt, also einer zweiten Stadtgründung neben einer schon bestehenden älteren, sondern als erster, dann aber aufgegebener Siedlungsansatz verstanden. Der Fall dagegen, daß nicht eine relativ einfache Siedlung aufgegeben wird, sondern eine entwickelte Stadt des 13. Jahrhunderts, ist eher selten und ver- langt eine besondere Aufmerksamkeit für jeden einzelnen Fall. Daß der letztere Fall nicht gerade häufig ist, ist leicht zu verstehen. Die vielen älte- ren Siedlungskerne, die heute noch als Altstadt, Altenstadt oder Altendorf vorhan- den sind (Oldenstadt bei Uelzen, Alt-Haldensleben, Alt-Kalen, Alten-Celle, Alten- Dresden, Alt Herzberg usw.), waren offenbar selten mehr als eine ein- oder beid- seitig besiedelte Straße und sind nie Stadt im Rechtssinne geworden. Erhalten oder erinnert sind sie eher aus Trägheit, sei es als Flurname (nicht nur Freyenstein, son- dern z. B. auch Eisenach), sei es als Dorf vor der Rechtsstadt (z. B. Holzminden, Eingemeindung 1929), sei es als eine Art offener Vorstadt (z. B. Seehausen) oder sei es als fest in die ummauerte Stadt einbezogenes Stadtviertel (z. B. Nordhausen). Oft gibt es diese Siedlungen nur deshalb noch, weil hier die erste Kirche stand, von der die Städter noch längere Zeit abhängig waren (so z. B. Herzberg). Daß eine entwickelte Rechtsstadt noch einmal verlassen wird – eine Stadt, die über Markt-, Niedergerichts-, Mauerrecht und Mühlenbann verfügt – ist angesichts des Erreichten ein dramatischer Fall und verweist auf zwingende Gründe bzw. beson- dere historische Umstände. Das erste Freyenstein ist allerdings nicht einfach auf- gegeben worden. Die Stadt ist nur, wie zahlreiche andere Städte, mit allen ihren Rechten umgezogen. Wenn auch nur 200 Meter weiter. Der unwahrscheinlichste Fall ist erst der, daß eine entwickelte Rechtsstadt ganz und gar aufgegeben wird. Er trifft, unter dem Gesichtspunkt historischer Gleichzeitigkeit zu Freyenstein, insbe- sondere auf die westdeutschen, also ins Altreich gehörenden Stadtwüstungen Nie- nover bei Uslar und Blankenrode südlich Lichtenau (Landkreis Paderborn) zu. Der Fall Nienover ist für die Beschäftigung mit der Altstadt Freyenstein besonders suggestiv, weil beide Wüstungen nicht nur zeitgleich sind, sondern auch mit mo- dernsten Mitteln der Mittelalterarchäologie untersucht wurden.1 Von dieser gänz- 1 Selbstverständlich grundlegend für alle weiteren Überlegungen zu Freyenstein ist Thomas Schenk: Die „Altstadt“ von Freyenstein, Lkr. Ostprignitz-Ruppin. Rekonstruktion der brandenburgischen Stadtwüstung des 13. Jhs. auf der Grundlage archäologischer Grabungen und Prospektionen und Grundzüge eines denkmalpflegerischen Konzepts. Rahden 2009. 263 S. (Materialien zur Archäolo- gie in Brandenburg; 2); zu Nienover siehe Hans-Georg Stephan: Binnenstruktur und öffentliche Räume in der mittelalterlichen Stadtwüstung Nienover. In: Ulica, plac i cmentarz ..., Wroclaw 2011, S. 89–117 <http://wratislavia.archeo.uni.wroc.pl/13-tom/8.pdf>. Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Prignitz 14 (2014) 5 lich verschwundenen Stadt ist auch sonst, trotz des anderen Schicksals, durchaus Entscheidendes zu lernen, was die Gründe von Abbruch und Neuaufstellung be- trifft. Das zweite Freyenstein war ja keine identische Übertragung der älteren Gründung, sondern nur noch deren Schatten. Anders gesagt: Die Grundlagen der heutigen Bedeutungslosigkeit wurden wohl kaum erst in den Zeiten der Abhängig- keit von den Rohrs oder Winterfeldts gelegt, sondern schon mit der Neuanlage. Ich werde mich im Folgenden auf diejenigen Ursachen der Verlegung konzentrie- ren, die mit der Planung Alt Freyensteins zu tun haben – was nicht heißen soll, daß die historisch-politische Problemlage zu ignorieren wäre. Wie bei fast allen ande- ren Stadtverlagerungen oder Brachlegungen auch, hat man es wohl kaum mit nur einer Ursache zu tun, sondern mit einem Bündel von Gründen, die sich zur letztli- chen Entscheidung für den Abbruch kumulierten. Und selten liegen die Ursachen so klar auf der Hand wie bei der Verlegung der Stadt Wittenberge von der Stepe- nitzmündung auf den Geestrücken über der Elbe: Hier genügte vermutlich das erste Hochwasser, um Stadtherrn und Erstbewohner von ihrem Fehlgriff zu überzeugen. Die Einbindung Der politisch-historische Rahmen für die Existenz des ersten Freyenstein ist in Umrissen bekannt:2 Gründung innerhalb der terra Wittstock, folglich durch die Havelberger Bischöfe; ab der Jahrhundertmitte Zugriff der Askanier infolge des Ausbaus der Landesherrschaft und insbesondere der Unterbindung reichsunmittel- barer bischöflicher Territorien wie im Altreich; 1287 Neugründung durch die Markgrafen Otto IV. und Konrad; 1295 Auflassung der Altstadt an die Bürger der neuen Stadt Freyenstein. Für die Beurteilung der Absichten des bischöflichen Gründers könnte die Bezie- hung zu Wittstock aufschlußreich sein. Die Gründung Alt Freyensteins erfolgte of- fensichtlich in Konkurrenz mit den Fürsten von Werle, den Edlen Gans und ande- ren – also etwa um bzw. nach 1230. Der Größe nach sind Alt Freyenstein und Wittstock nun aber durchaus vergleichbar. Die geringe Entfernung (18 km) erklärt sich aus der Funktion, die nahe Grenze der terra Wittstock gegen den Herrschafts- bereich der Herren von Werle zu sichern. Die östliche Grenzsiedlung Dossow mußte schon in einer Entfernung von nur 5 km vom Burgsitz Wittstock angelegt werden. Daß Freyenstein von vornherein als voll entwickelte Rechtsstadt geplant war, zeigt eben die Größe – kein Stadtherr konnte sich zwischen 1200 und 1300 einbilden, in einer schwach besiedelten Region eine Stadt dieses Umfangs besie- deln zu können, die nicht mit allen damals üblichen Rechten ausgestattet war. 2 Johannes Schultze: Die Prignitz. Aus der Geschichte einer märkischen Landschaft. Köln, Graz 1956, S. 54–67; Lieselott Enders: Die Prignitz. Geschichte einer kurmärkischen Landschaft vom 12. bis zum 18. Jahrhundert. Potsdam 2000, S. 69–93; Schenk (wie Anm. 1), S. 10–13. Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Prignitz 14 (2014) 6 Auch ist wohl nicht zufällig Freyenstein vorübergehend als Propsteisitz ausge- zeichnet worden.3 Obwohl Wittstock zweifellos die weitaus ältere Siedlung ist, dürfte die Planstadt Freyenstein als solche demnach die ältere sein. Möglicherwei- se sollte Freyenstein anfangs das werden, was dann tatsächlich erst Wittstock ein- löste. Auffällig ist ja, wie spät und stufenweise die Bischöfe die Stadtwerdung Wittstocks betrieben: 1244 Vereinigung von Burgbezirk und Kaufmannssiedlung, 1248 Stadtrecht, 1275 Marktrecht und Propsteisitz. Die genannten Daten könnten, einschließlich der flankierenden Ansiedlung der Residenz, die sukzessiven Zeichen dafür sein, daß die Bischöfe sich das Scheitern des Projekts Freyenstein eingeste- hen mußten. Ob diese Deutung zutrifft oder nicht, jedenfalls hatte schon im Gründungskonzept der Keim des Scheiterns gelegen: Freyenstein sollte gleichzeitig Grenzfestung und wirtschaftliches Zentrum sein. Das stand sich auf mehreren Ebenen im Wege. Letzteres erforderte den projektierten Umfang, ersteres gerade nicht, vielmehr eine gut zu verteidigende Anlage. Für die ruhige Entwicklung einer Handelsstadt war die Grenzlage denkbar ungünstig. Die Grenznähe beschränkte zudem die Entwick- lung eines städtischen Territoriums. Ungenügend war aber auch die Einbindung in die Fernhandelswege, ohne die eine Stadtlage dieser Größe nicht zu behaupten war, so passend die Lage für eine Grenzfestung gegen die Mecklenburger auch sein mochte. Wittstock liegt zum ei- nen an der damals als Schiffahrtsweg durchaus achtbaren Dosse, mehr noch: am Übergang eines der ältesten Wege vom Rhein zur Oder über die Dosse, gekreuzt von einer Nord-Süd-Route von Mitteldeutschland zur Ostsee. Freyenstein hat we- der einen Fluß, noch kreuzen sich hier Verkehrswege. Die Lage an der schon ge- nannten Route über Plau und Güstrow

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