Distanz, Weitermachen Nen, Weiß Er

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14 Kultur der Freitag | Nr. 37 | 10. September 2020 sprünglich nicht geplant, wurde das Sartre- Stück aufgrund der Corona-Situation ins Programm genommen. Auch ganz pragma- tisch. „Weil es anders als das ursprünglich geplante Liebesdrama Romeo und Julia auch mit Abstand funktioniert“, sagt Neu- gebauer. Es gelingt ihm sogar, aus dem äu- ßeren Zwang Gewinn zu ziehen. Die Suche nach Nähe etwa, die den Protagonisten stets aufs Neue misslingt, wird ins Tänzeri- sche übersetzt. Das bringt in die existenzi- alistische Tristesse des Stücks eine überra- schende Leichtigkeit. Das kleinste Stadttheater der Republik hat Sartre wegen der Corona-Lage jetzt angesetzt Das Theater Naumburg sagt von sich, es sei das kleinste Stadttheater Deutschlands. Die Spielstätte, eine frühere Gastwirtschaf, die einst das Puppentheater Naumburg be- herbergte, bietet schlechte Bedingungen. Je nach Bühnenaufau fnden in normalen Zeiten bis zu 80 Zuschauer im Saal Platz. Die Pläne für eine neue Spielstätte, seit Jah- ren im Gespräch, sind inzwischen konkre- FOTO: TORSTEN BIEL TORSTEN FOTO: ter geworden. 16 Mitarbeiter sind am Thea- Das Bühnenbild wirkt wie ein Arrangement von Ikea ter fest angestellt. Das Budget, zu zwei Drit- teln von der Stadt, zu kleineren Teilen auch von Kreis und Land mitgetragen, umfasste in der vorvorigen Spielzeit 930.000 Euro, gibt Neugebauer Auskunf. Das Stadtthea- ter in Aalen in Baden-Württemberg, hin- sichtlich der Mitarbeiterzahl mit dem Naumburger vergleichbar, habe eine Spiel- zeit zuvor über 1,6 Millionen verfügen kön- Distanz, weitermachen nen, weiß er. Da es ab März auch in Naum- burg keine Auführung mehr gab, sind dem Theater laut Intendant Einnahmen von Geschlossene Gesellschaf Im Theater Naumburg scheint mitten im existenzialistischen Pessimismus Hofnung auf rund 50.000 Euro weggebrochen. Immer- hin bietet die Finanzierung aus öfentli- auf der Bühne zelebrieren. Es geht um die sein Gesicht nicht hinter einer Maske zu tut sich schwer mit der Selbsterkenntnis. chen Mitteln eine gewisse Sicherheit. ■■ Gerd Stöckel Sehnsucht nach menschlicher Nähe und verbergen, muss sich fragen, was das für „Man ist, was man will“, versucht er an sei- Den Spielplan hat die Corona-Pandemie Liebe, auch nach Respekt und Anerken- die Freiheit anderer bedeutet, etwa deren nem Selbstbild festzuhalten. Doch Inès auch an anderer Stelle durcheinanderge- ist eine Hölle light. Hier sieht sie nung, die mancher in Zeiten von Corona Freiheit der körperlichen Unversehrtheit. zerstört seine Illusion: „Nur Taten ent- wirbelt. Ein Schauspiel über die Malerin aus wie ein Arrangement von unerfüllt sieht. Das ist auch im Stück so, scheiden über das, was man gewollt hat.“ Frida Kahlo etwa. Intendant Neugebauer Ikea: ein weißer Plastik-Barho- und dass die drei leiden, kann der Zu- Zur Freiheit verurteilt In diesem psychologischen Kammerspiel hof, dass den Darstellern in festen Klein- cker, ein zum Sofa entfaltbares, schauer wohl gut nachvollziehen. führte der Philosoph Sartre dem Dramati- gruppen eine größere Nähe auf der Bühne schwarzes Sitzpolster und als Bei Sartre allerdings leiden sie nicht an Für die drei auf der Bühne wäre der Schritt ker Sartre die Feder: Unsere Handlungen ermöglicht wird. Und natürlich reagierte EBlickfang ein Rokoko-Sessel. Das ist der der gesellschaflichen Situation. „Die Höl- aus der Hölle lediglich der aus der eigenen sind nicht die Kinder unseres Wesens, son- das Theater mit Begrenzung der Zuschau- Ort, den sich der Journalist und Literat Gar- le, das sind die anderen“, sagt Garcin. Sart- Hölle, Gemeinsamkeit oder Solidarität, dern deren Eltern. Wir sind das, was wir erzahl. In der Marien-Magdalenen-Kirche, cin, die Postangestellte Inès und die in ei- re beklagte später, Garcins Satz sei oft von Garcin vergebens angemahnt, auch aus uns machen. in der die Theaterleute schon wiederholt ner Zweckehe gut situierte Estelle für die missverstanden worden. „In welchem Teu- erfeht, gelingt nicht. Für den französi- Man kann Garcins Auforderung „Also, gastierten, wurden diesmal 64 Besucher Ewigkeit teilen werden. felskreis wir auch immer sind, wir sind schen Philosophen gibt es im Ringen um machen wir weiter“, mit der das Stück en- eingelassen, für die die Plätze in den Bank- Das Stadttheater Naumburg eröfnete frei, ihn zu durchbrechen“, erklärt er. Wir Freiheit notwendig Verlierer. Insofern ist det, so verstehen, dass es Erlösung aus dem reihen genau gekennzeichnet waren. Nor- die neue Spielzeit mit dem Stück Geschlos- können uns aus einer fraglos angenom- Sartre in Corona-Zeiten auch eine Provoka- zwischenmenschlichen Dilemma nicht malerweise fasst dieser Spielort 100 Gäste: sene Gesellschaf von Jean-Paul Sartre. Ein menen Rolle lösen. Den drei Verdammten tion für jeden, der wie Hegel meint, dass gibt und die Hölle ewig dauert. Man kann Während manchen die freie Sicht auf die Klassiker des Existenzialismus, in dem Sar- in Sartres Hölle gelingt das nicht. Als sie Freiheit ohne Anerkennung der Freiheit aber auch im Sinne Sartres zu dem Schluss Bühne freute, fanden andere es eher bedrü- tre zeigt, wie die aus Freiheit geborenen feststellen, dass die Tür nicht verschlossen des jeweils anderen nicht denkbar ist. kommen, dass es auf das eigene Handeln ckend, jede der Kirchenbänke mit nur ei- Wünsche des einen am auf Freiheit ge- ist, geht keiner hinaus. Es gelte, die Verant- Zwischen den Protagonisten entfaltet ankommt. Verurteilt ist der Mensch nicht nem Paar besetzt zu sehen. gründeten Handeln des anderen zerschel- wortung für das eigene Handeln zu über- sich eine dynamische Choreografe, das zu ewiger Verdammnis, sondern zur Frei- len. Und auch wenn das Stück schon 1944 nehmen, so Sartre. Mancher, der gegen quälende Spiel um Liebe und Macht, Zu- heit. Und das Lachen der Akteure, das die- Geschlossene Gesellschaf Jean-Paul Sartre erstaufgeführt wurde, geht es den heuti- Anti-Corona-Maßnahmen demonstriert, rückweisung und Verzweifung. Der Folter- sem Satz vorausgeht, interpretiert Inten- Neuübersetzung von Traugott König, Regie und gen Zuschauer an, nicht nur des bezie- wird das für sich in Anspruch nehmen. instrumente bedarf es nicht, schmerzhaf dant und Regisseur Stefan Neugebauer als Ausstattung: Stefan Neugebauer, Theater hungsreichen Titels wegen oder aufgrund Doch wer mit Recht persönliche Freiheits- sind die Lebenslügen. Garcin etwa, der Gemeinschaft stiftend. Der Zuschauer Naumburg, Termine unter theater-naumburg.de der körperlichen Distanz, die die Akteure rechte gewahrt sehen will, etwa zu reisen, überambitionierte Durchschnittsmensch, kann sich davon ermuntert fühlen. Ur- Als der Größenwahn in den Pop einzog 1986 Die Band Sigue Sigue Sputnik war ofen kommerziell und absolut nicht authentisch. Nun wird ihr Debütalbum neu aufgelegt samte Popgeschichte zu. Tony James war ging sie ofen nach kommerziellen Kriteri- villes Stimme wurden mit der damals einem kurzen Hype wurde die Band zuneh- ■■ Jens Buchholz klar, dass Musik nur ein Teil des Pop-Uni- en vor. SSS, das waren keine alten Kumpels. brandneuen Samplingtechnik verfremdet mend mit Häme überzogen. „Zuerst sagte versums ist. Er legte großen Wert auf das Tony James castete seine Band. Und zwar und wie zusätzliche Instrumente in die jeder Journalist, dass diese Band fantas- m Jahr 1986 grif die Band Sigue Sigue Aussehen seiner Band und auf gut ge- nicht danach, ob die Bewerber ihre Instru- Tracks eingebaut. „Wir haben die Musik tisch ist, ein Geschenk Gottes“, meinte Sputnik nach der Weltmacht. Die Sput- machte Videos. Ihm war klar, dass Pop als mente besonders gut beherrschten, son- mit Soundtracks und Samples durchsetzt Tony James, „und dann plötzlich hieß es: Iniks wollten diejenigen sein, die der populäre Kunst seine Aura aus dem Erfolg dern nach ihrem Aussehen. James selbst und berühmte Soundbites aus Science- Ach, wir haben sie nie gemocht!“ Popmusik, wie man sie bis dahin kannte, zog. Darum inszenierte er seine Band von hatte Anfang der 1980er Jahre zusammen Fiction-Filmen wie Blade Runner einge- Die Songs auf Flaunt It haben nichts von den Todesstoß versetzten. „Shoot it up“, Anfang an als Superstars. mit Billy Idol in der Band Generation X ge- fügt“, erzählte Moroder dem Pop-Blogger ihrer frivolen Frechheit verloren. Das Re- heißt es im Refrain ihrer erfolgreichen De- spielt. Als Sänger zog er den Paradiesvogel Steve Paford, „bis dahin hatte ich so etwas issue des britischen Labels Cherry Red bie- bütsingle Love Missile F1-11. In begrenztem Neoliberaler Businesspunk Martin Degville an Land. noch nie gehört.“ Fatboy Slim und Moby tet spannende Ergänzungen zum Album. Ausmaß gelang ihnen das tatsächlich. „Es Degville wirkte, als sei er einem Sado- lassen sich hier schon erahnen. Zwei der vier CDs enthalten die alten Remi- gibt viele Leute, die uns hassen werden“, Er grif auf alles zurück, was der Band den Maso-Science-Fiction-Comic entstiegen. Eine absolute Pop-Blasphemie beging die xe, die zeigen, dass die Sputniks Cyber- verkündete Bandgründer Tony James da- Anschein von Erfolg verleihen konnte. Mit Ähnlich wie Boy George brachte er die Band mit den Werbespots auf ihrer LP. Dance-Punks waren. Die vierte CD enthält mals, „wir sind weder tranig, noch interes- Frisuren, Videos, Samples und musikali- starren Gendergrenzen des 80er-Pop ins Tony James hatte die Leerrillen zwischen den Mitschnitt eines chaotischen Aufritts, sieren wir uns für Musik.“ Aber für was schen Anleihen bei den Großen des Pop Schwanken. „I’m she-male Elvis Bola- den Songs für Werbeblöcke verkauf. Die der die Grenzen von SSS deutlich macht. dann? Die Antwort war einfach: „Sex, schuf er ein eigenes Universum.

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